Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


In einem alten Berliner Hause in der Kronenstraße, drei Treppen hoch, zog einige Tage später, um die Zeit zwischen Mittag und Spätnachmittag Ileisa von Oderbruch an der nach früherer Sitte durch eine Messingstange in Bewegung zu setzenden Klingel. Sie wollte ihre Tante, die dort ihre Zimmer besaß, besuchen, wollte endlich einmal wieder nach längerer Zeit dieser einzigen Verwandten, die sie noch auf der Welt hatte, Liebesbeweise an den Tag legen.

Es währte eine Weile, bevor ihr geöffnet wurde. Auch kläffte ein Köter mit den bekannten heiseren Kehllauten, die diesen Vierfüßlern eigen sind.

Als endlich die Thür aufgeklinkt wurde, geschah's nur spaltenweit. Hinter der noch nicht abgehakten Sicherheitskette fragte die Bewohnerin mit einer mürrisch mißtrauischen Stimme, wer da sei, und was man wünsche.

»Ich bin's, ich bin's, liebe Tante,« betonte Ileisa. Nun flog auch rasch die Thür auf, und unter dem freudenerregten Winseln des Hundes, unter dessen Wedeln und Anspringen, nahmen Tante und Nichte den Weg durch den etwas dunklen Flur ins Wohngemach.

Die alte Dame mit dem kleinen, dürren Körper, den eingefallenen Zügen und den pergamentfarbenen Wangen, legte eine überselige Freude an den Tag, ihre Nichte vor sich zu sehen.

Immer wieder schaute sie ihr ins Angesicht, strich ihr liebevoll die Hände und stellte Fragen.

Und nachdem dieser erste Freudenausbruch vorüber war, begab sie sich zunächst fort, um eine Tasse Thee zu bereiten.

Nachdem sie alles Erforderliche herbeigeholt, und endlich noch aus einem neben dem Ofen stehenden Blechkasten eine Anzahl selbstgebackener Kuchen hervorgeholt, ließ sie nun auch ihrer Zunge über ihre Person und Angelegenheiten freien Lauf.

Zunächst berichtete sie, daß Mopsi – so hieß der Hund – recht ernstlich krank sei, was um so störender gewesen, weil sie selbst wieder an ihrem alten, bösen Husten gelitten, und sich im Bett habe halten müssen. Dann folgten mitleidige Bemerkungen über das Fußleiden der Aufwärterin, die täglich erschien, um die gröbere Arbeit zu verrichten, und nachdem sie dann auch noch allerlei mehr nachsichtige als anklagende Mitteilungen über den Hauswirt und die Mitbewohner gemacht, gelangte sie auf die Verhältnisse der Familie Knoop.

Sie ließ sich besonders von Arthur erzählen. Und Ileisa sprach aus, was zutraf, aber sie verhehlte auch ihrer Tante nicht, daß er ihr wegen seines kräftigen, weltmännischen Auftretens und seiner Abneigung, sich irgendwie in seiner Eigenart zu verdecken, nicht übel gefalle.

»Und wie stellt sich der Sohn zu dir?« warf die alte Dame hin.

Ileisa berichtete ihrer Tante, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war.

»Hm – gut so – sehr gut, mein Kind. Du bist nun sicher, daß er sich nichts wieder gegen dich erlauben wird! Noch mehr! Ich glaube, nach deiner Schilderung wirst du in seinen Augen nur gewonnen haben.«

»Es scheint so, allerdings, Tante. Ich hatte ein sehr unpersönliches Wesen von ihm erwartet. Statt dessen redete er mich heute morgen in der liebenswürdigsten Weise an. Es geschah sogar das bisher Unerwartete, daß die Familie sich endlich auch deiner einmal erinnert!«

»Siehst du wohl! Siehst du wohl,« fiel die Alte ein, machte vergnügte Augen, und ließ einen fast triumphierenden Ausdruck in ihren Zügen erscheinen.

Und gleich fügte sie hinzu:

»Ach, mein süßes Kind, wie würde ich mich freuen, wenn du mit der Zeit aus jeder Abhängigkeit herauskämest, wenn du einen braven, gutsituierten Mann fändest. Es ist mein täglicher Gedanke und mein tägliches Gebet.

»Schade, daß dieser Arthur ein solcher Verstandesmensch ist, das wäre sonst ja alles nach Wunsch! Du die Schwiegertochter des Herrn Knoop! Es wäre erreicht, was ich im geheimen gehofft und erwartet habe, als ich dir riet, eine Stellung anzunehmen. – Uebrigens – was macht denn der Herr von Klamm? Für ihn interessierte ich mich immer außerordentlich. Wenn der in guten Verhältnissen gewesen wäre, hätte ich dir gewünscht, daß du seine Frau geworden wärest.«

Statt zu antworten, stellte Ileisa die eben schon erhobene Theetasse wieder auf den Tisch, veränderte ihre Miene und ließ gedankenvoll das Haupt sinken.

»Ja, ja, Tante – wenn er –«

Dabei löste sich gleichsam als Befreiung versteckten Schmerzes ein langer Seufzer aus ihrer Brust.

»Also du interessiertest dich wirklich ernsthafter für ihn? Du liebtest ihn, meine liebe Ileisa? Ja! Ja! Ich hab' mir's gedacht, ohne daß du mir davon gesprochen hast,« fiel die alte Dame teilnehmend ein.

»Hatte es einen Sinn und Wert, Tante? Er hatte und war nichts – und was da so plötzlich zum Vorschein gelangte und geschah – ließ mich ja zweifeln, ob er überhaupt ein wirklich vertrauenswerter Mann sei –

»Und nun ist ja auch alles aus, und nichts mehr zu ändern.«

»Gewiß, mein Kind, und sollte sich Herr Arthur Knoop für dich entscheiden, prüfe dich zwar erst, aber dann sei nicht spröde, dann sage nicht nein. Ich halte es für möglich, daß du, grade du ihn sanfter, weicher zu machen verstehen wirst. Und wenn dir das gelingt, so hast du ja auch das, was du jetzt noch an ihm entbehrst. Im übrigen, mein Kind. Es ist eine Thorheit, wenn die jungen Mädchen den Veilchen nachahmen, und eher in demutvoller Bescheidenheit verblühen, als die Augen einmal aufschlagen wollen.

»Wie der Mann, so hat auch die Frau die Pflicht und Aufgabe, die sich für ihr Fortkommen bietenden Gelegenheiten wahrzunehmen. Ein Mädchen ist wirklich nicht unweiblich, wenn sie sich vorhält, daß ohne Entgegenkommen überhaupt im Leben kein Bündnis geschlossen wird!

»Gewiß! Sitte und keinerlei Abweichung von der Tugend! Aber den ihr von Gott verliehenen Verband soll jede Kreatur gebrauchen! Kein Mensch zahlt uns Frauen etwas dafür, daß wir aus lauter sittsamer Prüderie alte Jungfern werden. Im Gegenteil: Wenn wir's geworden, verhöhnt man uns noch dazu!«

Die alte Dame sprach's und seufzte auf.

»Allerdings, oft mit bitterem Unrecht,« fuhr sie fort. »Man kann sein Glück auch aus Pflichtdrang für andere verpassen – wie es mir geschah. – Wie! Was? – Du siehst schon nach der Uhr? Ist's schon so weit, mein süßes Kind? Nein, nein, ich will dich nicht aufhalten –!

»Wart', ich helfe dir – – Still, Mopsi – still – still! – – Wie meinst du? – Gewiß, ich komme gern, und daß sie mich gar in ihrem Wagen nach Hause bringen wollen, ist ja äußerst liebenswürdig!

»Grüße und danke. – Adieu! Adieu! Auf Wiedersehen, mein liebes Kind!« –


 << zurück weiter >>