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Mit klopfendem Herzen erwartete Frau von Krätz am folgenden Morgen den Besuch ihres einstigen Anbeters, des Freiherrn von Klamm. Er war während seines früheren Aufenthaltes in Dresden ein täglicher Gast in ihrem Hause gewesen, hatte sich von ihrer Liebenswürdigkeit bestricken lassen und ihr zuletzt einen Antrag gemacht.

Nachdem er aber erfahren und Beweise dafür empfangen hatte, daß sie nach der Zeit noch eine sehr wenig angesehene Persönlichkeit, einen Grafen Dyk, trotz ihrer gegenteiligen Versicherungen in späten Abendstunden bei sich empfangen, sich auch sonst verschiedener, für sie nicht passender Abweichungen schuldig gemacht, hatte er ihr ohne weitere Erklärungen einen Absagebrief geschrieben und auch in der Gesellschaft erklärt, daß er die Beziehungen zu ihr rückgängig gemacht habe.

Auf Nachfragen hatte er erklärt, sie besitze nicht die Eigenschaften, die er bei ihr vorausgesetzt habe. Nachdem wiederum ihr dies bekannt geworden, hatte sie die Schuld auf ihn geladen und ihn des Wortbruchs angeklagt.

Freilich waren ihre erregten Gefühle schon bald wieder einer milderen Auffassung gewichen. Es war nur eine durch ihre leidenschaftliche Liebe zu ihm hervorgerufene Eifersucht geblieben, aber eben die hatte sie verführt, gegen ihn dann in der bekannten Weise vorzugehen. –

Als der Diener ihr das Erscheinen Klamms meldete, befand sie sich in solcher Spannung, daß sie fortwährend die Farbe wechselte. Nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte, vermochte sie ihm mit einem einigermaßen gelassenen Wesen zu begegnen.

Klamm beobachtete, als er ihr gegenübertrat, die Höflichkeit eines Kavaliers, der einer Dame der Gesellschaft zum erstenmal einen formellen Besuch macht. Nachdem er sich vor ihr mit ernster Artigkeit verbeugt hatte, sah er sie mit unpersönlichem Ausdruck an, und sprach zu ihr, die wiederholt zur Dämpfung ihrer Erregung die Hand auf die Brust drückte, in kurzen, scharfabgerissenen Sätzen:

»Wir wollen uns kurz und bündig auseinandersetzen, gnädige Frau. Ich mußte die Verlobung zwischen uns aufheben, weil Sie, gegen Ihre feierliche Ansage, einen zweifelhaften Menschen bei sich empfingen, ja, ihm bis zwei Uhr in der Nacht den Aufenthalt bei Ihnen gestatteten. Ueberdies wurde mir bekannt, daß Sie mir allerlei Beziehungen, die Sie gehabt, verheimlicht hatten. Sie thaten es, obschon ich Sie gebeten, sich rückhaltlos zu äußern, Ihnen bemerkt hatte, daß ich Ihnen nichts nachtragen würde.

»Ich mußte infolgedessen fürchten, mich in unserer Ehe gleichen Abweichungen auszusetzen, und so that ich, was geschehen ist. Ich hob unsere Verlobung auf. Daß es mir nicht leicht wurde, will ich Ihnen bekennen. Ich liebte Sie mit allen zärtlichen Gefühlen eines Mannes.

»Sie haben sich nun dafür in der Ihnen gestern vorgehaltenen Weise gerächt! Sie haben einen Mann, den Sie zu lieben vorgaben, der nur auf Grund Ihrer Handlungen sich so entschließen mußte, derartig verfolgt und verdächtigt, daß er trotz des allerredlichsten Bemühens, heute wiederum vor dem Nichts steht.«

Nach diesen Einleitungsworten schilderte Klamm ihr alle Folgen ihrer Nachstellungen, berichtete ihr über Knoop, sprach von seiner Wirksamkeit und der Lösung seiner Beziehungen. Endlich teilte er ihr auch mit, daß er neuerdings die Berliner Polizei zur Hilfe gerufen, und daß ihm nach Dresden berichtet sei, daß ein gewisser, sehr anrüchiger Numick in ihren Diensten stehe! –

Sie hatte ihn nicht einmal unterbrochen. Als er nun aber geendet, sagte sie weich:

»Und was soll ich zur Sühne thun, Herr von Klamm?«

Nur das sprach sie, und sah ihn mit einem demütigen Blick an.

»Sie müssen das Schriftstück, das ich mitgebracht habe, unterzeichnen. Ueberdies wünsche ich von Ihnen, die Sie eine reiche Frau sind, ein größeres Kapital zur Begründung einer sicheren Existenz. Dieses Kapital werde ich Ihnen verzinsen und nach und nach zurückzahlen. Wohlthaten will ich von Ihnen nicht, ich will aber, daß Sie Ihr Unrecht dadurch gut zu machen suchen, daß Sie mir die Mittel zu meiner Rehabilitierung zur Verfügung stellen.

»Man könnte sagen: es sei den Vorgängen mehr entsprechend, daß ich Sie den Gerichten überlieferte und sie der Verachtung anderer und eigener Verachtung preisgäbe! Aber mir fehlt die Veranlagung zu einem sentimentalen Stolz. Ich habe zu viel gesehen und erfahren, um mich über irgend etwas zu wundern.

»Infolgedessen lehrte mich das Leben, eher zu versuchen, aus dem Ungünstigen das Günstige herauszuziehen, mit redlichen Mitteln, aber ohne Hingabe an eine unnützliche Empfindlichkeit oder ein unfruchtbares Grübeln.

»Ich will schließen, indem ich sage:

»Sie haben in Ihrer Leidenschaft gehandelt. Das mag Sie ein wenig, vielleicht mehr, als sonst eine solche Handlungsweise verurteilt zu werden verdient, entlasten. Ich erwarte nun Ihre Antwort.«

Und Frau von Krätz entgegnete ohne Besinnen:

»Ich bitte, lassen Sie mich das Schriftstück lesen, das ich unterzeichnen soll.«

Er reichte es ihr; es lautete:

»Ich erkläre, daß ich den Freiherrn Alfred von Klamm infolge einer starken Enttäuschung verleumdete. Ich bestätige indessen aus freiem Antriebe, daß ich ihn als einen vollkommenen Kavalier schätzen und lieben lernte, und deshalb mein Vergehen tief bereue.«

Hierauf legte er ein anderes, von ihm entworfenes Aktenstück in ihre Hände, das folgenden Inhalt besaß:

»Ich, der unterzeichnete Freiherr Alfred von Klamm, bekenne, von der verwitweten Baronin Adelgunde von Krätz, geborene Gräfin Dugos in Dresden, die Summe von.... Mark als Darlehn erhalten zu haben und verpflichtet zu sein, dieses Kapital baldmöglichst, jedenfalls in fünfzehn Jahresraten zurückzuzahlen, auch ihr mit Beginn des nächstfolgenden Jahres dafür vier Prozent, in Vierteljahresraten zahlbar, zu vergüten.«

»Und wie viel wünschen Sie, und wann wünschen Sie das Geld zu haben, Alfred? Wollen Sie es nicht ohne Schuldschein von mir annehmen?« fragte Frau von Krätz, in der Ueberwallung ihrer Gefühle wieder den Ton früherer Zeiten anschlagend. Ein feuchter Schimmer erschien in ihren Augen, auch streckte sie ihm ihre kleine Rechte mit demütig flehendem Ausdruck entgegen.

Klamm aber verneinte stumm.

»Nein, gnädige Frau! Ich nehme von Ihnen nur, was ich nehmen muß, und lediglich um nicht infolge Ihres Vorgehens unterzugehen.

»Ich verspreche Ihnen, daß ich nur bestimmte Personen in das von Ihnen zu unterzeichnende Schriftstück Einsicht nehmen lassen werde.

»Und ferner:

»Ich erbitte das Geld, sobald Sie es flüssig machen können! Und die Summe? Die Summe? Soll das Unternehmen, das ich plane, genügend fundiert werden, brauche ich den Betrag von 100 000 Mark!«

»Wohlan! Ich bitte Sie, morgen nachmittag sechs Uhr bei mir zu sein, dann werde ich es Ihnen einhändigen.« – Und indem sie sich erhob und ihn mit einem liebewarmen Ausdruck anblickte, sagte sie:

»Ich bitte – ich flehe Sie an, vergessen, verzeihen Sie! Sie haben selbst zutreffend die Gründe angeführt, die mich fehlen, straucheln ließen.

»Und nicht wahr? Morgen! Ich gebe Ihnen dann auch die Unterschrift. Und – und Geld! Ich bin ja reich! Ich kann es entbehren. Wollen Sie nicht mehr?«

»Ich danke, gnädige Frau – es genügt.«

Er griff nach seinem Hut und wandte sich von ihr ab.

»Alfred – Alfred!« stieß die Frau unter schmerzlichem Schluchzen hervor. »Können Sie wirklich so von mir gehen?«

Einen Augenblick kämpfte Klamm. Dann aber sah er sie, statt ihrem Anruf Folge zu leisten, mit fremdem Ausdruck an, verbeugte sich förmlich und mit einer ablehnenden Bewegung und verließ das Zimmer.

Sie aber warf sich, nachdem er gegangen, in die Sofaecke und weinte sich aus. – Es gab für sie nur einen wahrhaft liebewerten Menschen in der Welt. Er war eben gegangen! –


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