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Der Ost-Friede

In jenen Novembertagen des Jahres 1917, in denen die Frieden heischenden Funksprüche der neuen Männer Rußlands in die Welt hinausgingen, schien sich endlich die Hoffnung zu erfüllen, die acht Monate zuvor mit dem Ausbruch der russischen Revolution aufgedämmert war: die Hoffnung auf das Zurückebben der blutigen Hochflut des Krieges, Damals war diese Hoffnung gescheitert. Das Rußland der Miljukow und Kerenski vermochte sich ebenso wenig von den Ideen des panslawistischen Imperialismus zu trennen, wie sich von der Furcht vor dem deutschen Imperialismus zu befreien und sich aus der Gebundenheit an die Entente zu lösen. Der Krieg nach Osten ging weiter, und der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg, der kurz auf den Ausbruch der russischen Revolution folgte, kündigte die größte Ausdehnung und höchste Steigerung des Völkerringens an.

Jetzt aber sprachen alle Zeichen dafür, daß die Rückbildung des Krieges Ernst werden solle, daß zum erstenmal eine der ganz großen Mächte, dazu die Macht, die damals im Juli 1914 die Brandfackel in das Haus der Völker geschleudert hatte, die Waffen niederlegen werde. Alle Nachrichten' von der russischen Front und aus dem Inneren Rußlands stimmten dahin überein, daß des russischen Volkes Kraft und Wille zum Krieg endgültig gebrochen sei, und daß nur eine Regierung sich werde halten und durchsetzen können, die dem russischen Volke den Frieden bringe.

Endlich wurde die Aussicht auf die Sprengung des feindlichen Ringes, die Aussicht auf die Befreiung von dem ungeheuren russischen Druck und auf die Beendigung des »Zweifrontenkrieges« in greifbare Nähe gerückt. Und mehr als das! Nach dem furchtbaren Schlage, den unsere und unseres österreichisch-ungarischen Verbündeten Herbstoffensive dem italienischen Heere in Venetien versetzt hatte, war für uns auch an der Südfront die seit zweieinhalb Jahren drohende Gefahr abgewendet und freiere Hand gewonnen. Zum erstenmal seit Kriegsausbruch zeigte sich für uns die Möglichkeit, unsere Kraft im wesentlichen auf dem für das Schicksal des Krieges entscheidenden westlichen Kriegsschauplatz zu konzentrieren, wo uns fast die gesamte Macht der Franzosen und Briten mit ihren Hilfsvölkern gegenüberstand und wo wir das Eingreifen der Amerikaner zu erwarten hatten. Dazu versprach der Friede im Osten endgültig die Hungerblockade zu brechen, die immer schwerer auf unserem Volke lastete und unsere Kraft zum Kämpfen und Durchhalten empfindlich zu schwächen drohte. Diese Möglichkeiten mußten nicht nur unsere Aussichten für einen militärischen Endkampf erheblich verbessern; sie erschienen auch geeignet, unsere westlichen Feinde zum Nachdenken zu veranlassen und ihnen das Betreten des Weges einer billigen Verständigung nahezulegen.

Der gute Geist unseres Volkes und der Menschheit schien den Weg zu weisen, der aus dem völkerzermalmenden Elend des Krieges herausführte.

 

Der Waffenstillstand von Brest-Litowsk

In dem Funkspruch der neuen russischen Regierung vom 28. November 1917 hieß es:

»Der Friede, den wir beantragt haben, soll ein Völkerfriede sein, er soll ein Ehrenfriede des Einverständnisses sein, der einem jeden Volke die Freiheit der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung sichert ... Wir haben die Geheimverträge des Zaren und der Bourgeoisie mit den Verbündeten veröffentlicht und diese Verträge für unverbindlich für das russische Volk erklärt. Wir beantragen, mit allen Völkern öffentlich einen neuen Vertrag auf der Grundlage des Einverständnisses und der Zusammenarbeit zu schließen. Unseren Antrag haben die offiziellen und offiziösen Vertreter der regierenden Klassen der verbündeten Länder mit der Weigerung beantwortet, die Räteregierung anzuerkennen und sich mit ihr ins Einvernehmen über die Friedensverhandlungen zu setzen. Die Regierung der siegreichen Revolution entbehrt die Anerkennung der professionellen Diplomatie; aber wir fragen die Völker, ob die reaktionäre Diplomatie ihre Gedanken und Bestrebungen zum Ausdruck bringt, ob die Völker ihrer Diplomatie erlauben, die große Friedensmöglichkeit, die durch die russische Revolution eröffnet wurde, fallen zu lassen.«

Hierauf antwortete die österreichisch-ungarische Regierung am 29. November mit einem Telegramm, in dem sie die von der russischen Regierung bekanntgegebenen Richtlinien für den abzuschließenden Waffenstillstand und Friedensvertrag als geeignete Grundlagen für die Einleitung von Verhandlungen bezeichnete und sich bereit erklärte, in Verhandlungen über einen sofortigen Waffenstillstand und allgemeinen Frieden einzutreten. Die deutsche Regierung ließ die am gleichen Tage vom Reichskanzler im Reichstag abgegebene Erklärung gleichen Sinnes durch Funkspruch verbreiten.

Bereits am 3. Dezember begannen in Brest-Litowsk, dem Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost, des Prinzen Leopold von Bayern, die Verhandlungen zwischen Vertretern der Mächte des Vierbundes und der russischen Sowjetrepublik.

 

Waffenruhe mit Rußland und Rumänien

Die russische Delegation versuchte zunächst, eine Diskussion über einen allgemeinen Frieden und einen Waffenstillstand an allen Fronten herbeizuführen. Da die Verbündeten Rußlands überhaupt nicht vertreten waren, konnte eine solche Diskussion kein praktisches Ergebnis haben. Die Delegationen des Vierbundes, deren Vollmachten nur auf den Abschluß eines Waffenstillstandes mit Rußland lauteten, bestanden deshalb auf dieser Beschränkung des Verhandlungsgebietes, die allein Erfolg versprach. Die russische Delegation fügte sich widerstrebend. Schon jene erste Besprechung ließ den Verdacht aufkommen, daß es den Russen mindestens ebenso sehr auf eine Propaganda für ihre revolutionäre Weltanschauung wie auf die Erzielung eines unmittelbar praktischen Ergebnisses im Sinne des Friedens ankam. Sie behielten sich das Recht vor, die Verhandlungsprotokolle unverkürzt zu veröffentlichen. Von diesem Recht haben sie den ausgiebigsten Gebrauch gemacht und ihre Ausführungen bei den Verhandlungen von vornherein weniger auf den unmittelbaren Verhandlungszweck als auf die propagandistische Wirkung zugeschnitten.

In der Frage des Waffenstillstands selbst stellten die Russen zunächst übertriebene Bedingungen. Vor allem verlangten sie die Erstreckung des Waffenstillstands auf sechs Monate, womit ihnen jedes Interesse an dem baldigen Abschluß eines endgültigen Friedens genommen gewesen wäre. Außerdem forderten sie die Räumung der Inseln des Rigaischen Meerbusens durch unsere Truppen. Als sie mit diesen Forderungen bei unseren Verhandlern auf unüberwindlichen Widerstand stießen, begnügten sie sich zunächst mit dem Abschluß einer »Waffenruhe«, die vom 7. bis zum 17. Dezember laufen sollte, und reisten zur Einholung weiterer Instruktionen nach Petersburg zurück.

Auch an der rumänischen Front wurde Waffenruhe vereinbart.

Die Verhandlungspause wurde von der russischen Regierung ausgiebig benutzt, um im Weg der Funkspruchpropaganda die Arbeiter und Soldaten der kriegführenden Mächte zu bearbeiten. In einem Funkspruch »An Alle« vom 12. Dezember 1917 führte sie aus: Die Verantwortung für den Sondercharakter des Waffenstillstands treffe die Regierungen, die sich weigerten, sich an den Verhandlungen zu beteiligen. Der Friede dürfe keine gewaltsamen Annexionen bringen. Alle Völker, die sich unterdrückt fühlten, müßten die Möglichkeit erhalten, in freier Volksabstimmung über ihr ferneres Schicksal Bestimmung zu treffen. Dieser Grundsatz müsse auf die Gebiete aller kriegführenden Staaten ausgedehnt werden, sowohl auf die Mutterländer wie auch auf die Kolonien. Die Gebiete, die besonders schwer unter dem Krieg gelitten hätten, müßten aus einem internationalen Fonds entschädigt werden, der von den kapitalistischen Klassen der kriegführenden Länder aufzubringen sei. Die arbeitenden Klassen der mit Rußland verbündeten Länder seien jetzt durch die Geschichte berufen, ihre ganze Kraft in die Wagschale zu werfen, um ihre Teilnahme an den Friedensverhandlungen zu sichern. Eine nicht minder hohe Pflicht des Proletariats Deutschlands, Österreich-Ungarns, Bulgariens und der Türkei sei die Schaffung solcher Bedingungen, welche die tatsächliche Anerkennung der Grundlagen des demokratischen Friedens durch die Vertreter dieser Länder sicherten. Jetzt habe die Stunde geschlagen, in der die Völker selbst den Vertrag unterzeichnen sollten, der auf allgemeiner Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung begründet sei. Für die sozialistischen Parteien sei die Stunde gekommen, den vor siebzig Jahren, verkündeten großen Ruf zu verwirklichen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

 

Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet

Am 13. Dezember wurden in Brest-Litowsk die Waffenstillstandsverhandlungen wieder aufgenommen. Die Russen kamen auf die Räumung der Rigaischen Inseln nicht mehr zurück. Hinsichtlich der Friedensfrage teilten sie lediglich mit, daß ihre Regierung wünsche, sofort nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes in Friedensverhandlungen einzutreten, was sich mit unseren eigenen Wünschen durchaus deckte. In der Frage der Truppenverschiebungen während des Waffenstillstands, die bei den ersten Verhandlungen einige Schwierigkeiten gemacht hatte, wurde die Formel vereinbart, daß keine operativen Truppenverschiebungen stattfinden sollten, es sei denn, daß diese Verschiebungen im Augenblick der Unterzeichnung des Waffenstillstands bereits eingeleitet seien.

In der Nacht vom 16. zum 17. Dezember wurde der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet. Der Waffenstillstand erstreckte sich danach auf die gesamte Landfront von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer sowie auf den türkisch-russischen Kriegsschauplatz in Asien, ferner auf das Schwarze Meer und auf die Ostsee Östlich des 15. Längengrades. Der Waffenstillstand sollte vom 17. Dezember 1917, mittags 12 Uhr, bis zum 14. Januar 1918 dauern, vom 21. Tag an mit siebentägiger Frist kündbar sein und mangels Kündigung automatisch weiterlaufen. Die Friedensverhandlungen sollten sofort aufgenommen werden.


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