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Klamm und Ileisa, die sich an einer von ihnen schriftlich vereinbarten Stelle in der Bellevuestraße getroffen hatten, wanderten durch den Tiergarten und nahmen die Richtung nach Charlottenburg.

Anfänglich stockte das Gespräch. Ileisa legte eine starke Befangenheit, aber auch eine auffallende Unpersönlichkeit in ihrem Wesen an den Tag. Sie sah sich wiederholt scheu um, ob man sie auch beobachte, und betonte zu Klamms Enttäuschung, daß sie nur ihr Wort nicht habe brechen wollen, daß sie sich eigentlich anders entschlossen habe. Von jener versteckten Hingabe, mit der sie ihm an jenem Abend das Herz heiß gemacht und in ihm so berechtigte Hoffnungen erweckt hatte, trat nichts zu Tage. Sie war offenbar durch die letzten Geschehnisse völlig beeinflußt. Sie nickte nur mit ernst stummer Miene, als sie Klamm fragte, ob sie schon wisse, daß er das Knoopsche Geschäft verlassen werde, und löste ihre Zunge erst auf seine eindringlich zuredenden Worte.

Sie erklärte, daß sich Herr Knoop sehr scharf geäußert, daß er alles ausführlich erörtert und auch die vollständige Beipflichtung der Damen gefunden hätte.

Er habe gesagt, daß die Unwahrheiten, die Klamm gesprochen, deshalb so unentschuldbar seien, weil zu deren Aeußerung keine Nötigung vorgelegen habe. Es sei sicher doch etwas mit seiner Vergangenheit nicht in Ordnung. Der anonyme Briefschreiber habe ein Recht gehabt, vor ihm zu warnen. Sein ganzer Lebensgang sei sehr abenteuerlich gewesen, und nicht mit vollendeter Verstellungskunst freimütig hervorgebrachte Worte, sondern Thatsachen wären in solchen Fällen entscheidend. Theodor Knoop habe Klamms Beschuldigungen mit Entrüstung zurückgewiesen. Aber noch mehr! Er habe geäußert: nicht er habe Klamm zu fürchten, sondern Klamm ihn! Er meine in ihm einen früheren bekannten, übel beleumdeten Gelegenheitsmacher entdeckt zu haben, der schon wiederholt wegen sehr bedenklicher Affären von sich reden gemacht habe.

Und nach diesen Mitteilungen geschah auch das, wovor Klamm schon gefürchtet hatte, vor dem er zitterte:

Als er einen versteckteren Weg mit Ileisa beschritt und nun an das letzte Gespräch auf dem Knoopschen Ball anknüpfte, als er weich und eindringlich auf sie einsprach, lösten sich schwere, langsam niedertropfende Thränen aus ihren Augen, die zwar auch ihm, aber ebensosehr ihrer Enttäuschung zu gelten schienen.

Und als sie sich endlich zu fassen wußte, als sie auf sein Zureden die Sprache wieder gewann, erklärte sie, daß sich in ihr trotz schwerster Kämpfe ein Mißtrauen gegen ihn eingeschlichen habe, und daß sie es auch nicht abzustreichen vermöge.

Klamm trafen diese Worte gradezu niederschmetternd. Die Welt um ihn verdüsterte sich. Er sah sich als ein Opfer der Verhältnisse niedergeworfen.

Es wirkte auch nicht, daß er nun Ileisa ein Geständnis über die Hergänge ablegte.

Immer wieder las er in ihrem Angesicht: »Darf ich dir trauen? Bist du nicht trotz deiner Worte doch der, als welchen dich der Briefschreiber und Theodor geschildert haben?«

Namentlich schien auch Margarete auf sie gewirkt zu haben. Sie nahm an, daß er sich nicht zu verteidigen vermöge, und sie sah, daß er für sie für immer verloren war.

Klamm empfing sonst aber auch heute die günstigen Eindrücke, die er während der wiederholten Begegnungen im Knoopschen Hause von Ileisa erhalten hatte.

»Wir lebten,« berichtete sie auf seine Bitte, ihm von ihrer Jugend und Vergangenheit näheres zu erzählen, »in sehr reichlichen Verhältnissen auf einem meinem Vater gehörigen Gute in Schlesien. Bei einem gelegentlichen, längeren Aufenthalt in Berlin, machte er die Bekanntschaft einer adeligen Abenteuerin, die ihn dermaßen zu umstricken wußte, daß er sich in der Folge oft wochenlang dort aufhielt, und ihr auch, nachdem meine Mutter inzwischen vor Gram über sein Verhalten gestorben war, zuletzt fast sein ganzes Vermögen verschrieb. Nach seinem, in meinem dreizehnten Lebensjahre erfolgten Tode strengte meine, seit meinen Kinderjahren bei uns lebende, nunmehr Mutterstelle bei mir vertretende Tante einen Prozeß gegen die Erbschleicherin an, der aber nur den Ausgang hatte, daß der uns verbliebene Kapitalrest noch mehr geschmälert wurde.

»Dazu traten erhebliche Verluste, die durch Kursrückgänge an Papieren entstanden, sodaß meine Tante nur so viel übrig behielt, um mir eine Erziehung geben und selbst unter den allerbescheidensten Ansprüchen existieren zu können. Meine, durch solche Vorgänge beeinträchtigte Jugend hat mich früh ernst gemacht. Während meines späteren Aufenthaltes in einem Mädchen-Seminar kannte ich nur Arbeit, Einschränkungen und Pflichterfüllung. Vergnügen, Abwechslungen gab es nicht. Aus dem einst frohen, lebenslustigen Kinde wurde ein schwermütig bedrücktes Wesen, das früh zu resignieren lernte, das sein ursprünglich starkes Temperament zu zügeln gezwungen wurde.

»Ich habe zufolge solcher frühen Erlebnisse einen wahren Abscheu vor allem Unsittlichen, vor allem Abweichenden und Extravaganten erhalten. Ich habe erkannt, daß nur die Hingabe an die idealen Dinge dieser Welt einen Menschen glücklich machen kann, daß nur weises Maß und Beschränkungsfähigkeit die Möglichkeit eröffnen, den Konflikten mit dem eigenen Ich und der Außenwelt erfolgreich zu begegnen.

»Meine Tante ist mir darin ein Vorbild. Wenn Sie einen Einblick in diese gute, gerechte, selbstlose Natur empfingen, würden Sie sagen, daß es doch noch Ausnahmemenschen giebt. Ihr will ich nachstreben; um ihr meinen Dank an den Tag zu legen für alles, was sie für mich voll Aufopferung gethan hat. Ich will alles vermeiden, was mich aus den ruhigen Geleisen heraus in ein unstätes, mit Reue und Kämpfen verbundenes Leben hineintreibt. Und sehen Sie! Das mag meine Haltung und meine Entschlüsse auch Ihnen gegenüber rechtfertigen!«

Während sie noch so sprach, waren sie an die Ecke des Salzufers gelangt, und grade wurde der nach dem Brandenburger Thor fahrende Pferdebahnwagen sichtbar. Infolgedessen beschleunigte Ileisa ihren Schritt, äußerte durch Miene und sonstiges Benehmen, daß sie die Gelegenheit zur Rückkehr benutzen wolle und bot Klamm unter hastigen Worten die Hand.

»Verzeihen Sie, wenn ich mich von Ihnen verabschiede. Ich muß zurück; schon ist's über die Zeit. Haben Sie Dank für Ihr Vertrauen; ich werde es Ihnen nicht vergessen! Und möge es Ihnen gut gehen: ich wünsche es von ganzem Herzen! Adieu – Adieu!«

Zu einer Einrede, zu einer neuen Abrede, zu einer Bitte vermochte Klamm überhaupt nicht mehr zu gelangen. Sie that ihn ab für immer. Und so rasch entglitt sie ihm unter einem nochmaligen fast unpersönlichen Kopfneigen, daß er gar nicht zu der Ueberlegung gelangte, daß er den Wagen ebenfalls besteigen und dadurch noch in ihrer Nähe bleiben konnte.

Langsam, mit zerstreuten Gedanken, nahm er den Weg in der Richtung des Brandenburger Thors zurück.


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