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In der Knoopschen Aktienbuchdruckerei war ein gewaltiges Hin und Her. Klamm hatte mit Zustimmung der maßgebenden Persönlichkeiten eine Reihe von Veränderungen ins Auge gefaßt, und nunmehr herbeigeführt. Es waren Rotationsmaschinen für die Leitung und Buchdruckmaschinen angeschafft, auch Schneide- und Satiniermaschinen besserer Konstruktion eingestellt worden. Ferner war beschlossen worden, die Zeitung durch ein handlicheres Format, neue Schrift, eine andere Einteilung, Textvermehrung, sowie größere Vielseitigkeit zu verbessern.

Klamm ruhte und rastete nicht, Vervollkommnungen zu erstreben. Natürlich wurden bei der Vermehrung der Arbeit die Kräfte der Angestellten in höherem Maße angestrengt. Es hatten deswegen schon heftige Auseinandersetzungen mit dem noch im Amt befindlichen Chefredakteur stattgefunden. Es bedürfe, wie er erklärte, umfangreicherer Beihilfe und besserer Honorierung! Ueberhaupt lehnte er sich gegen die Zeitungs-Neuerungen auf und behauptete, daß sie dem Blatte nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden gereichen würden.

Gegenwärtig handelte es sich um die Herstellung der ersten neuen Quartalsnummer, und diese stieß auf unerwartete, ganz erhebliche Schwierigkeiten.

Unten in den Druckräumen schalt der Maschinenmeister mit den Mädchen, die sich bei den neuen Rotationsmaschinen ungeschickt benahmen. Die Folge war, daß sie sämtlich aufsäßig wurden, kehrt machten und davon gingen.

Nun war guter Rat teuer! Woher gleich andere nehmen? Der Maschinenmeister eilte zu Klamm hinauf und meldete, was geschehen sei. Er hatte den Kopf völlig verloren. Es schien unmöglich, daß die Zeitung überhaupt am nächsten Morgen erscheinen konnte.

Um das Unglück voll zu machen, berichtete der Zeitungsfaktor, daß dem Metteur ein Unglück mit dem im übrigen kaum zu bewältigenden Satz passiert sei, die Setzer aber, trotz Aufforderung und Bitte, Ueberstunden nicht machen wollten.

Zunächst schickte Klamm einen Boten zu der ältesten, in der Druckerei schon seit zwei Jahren beschäftigten Bogenfängerin. Der Maschinenmeister wußte zufällig, wo sie wohnte – und ließ ihr vom Direktor bestellen, daß sie so gut sein möge, »rasch einmal heran zu kommen«.

Sodann begab sich Klamm in den Setzersaal und verhandelte mit den Setzern, die sich bereits die Hände wuschen und fortgehen wollten.

Er bot ihnen eine angemessene Entschädigung, wenn sie nach einer Stunde zurückkehren, und einen Teil der Nacht durcharbeiten wollten.

Nach sehr schwierigen Verhandlungen, bei denen eine bedauerliche Interessenlosigkeit für das Geschäft bei den Angestellten zu Tage trat, gelang es Klamm, deren Zusage zu erreichen.

So war wenigstens diese Schwierigkeit beseitigt. Nun aber galt es auch unten zum Ziele zu gelangen. Klamm hielt Umschau und prüfte, ob nicht im Papierraum Angestellte zu haben seien. Aber die Versuche verliefen hier eben so ungünstig, wie die Prüfung bei dem übrigen Maschinenpersonal. Zwei sonst Beschäftigte waren überhaupt nicht anwesend, weil sie sich krank gemeldet hatten. Die Maschinenmeister selbst erklärten, daß sie zweien Herren nicht dienen könnten. Sie müßten fortwährend nach den Druckpressen sehen, da noch alles nicht recht »eingelenkt« sei.

Inzwischen war die Zeit immer weiter vorgerückt. Ueberall wurden die Arbeitskittel bereits ausgezogen, und Klamm lief Gefahr, sich einer großen Blamage auszusetzen, wenn es nicht gelang, Bedienung für die Maschinen herbeizuschaffen.

Zum Glück erschien nun das von ihm herbeigerufene Mädchen, eine etwa sechsundzwanzigjährige, robuste Person, in einem schwarzen Mantel und mit federbesetztem Hut.

Sie sah wie eine schlecht kostümierte Nebenfigur auf einer Kleinstadtbühne aus und legte, als Klamm sie anredete, ein recht schnodderiges Wesen an den Tag.

Sie beklagte sich im Berliner Jargon über den Maschinenmeister Schulze, der »die Mächens man immer so behandelte, als ob sie ›Rakkers‹ wären, die vor 'ne Lehmmühle zu jehen hätten. Det Jeschimpfe höre jar nich uf, nu dafür wär'n sie sich alle einig jeworden, abzujehen. Sie persönlich habe sich auch den Abend schonstens mit ihr Verhältnis verabredet, sie könne nich bei die Maschine arbeiten, und wo die anderen wohnen thäten, det wisse sie man sehr unbestimmt.

»Wiederkommen wollten sie ja alle, aber bloß, um beim Direktor vorstellig zu werden. Sie hätten sich verabredet, am nächsten Morgen, Uhr neune, anzutreten.«

Nach dieser Erklärung ergriff nun aber Klamm das Wort.

Er bot dem Mädchen, wenn sie die Arbeit etwa nach einer Stunde wieder aufnähme, und wenn sie die übrigen Arbeiterinnen mit Droschken herbeizuholen sich verpflichtete, eine erhebliche Belohnung, ihnen allen aber Abendbrot mit Bier, Kaffee in der Nacht, und eine so bedeutende Vergütigung, daß »Christine Munk« schließlich weich wurde. Das Geld reizte die Person, und um so schwankender wurde sie, da Klamm erklärte, daß er allen fortan den Lohnsatz erhöhen wolle.

Hierauf eilte die Munk fort. Klamm begab sich, nachdem er die Maschinenmeister zum Dableiben verpflichtet hatte, ins Kontor, und von dort in die Redaktion.

Hier sah er nach dem Rechten, wartete dann noch in größter Spannung, ob Setzer und Mädchen erscheinen würden, und atmete förmlich auf, als er zunächst die Setzer hinauskommen sah und nun sicher war, daß in den Sälen oben weiter gearbeitet wurde.

Die Mädchen ließen viel länger auf sich warten. Als der Maschinenmeister endlich über ihr Eintreffen berichtete, hatte er zu melden, daß nur zwei erschienen seien.

»Nun, wohlan! So müssen wir mit angreifen, Schulze! Ich bleibe so lange an der Maschine, bis wir unsere Auflage fertig haben!« erklärte Klamm, setzte ein kurzes, Adelgunde verständigendes Schreiben auf, sandte einen herbeigeholten Dienstmann damit fort, und begab sich in den Maschinenraum.

Und hier arbeitete er dann ganz ebenso wie das Personal, und wenn er einmal seine Thätigkeit unterbrach, um oben im Setzersaal nachzutreiben, so mußte auch der andere Maschinenmeister so lange mit anfassen.

Endlich nachts zweieinhalb Uhr war die Arbeit gethan. Da das Expeditions-Personal diesmal schon um vier Uhr morgens eintraf, konnten die mit den für die verschiedenen Bahnhöfe bestimmten Zeitungspacketen beladenen Geschäftswagen bereits um sechseinhalb Uhr abfahren.

Trotz aller Hemmnisse und Ungelegenheiten, und trotz der umfangreicheren Auflage war alles ohne irgend welche Verzögerung in der Stadt und an die auswärtigen Abonnenten expediert worden.

Aber Klamm begnügte sich damit nicht.

Nachdem er ein paar Stunden in der ihm überwiesenen, früheren Knoopschen Villa geschlafen hatte, begann er schon wieder seine Thätigkeit, traf allerlei Maßnahmen, wodurch fortan jegliche Hast und Ueberstürzung, aber auch ähnliche Verlegenheiten vermieden wurden.

Er ordnete sowohl in der Redaktion wie in den Setzersälen eine andere Einteilung an, und sah sich nach einem zuverlässigeren Arbeiterpersonal für die Maschinen um.

Die Mädchen hatten ein sehr unzuvorkommendes Wesen hervorgekehrt. Unter der Führung Christine Munks, traten sie, wie sie schon angekündigt hatte, mit so erheblich höheren Lohnforderungen an die Direktion heran, und legten eine so feindselige Gesinnung gegen den Maschinenmeister Schulze an den Tag, daß Klamm sie überhaupt nicht zu behalten beschloß. Es mußte eben vielfach aufgeräumt werden. Er kündigte auch bereits an diesem Tage dem Chefredakteur, Doktor Strantz, der heute, wie früher, sowohl im Geschäft wie in dem »Wirtshaus zur gemütlichen Ecke« in der Kronenstraße, seine Intriguen gegen ihn fortsetzte, zum nächsten Quartal, und unternahm so gleich Schritte für eine andere Besetzung.

Endlich berief Klamm auch die Vorstände der verschiedenen Abteilungen. Er setzte ihnen auseinander, daß eine größere Anspannung der Kräfte erforderlich sei, ersuchte sie, ihn zu unterstützen, versprach ihnen dagegen Erhöhung ihres Lohnes, und lud sie zudem für den Schluß der Woche zu einer geselligen Zusammenkunft im Leipziger Garten ein.

Um sechs Uhr nachmittags war Klamm erst so weit, daß er sich nach Hause begeben konnte. Als er jedoch im Grünhagener Gutshaus eintraf, fand er in seiner Wohnung weder seine Frau noch die Dienerschaft. Erst nach vergeblichem Klingeln sah er bei weiterem Nachforschen die beiden Mädchen im Nebengebäude im Gespräch mit den Stallknechten.

Der Diener sei, wie sie meldeten, im Auftrage der gnädigen Frau, bereits nachmittags in die Stadt gefahren, sie selbst habe vor einer Stunde gesagt, daß sie den gnädigen Herrn im Geschäft abholen werde.

»Hat denn meine Frau keinen Brief von mir erhalten? Ich hatte nach sechs Uhr das Essen bestellt?« warf Klamm sehr unmutig hin.

Die Mädchen verneinten. Es sei ihnen nichts gesagt. Die gnädige Frau oben (Klamms Mutter) habe um zwei Uhr mit Frau von Klamm reichlicher als sonst gefrühstückt, das Essen sei überhaupt abbestellt worden.

Die gnädige Frau habe gesagt, daß sie mit dem gnädigen Herrn in der Stadt speisen werde. Sie wollten nachher das Theater besuchen. So hätten sie verstanden.

Klamm nickte. Er wußte nun genug. Seine Frau hatte, wie ersichtlich, die Gelegenheit benutzt, um sich einmal wieder ein Vergnügen zu verschaffen, wie so oft, ohne ihn zu fragen, ihre Pläne gemacht und war trotz seines Briefes fortgegangen.

Sein Mißvergnügen verstärkte sich, weil er starken Hunger spürte und die Zimmer kalt waren. Er hatte sich grade heute nach den Anstrengungen, die hinter ihm lagen, auf sein Haus und auf Gemütlichkeit gefreut. Und zu haben war natürlich nichts; und wenn doch, dauerte es sehr lange.

Er beschloß deshalb, nach der Stadt zurückzukehren, dort sogleich zu speisen, und seine Frau aufzusuchen. Er nahm an, daß sie Bescheid im Geschäft zurückgelegt hatte.

Er mußte sich in die Sachlage finden, so sehr er sich dagegen sträubte. Schon weil Adelgunde nicht allein abends zurückkehren konnte, mußte er sich auf den Weg machen.

Sie war mit der Bahn gefahren, statt das eigene Fuhrwerk zu benutzen. –

Während Klamm noch sann, regte sich draußen ein Geräusch.

Ein Mietswagen fuhr vor, und diesem entstieg – Adelgunde!

Sie war also, da sie ihn nicht gefunden, wieder zurückgekehrt!

So dachte Klamm, und das freute ihn, das freute ihn sogar so sehr, daß er Lust hatte, die Droschke zu benutzen, und mit seiner Frau nach Berlin zu fahren, und dort zu soupieren. Er wußte, daß das ganz in ihrem Sinne sein werde.

Aber schon war der offenbar schon von ihr vorher abgelohnte Kutscher wieder abgefahren, schon stand sie vor ihm und stieß in einem höchst mißmutigen, sehr unfreundlichen Ton heraus.

»Na, das war eine schöne Enttäuschung – die hättest du mir doch auch ersparen können. Da fahre ich wie in einem Karussel immerfort in der Runde herum, um nun unverrichteter Sache, hungrig, abgespannt und verärgert wieder hier anzukommen.«

Selbst in dem friedfertigsten und selbstlosesten Menschen wird sich ein Gefühl der Entrüstung regen, sobald man ihm Vorwürfe macht, wenn er für seine Handlungsweise ein unbestreitbares Recht besitzt, lediglich Gutes dabei im Auge hatte.

So sagte er mit stark auflehnender Miene: »Ah – lasse doch Lamentationen, an denen du selbst schuld bist!

»Ich bin der Genarrte! Ich komme höchst abgespannt und sehr hungrig nach Hause, finde niemanden, finde keinen gedeckten Tisch, und erst recht dich nicht, die ich doch von meiner Rückkehr und meinen Wünschen vorzeitig unterrichtet hatte!« –

Klamm sprach, während er ins Wohnzimmer schritt, und Adelgunde erwiderte, während sie den Mantel löste und ihn auf die Lehne eines Stuhles warf:

»Ich kann doch nicht dafür, daß ich dich nicht traf. Du läßt mich ja gar nicht sprechen, erklären, kommst gleich mit Vorwürfen. Der Zug hatte Verspätung. Als ich mich so rasch wie möglich nach deinem Kontor fahren ließ, warst du schon fortgegangen.«

»Wohlan, Adelgunde! Ich hatte dir aber doch ausdrücklich geschrieben, daß ich zu Tisch kommen werde, daß du mich zwischen sechs und halb sieben erwarten mögest.

»Daß ich, nachdem ich von Mittag vorigen Tages bis jetzt mit geringer Unterbrechung gearbeitet hatte, zu solchen Vergnügungen nicht aufgelegt sein würde, konntest du dir wohl vorstellen. Du denkst aber leider fast immer nur an dich, willst dich mir nicht akkomodieren!«

Adelgunde hatte sich während ihres Mannes Rede in einen Sessel niedergelassen, ihn auch ohne Unterbrechung angehört.

Nun aber hielt es sie nicht ferner, und lang zurückgehaltenes drängte bei dieser Gelegenheit nach Ausdruck.

»Du machst mir die gewohnten, sich in unerträglicher Gleichmäßigkeit wiederholenden Vorwürfe,« begann sie. »Es geschieht, obschon ich es gut meinte und denke, daß ich wohl auch eine Entschädigung für meine Vereinsamung und dafür verdient hätte, daß du nun gar schon um deiner Zeitungsgeschichten willen die Nächte fortbleibst!

»Ich wollte alles in mir herabdrücken, dir freundlich begegnen, und dich gar aus dem Geschäft abholen!

»Aber da du dich als den Verletzten hinstellst, will ich sprechen!

»Erstens: Ich will nicht mehr hier auf dem Gute wohnen und förmlich verdorren. Der Besitz wurde erworben, damit wir die Sommermonate hier zubrächten, nicht Herbst und Winter, und nicht fortwährend mit deiner Mutter!

»Ich erwarte, daß du mich über deine mir unsympathischen Zeitungs- und Druckgeschichten nicht, wie es schon vielfach geschehen ist, gradezu vernachlässigst. Ich verwünsche den Augenblick, in dem ich dir darin nachgab. Und endlich erwarte ich, daß du für alle Zeiten der koketten Frau nebenan die Absage erteilst, die sie verdient!

»Ich war Zeuge eurer Unterredung, und ich muß gestehen, daß mich dein Liebeswerben empört hat. Es mußte mich doppelt empören, weil du doch erkannt hast, welchen Unwert sie besitzt. Sie gab dir damals einen Korb, und erteilte ihn deshalb, weil sie glaubte, daß dein Glücksstern erloschen sei. Es beweist wenig Selbstgefühl, daß du ihr nach solchen Erfahrungen überhaupt noch einen Blick, geschweige werbende Worte gönnst!

»So, das ist mein Standpunkt, immer derselbe Standpunkt von früher!«

Klamm überlegte, ob und was er auf diese Rede entgegnen sollte.

Dennoch sah er von einer Auseinandersetzung ab und sagte:

»Ich will, mag und kann heute abend mit dir nicht streiten. Du bist nicht sachlich, gerecht und logisch. Es wird sich ein geeigneter Augenblick finden. Ich wünsche, mich in mein Arbeitszimmer zurückzuziehen. Die Mädchen sollen mir etwas bereiten und auf den Tisch setzen. – Nachdem ich gegessen und noch eine Cigarre geraucht habe, werde ich mich ins Bett verfügen. Ich habe Schlaf und Ruhe sehr nötig. Es waren sehr gemütaufregende Stunden mit großer Anspannung –«

Nach diesen Worten zog er die Klingel, durchschritt das Gemach und begab sich in sein Zimmer.

Er machte sich auch daran, selbst Feuer in dem Ofen zu entzünden, gab – da seine Frau sich nicht regte – dem jetzt zurückgekehrten und eintretenden Diener Auftrag, ihm ein Abendbrot möglichst rasch herrichten zu lassen und ihm in seinem Zimmer zu servieren. So bemerkte er auch nicht, daß Adelgunde überhaupt das Haus verließ.

Sie ging über den Gutshof, erreichte den bereits mit Licht versehenen Herrenstall und befahl dem Kutscher, sogleich anzuspannen.

Alsdann schritt sie in ihr Kabinett, schrieb einen Brief an ihren Mann, den sie vorläufig zu sich steckte, und war schon unterwegs nach Berlin, als es ihn nach beendigtem Mahle trieb, sich nach ihr umzusehen.

Klamm war nicht wenig erstaunt, und geriet in nicht geringe Erregung, als er seine Frau nicht fand, und ihm auf sein Befragen der Diener erklärte, daß die Frau Baronin nach Berlin gefahren sei und auch einen Brief zurückgelassen habe. –

»Einen Brief? Weshalb haben Sie mir den nicht gleich gebracht,« stieß Klamm schroff heraus.

»Die gnädige Frau hatte mir befohlen, ihn dem gnädigen Herrn erst auszuhändigen, wenn der gnädige Herr nach der gnädigen Frau fragen würden.«

»So – das ist etwas anderes. Sie können gehen! Ich werde rufen, wenn ich noch etwas brauche.«

Nachdem sich Friedrich entfernt hatte, brach Klamm das Schreiben auf, ließ sich in einen Sessel und las folgendes:

»Ich will in Grünhagen nicht mehr wohnen. Ich will nicht neben der Person noch eine Nacht sein, die sich dort eingenistet hat, um Dich zu umgarnen. Die ganze Gegend weiß es, daß sie höchst unglücklich mit ihrem neugeschaffenen Baron ist. Da wirst sie natürlich die Netze wieder nach Dir aus. – Ich mag und will aber auch nicht – ich wiederhole es – auf dem Lande verdorren und mich tot langweilen. Ich kehre nicht zurück, unter keinen Umständen.

Ich will aber gern mit Dir in Berlin leben und alles thun, damit Du mit mir zufrieden bist.

Allerdings erwarte ich, daß auch Du Konzessionen machst. So geht es nicht weiter.

Ich werde heute nacht im Askanischen Hof logieren. Der dort uns so lange Jahre kennende Wirt wird nichts Auffälliges darin finden.

Morgen vormittag begebe ich mich in unsere Wohnung und werde alles zum Aufenthalt herrichten.

Unsere Sachen bitte ich Dich, von unserem Dienstpersonal sofort einpacken und herbefördern zu lassen. Sie sollen auch selbst bis morgen abend spätestens hier sein.

Dich erwarte ich natürlich schon um Mittag und ich schließe nicht nur mit den Worten Corneilles:

›Soyons amis‹, sondern sage: Seien wir sogar die alten, die wir einst waren. Es würde darüber glücklich sein, Deine, auch einmal einen Willen und ihre Neigungen besitzende Adelgunde.«

Der erste Gedanke, der Klamm kam, nachdem er diesen Brief gelesen hatte, war: daß Adelgunde seiner Mutter mit keiner Silbe gedacht hatte. Sie entbot die Dienstboten zu sich – seine alte Mama konnte sehen, wo sie blieb und was aus ihr wurde. Daß man ihr das Personal nahm, das für sie kochte und ihr aufwartete, kam gar nicht in Frage.

Klamm ließ das Haupt sinken.

Gab's denn wirklich nur eine einzige auf der Welt, die ein Recht auf seine Liebe und unbedingte Verehrung besaß, sie, seine Mutter, die oben gewiß noch seiner wartete, damit er ihr, wie immer, einen Kuß auf die Wange drücke, und ihr »Gute Nacht« sage.

Schatten umfingen seine Seele und trieben ihm eine grenzenlose Trauer ins Herz.

Fühlte sich Ileisa nebenan unglücklich, so unglücklich, daß sie schon von tiefen Wassern gesprochen, er, Klamm, hätte sich in diesem Augenblick mit seinem Leibe tief unten in der Erde gewünscht.

Er hielt Umschau! Lag's an ihm? War er zu anspruchsvoll? Waren die Menschen im Grunde gut und umgänglich? Verlangte er zu viel – hatte er etwas vom Philister an sich, der nicht in üblicher Weise mitgehen wollte und konnte. Er mußte diese Frage verneinen.

Er suchte ja grade das Gute bei allen, wennschon ihn seine Veranlagung die Schwächen der Menschen mit solcher Deutlichkeit erkennen ließ.

Befriedigte ihn seine Thätigkeit nicht? Gewiß, sie grade! Aber nicht der Tand, das Hohle, das beides ihn stets angewidert hatte. –

Hatte er sich wirklich gegen seine Frau versehen? Nein! Ein weiches Gefühl ohne Nebengedanken hatte ihn fortgerissen, Ileisa so zu begegnen, so zu ihr zu sprechen, wie es geschehen war.

Er hatte einmal die Sehnsucht nach Glück durch das Zusammenleben mit einer Frau.

Die Gedanken gingen weiter.

Die gestrigen Vorgänge im Geschäft hatten ihn belehrt, welche Lasten er sich aufgeladen. Nur durch Vorteilszuwendungen hatte er sich die Personen gefügig gemacht. Geld machte alles! Das ekelte ihn an, das empörte ihn, obschon er das Leben so genau kannte.

Er schnellte empor, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, schritt ruhelos auf und ab und überlegte, was er thun sollte. Er fragte sich, was er wohl möchte, was ihn doch noch glücklich machen könne! Er wußte es!

Er möchte Ileisa sein Weib nennen. Sie konnte ja schweigen, sich fügen. Sie hatte ihm weh gethan, aber sie hatte selbst genug darunter gelitten. Ihr Lebensgang entschuldigte sie. Sie liebte ihn noch; seine Erfahrung und sein Blick hatten es ihm unwiderlegbar bewiesen.

Was ihm Adelgunde von Arthur schrieb, wußte er sehr wohl. Die Spatzen schwatzten es von den Dächern, daß sie mit ihrem Manne unglücklich sei, aber ringsum war man dagegen ihres Lobes voll. Alle, die mit ihr in Berührung traten, rühmten ihr gütiges, verständiges und sanftes Wesen. Es kam kein unfreundliches Wort über andere über ihre Lippen, ihr Hauswesen besorgte sie musterhaft, in diese neuen Verhältnisse hatte sie sich in überraschender Weise gut hineingelebt, und immer war ihre Hand offen für Bedürftige.

So sprachen die Menschen – und sie redeten, wie es sich mit der Wahrheit deckte.

Und weiter dachte Klamm:

Es würde Klamms Ideal gewesen sein, hier wohnen zu bleiben, wenn er statt Knoops andere Nachbarn würde erhalten können.

Er, Ileisa und seine Mutter! Sie würden in schönster Harmonie leben!

Und das auszubauen, was er in Berlin begonnen, würde ihn nach wie vor, vollkommen ausfüllen und befriedigen! Nur wäre er gern alleiniger Besitzer, nicht von anderen abhängig gewesen! Schon hatten sich Mißhelligkeiten eingestellt.

Vielleicht konnte er mit der Zeit das Geschäft kaufen, die Aktien an sich bringen. – Aber da stockte er doch nun plötzlich, und überhaupt fiel jetzt doch wieder das ganze Gebäude zusammen! Er war ja an Adelgunde gebunden! Sie, sie hatte ja das Geld! Er war ja der abhängige Mann einer reichen Frau. – Das Luftschloß zerfloß, und alles zerrann. – Er besaß ja nichts, gar nichts – und abermals seine Mutter bei ihrem Recht auf ein endliches sorgenloses Alter mit neuen Fährlichkeiten, gar mit Ehescheidungen zu beunruhigen, war ausgeschlossen. – Als Arthur an diesem Tage nach Hause kam, lag ein Billet von seinem Vater auf seinem Schreibtisch, dessen Inhalt lautete:

»Ich ersuche Dich, morgen früh, bevor Du Dich in die Stadt begiebst, bei mir vorzusehen. Ich habe wegen der heutigen Vorkommnisse zwischen Dir und Deiner Schwester, aber auch sonst mit Dir zu sprechen!«

Nachdem Arthur diese kurz und kühl gefaßten, sicher nichts Gutes verheißenden Sätze gelesen und nochmals gelesen, schloß er den Brief ein und ging eine Weile nachdenklich auf und ab.

Sodann begab er sich zu seiner Frau, teilte ihr aber von dem Inhalt der Zuschrift nichts mit, war überhaupt den ganzen übrigen Teil des Abends in seinem Wesen verschlossen und legte sich auch sehr frühzeitig schlafen.

Am kommenden Morgen besuchte er zunächst den Pferdestall, machte dann einen Spaziergang ins Dorf, und las nach eingenommenem Frühstück in völlig wiedergewonnener Gemütsruhe die Zeitung. Dann nahm er gemächlichen Schrittes den Weg zu seinem Vater nach dem Hauptgebäude.

Vorm Fortgehen wandte er sich noch einmal zu seiner bereits im Hause schaffenden Frau um und sagte:

»Ich gehe zu den Eltern hinüber. Vielleicht lade ich sie zum Abendessen ein. Sollte es der Fall sein – es kommt auf die Stimmung drüben an – müssen wir noch etwas besorgen. Denke inzwischen einmal darüber nach, was wir geben könnten!« –

Herr Friedrich Knoop befand sich in seinem Arbeitszimmer im Parterre zur Linken, als Arthur ihm gegenüber trat.

»Ah so – du! Jawohl!« betonte Herr Knoop, der sich mit der Durchsicht von Schriftstücken beschäftigt war, legte letztere beiseite, nickte kurz und unzuvorkommend und zeigte auf einen Stuhl.

»Setz' dich! Wir haben länger zu sprechen,« fuhr er dann in jenem gewissen Ton fort, den er stets angenommen, wenn es sich um sehr ernste Dinge gehandelt hatte.

»Margarete hat uns gestern den Inhalt des Gespräches mitgeteilt, das zwischen ihr und dir stattgefunden hat!

»Ich habe mir infolgedessen vorgenommen, dir einmal meine Meinung zu sagen. Ich wollte es schon früher thun, unterließ es aber, weil ich hoffte, daß du dich selbst noch rechtzeitig besinnen würdest.

»Bitte, bitte, jetzt rede ich – nachher kannst du, wenn du etwas zu erwidern hast, zu Worte kommen,« unterbrach er sich, als Arthur das Wort nehmen wollte.

»Als du aus England zurückkehrtest, hattest und warst du so wenig wie heute! Ich beschäftigte dich infolgedessen bei mir!

»Wenn du auch keinen Uebereifer entwickeltest, so hattest du doch Sinn für Arbeit und Erwerb, und ich freute mich dessen und sah dir – und wir alle sahen dir deshalb eine starke, wenig erfreuliche Selbstüberhebung nach, die du aus dem Auslande mitgebracht hattet. –

»Dann kamen die neuen Pläne. Dann kam deine Verlobung mit Ileisa. Von der Zeit an ließest du geschäftlich gänzlich nach, hattest eigentlich nur noch Sinn für deine Passionen und vorübergehend für deine Braut.

»Deinen Eltern hast du nicht die geringsten Rücksichten erwiesen, geschweige bist du ihnen mit Wärme oder gar mit Gefühlen der Erkenntlichkeit für ihre vielfache Fürsorge begegnet.

»Du nahmst alles hin, als ob es ganz selbstverständlich wäre, als ob dir in erster Linie alle Vergünstigungen zukämen!

»Aber ich will das noch hingehen lassen, du bist eben noch jung und unreif. Wenn ich mich einmal über deine Mängel beklagte, wies deine Mutter auf die sicher günstigen Wirkungen durch deine Verheiratung hin.

»Da würdest du gefunden, wieder an Arbeit und Erwerb Freude finden, dich von deiner prächtigen Frau beeinflussen lassen, ein anderer werden!

»Aber leider ist nichts eingetroffen. Im Gegenteil! Deine Selbstüberhebung, deine Arbeitsscheu, dein Drang nach Vergnügungen hat zugenommen, deine Pflichtversäumnisse gegen deine Eltern, deine Schwester und gegen deine Frau haben sich vermehrt, und endlich hast du dir angemaßt, deiner dir einmal in bester Absicht zu Herzen redenden Schwerer das Haus zu verbieten, ja, sie sogar auf die Straße gesetzt! Das stößt dem Faß den Boden aus!!

»Nein, nein – nein – bitte sehr! Lasse mich erst aussprechen. Ich wiederhole vorher Gesagtes!

»Ich erkläre dir nun folgendes:

»Wenn du deine Schwester nicht um Verzeihung bittest, wenn du nicht innerhalb vier Wochen Thätigkeit gefunden hast, wenn du dich nicht völlig änderst und ein anderes häusliches Leben beginnst, so ziehe ich – es ist mein fester Wille – die Zuwendungen zurück, die ich dir bisher gewährt habe.

»Es war leider ein Fehler von uns, dir überhaupt in solcher Weise die Hand zu bieten. Es entsprang das derselben Schwäche, der ich mich auch deinem Onkel Theodor gegenüber schuldig gemacht habe. Man soll nach Grundsätzen verfahren, sich niemals von Gefühlen leiten lassen, auch selbst seinen Angehörigen gegenüber nicht!

»Mein Familiensinn ging falsche Wege; es soll aber jetzt anders werden!

»Du kannst dir, wie jeder andere, dein Brot verdienen, und keinesfalls will ich dir ferner – selbst wenn diese Unterredung einen günstigen Erfolg hat – eine so hohe Rente bewilligen. Equipagen und Pferde kannst du wieder abschaffen. Vermagst du später selbst so viel zu verdienen, um sie dir halten zu können, so ist es etwas anderes. –

»So, das habe ich zu sagen, und merke es dir, mein Sohn, ich bleibe eisenfest. Diese Wirtschaft soll ein Ende nehmen – und fügst du dich nicht, magst du deine eigenen Wege gehen!«

»Bist du fertig, Vater?« begann Arthur in einem völlig unempfindlichen Tone, erhob sich zur größten Ueberraschung des Herrn Knoop, und schob sogar, zum Zeichen des beabsichtigten Gesprächs-Abbruchs, den Stuhl, auf dem er gesessen, wieder auf seinen Platz.

»Schön! Wohlan! Ich entgegne auf deine Worte, daß ich mich schon von heute ab auf meine eigenen Füße stellen und nichts mehr von dir für mich fürder annehmen werde. Ich werde aber auch nicht bei meiner Schwester um Verzeihung nachsuchen; sie hat vielmehr mir ihre ungehörigen Ausfälle abzubitten. Ich vermag nicht zu sagen – und das erhärtet meinen Entschluß – ob ich in vier Wochen schon eine Thätigkeit gefunden habe. Es liegen die Verhältnisse zur Zeit sehr ungünstig, und deshalb waren meine Bemühungen bisher auch nicht von Erfolg gekrönt.

»Daß du für Ileisa materiell eintreten wirst, nehme ich dagegen an. Ich habe sie mit eurer Genehmigung geheiratet, und es war nicht nur eine stillschweigende Voraussetzung, daß mir von dir eine Jahresrente überwiesen würde, sondern sie ist mir von dir ohne mein Ansuchen gewährt worden. Ich hätte mich sonst natürlich noch nicht verheiratet. Sie wirst du also in deiner Weigerung, mir keine Zuwendungen mehr machen zu wollen, nicht einschließen.

»Sonst habe ich noch kurz nachstehendes zu entgegnen:

»Nachdem wir nobilitiert worden, sind uns gewisse Pflichten erwachsen. Das liegt einmal bei richtiger Würdigung der Dinge vor, und sie decken und deckten sich ja auch mit meinen bisherigen Neigungen. Ich möchte diesen nicht entsagen – ich möchte eben der bleiben, der ich einmal bin. Ich habe keine Anlage zum Schürzengatten, der den ganzen Tag um seine Frau herumschwärmt, finde auch keinen Geschmack an Familiensimpeleien, sondern brauche Menschen, Luft, Abwechslungen und Anregungen von draußen.

»Da ich das Geld hatte, war ich berechtigt, so zu leben, wie es geschah. Ich habe ja keine Schulden gemacht. Und endlich: ich habe mich nicht geschaffen, wie ich bin; das ist des Schöpfers Laune und Bestimmung gewesen. Unehrenhafter Handlungen bin ich mir nicht bewußt, meine also, eine solche Entschließung, wie sie mir von dir heute wegen eines bloßen Wortstreits geworden, nicht verdient zu haben.

»Aber es ist ganz gut so. Ich wiederhole, daß ich mich füge. Und weiter habe ich denn auch nichts zu sagen, Vater. Grüße Mutter! Ich siedle schon heute nach Berlin über. Wegen Ileisas erhalte ich wohl noch Nachricht! Guten Morgen!«

Während Arthur, von seinem Vater nicht gehemmt, den Weg über den Gutshof nach der Nebenvilla zurücklegte, hielt er folgendes Selbstgespräch:

»Für die nächsten drei Monate habe ich hinreichend Geld, und für weitere drei Monate habe ich unter allen Umständen den erforderlichen Kredit. In dieser Zeit werde ich etwas finden. Ich will mich gleich ernstlich umsehen. Daß alles so gekommen, ist vielleicht nachteilig für mich, vielleicht auch nicht. Mein Vater hat ja nicht unrecht, aber er hat darin unrecht, daß er gleich das Kind mit dem Bade ausschüttet, daß er so vorgeht! Aber das ist seine Art. Er hat es mit Herrn von Klamm ja auch so gemacht.

»Wenn ich mir selbst eine Selbständigkeit und ein Vermögen erwerbe – so werde ich das wertvolle Gefühl besitzen, nicht der von seinem reichen Vater gnädigst dotierte Sohn zu sein. Es ist nicht das Rechte. Ich habe es schon lange empfunden! Bei allem, was ich that, und was sie drüben natürlich stets überflüssig fanden, sah ich den Vorwurf in ihren Augen. Ein unerträglicher Zustand, ein ganz unerträglicher!

»Und meine Frau – Ileisa? –

»Wir passen nicht zusammen. Sie ist aus der sittsamen ›Margaretenschule‹, sie ist die Mutter Vernunft, die an der Krankheit schweigender Langeweile und tugendsamer Fügsamkeit leidet.

»Ich brauche ein störriges Pferd, einen lebhaften Araber – eine, die mit mir geht durch Dick und Dünn. – Ich brauche ein elegantes, geistvolles Weib, das gesellschaftlich eine Rolle spielen kann und will. So eine, wie die Frau von Klamm – das wäre eine für mich gewesen.

»Und wenn denn die Sache mit einer Trennung zwischen mir und Ileisa endet – na, dann ist's mir eben sehr recht.

»Ich hatte mich in ihren Körper verliebt – ihre Seele kannte ich wenig.«

Nachdem Arthur seine Wohnung wieder betreten hatte, begab er sich mit Hilfe seines Dieners an ein eifriges Packen, und suchte alles zusammen, was er für sein Junggesellenheim brauchte. Auf die Mitnahme von Möbeln verzichtete er vorläufig. Das alles würde sich später finden! –

Dann rief er seine Frau ins Zimmer, legte ein gelassenes Wesen an den Tag und sagte:

»Ich möchte dir gegenüber ganz ehrlich und offenherzig sein, ich möchte dir alles sagen und dich auf die Folgen rechtzeitig vorbereiten.

»Ich hatte eben eine Auseinandersetzung mit meinem Vater. Ich werde von heute nichts mehr von ihm annehmen. Ich will mich – es ist mein fester Wille, und es ist mir der Anlaß durchaus nicht unwillkommen – auf eigene Füße stellen. Ich siedle – vorläufig allein – nach Berlin über.

»Von mir oder meinen Eltern wirst du weiteres hören. Sollte aus dem allen eine Trennung zwischen uns hervorgehen – es erscheint mir zweifellos – so weiß ich, – daß dir dadurch kein Herzeleid entstehen wird. Wir haben uns geheiratet, Ileisa, aber wir passen gar nicht für einander! Ich spreche ja nur das aus, was du mir lange selbst hast sagen wollen. So blind bin ich nicht, nicht nachzuempfinden, daß ich dich nicht befriedige, und ich – ich – ich sage es frei – brauche auch eine andere Frau! Die Welt würde – sollte sie mich jetzt sprechen hören – eine solche Auseinandersetzung, eine solche kalte Erklärung entsetzlich finden! Vielleicht – sicher – würde sie – allerdings in gleicher Lage – anders denken, nicht über mich und dich zu Gericht sitzen.

»Wir können friedlich auseinander gehen. Daß du keine materiellen Sorgen haben wirst, versteht sich.

»Wie gesagt – darüber erhältst du noch Mitteilungen.

»Ach, was! Weine doch nicht, Ileisa! Ich weiß, du denkst in diesem Augenblick daran, wie sich deine Tante beunruhigen wird. Du denkst an die Meinung der Welt – an das, was die Leute sagen werden!

»Bin ich kalt – ich bin ein Mensch, der zuerst an sich denkt, ich leugne es nicht – so gehöre ich doch nicht, wie sie, zu der großen verächtlichen Schar der Komödianten. Ich gebe mich unverstellt, allezeit, wie es in mir aussieht, und da niemand mir etwas anderes vorwerfen kann, als daß ich nicht grade so zugeschnitten bin, wie die Menge es nach ihren Launen und ihren Anforderungen verlangt – so habe ich nur ein Achselzucken und stilles Lächeln über ihren Vormundungsdrang.

»So, da hast du mein Bekenntnis!

»Ich beging einen Fehler, einen einzigen! Ich erkenne den Vorwurf darüber als berechtigt an. Ich habe mir das Leben lediglich nach meiner Façon gestaltet. Ich werde ihn ablegen und nicht, um der Welt zu gefallen, sondern weil ich selbst mich nicht behaglich fühle, weil ich nur wieder zu meiner eigentlichen Natur: zur Thätigkeit und zur richtigen Einteilung zwischen Geschäft und Abwechslung zurückkehren will!«

Und als Ileisa nach dieser stummen Rede völlig in sich versunken, die Hände vor ihrem Angesicht, sitzen blieb, wie jemand verharrte, dem man das Letzte an Leben und Trost abgeschnitten, trat er auf sie zu, löste die Schatten von ihren Augen, und sagte:

»Nun, rede doch auch ein Wort! Ich sprach ja nichts, was nicht in deinem Herzen Widerhall fand!«

So angeredet, löste sich Ileisa aus ihrer Agonie, erhob das Haupt, und sagte in einem bitteren Ton:

»Ja, du hast recht. Du nanntest dich selbst einen Egoisten, und du gabst eben wieder in einer Weise davon Zeugnis, wie wohl sonst kaum ein anderer Mensch es über sich gewinnen würde, Arthur. Und so ist denn auch alles am Platz und gut, und es ist thöricht, daß ich erschüttert bin, daß alles so und so rasch ein Ende genommen. Du hast ja nicht einmal den Versuch gemacht, dich mit mir einzurichten, etwas von der Liebe und Wärme zurückzugewinnen, der du mich früher versichertest.

»Ich weiß mich jedenfalls frei von Schuld, ja, mich trifft nicht einmal ein Vorwurf, nicht alles angewendet zu haben, auf dich einzuwirken!

»Im Anfang habe ich es versucht! Aber mein guter Wille, den ich auch jetzt grade wieder anwenden wollte, prallt allezeit an deiner Kälte ab. Daß ich somit erlahme, ist begreiflich. Wo Steine sind, da wächst kein Samen!«

»Nun wohl! Aber wir sind uns schon heute einig!« fiel Arthur ein. »Ich verzichte auf eine Erwiderung, da ich dir in der That nichts vorzuwerfen habe, da ich deine Worte gerechtfertigt finde. Ich sage nur: wir haben uns beide geirrt, beide, denn es stand dir ja seinerzeit frei, mir einen abschlägigen Bescheid zu erteilen.

»Ach, da kommt schon Friedrich mit dem Wagen. Karl soll noch meinen Koffer schließen!«

Nach diesen Worten entfernte sich Arthur mit eiliger Beflissenheit. Ileisa aber ging mit langsamen, schweren Schritten in ihr Zimmer und ließ sich dort in einen Stuhl fallen. –


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