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Klamm saß in der Vorstadt Hamm bei Hamburg Ileisa in dem Wohngemach einer äußerst eleganten und bequem eingerichteten Villa gegenüber. Er war, wie er es beabsichtigt und gemeldet hatte, am Abend abgereist, und hatte sich nach kurzer Morgenruhe in Streits Hotel sogleich nach Hamm aufgemacht.

Das Wesentlichste, das zur Bestattung gehörte, war schon von Ileisa besorgt worden. Nach Ueberwindung der ersten Erschütterung und des ersten Schmerzes, hatte sie sich aufgerafft und die notwendigen Vorkehrungen getroffen.

Klamm war auch schon mit ihr ins Sterbezimmer getreten.

Die alte Dame, deren ganzes Leben eigentlich nur in der Sorge für andere bestanden, und eben doch dieses ihr Schicksal, sanft ergeben, getragen, hatte dagelegen wie eine Schlafende. Ein Ausdruck stillen Friedens hatte ihre Mundwinkel umschwebt; nichts von dem Abstoßenden, das sonst meist der Tod mit sich führt.

Ileisa aber war bei ihrem Anblick in bittre Thränen ausgebrochen, und anfänglich war's Klamm kaum möglich gewesen, sie zu besänftigen.

Später ließ er sich berichten, wodurch der Tod herbeigeführt sei, was der Kranken gefehlt habe.

»Sie hat wohl mehr der Gram getötet, als körperliches Leiden,« erklärte Ileisa. »Sie konnte es weder überwinden, daß so schnell alles ausgelöscht war, was sie sich als mein Glück gedacht, noch vermochte sie sich mit ihrer feinen Seele, ihrem Stolz und ihrer sittlichen Auffassung darin finden, daß mich Knoops fortan fast ganz wie eine lästige Zugabe ansahen und behandelten, statt als Verwandte, als Opfer der Unbeständigkeit ihres Sohnes.

»Sie warfen und werfen – je länger die Zeit – die Schuld an allem, was eingetreten, auf mich. Sie versetzten sich nicht einen Augenblick in die Lage einer geschiedenen Frau, die zwar nun zu leben hatte, aber naturgemäß in einen menschenscheuen, weltverachtenden und lebensmüden Zustand geraten war.«

»Und Fräulein Margarete?« fragte Klamm.

»Sie ist so leidend, daß man an ihrer Wiedergenesung zweifelt, ja, sie ist wohl überhaupt aufgegeben. Sie schleppt sich nur noch als unheilbare Lungenkranke nach der Influenza, an der sie fortdauernd in schwerster Weise gelitten, hin. Wenn mich etwas schmerzt, wenn mich etwas außer dem Hinscheiden meiner Tante traurig macht, so traurig, daß ich jeden Tag daran denken und mich sorgen muß, so ist es das Schicksal dieser meiner Freundin. Sie ist ein wahrhaft vortreffliches Mädchen, Sie wissen es, Herr von Klamm. Und sie war mir wie eine treue Schwester.«

»Hm,« stieß Klamm nachdenklich heraus. »Wenn ich bedenke, wie glücklich die Familie Knoop war, und was aus ihnen nach Aufgabe ehrlicher Arbeit geworden ist!

»Die Alten voll tiefster Enttäuschung, voll sehnsüchtigen Verlangens nach dem »Einst«, die Tochter sterbend – der Sohn – der Sohn. – Was wissen Sie von ihm, Frau Ileisa?«

»Nichts – gar nichts! Bei dem formellen Scheidungsakt haben wir uns noch einmal gesehen und gesprochen. Da gab er mir die Hand und sagte in seiner kalt nüchternen Weise: ›Lebe wohl! Möge es dir gut gehen,‹ dann ging er, ohne mich auch nur noch einmal anzusehen. Er behandelte die Angelegenheit ganz wie ein nun einmal nicht zu umgehendes, möglichst rasch zu Ende zu führendes Geschäft. Er ist ein Mensch, der nur sich kennt, der nichts respektiert, aber allerdings auch sich selbst nicht.

»In dieser Hinsicht ist er äußerst objektiv, er ist durchaus nicht im Unklaren über sich. Er giebt der Wahrheit die Ehre, spielt keine Komödien. Und das war's ja auch, das mich seinerzeit anzog, wodurch es kam, daß ich meiner Tante glaubte, die mir zuredete und einbildete, ich könne auf ihn einwirken. Er war anders, als der Durchschnitt. Er besaß Konsequenz und Willen, wennschon er, wie sich herausgestellt hat, lediglich die Pfade bequemer Selbstsucht und Genußsucht beschritt.

»Nachdem er mich abgethan hat, wird er, ich bin dessen sicher, eine möglichst vorteilhafte Partie zu machen suchen. Er will gut leben und höchstens bei Spekulationen einmal seinen Kopf in die Weiche legen!«

Klamm hatte Ileisa mit großer Spannung zugehört. Als sie geendet hatte, sagte er.

»In der letzteren Annahme irren Sie sich durchaus nicht, Frau Ileisa. Was sie voraussetzen, ist schon unterwegs.«

Und während er den Eindruck in Ileisas Mienen beobachtete, schloß er:

»Arthur von Knoop wird in nicht zu langer Frist – meine Frau heiraten.«

»Wie? Sprechen Sie die Wahrheit?« brachen die Worte aus dem Munde der Frau, während ihre Wangen erbleichten, ein eigenes Feuer aber in ihren Augen aufleuchtete. –


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