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Klamm hatte inzwischen gesonnen und gegrübelt, wie er die Dinge lenken könne. Zuletzt war er zu seiner Mutter gegangen, die schon wiederholt nach ihm gefragt hatte. Ihr war von den Dienstboten mitgeteilt worden, daß Adelgunde abgereist sei und nicht wiederkommen werde. Alfred sollte ihr Aufschluß geben. Es lag sonst nicht in ihrer Art, sich vorzudrängen; sie wartete aus Grundsatz ab, bis man sie rief. Was einst Klamm seinem Freunde Milano gesagt hatte, das legte er in dieser Unterredung seiner Mutter dar, er verschwieg ihr auch nicht die zwischen ihm und Ileisa stattgefundene Begegnung, die Scene, die seine Frau ihm gemacht, und das abermalige Zusammentreffen mit der jungen Frau nebenan.

Und sie sagte:

»Ja, dein Fehler ist, daß du dich zu leicht von deinen augenblicklichen Gefühlen beherrschen und Eindrücke zu sehr auf dich wirken läßt. Dein gutes Herz steht in den gegebenen Fällen über kühler Erwägung.

»Ich rate dasselbe, was ich dir immer riet. Schließe einen Kompromiß mit deiner Frau. Wenn ihr nicht zusammenleben könnt, lebt möglichst erträglich ›nebeneinander‹.

»Ihr seid's nicht allein, denen etwas zu wünschen übrig bleibt.

»Ich bin gar nicht erzürnt, daß deine Frau ohne Abschied fortgegangen ist; sie hat wohl nicht darüber nachgedacht, daß mich das verwundern, mich gar kränken könne. Und daß sie eine Klage um meinetwillen erhoben hat, verüble ich ihr auch nicht. Junge Frauen betrachten meistens die Mütter ihrer Männer ungefähr wie muhamedanische Nebenweiber! Sie wollen ihre Gatten für sich allein haben. Man kann's ihnen wahrlich nicht verdenken und muß den durch ihre Eifersucht hervorgerufenen Mangel an unbefangenem Urteil ihrem krankhaften Eifersuchtsgefühl zu Gute schreiben.«

Klamm hörte seiner Mutter Reden voll Bewunderung zu. Jegliches suchte sie zum Guten zu lenken. Als er davon sprach, daß er Adelgunde den von ihr schon wiederholt selbst erörterten Vorschlag machen wolle, einen Besuch bei einer Freundin in Paris zu machen, äußerte sie ihren Beifall, meinte aber, daß er Adelgunde dazu bringen solle, selbst diesen Wunsch auszusprechen. Es würde sich sonst leicht Mißtrauen in ihr regen.

In solcher Weise von seiner Mutter angesprochen und gestärkt, begab sich Klamm am folgenden Tage in die Stadt-Villa. Es war eben elf Uhr vormittags geworden; Adelgunde hatte sich grade erhoben und saß beim ersten Frühstück, als Klamm zu ihr ins Speisezimmer trat.

Als sie seiner ansichtig wurde, streckte sie ihm ihre Hand liebenswürdig und mit der Miene völliger Unbefangenheit entgegen, und sagte:

»Das ist freundlich von dir, Alfred, sehr freundlich! Nun sehe ich, daß du wieder gut bist! Ich konnte wirklich nicht anders handeln! Natürlich bin ich zu weit gegangen! Ich habe dir Unrecht gethan, insofern, als du ja nicht die Begegnung mit dem koketten Frauenzimmer herbeigeführt hast. Aber im Recht bin ich wiederum auch!

»Und – und – was sagt Mama?! Hast du sie gesprochen? Grade wollte ich ihr schreiben, und mich entschuldigen, daß ich so fortgegangen bin.

»Na, sie weiß es ja auch ohne Worte, daß ich keine böse Absicht damit verband. – Erkläre übrigens! Welch einen fürchterlichen Lärm haben eure Maschinen wieder einmal gemacht. Werden denn nun auch am Tage die schrecklichen Ungeheuer in fortwährende Bewegung gesetzt?«

So sprach sie rasch und lebhaft nacheinander, erschöpfte alles, was sie beschäftigte, auf einmal.

Klamm sah infolgedessen auch davon ab, die Vorgänge ausführlicher zu berühren. Er sagte nur:

»Du erlaubst dir viel, Adelgunde. Was grade deine Sinne kreuzt, das mußt du haben, ohne Rücksicht auf andere. Aber lassen wir das! und höre, was ich meinerseits vorzuschlagen habe.

»Ich möchte unser Gut noch nicht verlassen. Die Witterung ist so milde, und die Landluft so wohlthätig für meine Nerven, daß es thöricht wäre, mich des guten Einflusses zu entziehen. Ich möchte auch mit meiner Mutter die künftigen Dinge feststellen. Sie will nicht in die Stadt zurückziehen. Es ist das auch von Wert! So haben wir stets jemanden, der draußen nach dem Rechten sieht. Du mußt also allein hier wirtschaften, oder du mußt dich überhaupt anderweitig einrichten. –«

»Was heißt das? Wie meinst du das?« fiel Adelgunde befremdet ein. Und gleich fuhr sie fort:

»Ah, ich weiß! Ich könnte meine Absicht ausführen, meine Freundin, Frau von Stein, in Paris zu besuchen, das wäre eine Idee. – Das heißt,« unterbrach sie sich wieder, und stockte.

»Nun? Was hast du? Ich finde den Plan sehr gut. Wenn du von Paris zurückkehrst, werde ich auch den Wunsch haben, wieder in die Stadt zu ziehen. – Also alles in Ordnung –«

»Jawohl, Alfred! Ich will nach Paris reisen! Aber nur dann, wenn die Person – die Knoop – nicht draußen wohnen bleibt. Zieht sie es ferner vor, unsere Nachbarin zu sein, trotz meines Verbots, so – so –«

»Du hast es ihr verboten? Was heißt das? Wie kannst du ihr etwas verbieten? –

»Im übrigen ist deine Reizbarkeit gegen die junge Frau ungerechtfertigt. Ich leugne gar nicht, daß ich etwas von ihr halte – viel halte – es wäre unnatürlich, wenn es anders wäre, da ich mich damals mit ihr verloben wollte. Aber ich habe sie doch niemals gesucht. Wir haben Knoops dann einen Besuch gemacht, bei dem wir sie absichtlich nicht zu treffen wußten, und damit war's vorbei.

»Also gieb nun deine Eifersucht auf. Laß Frau von Knoop bleiben oder fortgehen! So viel ich gehört habe und weiß, ziehen die alten Knoops ehestens wieder in die Stadt. So werden die Jungen wohl folgen!«

»Hm, du kannst sie aber auch in der Stadt treffen –«

»Um Himmelswillen, Adelgunde! Nun beschäftigst du dich plötzlich sogar mit dieser Möglichkeit, während du doch eben nur den Wunsch ausgesprochen, sie solle das Gut verlassen. Ich habe keine Lust und Neigung, dir auf all diesen Wegen zu folgen. Ich werde darauf nicht mehr antworten. Kommen wir zu Ende! Ich muß ins Geschäft! Es bleibt also dabei. –«

»Ich muß ins Geschäft! betonst du. – Nicht einmal in so wichtigen Dingen hast du Zeit – hast du Zeit für mich, Alfred! Ach – ich bin unglücklich. – Ich hoffte einen Mann zu heiraten, der mit mir leben würde. Aber seine wirkliche Braut, seine Frau, die er liebt, ist die gräßliche Zeitung, das ewige Hasten und Jagen, der fürchterliche Geruch des Maschinenöls und der Druckerschwärze. Gieb doch diese Beschäftigung auf! Wir wollen wieder nach Dresden ziehen. – Wir wollen die Hälfte des Jahres auf unserm Gute leben. Das waren köstliche Tage. – Gottlob, daß wir es nicht verkauft haben. Dann lösen wir uns auch von dieser fürchterlichen Knoopschen Gesellschaft, von diesen Parvenüs, von dieser koketten Person, die nicht ruhen wird, bis sie dich mir ganz abgewendet hat. –«

So sprach, weinte und schluchzte die junge Frau, und Klamm ging auch diesmal in allergrößter Unbefriedigung von ihr.

Er wußte zwar, daß sie nach Paris reisen, daß er vorläufig Ruhe haben, und den Geschäften wurde leben können, aber es war doch nur ein Aufschub. Wenn sie zurückkehrte, hatten sie von neuem Kompromisse mit einander zu schließen. –


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