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Nach diesen Geschehnissen waren fast anderthalb Jahre verstrichen. Während dieser Zeit hatte sich für Klamm und Adelgunde sehr viel Bedeutsames ereignet. Frau von Klamm litt nach ihrer Krankheit unter einer Lähmung, und aus den Plänen Klamms, sich gleich wieder eine Thätigkeit zu suchen, war nichts geworden. Die Vorbereitungen zur Hochzeit hatten seine Zeit und Sinne in Anspruch genommen, und später, nach ihrer Hochzeit, waren sie, teils um seine Gesundheit noch zu stärken, teils um Adelgundes Vergnügungsdrang Nahrung zu geben, auf Reisen gegangen.

Frau von Krätz war sehr klug vorgegangen. Bald nach ihrer Verlobung hatte sie zu Klamm gesagt:

»Erlaube mir eine Bitte, mein teurer Alfred! Verfüge schon jetzt über meine Kasse und mein Vermögen, als ob sie dir gehören! Es soll dir auch in Zukunft alles mit gehören, was mein ist! Wir werden nicht in getrennter, sondern in Gütergemeinschaft leben! Ich möchte dich auch gleich über meine Verhältnisse unterrichten! Ich besitze das dir bekannte, von mir verpachtete Gut in der Lausitz, ferner das hiesige schuldenfreie Haus, überdies liegen in der Bank Staatspapiere, die mir allein eine Rente von 80 000 Mark im Jahr gewähren. Ich habe nur einen entfernteren Verwandten, der Ansprüche an mich erheben könnte, und ich liebe nur einen Menschen auf der Welt aus voller Seele – und dieser Mensch bist du!« –

Und ein andermal hatte sie bei seinen sich äußernden, auf die Berliner und Dresdner Gesellschaft beziehenden Bedenken hingeworfen:

»Ach, Lieber! Was sorgst du dich, was sie alle meinen, denken und sagen! Wir schlagen sie ja alle aus dem Felde, wenn wir sie besuchen und ihnen erklären: die Irrtümer hätten sich aufgeklärt, und wir hätten uns dennoch gefunden, wie wir es anfangs gewollt.« –

»Und Knoops und Ileisa von Oderbruch?« hatte Klamm hingeworfen.

»Ah, bah, mein Freund! Was hast du auf die Rücksichten zu üben! Sie nahmen dich auf, und du warst ihnen überaus nützlich! Dann gaben sie dir den Laufpaß. Also ignoriere sie fortan. Zudem gehören sie ja gar nicht zur Gesellschaft, kommen also nicht in Betracht. Und das kleine Mädchen, das es so geschickt begonnen hatte, dich zu fangen, deren dann folgende Sprödigkeit nur darauf berechnet war, dich nur noch fester zu binden, lasse erst ganz aus dem Spiel!«

Klamm hatte nichts erwidert, aber grade ihre Bemerkungen hatten ihn wenig angemutet.

Adelgunde besitze, – so sagte er sich – nicht die erhabene Seele, nach der er verlangte. Sie war viel zu sehr Aristokratin und zu sehr verwöhnt, um sich in die Lage der bebürdeten Mitmenschen, und in ihre völlig gleichberechtigten Anforderungen an das Dasein, hineinzuversetzen. Sie beurteilte die Dinge nur richtig und immer nur nachsichtig, sofern sie in ihren Ideenkreis paßten.

Jene göttliche, der gesamten Menschheit zugewendete Anteilnahme, jene Beschränkungsfähigkeit, jene echte Weiblichkeit, die er an eine Frau seiner Wahl stellte, besaß sie nicht.

Und im Zusammenhang mit ihren Aeußerungen über Knoops und Ileisa, die zugleich ihre Eifersucht gegen das junge Mädchen bekundeten, stieg in Klamm die Erinnerung auf, was sie ihm aus dieser Eifersucht angethan hatte!

Auf solche »Gedanken« geriet nicht einmal ein vornehmer Mensch, viel weniger führte er sie aus. Und endlich und zulegt! Das sah er schon jetzt:

Nicht nur keinen Vorschub würde sie seinem Schaffensdrang leisten, vielmehr ihn zu hindern suchen. Er würde – wenn er nicht die erforderliche Energie entwickelte – nun doch der Müßiggang treibende Mann einer reichen Frau werden!

Schon jetzt begriff Klamm nicht, daß er je hatte glauben können, daß sie sich in bürgerliche Verhältnisse würde hineinfinden, daß sie gar die Gattin eines Geschäftsmannes würde sein wollen. Sie konnte dem Auslugen nach vornehmem Verkehr nicht entsagen, ihre Genußsucht, ihren Ehrgeiz nicht einschränken! Sie hatte anfangs zu allem ja gesprochen, aber sie hatte sich gleich dabei selbst zugeflüstert, daß sie es schon verstehen werde, die Dinge nach ihrem Gefallen zu lenken.

Etwas Ausgleich fand Alfred von Klamm in seinem Innern durch das Urteil, das seine Mutter über Adelgunde fällte.

Sie sagte ihm:

»Jeder hat etwas; jeder hat Berge von Fehlern, aber jeder hat Vorzüge, hat Anlagen, die entwickelt werden können. Deine Frau ist ein temperamentvolles Wesen! Sie ist auch gut, weich und lenksam, obschon sie, sobald es sich um ihr Ich handelt, egoistisch zu überlegen, sehr wohl die ihr mitgebrachte, nicht geringe Klugheit zu ihrem Vorteil zu gebrauchen weiß.

»Aber ist das nicht aller Menschen Art, und kannst du sie dir nicht weiter erziehen?«

»Ich würde aber, ich fühle es, Mutter, mit dem kleinen, pflichttreuen Mädchen im Knoopschen Hause trotz aller Entbehrungen weit glücklicher geworden sein. Ich liebe – ich wiederhole es – die ernste Arbeit; verachte die Uebertreibung. Ich besitze keinen Hang zum fortwährenden Vergnügen, zu reinen Aeußerlichkeiten. Ich bin – obschon ein Adliger – durchaus bürgerlich veranlagt; ich verkehre am liebsten mit ganz einfachen Leuten aus dem Volke!«

Zwischendurch war denn doch Klamm wieder dem liebenswürdigen und aufgeweckten Wesen seiner Frau erlegen. Daß ihre Zärtlichkeit, daß ihre reinen und ehrlichen Gefühle mehr in Blicken, mehr in stummer Hingabe befanden, nahm ihn auch für sie ein.

Sie liebte auch Klamm mit der Tiefe, deren sie fähig war, und wollte sich ihm in allem möglichst fügen. Sie wollte nur nichts von seiner bürgerlichen Richtung, nichts von Geschäften bürgerlicher Art wissen! Hofchef, Theater-Intendant, Ceremonienmeister, Oberstallmeister eines Fürsten konnte er werden. Aber Zeitungsunternehmer, Fabrikant, Kontorkaufmann! Dergleichen mußte er sich aus dem Sinn schlagen! Auch, wenn er wieder in die Armee eintreten wollte, hatte sie nichts dagegen. Aber das wies er wiederum schroff zurück. Er wollte keinerlei solche Abhängigkeit.

Endlich konnte er auch Gutsbesitzer werden, ihre, seine Güter selbst bewirtschaften. Das war nach ihrem Sinn. Dann konnte sie im Sommer auf dem Lande, und im Winter in Dresden leben, die Geselligkeit genießen, und die alte Rolle spielen!

Es hatte sich zunächst auch alles gestaltet, wie sie es gewollt. Die Umstände waren ihr zur Hilfe gekommen.

Der Pächter auf ihrem Gute Groß-Loschwitz war unerwartet gestorben. Es bedurfte also einer führenden Hand, und dazu hatte sie ihn zum Schluß zu überreden gewußt.

Nach ihrem Aufenthalt im Süden, an den italienischen Spiel- und Vergnügungsorten, in Paris und Berlin, waren sie nach Dresden zurückgekehrt und rüsteten sich mit dem nun eben begonnenen Frühjahr – es war Mai geworden – nach Groß-Loschwitz überzusiedeln. –


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