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Die Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen

Nachdem mein Abschiedsgesuch am 9. November bewilligt worden war, hatte ich mich als bayrischer Reserveoffizier a. D. dem bayrischen Kriegsministerium für eine militärische Verwendung zur Verfügung gestellt. Ehe jedoch hierüber eine Bestimmung getroffen war, trat Anfang Dezember der Reichskanzler Graf Hertling an mich heran und ersuchte mich, angesichts der durch die Novemberrevolution in Rußland in nahe Sicht gerückten Friedensverhandlungen die einheitliche Zusammenfassung der Vorarbeiten der einzelnen Ressorts für den wirtschaftlichen Teil der Friedensverhandlungen zu übernehmen. Ich stellte meine Bedenken gegen die Übernahme einer solchen Aufgabe durch eine nicht mit der Autorität des Reichskanzlers oder seines Vertreters ausgestattete Persönlichkeit zurück, nachdem mir auch von denjenigen meiner früheren Kollegen in der Reichsleitung und im Preußischen Staatsministerium, die am stärksten an den Vorarbeiten für die Friedensverhandlungen beteiligt waren, der dringende Wunsch ausgesprochen worden war, daß ich mich dem Ruf des Reichskanzlers nicht entziehen möchte, und nachdem ich mich überzeugt hatte, daß seit meinem Ausscheiden nichts mehr für die einheitliche Leitung dieser Vorarbeiten geschehen war. Ich sprach meinerseits den Wunsch aus, den neuen Auftrag im Ehrenamt und ohne irgendwelche Besoldung oder Vergütung übernehmen zu dürfen.

Am 4. Dezember wurde mir der Auftrag der Zusammenfassung der wirtschaftlichen Friedensvorarbeiten der Ressorts durch einen Erlaß des Reichskanzlers erteilt.

Auf Grund mündlicher Besprechungen mit den Ressortchefs machte ich dem Reichskanzler am 10. Dezember für die Gestaltung meiner Tätigkeit folgenden Vorschlag:

»Ich denke mir die Ausführung des Auftrags so, daß ich mich über das in den einzelnen Ressorts vorliegende Material unterrichte, dieses Material bei mir sammle und ordne, daß ich ferner die Vorarbeiten auf ihre Vollständigkeit sowie daraufhin einer Durchsicht unterziehe, ob zwischen den Absichten und Wünschen der einzelnen Ressorts Übereinstimmung besteht. Anregungen und Vorschläge, die ich zur Erwägung nach beiden Richtungen hin etwa für notwendig erachte oder die sich sonst aus der sachlichen Zusammenfassung ergeben, beabsichtige ich dann, sei es im Wege des Schriftverkehrs, sei es im Wege der mündlichen Erörterung, mit den Herren Ressortchefs oder ihren Vertretern zur Erledigung zu bringen. Dadurch, daß ich mich auf Anregungen und Vorschläge dieser Art beschränke, wird von vornherein überflüssige Doppelarbeit und ein Eingriff in die sachliche Bearbeitung, die ausschließlich den beteiligten Ressorts gemäß ihrer Zuständigkeit überlassen bleibt, vermieden werden.«

Ebenso wie die Vorbereitung der wirtschaftlichen Verhandlungen mit Rußland wurde mir später (25. Dezember 1917) der gleiche Auftrag für die Gesamtheit der Wirtschaftsfragen erteilt, die bei den Friedensverhandlungen mit allen gegen uns im Kriege stehenden Staaten zu regeln sein würden.

 

Das Wirtschaftsprogramm

Die Zeit, die von der Erteilung des Auftrags für Rußland bis zum Beginn der Friedensverhandlungen zur Verfügung stand, war außerordentlich knapp bemessen. Trotzdem gelang es, vor der Abreise unserer Unterhändler eine Einigung der Ressorts auf ein Programm für die Regelung der deutsch-russischen Wirtschafts- und Rechtsfragen herbeizuführen, das den schwierigen durch den Wirtschaftskrieg und die sozialistische Revolution in Rußland geschaffenen Verhältnissen Rechnung tragen sollte. Es war dies keine leichte Aufgabe; denn die Wiederherstellung der deutschen Rechte und des deutschen Eigentums und die Vereinbarung der Entschädigung für den Fall der Unmöglichkeit oder Untunlichkeit dieser Wiederherstellung, ferner die Wiederherstellung der vertragsmäßigen Grundlagen für die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen erforderte angesichts der von der bolschewistischen Regierung Rußlands erstrebten und teilweise bereits in Angriff genommenen Sozialisierung von Unternehmungen sowie von Produktions- und Betriebsmitteln auf dem Gebiete der Landwirtschaft, des Bergbaues, der Industrie und des Handels das Einschlagen neuer Wege, für die es bisher kein Vorbild gab. Unser Programm fand in den wesentlichen Punkten die Zustimmung und später bei den Verhandlungen die Unterstützung unserer Bundesgenossen, namentlich Österreich-Ungarns.

Dagegen stimmte es mich sehr bedenklich, als ich kurz vor der Abreise unserer Delegation gelegentlich einer am 17. Dezember beim Reichskanzler abgehaltenen Besprechung mich überzeugen mußte, daß in den wichtigsten politischen und territorialen Fragen eine klare Übereinstimmung weder zwischen uns und unseren Bundesgenossen, noch auch zwischen unserer politischen Leitung und der Obersten Heeresleitung vorlag.

Die Anfang November noch von mir geleiteten Besprechungen mit dem Grafen Czernin, bei denen Polen im Vordergrund stand, hatten zu keinem Ergebnis geführt.

Graf Czernin hatte damals die alsbaldige Mitteilung von Gegenvorschlägen und die Wiederaufnahme der Besprechungen im Beisein des österreichischen und des ungarischen Ministerpräsidenten und sachverständiger Berater für eine nahe Frist in bestimmte Aussicht gestellt. Ich erhielt nunmehr auf meine Anfrage die Auskunft, daß die Besprechungen bisher nicht wieder aufgenommen worden seien, da Graf Czernin einen geplanten weiteren Besuch in Berlin im letzten Augenblick infolge einer Erkrankung habe aufgeben müssen. Auch auf anderem Wege war eine Verständigung mit unserem Bundesgenossen über die Ostfragen und die Festlegung einer einheitlichen Marschroute für die Verhandlungen mit der russischen Regierung nicht erzielt worden. Wir hatten also damit zu rechnen, daß Österreich die Erreichung seines Zieles, das ehemals russische Polen für den Anschluß an die Donaumonarchie in irgendeiner Form zu gewinnen, durch ein Zusammenspielen mit den Russen und eventuell auch den Polen versuchen würde, ohne uns die von uns für nötig gehaltenen Sicherungen zu gewähren.

Die Gefahr eines Zusammenspielens der österreichischen Diplomatie mit den Russen und Polen war um so größer, als die Österreicher davon überzeugt waren, ihr polnisches Ziel auf dem Wege der vorbehaltlosen Anerkennung des von den Russen wie von den Polen gewünschten Selbstbestimmungsrechts der Völkerschaften der besetzten russischen Gebiete erreichen zu können; denn man war in Österreich sicher, daß um den Preis Galiziens der Anschluß des neuen Polen an das Reich der Habsburger zu haben sein werde.

 

Die politischen und territorialen Fragen

Ich habe die Undefinierte und damit uneingeschränkte Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationalitäten stets für eine Gefahr gehalten, nicht nur für das Deutsche Reich hinsichtlich seiner Grenzmarken im Osten, Westen und Norden, sondern vor allem auch für die habsburgische Monarchie, für die es kein stärkeres Sprengpulver geben konnte. Der Gedanke, daß man die Anwendung des einmal in der Sache uneingeschränkt anerkannten Grundsatzes territorial auf die von uns und unseren Verbündeten besetzten russischen Gebiete werde beschränken können, war angesichts der Kundgebungen der neuen russischen Regierung und auch gewisser von dem Präsidenten Wilson aufgestellter Thesen, vor allem aber angesichts der in unverhüllter Deutlichkeit zutage tretenden Bestrebungen der Polen, der Tschechen und Slowenen, geradezu naiv.

Unsere deutsche Politik hatte sich in ihrer Praxis auch nur mit starken Vorbehalten zu dem Selbstbestimmungsrecht der Völkerschaften der besetzten russischen Gebiete bekannt, indem sie das Recht, an der Gestaltung der Neuordnung der unmittelbar vor unserer Haustür liegenden Gebiete mitzusprechen, tatsächlich ausübte und in den Staatsräten, Landesversammlungen und Landesräten Polens, Litauens und Kurlands hatte Organe schaffen helfen, deren Beschlüsse sie als Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Bewohner jener Gebiete anzusehen gewillt war.

Man mag diese von unserer Regierung befolgte Politik hinsichtlich der russischen »Randstaaten« für richtig oder für falsch halten, – falsch war es auf jeden Fall, in die Friedensverhandlungen mit Rußland hineinzugehen, ohne daß vorher wenigstens mit unserem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen eine nochmalige Aussprache stattgefunden hatte und mit ihm eine klare Einigung über die in den Verhandlungen einzunehmende Haltung erzielt war.

Auch zwischen dem Kanzler und dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes auf der einen Seite, der Obersten Heeresleitung auf der anderen Seite war, als am 17. Dezember die Besprechung im Reichskanzlerpalais statt fand, ein festes Einverständnis über die Linie, die bei den Verhandlungen über den Ostfrieden innegehalten werden sollte, noch nicht vorhanden. Kanzler und Staatssekretär reisten am Abend desselben Tages nach dem Großen Hauptquartier, um dort, unmittelbar vor der Abreise des Herrn von Kühlmann nach Brest-Litowsk, noch einmal die wichtigsten Fragen zu besprechen. Ich habe späterhin nicht den Eindruck gewonnen, daß in jener letzten Aussprache vor den Verhandlungen die nötige Klarheit und Einigkeit herbeigeführt worden wäre.

 

Mangelnde Einheitlichkeit der Vertretung

Der Dualismus der Auffassungen und Ziele, der hier fortbestand, kam schon in einer Besonderheit unserer Vertretung bei der Friedenskonferenz in Brest zum Ausdruck. Der Kaiser erteilte dem Reichskanzler das Mandat zum Abschluß der Friedensverhandlungen und bestellte Herrn von Kühlmann zum bevollmächtigten Unterhändler. Neben Herrn von Kühlmann nahm aber an den Verhandlungen als »Vertreter der Obersten Heeresleitung« der Chef des Generalstabs des Oberbefehlshabers Ost, Generalmajor Hoffmann, teil, der mitunter ausdrücklich namens der Obersten Heeresleitung in die Verhandlungen eingriff und auch die Verträge als »Vertreter der Obersten Heeresleitung« unterzeichnete. Dieses Verhältnis ist sowohl bei den Verhandlungen selbst von dem Chef der russischen Delegation wie auch späterhin im Reichstag beanstandet worden, zweifellos mit Recht; denn bei Friedensverhandlungen zwischen zwei Staaten gibt es als zur Abgabe von Erklärungen und zur Unterzeichnung der Verträge berechtigte Personen nur bevollmächtigte Vertreter der einheitlichen Staatsgewalt. Es hätte nichts im Wege gestanden, daß der Kaiser neben Herrn von Kühlmann den Generalmajor Hoffmann als Unterhändler bevollmächtigt hätte; für einen »Vertreter der Obersten Heeresleitung« war jedoch bei der Verhandlung und bei der Unterzeichnung der Friedensverträge kein Raum. Aber diese kleine formale Unkorrektheit, infolge deren das Deutsche Reich bei den Verhandlungen in Brest zwiespältig vertreten war, hatte ihren tieferen Grund in der Zwiespältigkeit, die zwischen der politischen Leitung und der Obersten Heeresleitung nun einmal bestand und deren Ausgleich nicht restlos gelungen war.

Mir blieb nichts übrig, als eindringlich auf die Gefahren des Fehlens einer einheitlichen Linie hinzuweisen. Ich überschritt damit, da die unausgeglichenen Meinungsverschiedenheiten auf politischem und territorialem Gebiet lagen, ohnedies schon den Rahmen meiner auf die wirtschaftlichen Vorbereitungen beschränkten Befugnisse. Zu meiner Sorge mußte ich auch hier wieder die Beobachtung machen, daß der Graf Hertling nicht mehr über die Kraft verfügte, um solcher Situationen Herr zu werden und das von ihm als richtig Erkannte durchzusetzen. Von Herrn von Kühlmann gewann ich den Eindruck, daß er sich zu sehr auf seinen guten Stern verließ und darauf rechnete, es werde sich schließlich doch alles zurechtziehen.


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