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Der Wendepunkt

Die durch die drei Offensiven an der Westfront geschaffene Lage drängte auf eine Klärung. Unsere Front, die vor dem 21. März von der Nordsee bis Verdun einen gleichmäßig geschwungenen flachen Bogen gezeigt hatte, verlief jetzt in grotesken Kurven. Keilartig markierten sich die Erfolge unserer Offensiven gegen Hazebrouck, gegen Amiens, gegen die Marne, und keilartig sprangen die von den Feinden gehaltenen Stellungsteile in unsere neue Front hinein, zusammengehalten von wichtigen und starken Stützpunkten, wie Ypern, Arras, Compiegne, Reims. Schon daß unseren Frontkeilen solche Stützpunkte und die nach diesen zusammenlaufenden günstigen Eisenbahnverbindungen fehlten, gab dem Feind einen Vorsprung. Außerdem aber mußte die Verlängerung der Front für uns ungünstig wirken angesichts der Tatsache, daß die zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes, die wir niemals ganz hatten ausgleichen können, durch die amerikanischen Verstärkungen immer größer wurde.

Untätiges Abwarten verbot sich in dieser Lage von selbst. Die Oberste Heeresleitung stand vor der Wahl, entweder den Versuch zu machen, durch einen neuen großen Angriff eine Verbesserung der Front nach vorwärts herbeizuführen und womöglich die Entscheidung zu erzwingen; oder die Offensiven abzubrechen, durch Verkürzung der Front nach rückwärts in die Defensive überzugehen, in günstigeren Stellungen den Feind anlaufen und womöglich verbluten zu lassen.

 

Der vierte Offensivstoß

Die Oberste Heeresleitung entschloß sich für die Fortsetzung der Offensive.

Der neue Angriff wurde am frühen Morgen des 15. Juli auf langgestreckten Frontteilen beiderseits Reims angesetzt, von unseren Stellungen an der Marne an bis westlich Reims und von dem Fort Fa Pompelle im Südosten von Reims bis zu den seit Jahren heftig umstrittenen Höhen von Massiges.

Die Überraschung glückte dieses Mal nicht. Der Feind hatte den Angriff erwartet und umfangreiche Maßnahmen zur Abwehr getroffen.

Vor allem hatte die feindliche Heeresleitung, die in den drei Offensiven des Frühjahrs die Unwiderstehlichkeit unserer Feuerwalze kennengelernt hatte, den Schwerpunkt ihrer Verteidigung von vornherein in ihre zweiten Stellungen verlegt und die ersten Stellungen nur schwach besetzt. So stieß unser Angriff auf die erste feindliche Linie gewissermaßen in die Luft, während der Feind in seinen durch unser Zerstörungsfeuer nur wenig mitgenommenen zweiten Stellungen unserem weiteren Vordringen die ganze Wucht seiner Verteidigungsmittel entgegenstellte.

Es gelang uns zwar, im ersten Anlauf einige wichtige Stellungen der Fronten östlich und südwestlich von Reims zu nehmen und die Marne an mehreren Stellen zu überschreiten; aber die Versuche, den Angriff weiterzutragen, scheiterten und wurden in richtiger Erkenntnis der Sachlage nicht fortgesetzt. Die nach umfangreichen Vorbereitungen und mit großen Mitteln unternommene Operation, von deren Gelingen so unendlich viel abhing, endete mit einem unverkennbaren und empfindlichen Mißerfolg.

 

Erfolgreicher feindlicher Gegenstoß

Drei Tage nach dieser mißlungenen Offensive holte der Feind zu einem gewaltigen Gegenschlag aus. Aus dem Waldgebiet von Villers-Cotterets heraus brachen am 18. Juli Franzosen, Engländer, Amerikaner und Italiener auf der etwa 45 Kilometer langen Front zwischen Aisne und Marne zum Angriff gegen den nord-südlich verlaufenden Teil des durch unsere dritte Offensive geschaffenen Stellungsbogens vor. Gegen ihre sonstige Gewohnheit hatte die feindliche Heeresleitung dieses Mal auf eine langwierige Artillerievorbereitung verzichtet; dagegen wurde der Vorstoß ihrer Infanteriemassen gedeckt und begleitet von bisher unerhörten Massen von Schlachtfliegern und leichtbeweglichen Tanks.

Der Angriff traf mit voller Wucht die nicht sehr starke rechte Flanke unserer Angriffsfront vom 15. Juli. Unsere vordersten Linien wurden im ersten Anlauf überrannt, und der Feind gelangte bis in unsere Artilleriestellungen. In zähem Ringen gelang es hier, ihn aufzuhalten. Aber die folgenden Tage brachten nicht nur eine unverminderte Fortsetzung des Ansturms auf dem Frontteil Soissons-Chateau-Thierry, sondern auch heftige Angriffe auf unsere Stellungen südwestlich von Reims, Unser über die Marne hinausreichender Stellungskeil wurde so auf beiden Seiten an seinen Wurzeln zwischen die Zange genommen.

Unter dem Druck dieser gewaltigen Angriffsaktion entschloß sich unsere Oberste Heeresleitung, in dem gefährdeten Marnebogen die Front zu verkürzen. Erst wurden in der Nacht auf den 20. Juli die über die Marne vorgedrungenen Truppenteile über den Fluß zurückgenommen. Dann wurde noch im Verlauf des 20. Juli Chateau-Thierry preisgegeben. Vor den Angriffen, die auch in der folgenden Woche mit ungebrochenem Nachdruck weitergeführt wurden, gingen wir auf die Linie Fère-en-Tardenois – Ville-en-Tardenois zurück. Am 3. August mußte Soissons aufgegeben werden. Die Zurücknahme unserer Front hinter den Vesle-Abschnitt war damit zur Notwendigkeit geworden.

Damit war an diesem Teil der Front unsere Rückwärtsbewegung zunächst abgeschlossen. Der Feind hatte in rücksichtslosem Einsatz seiner Truppenmassen zweifellos beträchtliche Einbußen erlitten; aber auch unsere Verluste an Toten, Verwundeten und Gefangenen sowie an Kriegsmaterial waren groß. Noch größer aber war der moralische Eindruck auf Front und Heimat bei Freund und Feind. Unsere in den ersten Anfängen steckengebliebene Offensive und der mit furchtbarer Wucht angesetzte und mit großer Zähigkeit in dreiwöchigen Kämpfen durchgeführte feindliche Gegenangriff machten aller Welt deutlich, daß es den Feinden gelungen sei, unsere unwiderstehlich scheinende Angriffskraft zu brechen und die Initiative an sich zu reißen.

Jedem deutschen Herzen mußte sich die bange Frage aufdrängen, ob es dem Genie unserer großen Heerführer und der Spannkraft unserer Truppen gelingen werde, noch einmal das Schicksal zu wenden, oder ob wir an der ganzen Westfront aufs neue in eine die Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende gänzlich zerstörende Defensive zurückgeworfen werden würden.

 

Rückwärtsbewegungen

Diese bange Frage erhielt eine niederschmetternde Antwort, als zwei Tage nach der Zurücknahme unserer Truppen hinter die Vesle, am 8. August, die Engländer beiderseits der Somme in einem wuchtigen Überraschungsangriff, der durch dichten Morgennebel begünstigt wurde, in unsere Stellungen eindrangen und den ganzen in der Märzoffensive gewonnenen, gegen Amiens vorspringenden Frontbogen zwischen Arras und Soissons ins Wanken brachten. Mit ungezählten Panzerwagen überrannte der Feind unsere Linien. Eine ganze Anzahl von Stäben wurde weit hinter den Gräben von Tanks überrascht und gefangengenommen; die planmäßige Leitung der Abwehroperationen wurde dadurch unmöglich gemacht, schwere Verwirrung wurde in unsere Reihen getragen. Der Feind schlug gleich am ersten Tage eine klaffende Lücke von großer Breite und Tiefe in unsere Front südlich der Somme. Zahlreiche Gefangene und große Mengen von Geschützen und sonstigem Kriegsmaterial fielen in seine Hand. Sein Erfolg wurde vervollständigt, als am folgenden Tage der Franzose auf der Front südöstlich des von uns bereits geräumten Montdidier gleichfalls zum Angriff überging. Erst in der geraden Linie Albert-Roye-Lassigny, die bis zu 30 Kilometer hinter unserer ursprünglichen Stellung lag, gelang es, die Schlacht einigermaßen zum Stehen zu bringen und die Verteidigung wieder zu organisieren. Aber die Notwendigkeit einer weiteren Rückwärtsbewegung, etwa auf die alte Siegfriedstellung, von der unsere Märzoffensive ausgegangen war, wurde schon um die Mitte des Monats August von der Obersten Heeresleitung als unvermeidlich ins Auge gefaßt.

Im ganzen bisherigen Verlauf des Krieges hatten die Ereignisse, die sich vom 18. Juli bis etwa 12. August 1918 zwischen Arras und Reims abspielten, nur in der Marneschlacht vom September 1914 annähernd ihresgleichen. Der im März 1918 mit dem stärksten Aufgebot an Mannschaften und Material so glänzend eingeleitete Feldzug war verloren. Wir waren nach übel menschlichen Anstrengungen und beispiellosen Waffentaten unter maßlos erschwerten Verhältnissen in die Verteidigung zurückgeworfen. Die Wagschale des Schicksals hatte sich gegen uns geneigt.


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