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Unser Verhältnis zu Österreich-Ungarn

Die Stellung Deutschlands und Österreich-Ungarns zum Krieg

Über den Beitritt Österreich-Ungarns zum uneingeschränkten U-Bootkrieg hat sich Graf Czernin in einer öffentlichen Rede vom 11. Dezember 1918, auf die ich in der weiteren Darstellung noch öfters zurückkommen werde, wie folgt geäußert:

»Meine damaligen Ministerkollegen Tisza und Clam sowohl wie meine Wenigkeit waren mit Kaiser Karl in der Ablehnung dieses Vorschlages vollständig einig, und rückhaltlos zugestimmt hat dem Gedanken nur der damalige Admiral Haus. Es muß hier konstatiert werden, daß die deutsche Motivierung nicht so sehr darauf ging, England durch Hunger zu besiegen, sondern darin gipfelte, daß die Westfront nur zu halten sei, wenn die amerikanischen Munitionstransporte versenkt würden, daß also ein rein technisch-militärisches Moment in den Vordergrund geschoben wurde. Ich habe damals ernstlichst die Absicht ventiliert, uns in dieser Frage von Deutschland zu trennen, und die geringe Zahl unserer U-Boote hätte unser Nicht-mitmachen kaum bemerkbar gemacht. Aber ein anderer Umstand fiel in die Wagschale. Sollte der U-Bootkrieg in den nördlichen Gewässern mit Erfolg geführt werden, dann mußte er gleichzeitig im Mittelmeer einsetzen. Blieb dieses frei, so wären die Transporte über Italien, Frankreich und Dover nach England gegangen und hätten den nördlichen U-Bootkrieg paralysiert. Um aber den U-Bootkrieg in der Adria führen zu können, mußten wir den Deutschen unsere Stützpunkte, wie Pola, Triest und Cattaro, überlassen. Taten wir dies, so machten wir de facto den U-Bootkrieg mit. Unterließen wir es, so fielen wir damit Deutschland in den Rücken und verhinderten seinen Ü-Bootkrieg, d. h. wir kamen in direkten Konflikt mit Deutschland. So gaben wir zu diesem Vorschlag mit schwerem Herzen unsere Einwilligung, nicht gewonnen durch Argumente, aber bezwungen durch die Ohnmacht, anders handeln zu können.«

 

Verhalten Österreich-Ungarns zum U-Bootkrieg

Diese Äußerung zeigt, mit welchem Widerstreben man sich in Wien zur Beteiligung an dem uneingeschränkten U-Bootkrieg entschloß; sie zeigt aber noch mehr: Die Bemerkung des Grafen Czernin, daß er damals ernstlich die Absicht ventiliert habe, sich in dieser Frage von Deutschland zu trennen, wirft ein Streiflicht auf die Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Bundesgenossen.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn stand seit dem Ausbruch des Krieges unter der Wirkung starker, sich teilweise widerstreitender Einflüsse.

Der Krieg war entstanden aus einem Anlaß, der von den österreichisch-ungarischen Staatsmännern als eine unmittelbare Lebensfrage der Donaumonarchie aufgefaßt worden war, während er uns nur mittelbar dadurch berührte, daß die Erhaltung Österreich-Ungarns von der deutschen Politik als ein vitales Interesse auch für uns aufgefaßt wurde. Aber die Koalition, die alsbald gegen uns auf den Plan trat, richtete ihre Spitze in erster Linie gegen Deutschland, während sie Österreich-Ungarn gewissermaßen als Feind zweiten Grades behandelte. Graf Czernin sagte in seiner erwähnten Rede:

»Wir hatten öfters den Eindruck, einen Separatfrieden ohne Deutschland schließen zu können, jedoch niemals wurden uns die Bedingungen genannt, unter welchen Deutschland seinerseits Frieden schließen könne. Niemals wurde uns vor allem erklärt, daß Deutschland seinen vorkriegerischen Besitzstand würde behalten können, und immer wurden wir dadurch in der Situation belassen, einen Verteidigungskrieg für Deutschland führen zu müssen. Wir waren durch unseren Vertrag zur gemeinsamen Verteidigung des vorkriegerischen Besitzstandes gezwungen; dadurch, daß die Entente niemals erklären wollte, daß sie mit einem Deutschland sprechen wolle, das keine Eroberungsabsichten habe, daß die Entente immer erklärte, sie wolle Deutschland vernichten, zwang sie uns gewaltsam den Verteidigungskrieg für Deutschland auf.« Aus dem Krieg, in dem der deutsche Bundesgenosse der in ihren Lebensgrundlagen bedrohten österreichisch-ungarischen Monarchie beisprang, war also, nicht etwa nur in dem Kopf des Mannes auf der Straße, sondern auch in der Vorstellung des die auswärtige Politik der Monarchie leitenden Staatsmannes ein österreichisch-ungarischer Verteidigungskrieg für Deutschland geworden!

 

Deutschland der Verteidiger Österreich-Ungarns

Auf der anderen Seite stand die militärische Gestaltung mit dieser politischen Auffassung des Krieges keineswegs im Einklang. Seit der Hilfe, die österreichisch-ungarische Truppen uns im Herbst 1914 für den Schutz von Schlesien geleistet hatten, war stets die deutsche Armee der gebende und helfende Teil. Nicht österreichisch-ungarische Truppen verteidigten die deutschen Grenzen, sondern deutsche Truppen wehrten wiederholt das Äußerste von Österreich-Ungarn ab. Nur mit deutscher Unterstützung wurden im Winter 1914/15 die Russen vom Einbruch über die Karpathen in die ungarische Tiefebene abgehalten. Nur der Einsatz einer großen deutschen Armee gewann im Frühjahr 1915 die Schlacht bei Gorlice und befreite Galizien. Nur die Hilfe deutscher Truppen warf im Herbst 1915 die Serben nieder und machte damit Österreich-Ungarn nach Südosten hin Luft. Nur deutsche Divisionen brachen im Sommer 1916 die Brussilow-Offensive und bewahrten so wenigstens Mittel- und Westgalizien vor erneuter Eroberung. Und schließlich hielt nur die aus den schwersten Kämpfen im Westen herübergeholte deutsche Armee im September 1916 den Vormarsch der Rumänen in Siebenbürgen auf, um dann das Land unseres Bundesgenossen abermals zu befreien und den neuen Feind auf seinem eigenen Boden niederzuwerfen.

Mochte es also auch politisch eine gewisse Berechtigung haben, von einem Verteidigungskrieg Österreich-Ungarns für Deutschland zu sprechen, militärisch blieb Deutschland der Verteidiger Österreich-Ungarns.

Die Hilfsbedürftigkeit der Donaumonarchie blieb nicht auf das militärische Gebiet beschränkt. Von Anfang an und dauernd sah sich Österreich-Ungarn auf die finanzielle Unterstützung Deutschlands angewiesen. Zwar brachten die österreichischen und ungarischen Kriegsanleihen recht gute Ergebnisse; aber für die Zahlungen an Deutschland und das neutrale Ausland bedurfte Österreich-Ungarn fortgesetzt erheblicher »Valutakredite«. Ebenso nahm auf dem Gebiet der Volksernährung die Österreichische Reichshälfte wiederholt unsere Unterstützung in Anspruch, so knapp es auch mit uns selbst bestellt war.

Wir haben getan, was wir konnten, um unserem Bundesgenossen in seinen Bedrängnissen zu helfen. Aber wir vermochten bei der bundesfreundlichsten Gesinnung und beim besten Willen nicht alle seine Wünsche zu erfüllen, und wir mußten im eigenen Interesse an unsere Hilfe Bedingungen knüpfen, die nicht immer als angenehm empfunden wurden. So mußten wir die Gewährung der Valutakredite davon abhängig machen, daß Österreich-Ungarn für seinen Zahlungsverkehr mit dem Auslande eine ähnlich strenge »Devisenordnung« erließ, wie wir sie erlassen hatten; ferner davon, daß Österreich-Ungarn sich bei seinen Einkäufen im Ausland dieselben Beschränkungen auferlegte wie wir; denn andernfalls wäre der von uns erstrebte Zweck, den Rückgang des Kurses der Reichsmark auf den neutralen Plätzen aufzuhalten, durch die österreichisch-ungarischen Verfügungen über die von uns gewährten Markkredite geradezu vereitelt worden, Und wenn in kritischen Augenblicken von den Österreichern unsere knappen Bestände an Brotgetreide und Mehl in Anspruch genommen wurden, so mußten wir darauf bestehen, daß in Österreich eine ähnlich straffe Organisation der Volksernährung durchgeführt wurde wie bei uns; denn wir konnten es vor dem eigenen Volke nicht verantworten, seine kargen Rationen noch weiter zu kürzen, um die Österreicher vor den Folgen ihres Wirtschaftens aus dem Vollen zu bewahren. Aber alles das ging natürlich nicht immer ohne Reibung und Verstimmung.

 

Die polnische Frage

Kompliziert wurde das Verhältnis vor allem durch die polnische Frage.

An der Gestaltung der polnischen Dinge nahm Österreich-Ungarn ein ganz besonders lebhaftes Interesse. Im österreichischen Staatsleben spielten die Polen infolge des unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen Deutschen und Tschechen eine hervorragende Rolle: die Unterstützung des Polenklubs war für jede verfassungsmäßige Führung der Staatsgeschäfte eine Notwendigkeit, Darüber hinaus hatte man in Wien die klare Erkenntnis, daß Erhaltung oder Verlust Galiziens von der Lösung der Frage abhänge, was aus Russisch-Polen werden solle. Die Wiener Politik zog daraus die Folgerung, daß sie sich für die Ordnung der polnischen Verhältnisse die Vorhand sichern müsse; es schwebte ihr dabei wohl von Anfang an eine Vereinigung Russisch-Polens mit Galizien und die Angliederung dieses neuen Gebildes in einer mehr oder weniger losen Form an Österreich-Ungarn vor. Als Baron Burian den Reichskanzler Mitte April 1916 in Berlin besuchte, äußerte er halb im Scherz, halb im Ernst, er werde erst nach Wien zurückreisen, wenn er Polen in seinem Handkoffer mitnehmen könne. Sein Handkoffer war für Polen doch etwas zu klein, und er hat es nicht mitgenommen. Die polnische Frage blieb zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn ungeklärt. Die Wiener Regierung benutzte diesen Zustand, tim m Polen selbst für ihr Ziel eine rege Propaganda zu entfalten, und zwar nicht nur in dem von österreichisch-ungarischen Truppen besetzten südlichen Teil, dem Bezirk von Lublin, sondern auch in dem von unseren Truppen besetzten Generalgouvernement Warschau.

Die sich aus diesem Zustand ergebenden Verhältnisse wurden allmählich unhaltbar.

 

Die Autonomie Polens

Nach der schweren Niederlage der Österreicher in Wolhynien und Galizien im Juni 1916 schien Herrn von Bethmann die Gelegenheit gekommen, eine Klärung herbeizuführen. Der Kanzler reiste mit Herrn von Jagow am 10. August 1916 nach Wien, um dort mit Baron Burian auf einer Grundlage ins Reine zu kommen, die vor allem die von Österreich beanspruchte Präponderanz in den polnischen Angelegenheiten beseitigen und uns Bewegungsfreiheit geben sollte. Die beiden Herren kamen zurück mit einer Vereinbarung, die ein autonomes Königreich Polen mit Anlehnung an die beiden Zentral machte ins Auge faßte, In den militärischen Dingen sollte Deutschland den ausschlaggebenden Einfluß haben; über die Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen Polens zu den beiden Zentralmächten sollte zunächst noch zwischen mir und der Wiener Regierung verhandelt werden.

Ich hatte, ebenso wie der Unterstaatssekretär Zimmermann, ernstliche Bedenken gegen jede Festlegung auf die Errichtung eines autonomen und selbständigen Polen, Ich fürchtete, daß ein solches Polen für uns ein unzuverlässiger Nachbar sein werde, daß es seine Begehrlichkeit alsbald auch auf unsere teilweise polnisch Bevölkerten Ostmarken richten werde, daß es notwendigerweise zum Zankapfel zwischen uns und unserem Verbündeten werden müsse und daß die geplante Autonomieerklärung der immerhin noch denkbaren Verständigung mit Rußland einen schweren Stein in den Weg rollen könne. Von der Idee, daß ein autonomes Polen noch während des Krieges für uns nutzbar gemacht werden könnte, die damals schon in manchen Köpfen spukte, hielt ich nichts. Es war mir eine Beruhigung, daß in Wien ein bestimmter Zeitpunkt für die Autonomieerklärung nicht festgelegt worden war und daß der Kanzler den Wert der Wiener Verständigung hauptsächlich in dem negativen Ergebnis sah, daß Polen der Wiener Regierung aus den Zähnen gezogen sei und wir bei allen künftigen Entschließungen an erster Stelle mitzusprechen hätten. Auch der Kaiser sprach sich in jener Zeit in einem Telegramm an den Kanzler, später auch persönlich mir gegenüber, sehr entschieden dahin aus, daß von jeder Proklamation einer polnischen Autonomie vorläufig abzusehen sei, hauptsächlich um nicht einen Frieden mit Rußland zu erschweren. Dagegen drängte das Wiener Kabinett unausgesetzt auf einen baldigen Erlaß der Autonomieerklärung. Es fand Unterstützung in deutschen politischen und parlamentarischen Kreisen, so bei gewissen Abgeordneten des Zentrums und der Freisinnigen Volkspartei – ich nenne nur die Namen Freiherr von Rechenberg, Erzberger und Friedrich Naumann –, vor allem aber bei dem Generalgouverneur von Beseler, Der Generalgouverneur hoffte, auf Grund einer Autonomieerklärung in kurzer Zeit eine ansehnliche polnische Armee aufstellen, ausbilden und im Kampf für die Unabhängigkeit Polens Schulter an Schulter mit den Zentralmächten ins Feld stellen zu können, Angesichts der schweren Kämpfe, die uns für das kommende Frühjahr bevorstanden, war diese Aussicht für die Oberste Heeresleitung eine große Verlockung; die Oberste Heeresleitung schloß sich dem General Beseler an und forderte eine schleunige Entscheidung.

 

Proklamation des Königreichs Polen

Der Kanzler war zu der Überzeugung gekommen, daß ein Separatfriede mit Rußland auch von Stürmer, der im Juli Ssasonoff als Minister des Auswärtigen ersetzt hatte, nicht zu erlangen sei. Alle bisher dem Zaren und der russischen Regierung auf den verschiedensten Wegen gemachten Andeutungen, daß wir für einen billigen Frieden zu haben seien, auch die Andeutung, daß eine dem russischen Interesse Rechnung tragende Regelung der Meerengenfrage bei unserem türkischen Bundesgenossen zu erreichen sei, hatten kein Ergebnis gehabt. Insbesondere war eine im Frühjahr 1916 durch Vermittlung eines deutschen Großindustriellen und des japanischen Gesandten in Stockholm gemachte Sondierung entgegen der getroffenen Abrede von der russischen Regierung alsbald den Ententeregierungen mitgeteilt worden.

Außerdem war Herr von Bethmann von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Errichtung eines sich an die Mittelmächte anlehnenden polnischen Pufferstaates überzeugt. Er sah die große Zukunftsgefahr für Deutschland in der gewaltigen und auch künftighin weiter wachsenden russischen Masse, gegen deren Ansturm wir ein politisches und militärisches Vorfeld schaffen müßten.

Den Ausschlag dafür, daß die im Grundsatz Mitte August in Wien vereinbarte Proklamation, der beiden Kaiser über die Errichtung eines selbständigen Königreichs Polen nicht langer hinausgeschoben, sondern am 5. November 1916 verkündet wurde, gab jedoch das Drängen der militärischen Stellen. Mein Bestehen darauf, daß vorher zum mindesten zwischen Österreich und uns, womöglich aber auch zwischen der präsumptiven polnischen Regierung und den beiden Mittelmächten alle grundsätzlichen Fragen politischer, militärischer und wirtschaftlicher Art geregelt sein müßten, war erfolglos.

Die Proklamation der beiden Kaiser war zunächst nur ein Programm und sollte nur ein Programm sein; sie schuf den polnischen Staat noch nicht, sondern stellte seine Errichtung als Ziel auf. Die Durchführung sollte zwischen den beiden Mittelmächten und einflußreichen polnischen Kreisen erst noch vereinbart werden.

Die Wiener Regierung suchte sich sofort bei den Polen noch einen besonderen Stein im Brett zu sichern, indem sie gleichzeitig mit dem Zwei-Kaiser-Manifest über die Errichtung des polnischen Staates, aber ohne vorherige Verständigung der deutschen Regierung, ein Kaiserliches Manifest über die Gewährung einer erweiterten Autonomie an Galizien veröffentlichte.

Auf der anderen Seite griff der Generalgouverneur von Beseler den weiteren Verhandlungen vor; er erließ, ohne vorherige Verständigung mit dem österreichisch-ungarischen Generalgouverneur in Lublin und mit den Berliner Stellen, am 13. November 1916eine Verordnung über die Bildung eines Staatsrates und eines Vereinigten Landtages im Königreich Polen. Mit diesem nicht mehr rückgängig zu machenden Schritte, den der General von Beseler mit der Notwendigkeit erklärte, den Boden für die Werbung der polnischen Freiwilligen-Armee vorzubereiten, war der polnische Staat aus dem Stadium des Programms ohne weiteres in das Stadium der Durchführung hinübergeführt worden.

 

Gegensätzliche Interessen

Zu dem Nebeneinander der österreichischen Verwaltung im Lubliner Bezirk und der deutschen Verwaltung im Warschauer Bezirk kam nun noch das Kondominium der beiden Zentralmächte beim Staatsrat. Die Polen, die gar nicht genug auf dem einmal betretenen Weg des Ausbaues ihres Staates weiterdrängen konnten, hatten die schönste Gelegenheit, die deutschen und die österreichischen Vertreter gegeneinander auszuspielen. Die Verhältnisse waren bald so unerquicklich wie nur möglich.

Es wurde im weiteren Verlauf der Dinge immer klarer, daß Österreich, trotz der bei den Verhandlungen vor dem Erlaß der Novemberproklamation gegebenen Zusagen, auch weiterhin darauf ausging, sich Polen in irgendeiner Form anzugliedern, und daß es für diese Lösung in Polen selbst eine umfangreiche Agitation entfalten ließ.

Zunächst wurde von österreichischer Seite die Ernennung des Erzherzogs Karl Stephan zum Regenten und späterhin zum König von Polen eifrig propagiert.

Über diesen Gedanken wurde in den ersten Apriltagen 1917 im deutschen Hauptquartier zwischen den beiden Kaisern eine Unterhaltung geführt. Nach Wien zurückgekehrt, suchte Kaiser Karl auf dem Wege telegraphischer Korrespondenz den Kaiser Wilhelm auf die alsbaldige Ernennung des Erzherzogs zum Regenten und seine Designation zum König von Polen festzulegen.

Kaiser Wilhelm wiegelte jedoch ab mit dem Hinweis, daß nach seiner Ansicht jeder weitere Schritt vermieden werden müsse, der eine Verständigung mit dem neuen Rußland erschweren könne.

Späterhin wurde von österreichischer Seite die sogenannte »austro-polnische Lösung« angeregt, nach der das neue aus Russisch-Polen und Galizien bestehende Königreich zum mindesten durch Personalunion mit der österreichisch-ungarischen Monarchie verbunden werden sollte; nachdem die österreichische Regierung das Gefühl gewonnen hatte, daß die deutsche Regierung diesen Gedanken nicht a limine abweisen würde, ging sie weiter und verlangte auch die wirtschaftliche, insbesondere die zollpolitische Angliederung Polens an die österreichisch-ungarische Monarchie. Die großen deutschen Interessen, die in der polnischen Frage auf dem Spiel standen, konnten bei aller Geneigtheit, dem Bundesgenossen in einer so tief in seine staatlichen Verhältnisse einschneidenden Frage Verständnis und Entgegenkommen zu zeigen, nicht mit einer leichten Handbewegung zur Seite geschoben werden.

Österreich suchte seinen Wünschen den Boden zu bereiten vor allem durch eine eifrige Unterstützung der polnischen Forderungen auf einen beschleunigten Ausbau des polnischen Staatswesens.

 

Scheitern der Werbungen in Polen

Wir hatten klüglich das entgegengesetzte Interesse. Nicht nur, daß wir uns die Möglichkeit einer Verständigung mit Rußland über Polen auch jetzt noch offenhalten mußten – wir durften auch nicht übersehen, daß Polen, das für Österreich abseits seiner Etappenstraßen lag, für uns Etappengebiet war, das, solange der Krieg mit Rußland dauerte, im Interesse des Zentrums unserer Ostfront unter allen Umständen fest in unserer Hand bleiben mußte; wir durften ebensowenig übersehen, daß die Gesinnung der Polen gegenüber ihren deutschen »Befreiern« auch nach der Zwei-Kaiser-Proklamation keineswegs eine solche war, daß wir unser Haupt ruhig in ihren Schoß legen konnten. Die Werbung des Generals von Beseler war mehr als kläglich gescheitert; die große Masse der polnischen Bevölkerung sah in uns nach wie vor den Feind.

Trotzdem fand das polnische und österreichische Drängen auf einen beschleunigten Ausbau des polnischen Staates im deutschen Reichstag eifrige Befürworter. Im August 1917 in einem Augenblick, in dem der polnische Staatsrat sich demonstrativ aufgelöst hatte, weil die zu mehr als drei Vierteln aus österreichischen Staatsangehörigen bestehende »Polnische Legion« Befehl zum Abmarsch an die russische Front erhalten hatte, brachten Zentrum, Freisinnige und Sozialdemokraten im Hauptausschuß des Reichstags einen Antrag ein, der u. a. die sofortige Schaffung eines polnischen Ministeriums und die unverzügliche Umwandlung des Staatsrates in eine Volksvertretung verlangte. Einer der Herren Antragsteller verlangte in seiner Begründung sogar die Übertragung der Polizei an die Polen; ein anderer, der heute ein hohes Staatsamt bekleidet, hatte sogar die Naivität, uns vorzuhalten, ein hervorragendes Mitglied des polnischen Staatsrates habe ihm gesagt, Graf Czernin habe erklärt, die Wiener Regierung sei zur Erfüllung der polnischen Wünsche bereit, wenn nur die deutsche Regierung nicht Widerstand leiste – das alles noch dazu in Gegenwart der führenden Mitglieder der polnischen Fraktion des Reichstages!

Eine Einigung zwischen Berlin und Wien über die polnische Frage wurde auch späterhin nicht erzielt. Die Meinungsverschiedenheiten erfuhren vielmehr in der kritischen Zeit des Krieges, wie ich weiter unten darstellen werde, eine erneute Zuspitzung.

 

Die Bestrebungen auf wirtschaftliche Annäherung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn

Während die unselige polnische Frage eine Quelle von Reibungen und Verstimmungen zwischen den beiden Verbündeten war, schienen die Bestrebungen nach einem wirtschaftlichen Zusammenschluß ein neues und starkes Band um Deutschland und Österreich schlingen zu wollen. Das Naumannsche Buch über Mitteleuropa fand nicht nur in Deutschland, sondern wohl noch mehr in Österreich eine begeisterte Leserschaft. Als Naumann in Wien in einer großen Versammlung persönlich seine Gedanken entwickelte, wurde er von den Zuhörern wie der Künder einer neuen Zeit gefeiert.

 

Wirtschaftliche Annäherung zwischen Deutschland u. Österreich-Ungarn

Der alte Kaiser Franz Joseph hat mir damals, im Februar 1916, über das Wirtschaftsbündnis ein nachdenkliches Wort gesagt: »Es wird über die Sache zu viel geredet, und das ist schade.« Das war in der Tat schade; denn die großen Schwierigkeiten, die in der Sache lagen, konnten mit den Mitteln der Beredsamkeit nicht überwunden, wohl aber gelegentlich noch vergrößert werden.

Diese Schwierigkeiten erhellten schon aus der Tatsache, daß von dem gesamten Außenhandel Deutschlands nur etwa 9 Prozent auf den Handel mit Österreich-Ungarn kamen, von dem österreichisch-ungarischen Außenhandel dagegen nicht weniger als 42 Prozent auf den Handel mit Deutschland. Eine handelspolitische Einigung zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn ließ also für Deutschland die Sorge für neun Zehntel seines Außenhandels offen, für Österreich-Ungarn dagegen nur für zwei Fünftel. Für Deutschland war infolgedessen eine Einigung auf Grundlagen, die seine Handelsbeziehungen mit den übrigen Ländern erschweren mußten, also vor allem eine Einigung auf Grund eines Systems von Vorzugszöllen, schlechthin unannehmbar, während die Österreichischen und ungarischen Anhänger des Gedankens der wirtschaftlichen Annäherung gerade auf ein System gegenseitiger Vorzugszölle hinarbeiteten.

Mein eigener Gedanke, den ich den österreichisch-ungarischen Präferenzideen gegenüberstellte, kam hinaus auf die Schaffung einer weitgehenden wirtschaftlichen Gemeinschaft zwischen den beiden Reichen, die nicht nur das Zollwesen, sondern auch das Niederlassungsrecht, das Handelsrecht (einschließlich des Rechtes der Handelsgesellschaften) und das Verkehrswesen (Eisenbahnen und Binnenwasserstraßen) umfassen sollte. Speziell auf dem Gebiet des Zollwesens erstrebte ich ein einheitliches Zolltarifgesetz mit einem einheitlichen Zolltarifschema und mit im großen ganzen einheitlichen Zollsätzen nach außen und wenigen Ausgleichszöllen im Innern. Den starken Widerstand der österreichischen und der mit künstlichen Mitteln großgezogenen ungarischen Industrie hoffte ich durch Maßnahmen auf dem Gebiete der Syndizierung und Kartellierung überwinden zu können. Es ist mir schließlich auch gelungen, den Grafen Tisza, der vorher dem Gedanken der wirtschaftlichen Annäherung durchaus ablehnend gegenübergestanden hatte, für Verhandlungen auf dieser Grundlage zu gewinnen.

Die Verhandlungen, bei denen die österreichischen und ungarischen Kommissare mit großer Hartnäckigkeit immer wieder auf das für uns schlechterdings unannehmbare Präferenzsystem zurückkamen, zogen sich lange über mein Ausscheiden aus meinen Ämtern hin und waren noch nicht abgeschlossen, als im Herbst 1918 die Katastrophe eintrat.

In diesem Nebeneinander von Interessengemeinschaften und Interessengegensätzen trat eines immer klarer zutage: die zunehmende Kriegsmüdigkeit unseres Verbündeten.

 

Kriegsmüdigkeit in Österreich-Ungarn

Die Völker der österreichisch-ungarischen Monarchie litten infolge der laxeren Verwaltung und schlechteren Organisation noch stärker unter dem Druck des Krieges als das deutsche Volke. Ihre moralische Widerstandskraft gegenüber diesem Druck war geringer; denn für den Tschechen, Polen, Slowaken, Rumänen war der Krieg nicht, wie für das deutsche Volle, ein Kampf um das nationale Dasein. Dazu kam für die leitenden Kreise der Monarchie zweifellos das durch die Entwicklung des Krieges ausgelöste drückende Gefühl der Abhängigkeit von Deutschland. Der durch den U-Bootkrieg veranlaßte Eintritt Amerikas in den Kampf gegen die Mittelmächte, ferner die russische Revolution, die auf die österreichischen Slawen unmittelbarer einwirkte als auf die deutschen Massen, mußten die Kriegsmüdigkeit unseres Bundesgenossen noch steigern.

Gegen Ende März 1917 war Graf Czernin für zwei Tage in Berlin. Er sprach bei dieser Gelegenheit sehr offen aus, daß Österreich-Ungarn den Krieg nicht mehr lange werde fortsetzen können; ein weiterer Winterfeldzug sei jedenfalls eine Unmöglichkeit.

In den ersten Apriltagen kam Graf Czernin in Begleitung des Kaisers Karl und der Kaiserin Zita nach dem deutschen Hauptquartier, wohin sich auch der Kanzler und der Staatssekretär Zimmermann begaben. Kaiser Karl gab eine ähnliche Schilderung der Lage, wie sie Graf Czernin in Berlin gegeben hatte. Bestimmte Vorschläge machte er jedoch ebensowenig wie sein Minister des Äußern. Soweit ich unterrichtet bin, fiel nur in Form einer sondierenden Andeutung die Bemerkung: am besten wäre es, wenn wir Elsaß-Lothringen den Franzosen anböten, um auf diese Weise zum Frieden zu kommen; Österreich-Ungarn sei an sich bereit, ganz Galizien und auch das Trentino herzugeben, das habe aber keinen praktischen Zweck, denn der Friede könne nur im Westen gemacht werden. Die Kriegslage wurde bei uns, zumal da die russische Revolution uns die Befreiung von unserm großen östlichen Feinde in Aussicht stellte, in keiner Weise als derartig angesehen, daß die Preisgabe der Reichslande auch nur hätte in Erwägung gezogen werden können.

Am 14. April ließ Kaiser Karl durch einen persönlichen Adjutanten an Kaiser Wilhelm ein Handschreiben überbringen, dem ein Bericht des Grafen Czernin vom 12. April beigefügt war.

 

Der Immediatbericht des Grafen Czernin

In diesem Berichte führte Graf Czernin im wesentlichen aus:

Die militärische Kraft der Monarchie gehe ihrem Ende entgegen. Die Rohmaterialien für die Munitionserzeugung gingen zur Neige. Dumpfe Verzweiflung habe sich aller Volksschichten bemächtigt. Im Spätsommer oder Herbst müsse um jeden Preis Schluß gemacht werden. Der Krieg, der in der Weltgeschichte ohne Vorbild sei, habe für ganz Europa die revolutionäre Gefahr heraufbeschworen. Auf die österreichischen Slawen wirke die russische Revolution stärker als auf die Reichsdeutschen; aber auch die innere Situation Deutschlands sei nicht wesentlich anders als diejenige Österreich-Ungarns. Eine weitere Winterkampagne werde auch in Deutschland Umwälzungen hervorrufen, die dem verantwortlichen Verteidiger des dynastischen Prinzips viel ärger erscheinen müßten als ein von den Monarchen geschlossener schlechter Friede. Die amerikanische Kriegserklärung habe die Situation zweifellos wesentlich verschärft. Der Fortgang der russischen Ereignisse lasse sich noch nicht übersehen. Eine französisch-englische, wahrscheinlich auch eine italienische Offensive ständen unmittelbar bevor. Wenn es gelungen sei, in etwa zwei bis drei Monaten diese Angriffe abzuschlagen, »dann müssen wir, bevor Amerika das militärische Bild neuerdings zu unseren Ungunsten verschiebt, einen weitergehenden detaillierten Friedensvorschlag machen und uns nicht davor scheuen, eventuell große und schwere Opfer zu bringen«. Die deutschen Hoffnungen auf den U-Bootkrieg halte er für trügerisch. Admiral von Holtzendorff habe vorausgesagt, der verschärfte U-Bootkrieg werde England binnen sechs Monaten mattsetzen. Es seien seither zweieinhalb Monate vergangen, und an einen Niederbruch Englands sei auch nicht einmal zu denken. Auch in einigen Monaten werde England nicht gezwungen sein, die Waffen niederzulegen, aber es werde sich dann vielleicht die Rechnung stellen, »ob es klug und vernünftig sei, diesen Krieg à outrance zu führen, oder ob es nicht staatsmännischer sei, goldene Brücken zu betreten, wenn ihm dieselben von den Zentralmächten gebaut werden; dann wäre der Augenblick gekommen für weitgehende schmerzliche Opfer der Zentralmächte«. Der Kaiser Karl habe die wiederholten Versuche der Feinde, ihn von seinem Bundesgenossen zu trennen, abgelehnt; aber gleichzeitig habe der Kaiser ihn, den Grafen Czernin, beauftragt, den deutschen Staatsmännern zu sagen, daß Österreich-Ungarn am Ende seiner Kräfte sei und daß Deutschland über den Sommer hinaus nicht mehr auf Österreich-Ungarn werde rechnen können. Er habe diesen Befehl ausgeführt, und die deutschen Staatsmänner hätten ihm keinen Zweifel darüber gelassen, daß auch für Deutschland eine weitere Winterkampagne ein Ding der Unmöglichkeit sei. Wenn sich nicht in einigen Wochen die Möglichkeit ergäbe, mit Paris oder Petersburg zu sprechen, dann müsse noch rechtzeitig die letzte Karte ausgespielt und die angedeutete äußerste Proposition gemacht werden.

Dieser Schritt des österreichischen Kaisers und des Grafen Czernin, der wie die Drohung einer befristeten Aufkündigung der Waffenbrüderschaft aussah, überraschte um so mehr, als die Befürwortung »weitgehender schmerzlicher Opfer« Hand in Hand ging mit den österreichischen Aspirationen auf Polen. Bei demselben Besuch im deutschen Großen Hauptquartier, bei dem Kaiser Karl den Deutschen Kaiser auf die sofortige Ernennung des Erzherzogs Karl Stephan zum Regenten und seine Designierung zum König von Polen festzulegen suchte, machte er uns mit dem Grafen Czernin die Zumutung, daß wir Elsaß-Lothringen herausgeben sollten. Und an demselben 13. April, an dem der Kaiser Karl die Denkschrift des Grafen Czernin an Kaiser Wilhelm abschickte, sandte er ihm ein Telegramm, in dem er die Zustimmung des Deutschen Kaisers erbat, dem Erzherzog Karl Stephan Mitteilung von den ihn betreffenden Absichten machen zu dürfen!

Bekannt war uns ferner, daß seit einiger Zeit der frühere österreichisch-ungarische Botschafter in London, Graf Mensdorff, in der Schweiz weilte, um dort mit Vertrauensleuten der Entente Fühlung zu nehmen.

 

Brief Kaiser Karls an Sixtus von Parma

Nicht bekannt dagegen war uns damals der im Frühjahr 1918 von der französischen Regierung veröffentlichte Brief des Kaisers Karl an seinen Schwager, den Prinzen Sixtus von Parma. In diesem Briefe hieß es nach der französischen Version, die zunächst von der Wiener Regierung als »verfälscht« bezeichnet worden ist, an deren Richtigkeit aber nach dem Verlauf der Auseinandersetzung zwischen Herrn Clemenceau und dem Grafen Czernin ein Zweifel wohl kaum mehr möglich ist:

»Mein lieber Sixtus – Das Ende des dritten Jahres des Krieges, der so viel Trauer und so viel Schmerzen in die Welt brachte, rückt heran. Alle Völker meines Reiches sind enger als je vereint im gemeinsamen Willen, die Integrität der Monarchie selbst um den Preis der schwersten Opfer zu erhalten. Niemand dürfte die von meinen Truppen davongetragenen militärischen Vorteile bestreiten, besonders die auf dem Balkankriegsschauplatz. Seinerseits hat Frankreich eine prächtige Widerstandskraft und Begeisterung gezeigt. Wir alle bewundern rückhaltlos die wunderbare traditionelle Tapferkeit seiner Armeen und den Opfergeist des ganzen französischen Volkes. Deshalb ist es mir besonders angenehm, zu sehen, daß, obwohl wir augenblicklich Gegner sind, kein Auseinandergehen der Gesichtspunkte oder Aspirationen mein Reich von Frankreich trennt. Ich bin berechtigt, hoffen zu dürfen, daß meine lebhaften Sympathien für Frankreich, vereint mit jenen, die in der Monarchie herrschen, auf immerdar die Rückkehr eines Kriegszustandes vermeiden werden, für den mir keine Verantwortung zufällt. Zu diesem Zweck und um die Echtheit dieser Gefühle auf bestimmte Art kundzutun, bitte ich Dich, geheim und inoffiziell Herrn Poincaré, dem Präsidenten der französischen Republik, mitzuteilen, daß ich mit allen Mitteln und unter Aufbietung alles meines persönlichen Einflusses bei meinem Verbündeten die gerechten französischen Ansprüche hinsichtlich Elsaß-Lothringens unterstützen werde.«

Der Brief sprach dann über Belgien, das wiederhergestellt und entschädigt werden müsse, und über Serbien, das gleichfalls wiederhergestellt werden und einen Ausgang nach der Adria erhalten solle, allerdings unter der Bedingung, daß es sich unter Garantie der Ententemächte zur Unterdrückung jeder gegen Österreich-Ungarn gerichteten Agitation verpflichte, Vorschläge über Rußland müßten bis zur Konstituierung einer gesetzlichen und endgültigen Regierung vorbehalten bleiben. Der Brief schloß:

»Nachdem ich meine Gedanken dargelegt habe, bitte ich Dich, mir Deinerseits nach Besprechung mit den beiden Mächten zuerst die Meinung Frankreichs, dann diejenige Englands auseinanderzusetzen, um dergestalt eine Grundlage vorzubereiten, auf der offizielle Besprechungen begonnen werden können.«

Dieser Brief wurde von dem Prinzen Sixtus dem Präsidenten Poincaré in Urschrift vorgelegt; mit Zustimmung des Prinzen wurde eine Abschrift an den französischen Ministerpräsidenten und Minister des Äußeren Herrn Ribot weitergegeben; er war vom 31. März 1917 datiert, war also geschrieben und abgesandt wenige Tage vor dem Besuch des österreichischen Kaiserpaares im deutschen Hauptquartier, bei dem die polnische Krone für den Erzherzog Karl Stephan gesichert werden sollte und bei dem Kaiser Karl und Graf Czernin beiläufig die Abtretung Elsaß-Lothringens als Mittel zur Beendigung des Krieges empfahlen; zwölf Tage vor der Übersendung der Denkschrift des Grafen Czernin, in der von »weitgehenden schmerzlichen Opfern« zwecks Herbeiführung des Friedens gesprochen wurde.

Der Brief des Kaisers Karl läßt erkennen, daß dieser für sich die »Integrität der Monarchie« erhalten wollte, »selbst um den Preis der schwersten Opfer«; daß er sich andererseits gegenüber den Franzosen bereit erklärte, auf uns wegen der Herausgabe Elsaß-Lothringens den stärksten Druck auszuüben; dies, nachdem unsere Truppen ihm die Monarchie vor den Russen und Rumänen gerettet, Galizien und Siebenbürgen wiedererobert hatten!

Aber der Kaiserbrief war damals noch nicht bekannt. Bei allem Mißtrauen, das auch schon aus dem für uns sichtbaren Verhalten des österreichischen Kaisers und seiner Umgebung sich ergeben mußte, erforderte die Denkschrift des Grafen Czernin eine sachliche Prüfung und eine sachliche Erwiderung.

Auch bei uns war man von dem fortdauernden und zunehmenden Ernst der Lage durchdrungen, und gerade das zweifelhafte Verhalten unseres Bundesgenossen war dazu angetan, den Ernst der Lage noch zu verschärfen. Aber man sah bei uns weder die militärische, noch die maritime, noch die innere Lage so hoffnungslos an, wie Graf Czernin sie seinem Kaiser zum Zwecke des Druckes auf Deutschland gemalt hatte. Ich glaube auch nicht, daß irgendein deutscher Staatsmann dem Grafen Czernin gegenüber einen weiteren Winterfeldzug für ein »Ding der Unmöglichkeit« erklärt haben kann, so sehr wir alle mit dem Grafen Czernin darüber einig waren, daß man, wenn irgend möglich, den Krieg vor dem Winter zu Ende bringen müsse. Das erschien jedoch nur erreichbar, wenn es gelang, einen moralischen Zusammenbruch sowohl des eigenen Volkes wie des österreichisch-ungarischen Bundesgenossen zu verhindern und in der entscheidenden Zeit die Zuversicht aufrechtzuerhalten.

 

Antwort des Reichskanzlers an Österreich

Die Oberste Heeresleitung hob in ihrer Stellungnahme zu der. Denkschrift des Grafen Czernin die starke militärische Entlastung hervor, die damals schon die russische Revolution für die Ostfront bedeutete; im Westen sei es gelungen, die große Offensive der Feinde aufzufangen, unsere Position sei so stark und achtunggebietend, »daß wir jedem militärischen Ereignis mit vollem Vertrauen entgegensehen können und auch in der Lage sein werden, den Kampf auch ohne Österreich fortzusetzen«. Durch die Entlastung im Osten werde aber auch Österreich-Ungarn genügende Truppen für die Durchführung der Kämpfe an der italienischen Front bis zur Beendigung des Krieges haben. Der Ausgang des Krieges sei mehr wie je eine Nervenfrage geworden. Auch bei unseren Gegnern sei das Friedensbedürfnis stark; zeigten wir jetzt zu viel Entgegenkommen, so würden sie glauben, daß unser Friedensbedürfnis größer sei als das ihrige, und sich ablehnend verhalten. Nur indem wir unseren Willen zum Weiterkämpfen offen bekundeten, würden wir zu aussichtsvollen Friedensverhandlungen gelangen.

Der Admiralstab wies auf die bis dahin erzielten großen Erfolge des uneingeschränkten U-Bootkriegs hin; in den zweieinhalb Monaten seit seiner Eröffnung seien 2 Millionen Tonnen, etwa ein Fünftel des auf England fahrenden Schiffsraums, versenkt worden. Ein Monat U-Bootkrieg vernichte mehr Tonnage, als England im ganzen Jahr 1916 ausgebaut habe. Die angekündigten tausend amerikanischen Holzschiffe würden nur den Verlust von vier Monaten decken, wenn sie schon da wären; sie würden aber zu spät kommen. Die aus England vorliegenden Nachrichten zeigten, daß Vorräte, die eine Lücke in der Zufuhr überbrücken könnten, nicht vorhanden seien. Schon jetzt, nach zweieinhalb Monaten, müsse den verantwortlichen Personen in England klar werden, daß der U-Bootkrieg die Lebenshaltung der Bevölkerung auf ein unerträgliches Maß herabdrücken und die Kriegsindustrie so beeinträchtigen werde, daß die Hoffnung, Deutschland durch Übermacht an Munition und Geschützen zu schlagen, aufgegeben werden müsse.

Die Erwiderung des Reichskanzlers auf die Denkschrift des Grafen Czernin wurde am 4. Mai dem Kaiser vorgelegt. Sie stützte sich in ihren Ausführungen über die militärische Lage und den U-Bootkrieg auf die Äußerungen der Obersten Heeresleitung und des Admiralstabs und nahm außerdem Bezug auf eine Rede, die ich am 28, April im Hauptausschuß des Reichstages in Kenntnis der österreichischen Zweifel über die Wirkungen des U-Bootkriegs und nicht zum wenigsten in der Absicht, diesen Zweifeln entgegenzuwirken, gehalten hatte. Sie fügte hinzu:

»Geheimen, aber sicheren Nachrichten zufolge hat Ministerpräsident Ribot kürzlich zum italienischen Botschafter in Paris geäußert, Frankreich ginge der Erschöpfung entgegen,« Unsere eigene innere Lage sei infolge des langen Krieges und der Abgeschlossenheit vom Weltmeer schwierig, aber er, der Kanzler, habe das feste Vertrauen, daß es gelingen werde, die Schwierigkeiten ohne dauernde Gefährdung der Volkskraft und ohne Bedrohung des staatlichen Gefüges zu überwinden. Gleichwohl stimme er mit dem Grafen Czernin voll überein in der Verfolgung des Zieles, »einen ehrenvollen, den Interessen des Reiches und unserer Bundesgenossen gerecht werden den Frieden so bald wie möglich herbeizuführen«. Er teile auch die Ansicht, »daß das wichtige Moment der Schwächung Rußlands ausgenutzt und daß eine erneute Friedensaktion zu einem Zeitpunkt eingeleitet werden muß, an dem die militärische und politische Initiative noch in unseren Händen ruht«. Graf Czernin selbst habe den Zeitpunkt hierfür in zwei bis drei Monaten ins Auge gefaßt, an dem die feindlichen Offensiven ihr Ende gefunden hätten. In der Tat würde gegenwärtig bei den weitgespannten Erwartungen der Franzosen und Engländer eine zu stark unterstrichene Friedensbereitschaft nicht nur zur Erfolglosigkeit verdammt sein, sondern auch durch den in ihr ruhenden Schein der hoffnungslosen Erschöpfung der Mittelmächte die Kräfte der Gegner neu beleben. Augenblicklich wäre ein allgemeiner Friede nur durch Unterwerfung unter den Willen unserer Feinde zu erkaufen. Ein solcher Friede aber würde vom Volke nicht ertragen werden und verhängnisvolle Gefahren für die Monarchie heraufbeschwören. Die Entwicklung der Ereignisse in Rußland dränge den Kampf der (russischen) Parteien immer mehr auf die Friedensfrage; diese Entwicklung müsse aufmerksam verfolgt und begünstigt, kommende russische Sondierungsversuche müßten zwar ohne zur Schau getragenes Empressement, aber doch sachlich so behandelt werden, daß sie zu tatsächlichen Friedensverhandlungen führten.

Daß der hier gezeigte Weg – unabhängig von der Frage des Erfolges des Ü-Bootkriegs – unter den damaligen Verhältnissen der einzig mögliche war, hat die Entwicklung der nächsten Monate gezeigt; mehr noch die erst später bekanntgewordene und auch heute in deutschen Kreisen noch auffallend wenig bekannte Folge, die die französische Regierung mit ihren Verbündeten dem Brief des Kaisers Karl gegeben hat. Davon später!

Graf Czernin selbst kam für längere Zeit nicht auf seine Anregung des mit weitgehenden und schmerzlichen Opfern anzubietenden Friedens zurück. Im Gegenteil, die Besprechungen, die er am 17. und 18. Mai 1917 erneut in unserem Hauptquartier zu Kreuznach führte, bewegten sich auf ganz anderen Grundlagen als denjenigen des Verzichtens und Opferns; es drehte sich bei ihnen um politische Kompensationen von sehr erheblichem Umfang, die für den Fall einer Erweiterung des deutschen Machtbereiches nach Osten die Österreichisch-ungarische Monarchie für sich in Rumänien beanspruchte.

 

Friedensschritte hinausgeschoben

Auch hat sowohl der Gang der militärischen Ereignisse wie die Entwicklung der inneren Verhältnisse in Deutschland und Österreich-Ungarn gezeigt, daß die Zentralmächte in ihren Heeren und Völkern damals noch sehr erheblicher Leistungen fähig und noch nicht darauf angewiesen waren, Hals über Kopf einen Frieden um jeden Preis zu schließen. Die militärische wie die innere Lage, so schwer sie war, gestattete, die Entwicklung in Rußland abzuwarten und die sich aus dieser ergebenden Vorteile wahrzunehmen. Sie gestattete auch noch die glänzende Herbstoffensive in Venetien, den von dem Grafen Czernin als Ding der Unmöglichkeit erklärten Winterfeldzug und darüber hinaus die gewaltige deutsche Frühjahrsoffensive im Westen.

Es war also im Frühjahr 1917 noch kein Grund zu der von dem Grafen Czernin propagierten Panikstimmung vorhanden. Die Diplomatie hatte für ihre Betätigung zur Herbeiführung des Friedens noch einen reichlich bemessenen Spielraum. Es kam jetzt in der Tat alles darauf an, daß Regierende und Regierte die Nerven behielten und daß die Politik die sich ihr im weiteren Verlauf der Ereignisse bietenden Gelegenheiten klug und besonnen zur Herbeiführung eines erträglichen Friedens ausnutzte. Besonnenheit und Klugheit war für die deutsche Politik jetzt umso mehr geboten, als der Schritt des Grafen Czernin vom April 1917 zeigte, daß auf unseren österreichisch-ungarischen Bundesgenossen kein unbedingter Verlaß mehr war.


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