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Nach diesem Vorfall richteten sich zunächst Theodor Knoops Gedanken auf die Ueberlegung, wie er sich – gleichviel ob ihm Vorteile dadurch entgehen würden – an Klamm rächen könne. Je mehr er zugeben mußte, daß Klamms Haltung völlig gerechtfertigt gewesen, desto höher loderte der Ingrimm in ihm auf, desto mehr verschärften sich die Vergeltungsgedanken.

Aber schon am selben Tage dachte er anders! Was scherte ihn das Wohlwollen oder die Abneigung des Herrn von Klamm! Wenn er nur das Geschäft machte, nur Geld verdiente! Und nur in dem einen Punkte mußte er noch handeln! Er mußte für alle Fälle den Bankdirektoren eine Erklärung geben, weshalb Klamm so sehr gegen ihn eingenommen sei.

Daß Klamm sich gegen Knoops äußern wollte, machte nichts aus. Das waren für jene ja allbekannte, von ihm längst widerlegte Sachen.

Zuletzt rieb sich Theodor Knoop sogar die Hände.

Wie nun? Wenn Klamm ihn – als jener Betrugshandlungen verdächtig – beim Staatsanwalt denunziert haben würde! Dem war er doch entgangen!

Also den Kopf hoch und leichten Sinnes! Die Unterredung war so vortrefflich wie möglich verlaufen!

Noch an demselben Abend suchte er Arthur im Kontor auf, teilte ihm mit, daß er ihm Gutes zu melden habe, und schlug ihm vor, den grade in Berlin anwesenden Cirkus Renz zu besuchen.

Da Ileisa und Margarete einer Einladung zu Wiedenfuhrts folgen wollten, Arthur also die Stunden nicht, wie sonst, mit seiner Braut verleben konnte, nahm er seines Onkels Vorschlag an und traf die Abrede, daß sie sich im Restaurationsraum vorm Cirkuseingang treffen wollten.

Bevor sich Arthur aber dahin begab, traf zufällig grade die Nachricht ein, daß der Firma der Zählkarten-Auftrag zuerteilt worden war, ein Umstand, der Arthur Anlaß gab, sich so gleich zu seinem, hinten im Wohnhaus befindlichen Vater zu begeben.

Der Bote, der ihm die Nachricht schon vor der offiziellen Mitteilung gebracht und dafür ein vorher versprochenes Trinkgeld erhalten, hatte noch zu erzählen gewußt, daß sich die Offerte der Hohensteinschen Buchdruckerei in allem stets ein weniges unter dem Knoopschen Angebot gehalten habe, daß aber trotzdem der Zuschlag deshalb für die Knoopsche Offizin ausgefallen sei, weil man größeres Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit setze. Namentlich habe sich auch Herr Wiedenfuhrt für Knoops ausgesprochen.

Das alles regte die beiden Herren sehr an, hob ihre Stimmung ausnehmend, gab aber auch zu der Befremdung und Frage Anlaß, wie es komme, daß die Hohensteinsche Buchdruckerei grade die Sätze von Knoops unterboten habe.

Es machte fast den Eindruck, als ob sie von der Offerte der Firma Knoop Kenntnis gehabt.

Arthur erinnerte sich seines Gespräches mit Theodor und dem Oberfaktor, und äußerte, daß der letztere sich unmöglich eines Vertrauensbruches schuldig gemacht haben könne.

»Für den trete ich ein!« betonte er, und Herr Friedrich Knoop Stimmte ihm bei.

Was sie aber beide sonst noch dachten, sprachen sie nicht aus. –

Im übrigen waren sich Vater und Sohn nunmehr einig, daß sie in Theodors Vorschläge willigen wollten. Es folgte gleich nach der unmittelbar bevorstehenden Prüfung der von der Bank erwählten Kommission, in deren Geschäftszimmer eine Zusammenkunft anberaumt und: Kaufpreis, Zahlungsmodalität, Beteiligung, Direktorium, Aufsichtsrat und Uebernahmetag festgesetzt werden.

Wenn Klamm, wie Theodor sicher behauptet hatte, eintreten und sich beteiligen wollte, war die Sache sicherlich gemacht! Dann strich Herr Knoop drei und eine halbe Million in die Tasche.

Und dann noch das letzte: die Nobilitierung! Was machte es aus, wenn von den drei und einer halben Million wirklich selbst anderthalb hundert tausend noch abgingen – der Rest war wahrlich ein Resultat, das sich sehen lassen konnte!

Und darin waren sich Vater und Sohn einig. Sobald alles erreicht war, wollten sie Theodor, den Onkel, ein für allemal von sich abthun.

Dafür war Margarete überhaupt schon immer eingetreten.

Sie hatte wiederholt gebeten, daß ihn die Familie so wenig wie möglich ins Haus ziehe, ja, wie damals schon geplant, selbst mit stärkeren Opfern alle Beziehungen zu ihm löse! Sie traute ihm durchaus nicht. Sie glaubte an den Klammschen Güterbetrug!

Und bis zum legten Augenblick – noch am Abend vorher – war sie in ihren Vater gedrungen, sich von dem Geschäft nicht zu trennen, und sich auf Standes-Erhöhungspläne nicht einzulassen.

Bei allem aber blieb Herr Friedrich Knoop auf seinem Standpunkt stehen. Er ereiferte sich durchaus nicht. Er betonte stets mit vollkommener Ruhe, daß er materiell gar nicht besser fahren könne, als wenn er jetzt verkaufe.

Ueber eine Million Thaler in sicheren Staatspapieren sei ein Resultat. Darin müsse er Arthur recht geben.

Und der Adel? Er hieße lieber Freiherr Friedrich von Knoop, als Herr Rentier Knoop! Gewiß, im Grunde sei dergleichen wie so vieles, ein Nichts, ein Schaum, dem nachzujagen, eine Thorheit. Aber man lebe eben in einer Welt der Komödien, und wolle man den absolut Vernünftigen spielen, laufe man geradezu Gefahr, ins Irrenhaus gesperrt zu werden.

Und das wiederum so Vorgebrachte klang denn auch wahrlich nicht so übel! Wie überall das, was die Sinne bestrickt, stets in anderen Farben leuchtet, als die graue Vernunft.

Sie, die Vernunft, mit ihrer rauhen Tugend, paßt in die Trappistenklöster, aber nicht in die Welt der Bedürfnisse, des Genießens, des Ehrgeizes. – –

Während sich die Dinge in solcher Weise bei Knoops abspielten, saß am Schluß der Woche abends im Millionen-Klub Alfred von Klamm neben einem ihm bereits aus seiner Dresdner Zeit bekannten, jetzt in Berlin lebenden Freiherrn von Milan, einem früheren Garde-Ulanen-Offizier, der wegen eines Knieleidens hatte seinen Abschied nehmen müssen.

Zu Milan hatte sich Klamm stets sehr hingezogen gefühlt. Er war ein Mann, der nichts weniger als schablonenhaft zugeschnitten war.

Auch er suchte etwas. Da er nicht ohne Vermögen war, vermochte er auch so zu leben. Er wünschte aber eine ansprechende Thätigkeit zu finden und sich – zu verheiraten.

Während sie einer Flasche Wein zusprachen, warf Milan die Frage nach Klamms nächsten Plänen und nach – Klamms Gattin hin. Er fragte ihn ohne Rückhalt, ob er sich in seiner Ehe glücklich fühle.

Sie hatten ihr Inneres einander so häufig geöffnet, daß keinerlei Unzartheit darin lag.

Klamm ließ einen ernsten Ausdruck in seinen Zügen erscheinen, und sagte:

»Daß ich aus den mehr als bedrängten Verhältnissen herausgekommen bin, daß sich meine teure alte Mama der Sorgen und der Vorwürfe, die sie sich meinetwegen gemacht, entschlagen hat, ist ja ein unschätzbarer Gewinn. Ja, ich muß sagen, daß ich dem Himmel nicht dankbar genug sein kann. Wenn Sie mich aber fragen, lieber Freund, ob ich glücklich bin, so sage ich – nein! Durchaus nicht!

»Immer mehr gelange ich zu der Einsicht, daß der Begriff Glück nicht zu definieren ist. Ein Blinder kann sehr glücklich sein, ein Armer, ein ewig Dienender, Entbehrender. Liebe zu unseren Mitmenschen, die Freude am Kleinen, die Fähigkeit, eines Sonnenstrahls Verschönerungskraft mit den Augen des Naturschwärmers würdigen zu können, Genußfähigkeit und Gesundheit können uns glücklich machen!

»Am wenigsten erzeugt Geld, Besitz an sich, Glück –

»Es muß dem Erdenmenschen immer etwas zu wünschen übrig bleiben, etwas, dem er entweder eifrig nachstrebt, und an dessen Gewinnung er dann Freude erlebt, oder dessen Erfüllung er der alles reifenden Zeit mit geduldigem Wartesinn überläßt.

»Das Furchtbarste ist: der Mann seiner Frau zu sein, in dem Sinne, daß sie das Vermögen hat, man selbst nichts besitzt und deshalb in seinen Bewegungen, Entschlüssen und Handlungen von ihr abhängig ist.

»Und darum antworte ich Ihnen: ich bin nichts weniger als glücklich.«

»Aber Ihre Frau Gemahlin vermag sich doch der besten Eigenschaften zu rühmen. Sie ist bekannt wegen ihrer Liebenswürdigkeit, Klugheit und Herzensgüte! Sie ist, wie ich sicher weiß, eine Sie sogar eifersüchtig liebende Frau, lieber Klamm.«

Klamm bewegte erst leichthin das Haupt, dann sagte er, langsam sprechend:

»Ja, aber wir passen nicht zu einander! Sie kennt und will nur Vergnügen, und ich – ich habe jeglichen Geschmack daran verloren.

»Meine Frau kann eigentlich keinen Abend mit mir allein sein! Sie musiziert, sie liest, sie plaudert wohl gern einmal über ernstere Dinge, hat Talent für jene und Verstand für diese; aber es muß immer ein Zeuge da sein, der sie bewundert, ihr zuhört, dem sie ihre kleinen Komödien vorspielen kann. Es giebt Personen, die nur glücklich sind, wenn sie jeden Tag als Akteure auftreten, ihre Fähigkeiten vor anderen leuchten lassen können, wenn sie in Lust und Trauerspielen, in Vaudevilles und Singspielen, die sie aufführen, oder zu denen sie sich als Teilnehmer drängen, womöglich die Hauptrolle spielen und zum Schluß laut oder stumm beklatscht werden.

»Solch ein Mensch ist meine Frau. Dazu kommt der verrückte, nicht zu bannende Ehrgeiz, in der allervornehmsten Gesellschaft zu verkehren, sich dieser anzuschließen, deren Modethorheiten oder üble Passionen mitzumachen. Sie würde sich auch – wenn jene es ihr vormachten – einbilden, sie müsse neben mir einen Geliebten haben. Daß sie ohnehin schon dazu manche ernannt hat und immer wieder ernennt, macht sie sich nicht einmal klar. Es ist aber der Fall. Kleine Liebeständeleien mit flotten Offizieren oder Diplomaten, aber auch mit älteren Personen von Distinktion gehören zu ihr, wie früher zu den alten Jungfern die Möpse und Strickbeutel!

»Und nun die Abhängigkeit von ihrem Gelde! Das ist's, mein Freund. Sie hat zwar anfänglich ausgesprochen, daß alles mir so gut gehören solle, wie ihr, aber sie hat die Initiative, das gerichtlich festzusetzen, nicht ergriffen. Und wenn ich bisweilen dachte, ich wollte ihr's nachträglich abgewinnen, stockte ich doch. –

»Weshalb? – Ich habe ein Gefühl, daß ich mich dann erst recht in unlösbare Fesseln schlage – ohne dem aber noch einmal meine Freiheit zurückgewinnen kann –«

»Wie? Mit solchen Gedanken beschäftigen Sie sich, Klamm?« fiel Milan überrascht ein.

»Nein – und ja! – Ich will jetzt eben versuchen, ob meine Frau mir zu willen sein will. Ich habe die Absicht, eine große Zeitung zu übernehmen, in dieser Richtung zu wirken. Ich habe einmal Sinn für öffentliches Leben, sozialen Fortschritt, Pflege der Kunst und Wissenschaften. Meine Frau aber hat für dergleichen nicht das geringste Interesse. Sie liest nicht einmal eine Zeitung. Und dergleichen ›Thätigkeit‹ ist ihr viel zu bürgerlich. Das zieht mich ja von Geselligkeit und all den Modelasten ab, an dem sie lediglich Gefallen findet.«

Milan hatte bei Klamms Eingangsworten besonders ausgehorcht. Nach einer näheren Erörterung darüber, sagte er:

»Vielleicht können Sie mir – können wir uns die Hand reichen! Ich teile Ihren Geschmack, ich würde sehr gern die Stellung eines ständigen Mitarbeiters an Ihrer Zeitung übernehmen. Ich habe – wie Sie wissen – schon ziemlich viel geschrieben: Militärisches, National-Oekonomisches und auch Feuilletonistisches. – Vielleicht hat's der Zufall gefügt, daß wir an einer Sache gemeinsam arbeiten können. Das würde mich sehr freuen! Ich möchte auch in die Kammer gewählt werden. Ich habe ja Grundbesitz und bin nicht ohne Einfluß in meinen Kreisen.«

In diesem Sinne festen die beiden Männer ihre Unterredung bis in die Nacht fort.

Erst um drei Uhr morgens schritten sie zusammen die Friedrichstraße und später die Leipzigerstraße hinab. Und heute etwas gehobener denn seit langer Zeit, stieg Klamm die Hoteltreppen empor, und suchte den Segen des größten Gottes, der sich dem Menschen nähert – den Schlaf. –


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