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Margarete fand ihre Eltern, gleich nach dieser Scene mit ihrem Bruder, im Begriff, ebenfalls zur Stadt zu fahren. Der Wagen stand bereits vor der Thür, Herr Knoop knöpfte mit ungeduldigen Gebärden an seinen Handschuhen und drängte eben seine Frau, sich zu beeilen. Grade kam sie auch aus dem Hause hervor, um in dem eleganten, mit dem Knoopschen Wappen bereits geschmückten, offenen Landauer Platz zu nehmen. Als sie aber Margaretens ansichtig wurde und deren auffallende Blässe und deren verweinte Augen bemerkte, trat sie sogleich besorgt auf sie zu, zog sie, von ihrem Manne begleitet ins Haus, und sprach auf sie ein.

»Was sie habe, was geschehen, warum sie nicht, wie sie beabsichtigt, bei Ileisa geblieben sei?« stieß sie beängstigt heraus.

Und Margarete berichtete, und nachdem sie alles mitgeteilt, ja, fast wörtlich wiedergegeben hatte, was zwischen ihr und Arthur vorgefallen war, geriet Herr Knoop in eine ganz ungeheure Aufregung. Er sprach aus, daß er nur bedaure, Arthur nicht gleich fassen, ihn zur Rede stellen und ihn so abkanzeln zu können, daß ihm zu Wiederholungen eines solchen Auftretens die Luft vergehen werde.

Aber auch Margaretens Mutter bemächtigte sich eine große Empörung, der sich eine tiefe Trauer und eine starke Bedrückung hinzugesellte.

Ihre alte Ahnung, daß die in solcher Art herbeigeführte Abweichung von früherer Einfachheit ihrem Manne und ihnen allen nicht zum Segen gereichen, ihnen vielmehr zum Verderben werden würde, erfaßte sie von neuem.

Immer wieder mußte Margarete erzählen, und mit jeder Erneuerung ihrer Darlegungen verstärkten sich in beiden der Zorn und die Entrüstung über Arthurs Benehmen.

Erst nach einiger Zeit vermochten sie sich zu besänftigen. Während sich aber Herr Knoop anschicken wollte, nunmehr zur Stadt zu fahren, erklärte Frau Knoop, daß sie sich nicht mehr in der Stimmung befinde, Besuche zu machen. Ueberhaupt sei sie gegen das fortwährende, von ihrem Manne gewünschte Visitenmachen; sie bürdeten sich dadurch ohne Not und Zweck und ohne irgend welche Vorteile Lasten auf.

Das reizte nun aber wiederum Herrn von Knoop dermaßen, daß er sich in den schärfsten Worten gegen seine Frau erging. Das gestörte Gemüt mußte sich an irgend etwas wetzen und austoben.

»Ach Gott,« seufzte Frau von Knoop unter heißen Thränen. »Wie waren wir doch früher in unserer Villa hinten auf deinem Arbeitshof glücklich! Fast nie kam eine Verstimmung, gar ein böses Wort zwischen uns vor! Und jetzt? Seitdem Arthur aus England wiedergekommen, ist's, als ob ein böser Geist bei uns eingekehrt. Nach unserer Standeserhöhung und nach dem Gutskauf ist erst gar die Freude von uns gewichen.«

Und eben, weil sie das Rechte traf, weil ihre Worte den Thatsachen entsprachen, weil sich der Mann getroffen fühlte, erhöhte sie nunmehr sein Ingrimm.

Er wollte, da sich jetzt doch der Eitelkeitssinn für den Sohn regte, Arthurs Ansehen retten; er wollte namentlich nicht zugeben, daß ihn der Sohn beeinflußt habe.

Eine unbändige Heftigkeit kämpfte in seinem Innern mit einer sich regenden, heißen Reue. In diesem Augenblick wünschte er, daß er niemals sein schönes, durch Fleiß und kräftige Pflichterfüllung aufgerichtetes Werk anderen Händen überlassen, daß er, wie seine Frau richtig geäußert, in Arbeit und Einfachheit auch ferner sein Glück gefunden hätte.

Und eben diese Selbstanklage, und diese große, sich unheimlich in seine Seele einschleichende Reue, veranlaßten ihn zu den schwersten Ausfällen gegen seine Familie.

Er sprach in den heftigsten Ausdrücken von Uebertreibungen, und er redete von schnödem Undank! Statt Anerkennung zu empfangen und guter, gerechter Einsicht zu begegnen, daß er – allezeit ein Fleißiger und Bebürdeter – in seinem Alter auf Ruhe, Erholung und Ablösung ein Recht habe, faßten sie beide nur ihre Annehmlichkeiten ins Auge, ergingen sich gegen ihn in Vorwürfen und Anklagen, und verbitterten ihm das Dasein. Ihnen fehle jedes Verständnis dafür, daß sich ein Mann Ansehen und Beachtung in der Welt erwerben solle.

Sie stellten ihn nachgerade als einen Unmündigen hin, der noch wie ein Schulkind belehrt werden müsse. Er wisse aber sehr genau, was er wolle, und sie sollten Gott danken, daß sie sich keinen Wunsch zu versagen brauchten, und überhaupt vom Glück überschüttet seien.

Im übrigen trenne er Berechtigtes von unzutreffenden Sentimentalitäten.

Mit Arthur werde er ein sehr deutliches Wort reden. Er habe einen festen Entschluß gefaßt. Den Inhalt würden sie bald erfahren. –

Hierauf griff er nach Hut und Stock, erklärte, daß er, da er frische Luft und andere Eindrücke zu seiner Besänftigung gebrauche, allein zur Stadt fahren wolle, und befahl dem schon mit recht mürrischer Miene auf dem Bock sitzenden Kutscher, vorwärts zu machen.

Nachdem er sich entfernt hatte, erörterten Mutter und Tochter die Vorgänge in einer möglichst sanften und sachlichen Weise.

Sie nahmen sich vor, auf Herrn von Knoop nach seiner Rückkehr versöhnlich einzusprechen, aber ihn auch bei der ersten sich dazu bietenden Gelegenheit zu bitten, daß sie ihr Leben anders einrichteten.

Mutter und Tochter hatten schon erfahren, daß man sie im Grunde doch nur als Emporkömmlinge ansah. Bei ihren Besuchen in der Nachbarschaft, auf den Gütern, war man ihnen wohl höflich, aber nichts weniger als sehr zuvorkommend begegnet.

Man ließ sie dafür büßen, daß sie sich einbildeten, sie seien nun schon Gleichberechtigte. Was war ein erkaufter Adel? Mutter und Tochter fühlten eine heiße Scham, um die Gunst so Denkender zu buhlen.

Aber auch in ihrem bisherigen Bekanntenkreis in Berlin hatten sie starke Enttäuschungen erfahren. Dort machte sich der Neid breit. Die angeseheneren Familien, die Knoops ihre Thüren bisher geöffnet, mit ihnen, wenn auch nicht eng, aber doch in sehr freundlicher Weise verkehrt, hatten nun nichts mehr vor jenen voraus!

Jetzt standen Knoops mit Geld und Rang über ihnen! Das paßte ihnen nicht! –

Das Benehmen der jungen Herren gegenüber Margarete war auch ein ganz anderes geworden. Die Gutgearteten, die Absichten auf sie gehabt hatten, zogen sich zurück, weil sie nicht den Eindruck hervorrufen wollten, sie würben nur um die reiche Erbin! Und wiederum drängten sich die auf ihren Geldbeutel Spekulierenden jetzt mehrfach mit solcher Unzartheit an sie heran, daß es sie verletzte.

Herr von Knoop hatte früher seine ihn stark in Anspruch nehmende Thätigkeit gehabt. Er hatte einen Tageszweck besessen. Jetzt langweilte er sich, er beschäftigte sich fortwährend mit seiner Gesundheit und bildete sich zum Hypochonder aus. Infolgedessen war seine Laune meistens keine gute. Er nörgelte um nichts; er quälte seine Umgebung mit Kleinlichkeiten. Und wiederum, wenn die vornehme Gesellschaft in Frage kam, konnte er, trotz eben hervorgehobener Beschwerden, alles, war er zu Opfern stets bereit und befand darauf, daß man den Adligen den Hof mache. Er schalt, wenn seine Familie nicht sehr willig auf seine Aeußerlichkeits-Rücksichten einging, als kleinlich, unsinnig, empfindlich und unliebenswürdig. –

Nach Tisch begab sich Margarete in ihr Zimmer oben im Gutshause und hielt eine Umschau in die sie umgebende Welt.

Behrwalde war ein prachtvoller Besitz, wurde von einem äußerst tüchtigen Mann verwaltet, und stand infolgedessen in bester Kultur.

Aber auch die Lage des Gutes war eine herrliche. Das in weißer Farbe prangende Herrenhaus war umschlossen von laubreichen, alten Buchen und Linden. Weiter hinab umgaben äußerst wohlerhaltene, von Epheu und Schlinggewächsen meist umzingelte Wirtschaftsgebäude den mächtig geräumigen Gutshof. Hinter den zwei, unten das Gesamtviereck begrenzenden, altertümlich gebauten Thorhäusern bot sich dem Auge ein Blick, der nicht schöner gedacht werden konnte.

Durch Tannen- und Buchenwaldungen unterbrochene grüne Flächen dehnten sich bis zum sanftblauen Horizont aus. Zwischen ihnen tauchten die Silberbänder kleiner Auen auf, und überall erhoben sich Dörfer mit weißschimmernden Mauern, Kirchtürmen und roten Dächern.

Zur Linken, gleich neben dem Schloß, trat man in einen, durch ein vergoldetes Gitterwerk eingefriedigten Park. An ihn stieß der Besitz von Klamms. Zur Rechten befand sich ein großer Gemüsegarten.

Die nie einen Anruf versagende, große Trösterin der Menschen: die Natur, half auch Margarete heute zu einer ruhigeren Auffassung. Ja, als sie das alles vor sich sah, in seiner noch prangenden Schönheit und Fülle, übergossen von goldenem Sonnenlicht, und in solchem stillen Erdfrieden, erfaßte sie gar wieder eine starke Zuversicht.

Sie hoffte, ihren Vater beeinflussen zu können. Sie sah die alten Zeiten zurückkehren, und sie nahm sich vor, auf Ileisa einzuwirken damit sie ihres Mannes Herr werde. –

Unter solcher Vorstellung verließ sie ihr mit Blumen und allerlei kleinen Zierlichkeiten und Kunstgegenständen angefülltes Gemach, und stieg die weißlackierte Treppe hinab. Alle Thüren, Fenster und Treppen im Hause trugen diese schneeweiße Farbe, und erstere waren geschmückt mit Messing-blitzenden Klinken und die Schlösser umgebenden, zierlich gewundenen Einfassungen.

Margarete eilte über den Hof, erreichte das, seine Front dem eben betriebenen, freien Land zuwendende, sogenannte kleine Herrenhaus, in dem früher ein Bruder des verdorbenen Grafen Klöker gewohnt und in dem nunmehr Arthur eingezogen war. Sie fragte den ihr auf dem Flur entgegentretenden Diener nach ihrer Schwägerin.

Er erklärte höflich beflissen, daß sie im Garten sei oder sich ins Dorf begeben habe. Er wolle eilig nachforschen.

Nachdem er sich entfernt hatte, trat Margarete zunächst auf die Veranda, dann aber ins Wohngemach, schaute sich, wie am Vormittag, als Arthur sie überrascht hatte, nach allem um. Dann ging sie gedankenlos, ihrem Impulse folgend, in das daneben befindliche, von Ileisa vorzugsweise bewohnte Kabinett.

Auf der anderen Seite befand sich ein ähnliches, von Arthur ausschließlich benutztes Arbeitszimmer.

Hier fand Margarete auf Ileisas Schreibtisch eine Art von Gedenkbuch mit beschriebenen Blättern, und las – gegen ihren Willen angezogen – was Ileisa dort angezeichnet hatte.

Und so ergriff sie das, was sie fand, daß sie unwillkürlich in einen nebenan gehenden Sessel zurücksank und sich – den Gedanken unterdrückend, daß sie etwas that, wozu ihr das Recht fehlte – völlig in die Lektüre vertiefte.

Es hieß da:

»Alle Vorstellungen über Glück sind ausnahmslos unzutreffend. Nur die Erfahrungen können uns über dessen Einzelwesen belehren.

»Einer denkt, er werde mit dem Haupt in den Himmel hineinragen, wenn er seiner Nahrungssorgen entrückt werde, und wird ihm in Fülle, was er vom Schöpfer erflehte, schreit er nach dem Wechsel zwischen Entbehrung und Genuß!

»Zum Glück gehören möglichste Unabhängigkeit von anderen, und die Sättigungen, die unsere ›Herzen‹ und Gemüter bedürfen.

»Ich bin eine Sklavin geworden, die ich dachte, ich würde alle Fesseln abstreifen. Und mich hungert förmlich nach Liebe!

»Wären nicht zwei Menschen: meine edle Tante und Margarete, würde ich vielleicht schon ins Wasser gesprungen sein.

»Es fließt so lockend jenseits der Wiese vorüber. So tief ist der Au, so rein ist sein Wasser. Da ruht's sich sicher gut. Ich bin so todestraurig, so verzagt, so grenzenlos unbefriedigt. Wer hilft mir –?«

Als eben Margarete noch weiter lesen wollte, vernahm sie nebenan Geräusch von Schritten, scheuchte infolgedessen hastig empor, warf sich eilig in einen Sessel, der in einem nach dem Garten schauenden Erkerausbau stand, und griff nach einem, auf einem kleinen Tisch liegenden Buch.

Im nächsten Moment stand Ileisa vor ihr. Aber ein Schreck ergriff Margarete, als sie Ileisa anblickte.

Diese aber eilte auf Margarete zu, fiel vor ihr nieder, und stieß erschüttert heraus:

»Ach, liebe, liebe Margarete, was habe ich eben erlebt –«

Dann folgte ein verzagtes, herzzerreißendes Wimmern, das die mitfühlende und beängstigte Margarete fast ebenso fassungslos machte.

»Um Himmelswillen! Was ist geschehen? Bitte, richte dich auf. So, so! Setze dich hierher. – Ah – ah – meine arme Ileisa,« rief sie, sich selbst mit Gewalt aufraffend, lief erst noch fort, schloß das Gemach und begab sich dann wieder rasch zu ihrer bedrückten Verwandten.

»Ja! Höre,« begann Ileisa und strich, tief aufatmend, mit der Hand über die Stirn. »Ich kam vom Dorf zurück, ging über die Landstraße, und wollte eben an der Parkthür zu Klamms vorüberschreiten, als Herr von Klamm von dort herauskam, plötzlich vor mir stand und mich anredete.

»Ich weiß nicht – aber vielleicht weiß ich's doch – weshalb mir das Herz so zitterte. Jedenfalls wurde ich so verwirrt, daß ich ihm keine Antwort stehen konnte. Er legte das als ein körperliches Unbefinden aus, redete teilnehmend auf mich ein, bat, ob ich nicht einen Augenblick in den Park treten, und mich dort – du weißt, gleich rechts auf dem Eichenberg – niederlassen wollte.

»Ich that dann etwas, was ich nicht wollte. Statt sein Anerbieten abzulehnen, ließ ich mich – gradezu wie von einer Hypnose ergriffen – von ihm mitziehen und verwickelte mich mit ihm in ein Gespräch.

»Er erkundigte sich nach Tante, auch flüchtig nach Arthur und eingehend nach dir. Zuletzt berührte er unser früheres Zusammensein. Er erwähnte des Zufalls, daß wir nun doch wieder zu einander gerückt wären und meinte, es mache ihn glücklich, mich wenigstens dann und wann wieder zu sehen.

»Um etwas zu erwidern, entgegnete ich:

»'Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse, Herr Baron, um so mehr, da ich es nicht verdiene. Sie wissen es am besten! Lassen Sie mich Ihnen aber sagen, daß ich glaube, daß es am besten ist, wenn wir uns meiden, uns nur aus der Entfernung schätzen. Ich werde dabei entbehren, gewiß, aber es ist richtiger so, wenigstens für mich.'

»Diese Antwort wirkte auf Herrn von Klamm ganz anders, als ich erwartet hatte.

»Statt darauf etwas unmittelbar zu entgegnen, ließ er den Kopf sinken, verfiel in Nachdenken und sagte dann:

»›Es fehlt mir die Zeit, und es ist hier nicht der Ort zu einem Gespräch, an dem ich Ihnen – wie ich möchte – auf Ihre Worte erwidern kann, meine gnädige Frau.

»›Lassen Sie mich nur das eine bemerken:

»›Wenn Sie von Entbehrung sprechen, so trifft dies bei mir erst recht zu –‹

»Nach diesen Worten sah er mich mit einem so traurigen Blick an, daß ich am liebsten an ihm herabgeglitten wäre und ihm gedankt hätte, daß er mir noch immer so gut geblieben sei.

»Was aber dann dieser Auseinandersetzung folgte, spottet jeder Betreibung.

»Klamm hatte mich eben verlassen; er war, als er mir begegnete, im Begriff gewesen, zur Bahnstation zu gehen, und mußte sich, um nicht den Zug zu verpassen, sehr beeilen. Ich aber saß noch in Gedanken versunken. So viel war auf mich eingestürmt, daß ich völlig vergessen hatte, wo ich mich befand.

»Daran sollte ich aber sehr bald, und sehr unliebsam erinnert werden. Ich hatte während meines Gespräches mit Klamm schon einmal Geräusch hinter den Gebüschen zu hören vermeint, da aber Klamm sich nicht umgesehen, angenommen, daß ich mich doch wohl getäuscht habe.

»Es war aber Frau von Klamm gewesen, die, um ihrem Manne noch etwas zu sagen, ihm gefolgt war, und als sie uns sprechen gehört, stehen geblieben und gehorcht hatte.

»Sie trat nun jählings hervor, stellte sich vor mich auf, maß mich mit hochmütiger Miene und stieß, mit vor Erregung zitternder Stimme, heraus:

»'Ich war eben Zeuge des Gespräches zwischen Ihnen und meinem Mann. Voller Empörung vernahm ich, daß Sie sich nicht scheuten, ihm Avancen zu machen, mit wohlberechneter Weichmütigkeit äußerten, wie schwer es Ihnen werde, ihm fern zu bleiben! Der Sinn Ihrer Worte war nicht mißzuverstehen, am wenigsten für denjenigen, der frühere Vorkommnisse kennt.

»'Ich möchte Sie nun sehr ernstlich ersuchen, solche Koketterien mit meinem Gatten nicht ferner zu wiederholen! Ich möchte Sie erinnern, daß wir, Ihre Nachbarn, sehr streng über Ehrbarkeit, Sitte und Ehepflichten denken. Jawohl! Nicht nur ich – sondern auch mein Mann, dem Sie von Entbehrungen sprachen, den Sie – nun doch wieder an sich ziehen möchten.

»'Bitte, bitte, echauffieren Sie sich nicht! Es ist doch, wie man hört, Ihrem Andrängen zu verdanken, daß Sie sich unmittelbar neben uns angekauft haben! Also Thatsachen sprechen!

»'Ich fordere Sie auf, dafür zu sorgen, daß Ihr Gatte wieder von hier fortzieht. Erst dann werde ich glauben, daß Ihnen Sittlichkeits- und Ehrgefühl nicht abgeht, daß meine Rede den Zweck erfüllt hat, den ich mit ihr verbinde! Ich will meinen Gatten Ihnen nicht opfern!

»›So, das habe ich zu sagen. Ich empfehle mich Ihnen – ‹«

»Und du? Und du? Was antwortetest du?« stieß Margarete nach diesem Bericht heraus, biß vor Zorn die Zähne zusammen, und ballte unwillkürlich die Hände.

»Ich that nichts, denn ich konnte nichts thun, Margarete,« entgegnen Ileisa. »Sie war ja schon fort, als alle die Feuer, die sich in mir entzündet hatten, losbrechen und sie versengen wollten.

»Nachdem ich nur eben wieder Atem gewann, eilte ich, ohne mich aufzuhalten, ins Haus. Ich sehnte mich nach Vereinsamung, Nachdenken und Ruhe. Ich wollte mich hier auf's Sofa werfen und ausweinen – und fand dich!«

»Wohlan,« erklärte Margarete mit fester Stimme und entschlossener Miene, »so will ich statt deiner antworten, so will ich jetzt zu ihr gehen. Ich will Einlaß fordern, und ihr erklären, was sie ist, was die Welt von ihr sagt, und ihr verbieten, sich ferner herauszunehmen, Personen zu beleidigen, die moralisch so hoch über ihr stehen, daß sie die Augen niederzuschlagen hat. Für dich will ich eintreten! Ich will ihr ins Gesicht schleudern, daß sie die Unehrbare ist, die mit Männern tändelt, die nichts anderes kennt, als Eitelkeiten und Aeußerlichkeiten, daß sie sich wie eine ungebildete Xantippe benimmt, während sie sich rühmt, eine Dame, eine Bevorzugte der Gesellschaft zu sein!«

Nach diesem Ausbruch wollte sich Margarete entfernen. Aber Ileisa hielt sie zurück, redete auf sie ein, und teilte ihr das Gefühl der Besonnenheit mit, das sie inzwischen selbst zurückgewonnen. Sie hatte Einkehr in sich genommen, und ihr gerechtes Ich hatte sich gemeldet.

Wenn schon Herr von Klamm die vergangenen Dinge berührt habe, so hätte sie, erklärte sie, als verheiratete Frau, darauf gar nicht eingehen dürfen. Sie habe sich – unglücklich wie sie wäre – von ihrem Enttäuschungsschmerz fortreißen lassen.

»Ich bin,« fuhr sie fort, »insofern nicht ohne Schuld. Und Frau von Klamms Ausbruch gegen mich war ein Produkt der Eifersucht. Eifersucht aber weiß nicht, was sie thut; sie darf nicht mit dem gewohnten Maß gemessen werden. Daß aber Frau von Klamm auf einen solchen Mann überhaupt eifersüchtig ist, daß sie ihn für sich, für sich ganz allein behalten will, ist's ihr zu verdenken? Ich würde ebenso fühlen, und vielleicht gar auch so handeln.

»Ach, Margarete! Haben wir Klamm nicht beide geliebt und lieben – wir ihn nicht noch heute?

»Ich wenigstens gestehe es in diesem Augenblick. Ich liebe ihn mit der ganzen Kraft meiner Seele. Ich könnte mein Leben für ihn lassen, ich sehe in ihm ebenso sehr das Ideal eines redlich strebenden Mannes, wie ich in Arthur nur ein Abbild jener erblicke, die nichts anderes kennen als ihr genußsüchtiges Ich, die nichts anderes erstreben, als Aeußerlichkeiten.

»Ach – ach – wer rettet mich, Margarete? Ich bin verloren!« schloß sie erschüttert, und warf sich ihrer Freundin an die Brust.

Margarete aber sagte, nachdem sie Ileisa von ihrer Brust sanft gelöst hatte:

»Ich weiß, wie vielleicht doch noch alles gut werden kann, Ileisa. Rede einmal fest und unerschrocken mit meinem Bruder. Sage ihm, daß du unglücklich seist, bitte ihn, daß er ein anderer wird, daß er mit dir lebt, dir Wärme und Liebe entgegenträgt, daß du sonst neben ihm verdorrst. Gewiß, ich weiß! Eine einzige solche Unterredung thut's nicht. Aber du mußt es ihn wissen lassen, daß es so in dir aussieht. Und wenn er etwas thun will, was ihn von dir und seinen guten Regungen abzieht, so sprich auf ihn ein und beginne immer von neuem, und suche auf ihn einzuwirken. Ihr seid nun doch einmal verheiratet, und als Frau hast du Pflichten übernommen. Du klagst dich an! Ich weiß nicht, ob mit Recht. Sollen es aber nicht Worte bleiben, so mußt du wenigstens den Versuch machen, und erst, wenn alles vergeblich, wenn du erkennst, daß er weder will noch kann – dann füge dich in das Unvermeidliche.«

Und Ileisa erwiderte weich gestimmt:

»Du sprichst gut und weise, und ich will deinen Rat zu befolgen suchen, meine liebe Margarete. Aber wenn es mir nicht gelingt, auf Arthur einzuwirken, vergiß nicht, daß man eigentlich doch nur lehren kann, wenn man etwas zu sagen hat. Ich aber habe die Zuneigung, die ich für ihn empfand, so gut wie verloren.

»Es ist furchtbar, zu gestehen, aber ich bekenne dir, daß ich eher einen Abscheu vor ihm empfinde, denn die Neigung spüre, mich ihm ferner zu nähern.

»Wir haben eben sehr früh mit einander verspielt – und mein Verdienst nach dieser Erkenntnis war bisher nur das – daß ich duldete und – schwieg.«

Und plötzlich, in einem sie mächtig überwältigenden Gefühl, umschlang sie Margarete und flüsterte:

»Willst du mir versprechen, meine teure Margarete, mich, wenn das Ende doch so wird, wie du es herbeizuführen mir selbst rätst – nicht zu verlassen?

»Was soll ich beginnen? Wohin soll ich mich flüchten? Ich zittere schon, wenn ich mir nur vorstelle, was meine Tante sagen wird, wenn ich mein Glück – so nennt sie meine Ehe, und nannte sie sie, als sie mir vordem stets so eifrig zuredete – wieder von mir gestoßen habe!«

»Ja!« entgegnete Margarete fest. »Ich werde dir eine Schwester sein im besten Sinne des Wortes, Ileisa, ich werde dich – so lange ich lebe und etwas mein eigen nenne – nie verlassen!«

Es waren, während sie redeten, die Abendschatten schon herangeschlichen und hatten das Gemach verdüstert.

Düster war's draußen und in den Herzen dieser beiden Menschen, die nach ihrer Art redeten und Pläne machten, die wie alle anderen Sterblichen durch Einsätze in die große Daseinslotterie zu gewinnen hofften, und doch verloren, oder – ohne Einsätze – in größerer Geduld – der Zeit und den Umständen vertrauend – aufrecht stehen blieben und sich vor den Lebenszufällen schützten, bis die Zeit auch über ihre kämpfenden Seelen die Schwingen ewiger Ruhe ausbreitete.


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