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Der Winter hatte sich in diesem Jahre sehr früh verzogen. Der Frühling war jählings ins Land gestürmt und hatte seine unwiderstehliche Herrschaft angetreten. Plötzlich war's von den Dächern getropft. Der Schnee war rasch und behende zerschmolzen; die Eiszapfen waren ihm mit eilfertiger Auflösungshast gefolgt, und zu allem hatten vergnügt geschwätzige Staare die Musik gemacht. An Bäumen und Gesträuchen waren in einer einzigen Nacht die jungen Triebe erschienen, und ehe sich's die Welt versehen, hatte die Natur ein farbiges Kleid angelegt. Und dem Frühling war ein blütenschwerer Sommer gefolgt. Schon war die Zeit bis Ende September wiederum vorgerückt, und seit Monaten befanden sich Klamms bereits auf dem von ihnen erworbenen, in der Nähe von Berlin belegenen Gut Grünhagen.

Aber es war noch etwas geschehen:

Ihre Nachbarn waren – Knoops geworden. Der Zufall hatte gespielt. Als an den alten Herrn Knoop die Anforderung ergangen war, sich als Eigentümer einer umfangreicheren Gutsherrschaft auszuweisen, war Behrwalde – so hieß das Rittergut – grade zum Verkauf gestellt worden.

Der frühere Besitzer, ein Graf Klöker, war plötzlich gestorben, und die zurückgebliebene Familie hatte sobald wie möglich den Landaufenthalt gegen die Stadt zu vertauschen gewünscht. Da hatte Herr Knoop sogleich zugegriffen, obgleich auch ihn die Nähe der Familie Klamm gehört.

Bei Klamms aber war erst recht ein Mißbehagen eingetreten.

Nachdem Alfred eben die Familie geschäftlich von sich abgeschüttelt hatte, saß sie nun neben ihm, gleichsam Stube an Stube.

Aber nicht nur die Alten, sondern auch die Jungen!

Wie es hieß, blieben Knoops nur für den Sommer und Herbst dort.

Aber da Arthur und die Alten ihre Wohnung in der Stadt schon wieder aufgegeben, erschien die Verwirklichung doch sehr zweifelhaft. Es paßte das, wie man sich erzählte, Arthur so besser. Er stand nun, da seine Frau und seine Familie auf dem Lande wohnten, unter gar keiner Kontrolle mehr. So konnte er seinen Lebemänner-Gewohnheiten voll nachgehen!

Margarete Knoop war über die Ortsveränderung außerordentlich glücklich. Sie hatte den Plan ihres Vaters, ein Gut zu erwerben, mit allen Kräften gefördert.

Mit der Erhebung in den erblichen Freiherrnstand, war es nach Theodors Rückkehr aus Paris plötzlich sehr rasch gegangen. Herr Knoop hatte fünfzigtausend Mark für Zwecke des roten Kreuzes gespendet, zudem dies adlige, große Rittergut erworben, und sich endlich auch der bürgerlichen Thätigkeit begeben.

Da die Familie Knoop in vergangenen Jahrhunderten den Adel besessen und ihn nur freiwillig abgelegt, so waren sonstige vorhandene Schwierigkeiten leichter zu beseitigen gewesen.

Und da war denn in überraschend kurzer Frist, nach ein paar Wochen, die Nobilitierung erfolgt.

»Na, ja! Es ist doch etwas! Ich sag's noch einmal!« hatte Herr Baron Friedrich von Knoop in einem sehr gehobenen Tone gegen seine Frau geäußert. »Ich bin doch vom Buchdruckergesellen zum Freiherrn herausgerückt, und habe drei Millionen Mark und reichlich darüber, teils im Kasten, teils in rentablem festem Besitz!

»Und unsere Schwiegertochter stammt aus altem Adel und ist eine treffliche Frau, und unsere Kinder sind von der Natur so veranlagt, daß wir an ihnen sicherlich nur Freude erleben werden.«

Frau von Knoop hatte sich zunächst auch mit der Neueinrichtung der Dinge ziemlich ausgesöhnt, ja, sie hatte Augenblicke, in denen auch sie ihrer Eitelkeit erlag.

Und zu dieser gesellten sich sonstige Befriedigungen. Anders war's mit Margarete. Sie mißbilligte ihres Vaters Ehrgeiz nach wie vor. Sie bedauerte seine Unthätigkeit, die schon allerlei unliebsame Folgen mit sich geführt. Als einzigen wirklichen Gewinn betrachtete sie lediglich die Erwerbung des Gutes, und die Aussicht, dort ferner zu leben. Ihr ging's wie Frau von Klamm! Das Gezwitscher der Vögel in der blauen Luft über den saatengoldenen Feldern klang ihr weit melodischer als der Laut der geflügelten Scharen über den mit geschwärzten Schornsteinen besetzten Dächern der Großstadt.

Die Freiheit und die Unabhängigkeit von dem gesellschaftlichen Zwang mit all seinen Komödien und Unwahrheiten mutete sie an wie eine neue Wunder-Daseinswelt. Da nun auch Ileisa fortan in ihrer Nähe blieb, glaubte sie alles zu besitzen, was ihr Herz ausfüllen konnte.

Nur eines störte sie jeden Tag. Das Verhältnis zu ihrem Bruder wurde immer schlechter. Immer mehr verflachte er, und mit der Annahme der Verflachung und der Arbeitsscheu verstärkten sich seine Empfindlichkeit und sein Mangel an Rücksichten gegen seine Umgebung.

War er früher rauh und rechthaberisch gewesen, so hatte er doch Sinn für Arbeit, Erfolg besessen und Respekt vor seiner Person in allen Kreisen erstrebt.

Jetzt sprach er nur von den gesellschaftlichen Errungenschaften, die ihm, als Mitglied des Adels, immer mehr zufielen. Als ihn ein bisher sehr unnahbares Mitglied des Unionklubs, in dem er aufgenommen war, zu einem Frühstück eingeladen, war ihm diese Auszeichnung dermaßen zu Kopf gestiegen, daß er im Hause mit seiner ganzen gefühllosen Unausstehlichkeit austrat.

»Du thust wirklich, als ob dich die Beachtung, die dir Graf von der Horwitz erwiesen, zu einem Mitglied der Ritter vom schwarzen Adlerorden gemacht habe, Arthur,« hatte seine Schwester mit verächtlichem Spott hingeworfen. »Wie ist es möglich, daß ein Mensch mit freiem Sinn und Selbstachtung auf solche Nichtigkeiten Wert legen kann! Wo ist die Zeit, in der du noch deinen Ruhm in kräftiger Thätigkeit und deine Erfolge in dem sahst, was unser Vater sein Lebelang unermüdlich schaffte und förderte. Ich sage dasselbe, was ich dir schon früher vorhielt:

»Du läßt dich – ein junger Mann – von ihm ernähren, spielst den großen Herrn, vergeudest dein Geld in Ueberflüssigkeiten, vielleicht gar im Spiel, vernachlässigst deine Frau, deine Eltern und was das Schlimmste ist, machst dich wegen deines eitlen Auftretens zum Gespött bei allen unbefangenen und ernsthaften Men –«

Aber weiter war Margarete nicht gelangt.

Der von ihr so Angegriffene hatte sich wie ein Tobsüchtiger benommen. Die Reitpeitsche, die er zufällig in der Hand gehabt, hatte er gegen seine Schwester erhoben und sie mit wutentstellten Mienen angeschrieen:

»Schweig, unverschämte, dumme Gans, die du immer nur nach deinen jämmerlich hausbackenen Auffassungen Thun und Treiben anderer beurteilst. Was weißt du, welche Zwecke ich verfolge, welchen Plänen ich nachgehe! Und es sei dir zum letztenmal gesagt: deine Unverschämtheiten verbitte ich mir! Wenn du noch einmal so auftrittst – untersage ich dir, unser Haus zu betreten.«

»Vaters Haus meinst du doch wohl! ›Dein Haus‹ giebt es nicht! Du hast seit deiner Rückkehr von England nur im ersten Jahre gearbeitet und etwas selbst verdient.

»Jetzt bist du ein Tagedieb und verminderst dein Ansehen von Tag zu Tag vor deiner Frau,« war Margarete unerschrocken fortgefahren.

»Gold glaubte sie zu finden, aber wertloses, ja unedles Metall hat sie erhalten.«

Aber mit diesen Worten hatte sie doch zu viel gewagt. Sie hatte Arthur dermaßen gereizt, daß er sie gepackt und mit einem Ruck auf den Flur gesetzt hatte. Und hier hatte er sie stehen lassen und ihr bei seinem Fortgange zugerufen:

»Wage nicht, jemals wieder über diese Schwelle zu treten« – und war dann, die Hausthür heftig hinter sich zuschlagend, keuchend vor Wut und Aufregung seiner grade aus dem hinteren Teil des Gartens kommenden Frau entgegengetreten.

Ihr hatte er dasselbe erklärt. Sie habe Margaretes Umgang fortan überhaupt zu meiden, und wenn sie das nicht könne und wolle, werde er Behrwalde wieder verlassen und sich irgendwo anders niederlassen.

»Mit meiner Schwester bin ich ein für allemal fertig. Das werde ich auch noch heute den Eltern mitteilen!«

So hatte er geschlossen, ohne Ileisa zu Wort kommen zu lassen und war, nachdem er stumm und verbissen mit ihr das Mittagessen eingenommen, zur Stadt gefahren.

»Sie möge nicht auf ihn warten! Es werde spät werden. Er habe Geschäfte!«

Mit dieser Erklärung war er gegangen und hatte auch ihr kaum einen Gruß gegönnt.


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