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Am Abend eines der nächstfolgenden Tage gab Frau von Krätz ein Fest, einen Maskenball. Alles, was Dresden an bevorzugten Persönlichkeiten besaß, alles, was zur Gesellschaft gehörte, war geladen. Seit einer halben Stunde wogte schon eine buntgekleidete Menschenmenge in den weitläufigen, strahlend erleuchteten Räumen der Villa auf und ab, schwatzte, lachte und trieb jenen lustigen Schabernack, der zu der ausgelassenen Fröhlichkeit einer Karnevalsstimmung gehört. Wundervolle und auch sehr eigenartige, das Auge fesselnde Kostüme waren von den Gästen gewählt.

Da fehlte von bekannten Masken weder ein Pierrot, noch eine Colombine, weder der Tanzbär, noch der Briefträger, weder das Baby, noch die Königin der Nacht.

Aber man sah auch eine besponnene Eau de Cologne-Flasche, die fortwährend ihren duftenden Inhalt spendete, und einen indischen Fürsten, dessen Seidengewand mit Edelsteinen bedeckt war, aus denen fortwährend elektrische Funken sprühten.

Ein Gast trug ein Gewand, das ein Gesicht darstellte, dessen Züge einen unerbittlich kalten Ausdruck besaßen. Auf seinem Rücken war ein Schild befestigt, auf dem geschrieben stand: »Ich bin die öffentliche Meinung.« Auch erregte eine schlanke Dame Aufsehen, die in weiße Seide gekleidet war und nur ein einziges, großes dunkles Auge, statt deren zwei, und zwar mitten auf der Stirn hatte.

Sie erklärte, daß sie der letzte Nachkomme des Riesen Polyphem sei, mit dem einst Ulysses ein Tänzchen habe bestehen müssen.

Und so fort. Immer war etwas Neues zu sehen. Die Geladenen hatten es an Anstrengungen ihrer Phantasie und an kräftigen Griffen in ihre Geldbörsen nicht fehlen lassen.

Die Wirtin, Frau von Krätz, hatte beim Empfang der Gäste keine Maske vorgesteckt, es hing ihr jedoch eine, sichtbar und erkennbar, am Gürtel. Nicht aber mit dieser bedeckte sie – zur besseren Täuschung der sie Ansprechenden – später ihr Angesicht, sondern mit einer anderen, zarten. Auch das Gewand hatte sie rasch in ihrem Ankleidegemach abgestreift und war in ein für diesen Abend nach ihren Ideen angefertigtes Kostüm geschlüpft.

Sie stellte eine Undine dar. Grünes Schilf hing in ihrem Haar. Ihren Leib umspannte ein silberner Gürtel. Silberne Schuhe bedeckten ihre Füße, die Augen in der für die Blicke freien, weißseidenen Maske blickten träumerisch, und mit einem, wie von Mondesglanz durchleuchteten Schilfwedel berührte sie die sich ihr Nahenden und bat sie, sie einmal in ihrem Geisterreich am Undinensee zu besuchen.

»Und wo ist der?« fragte eine dunkelschwarze Gestalt mit verhülltem Haupt und fast verhülltem Angesicht.

»Wo? Wenn du fragst, bist du nicht berufen, in meinem Reiche zu erscheinen. Das muß dir dein Herz, dein Verlangen, deine Sehnsucht selbst beantworten!«

»Ich hatte dieses Verlangen, diese Sehnsucht! Aber ich ward betrogen! Das Reich der Schönheit fand ich, der klugen Kunst, aber nicht das Reich der Wahrheit. Als ich es einst betrat – fand ich keine engelhafte Undine, vielmehr eine launenhafte, von Eindrücken abhängige, in der Liebe Unbeständige, ja, der echten Treue Entbehrende und des Besitzes Unwerte –«

»So wähltest du den unrechten Pfad, einen, der nicht zu mir führt. Dann wärest du bei einer meiner Schwestern, deren ich viele besitze, die aber nicht zu den reinen Geistern gehören! – Komm zu mir und du wirst erfahren, was eine echte Undine für Schätze zu bieten hat.« –

Sie nickte und war verschwunden. Er aber folgte ihr durch das Gewühl der Masken, und nachdem er sich in einer versteckten Ecke rasch und geschickt ein Brustschild vorgesteckt hatte, auf dem sich ein Totenkopf und die Worte: »Mitglied der heiligen Inquisition« befanden, wußte er ihr abermals am Eingang des in der Villa befindlichen Wintergartens zu begegnen. Und nachdem er sie angehalten, sagte er:

»Höre, Undine! Ich bin erschienen, um dich zur Rechenschaft zu ziehen! Du verfolgst durch anonyme, herabsetzende und verdächtigende Briefe einen Ehrenmann, schädigst ihn an seinem Ansehen, seiner Ehre und seinem Fortkommen. Du begehst gemeine, einer edlen Seele unwürdige, verbrecherische Handlungen!

»Herunter mit der Maske der Sanftmut, Tugend und Weiblichkeit! Erkläre, daß du bereust, daß du dein unerhörtes, strafwürdiges Treiben einstellen willst!

»Geschieht es nicht, so ist es mein Wille, hier jetzt laut zu erklären, was du gethan, wer mich hergesandt hat, was meines Amtes ist. Ich werde die Maske abstreifen und dich im Namen des Gesetzes verhaften!

»Nun wähle rasch! Bekennst du, so wirst du mir morgen eine schriftliche Erklärung abzugeben haben, eine, von deren Inhalt dann nichts in die Oeffentlichkeit dringen soll; auch die Strafe wird dir erlassen werden, dir und deinem Helfershelfer – der, nachdem er lange beobachtet und inzwischen überführt wurde, – bereits ein Geständnis abgelegt hat!«

Alles war in raschem Fluß gesprochen und in einem Tone der Entschiedenheit, der Frau von Krätz nicht darüber in Zweifel ließ, daß es sich nicht um einen zufällig auf sie passenden Scherz, sondern um etwas sehr Ernstes, um das wirklich handelte, was ihr schuldbewußtes Inneres belastete.

Völlig entmutigt und geschlagen aber wurde sie, als der Mann, der in der unheimlichen Maske vor ihr stand, die letzten Worte geredet hatte.

Wenn Numick gestanden hatte, half kein Leugnen!

Sie sprach deshalb – rasch entschlossen, jedoch in kluger Berechnung:

»Ob Maskenscherz oder Ernst – ich vermag nicht zu beurteilen, was dich reden läßt, Mitglied der heiligen Vehme!

»Jedenfalls erwarte ich dich morgen mittag zu einer Besprechung in meiner Wohnung. Für jetzt achte das Gastrecht und lasse uns in Frieden ziehen!«

Nach dieser Antwort streckte sie ihm – äußerlich auch jetzt noch mit leichter Unbefangenheit und unter anmutiger Geberde, – die Hand hin und wollte von ihm zurücktreten.

Er aber hielt sie und sprach mit nunmehr unverstellter Stimme:

»Zu Ihnen redete Freiherr, Alfred von Klamm! Er will – eingedenk früherer Beziehungen – Ihrem Wunsch stattgeben. Er wird morgen mittag bei Ihnen erscheinen und die Angelegenheit weiter besprechen!«

»Ah – Klamm – also wirklich – Sie!?« stieß die Frau in höchstem Erschrecken heraus. Ihre Stimme bebte, auch ihre Gestalt. Sie mußte sich an den Thürpfosten lehnen, um nicht einer Schwäche zu unterliegen. Er aber wußte sie unauffällig zu stützen und flüsterte:

»Ich verlasse jetzt die Villa, damit Sie sich ohne Zwang Ihren Gästen ferner zu widmen vermögen. Im übrigen: Es bleibt bei unserer Abrede! Sie wollen es mir nochmals bestätigen!«

»Ja, auf morgen!« drang in einem gefügigen Ton an sein Ohr, während er sich nun rasch zurückzog. Grade wälzte sich auch wieder ein Schwarm von Masken heran, der den Wintergarten betreten wollte, aber auch Diener erschienen, die Champagner und andere Getränke darboten. Und sie schob die Maske beiseite, griff nach einem Glase und stürzte den Inhalt hinunter.

Jetzt erst gewann sie wieder die alte Fassung und Sicherheit zurück. –


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