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Die Anfänge des Grafen Hertling

Gleichwohl schien der Kanzlerschaft des Grafen Hertling in ihren Anfängen ein guter Stern zu leuchten.

Innerpolitisch war nach der nahezu restlosen Befriedigung der sachlichen und persönlichen Wünsche der Mehrheitsparteien eine Beruhigung eingetreten. Als Graf Hertling am 29. November 1917 zum erstenmal als Reichskanzler im Reichstag erschien und sein mit den Mehrheitsparteien vereinbartes Programm entwickelte, da hörte er von allen Seiten freundliche Worte. Zwar betonte er, daß an den Grundlagen der Reichsverfassung, die recht eigentlich aus dem historisch gewordenen Charakter des deutschen Volkes und seiner verschiedenen Stämme hervorgewachsen sei, nichts geändert werden könne und solle. Aber man nahm seine Handlungen für gewichtiger als seine Worte. Zwar beachtete ei in der Form die Grenzen der Kompetenz von Reich und Einzelstaaten so genau, daß er die preußische Wahlreform, die nach wie vor im Brennpunkte des innerpolitischen Interesses stand, überhaupt nicht beim Namen nannte, sondern vorsichtig umschrieb: »Sie alle wissen, in welch großzügiger Weise in dem mächtigsten deutschen Bundesstaat die Initiative zu einer weitgreifenden Reform von der höchsten Stelle aus ergriffen worden ist; ich habe jetzt und hier über diesen Gegenstand weiter nichts zu sagen.« Die Linksparteien konnten diese formelle Korrektheit hinnehmen; denn inzwischen hatten sie auf Grund der ihnen in den Verhandlungen über die Hertlingsche Kanzlerschaft gegebenen Zusagen den Erfolg erreicht, daß dem Preußischen Landtag das Gesetz über die Wahlreform zugegangen war.

Aber nicht nur bei den Sprechern der Mehrheitsparteien fand Graf Hertling ein freundliches Willkommen, sondern auch der Wortführer der Konservativen, Graf Westarp, gab, bei allen Vorbehalten gegenüber den Vorgängen bei der Ernennung des Grafen Hertling, namens seiner politischen Freunde »der uneingeschränkten Wertschätzung für die Person des jetzigen Reichskanzlers« Ausdruck.

Auffallend und bezeichnend war die Haltung der Mehrheitssozialdemokraten. Sie hatten am stärksten auf die »Parlamentarisierung« der Regierung gedrückt und, wenn sie auch für sich selbst auf eine Vertretung in der neuen Regierung verzichteten, darauf bestanden, daß Herr von Payer als Vertrauensmann der Mehrheitsparteien zum Vizekanzler ernannt wurde. Schon der Verzicht auf den Eintritt eines ihrer Führer in die neue Regierung hatte klar gezeigt, daß die Sozialdemokratie zwar einen entscheidenden Einfluß ausüben, jedoch keine Verantwortung für die neue Regierung mit übernehmen und sich für alles Weitere die Hände frei halten wollte. Wer das nicht begriffen hatte, dem wurde es jetzt durch die Rede des Herrn Scheidemann klar vor Augen geführt. Herr Scheidemann war so gütig, die neue Regierung als einen »Fortschritt« zu bezeichnen, mit dem Zusatz: »vorausgesetzt, daß sie ihr Programm hält«. Daß die neue Regierung die erste in der Hauptsache parlamentarische Regierung sei, das sei für die Sozialdemokratie ein Grund gewesen, ihr Zustandekommen zu fördern. Er fügte jedoch hinzu:

»Es wäre aber sehr inkonsequent, wenn wir sagen würden, diese Regierung unterstützen wir, mit ihr gehen wir durch dick und dünn, weil sie in der Hauptsache eine parlamentarische Regierung ist. Gerade im Wesen des parlamentarischen Systems liegt es, daß eine Regierung in erster Linie aus den Parteien unterstützt wird, aus denen sie gebildet worden ist, und erst in zweiter Linie vielleicht auch von solchen Parteien, die an dem Fortbestand einer solchen Regierung ein sachliches Interesse haben, weil das Regierungsprogramm bis zu einem gewissen Grade mit ihren eigenen Wünschen und Auffassungen übereinstimmt.«

 

Stellung der Sozialdemokraten

Die Sozialdemokratie habe nicht die Absicht, der neuen Regierung Opposition um jeden Preis zu machen; sollten sich aber unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten herausstellen, so werde sie die Regierung entschieden bekämpfen müssen. »Wir wollen diesen Kampf gewiß nicht unnötigerweise suchen, und wenn die Politik der Regierung sich so gestaltet, daß wir ihn vermeiden können, dann wird das für unser Land zweifellos das Beste sein.« Die Sozialdemokratie, die den stärksten Druck auf die Umbildung der Regierung und den Übergang zum parlamentarischen System ausgeübt hatte, behielt sich also ihre Stellung zu der neuen, nach ihren Wünschen gebildeten parlamentarischen Regierung vor. Bei den Forderungen hatte sie sich den Mehrheitsparteien, die ohne sie überhaupt keine Mehrheit darstellten, zugezählt; bei der Übernahme von Verpflichtungen stellte sie sich außerhalb der Mehrheitsparteien. Das war der hippokratische Zug, der dem neuen parlamentarischen Regime von Anfang an aufs Gesicht geschrieben war.

Militärisch erhielt die Lage zur Zeit der zweiten Kanzlerkrisis und der ersten Wochen der Hertlingschen Kanzlerschaft ihr Gepräge durch die von uns und unserem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen vereint durchgeführte glänzende Offensive an der italienischen Front. Am 24. Oktober hatte der Angriff an der Isonzofront begonnen. In wenigen Tagen waren den Italienern wieder alle Vorteile entrissen, die sie in zweiundeinhalb Kriegsjahren und in den elf blutigen Isonzoschlachten errungen hatten. Es folgte der Einbruch unserer Truppen in die italienische Ebene. Am 30. Oktober fiel Udine, am 5. November wurde der Tagliamento überschritten. Wenige Tage später standen unsere Truppen am Piave. Die italienische Armee war auf das schwerste erschüttert und durch große Verluste an Menschen und Material geschwächt. Italien mußte sich an seine Verbündeten um Hilfe wenden.

Im Westen boten Engländer, Franzosen und ihre Hilfsvölker alle Kraft auf, um den Krieg vor dem Winter zur Entscheidung zu bringen. Aber die gewaltigen Vorstöße in Flandern, am Chemin des Dames und vor Verdun kamen über örtliche Erfolge nicht hinaus und liefen sich im Laufe des November tot. Die nicht unwesentlichen Vorteile, die gegen Ende November die Engländer in einem überraschend angesetzten, mit zahlreichen Tanks arbeitenden Angriff bei Cambrai errangen, wurden ihnen durch einen mächtigen deutschen Gegenstoß wieder 4 entrissen. Als der Winter kam, hatte sich überall im Westen der gewaltige Anprall der feindlichen Massen und Maschinen unter den schwersten Verlusten an dem elastischen System unserer. Verteidigung gebrochen. Wie unsere Oberste Heeresleitung die Lage im Westen beurteilte, ergab sich für mich aus einer Äußerung, die General Ludendorff, als ich im Laufe der zweiten Novemberhälfte das Große Hauptquartier besuchte, mir gegenüber tat. Er bezeichnete es als möglich, daß der Augenblick kommen werde, wo wir an der Westfront aus der Verteidigung zum Angriff übergehen und dadurch vielleicht die Entscheidung des Krieges herbeiführen könnten.

 

Tätigkeit an den Fronten

In Frankreich äußerte sich die Erregung über die italienische Niederlage und die Erfolglosigkeit der gewaltigen eigenen Anstrengungen und Opfer in einer neuen Ministerkrisis, die an Stelle des Herrn Painlevé Herrn Clemenceau ans Ruder brachte. Bei der bekannten Stellung Clemenceaus zu den Kriegs- und Friedensfragen mußte man in diesem Wechsel den Ausdruck des zum Äußersten entschlossenen Willens der Franzosen sehen, den Krieg ohne Rücksicht auf Opfer und Gefahren mit allen Mitteln bis zum Äußersten durchzukämpfen.

Ausgesprochen ungünstig war die Entwicklung der Dinge bei unserem türkischen Bundesgenossen, namentlich an der sogenannten »Sinaifront«. Noch im Frühjahr 1917 hatten die Türken starke englische Angriffe bei Gaza, an der Grenze zwischen der Halbinsel Sinai und Palästina, siegreich zurückgeschlagen. Jetzt, mit Beginn der günstigen Jahreszeit, griffen die Engländer nach großen Vorbereitungen erneut an. Schon Anfang November mußte die Sinaifront zurückgenommen werden. Die Engländer drängten scharf nach. Am 10. Dezember 1917 besetzten sie das von den Türken aufgegebene Jerusalem.

Das wichtigste Ereignis jener Zeit spielte sich jedoch in Rußland ab. Dort war in den ersten Novembertagen die zweite Revolution, die Revolution der Bolschewisten, ausgebrochen. Am 8. November war Kerenski gestürzt und geflohen; der Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte konnte von Petersburg aus verkünden, daß er alle Gewalt in seine Hand genommen habe. Am Tage darauf veröffentlichte die neue Regierung ihr Programm, an dessen Spitze die sofortige Herbeiführung eines Waffenstillstands an allen Fronten und der Abschluß eines »demokratischen Friedens« stand. Die folgenden Wochen waren mit inneren Kämpfen ausgefüllt, in denen sich die Bolschewikiregierung mit Lenin als Präsident und Trotzki als Volkskommissar für die auswärtigen Angelegenheiten behauptete. Am 23. November teilte Trotzki den russischen Botschaftern telegraphisch, gleichzeitig mit der Konstituierung des »Rates der Volksbeauftragten« als der neuen Regierung, den Vorschlag mit, daß alle kriegführenden Volker sofort einen Waffenstillstand schließen und in Friedensverhandlungen eintreten möchten; als Grundlage für die Verhandlungen wurde bezeichnet die Unabhängigkeit der Völker und ihr Recht, ihre Entwicklung selbst zu bestimmen, sowie der Ausschluß von Annexionen und Kontributionen. An demselben Tage begann die neue russische Regierung die Geheimverträge zwischen Rußland und seinen Verbündeten zu veröffentlichen zugleich mit der Erklärung, daß diese Verträge für das russische Volk unverbindlich seien. Das war ein deutlicher Beweis der Entschlossenheit der neuen russischen Regierung, den Weg zum Frieden nötigenfalls ohne Rücksicht auf die Ententegenossen zu gehen.

 

Russisches Waffenstillstandsangebot

Am 29. November konnte Graf Hertling in seiner Antrittsrede dem Reichstag mitteilen:

»Die russische Regierung hat gestern von Zarskoje-Selo aus ein von dem Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Herrn Trotzki, und dem Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, Herrn Lenin, unterzeichnetes Funkentelegramm an die Regierungen und Völker der kriegführenden Länder gerichtet, worin sie vorschlägt, zu einem nahen Termin in Verhandlungen über einen Waffenstillstand und einen allgemeinen Frieden einzutreten, Ich stehe nicht an zu erklären, daß in den bisher bekannt gewordenen Vorschlägen der russischen Regierung diskutable Grundlagen für die Aufnahme von Verhandlungen erblickt werden können, und daß ich bereit bin, in solche einzutreten, sobald die russische Regierung hierzu bevollmächtigte Vertreter entsendet. Ich hoffe und wünsche, daß diese Bestrebungen bald festere Gestalt annehmen und uns den Frieden bringen werden.«


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