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Nach diesen Ereignissen waren einige Monate vergangen. Während dieser Zeit hatte der Freiherr Alfred von Klamm, schwer erkrankt, in der Villa der Frau von Krätz in Dresden gelegen.

Er hatte gedacht, das Schicksal aber anders entschieden!

Als er am Mittag des nächsten Tages den Weg zu Frau von Krätz genommen, war ihm schon sehr schlecht gewesen. – Eine eigentümliche Mattigkeit hatte in seinen Gliedern gesessen. Kalter Frost war ihm über den Körper gerieselt, und diesem körperlichen Unbehagen hatte sich auch noch eine starke Gemütsbeschwerung hinzugesellt. Trotzdem war er gegangen! Er wünschte, sobald wie möglich, Dresden wieder zu verlassen; er stand unter der Furcht, daß er hier würde ein Krankenlager aufschlagen müssen.

Auch wollte er Begonnenes zu Ende führen! Darum war er doch eben hergekommen! Aber schon nach der ersten Gesprächseinleitung hatte ihn abermals eine solche Schwäche ergriffen, daß er Frau von Krätz um eine Stärkung hatte bitten müssen. Während sie voll angstvoller Besorgnis davon geeilt, war er Zuständen erlegen, die einen solchen Charakter angenommen, daß sie ihn in der Villa hatte betten lassen müssen.

Und die vorläufige Wiedergewinnung seiner Kräfte hatte er auch nur den verständigen Maßnahmen des Hausarztes der Frau von Krätz zu verdanken. An ein Ausstehen war nicht zu denken gewesen, weil sich, statt Besserung, ein Nervenfieber eingestellt hatte.

Zu diesen ungünstigen Verhältnissen gesellten sich noch andere.

Frau von Klamm – die Frau von Krätz sogleich benachrichtigt, und der sie Wohnung in ihrer Villa angeboten hatte, um bei ihrem Sohn zu sein, – war selbst schwer erkrankt. So blieb der Witwe die Sorge für Klamm allein, so wurde sie seine Pflegerin während der ganzen Zeit seines sich Monate hinziehenden Siechtums.

»Ihnen wird er sein Leben verdanken!« hatte der Arzt wiederholt gegen die Frau des Hauses, und Gleiches hatte er häufig gegen Klamm geäußert, nachdem er sich wieder erholt, nachdem ihm klar geworden, wie krank er gewesen, wer ihm die Samariterdienste geleistet.

Klamms erstes Wort und erster beredter Blick galten auch ihr, und sie kamen aus einem bewegten Herzen.

Er streckte ihr die Hand entgegen und sagte, weich betonend:

»Wie soll ich Ihnen danken?«

Das zweite Wort galt der Frage seiner Mutter: ob sie ihn auch gepflegt habe, wo sie sei?

Nun mußte Frau von Krätz mit der Wahrheit hervortreten! Sie berichtete, daß Frau von Klamm dem Tode nah' daniedergelegen habe, daß sie sich indessen in der Besserung befinde, daß die Nachricht von seiner fortschreitenden Genesung besonders günstig auf sie gewirkt habe.

Ein Ausdruck glückseliger Befriedigung trat in Klamms Züge. Wiederum drückte er Frau Adelgunde die Hand.

Und so vergingen die Tage, und wieder verliefen zwei Wochen, und dann konnte Klamm zum erstenmal anstehen und ihr, die wie eine Schwester an ihm gehandelt, gegenübersitzen.

Während sie, selbst noch bleich von der Pflege, der Sorge und den Anstrengungen der Nachtwachen, aber mit einer gleichsam vergeistigten Schönheit vor ihm saß, ihre stillen, liebewarmen Augen auf ihn richtete, sagte er:

»Ich habe in diesen Tagen der Ruhe und des Nachdenkens immer wieder darüber nachgedacht, wie sehr ich während meiner ganzen Lebenszeit ohne die Unfälle gerechnet habe.

»Immer, wenn ich eben glaubte, mein Spiel zu gewinnen, die Dinge nach meinem Willen lenken zu können, zog am Himmel eine Wetterwolke auf, entlud sich und zerstörte, was ich geplant oder gar schon aufgebaut hatte.

»Ist immer der Charakter auch des Menschen Schicksal? Ich frage mich, ob ich allezeit die Schuld an den Enttäuschungen trug, die mir geworden sind!?

»Vielleicht! Vielleicht deshalb, weil ich mich niemals begnügen konnte, nur eine Nummer zu sein, weil ich – einmal auf dieser Erde, und mit Kräften und Genußsinn versehen, – auch dem Leben etwas abgewinnen, ja, etwas erreichen, erobern, mein Eigentum nennen wollte.«

»Beziehen sich Ihre ersten Worte auch auf das, was Ihnen hier geschah?« fiel Frau Adelgunde ein.

Sie forschte in seinem Angesicht in einem Gemisch von Schmerz und Trauer.

»Ja – und nein,« entgegnete Klamm, und gab ihr durch Mienen und Betonung zurück, was sie, in solche Frage eingekleidet, aus ihrem tiefsten Innern hervorholte.

»Ich will völlig ehrlich gegen Sie sein, wozu es mich stets drängt, obschon diese Art nicht grade immer weise ist, mir gar oft, meist schädlich war.

»Die Wahrheit darf in unserer Welt einmal nicht nackt gehen, sie muß sich verhüllen!

»Ich wollte vor meiner Erkrankung wieder so rasch wie möglich von Ihnen scheiden. Ich wollte mich vor mir selbst behüten. Der Gedanke, Sie nun doch um das zu bitten, was Sie mir einst gewähren wollten – was sich für uns beide zerschlug – scheiterte an der Ueberlegung, daß es Ihnen einmal nicht gegeben sei, nur für einen zu leben, nur einen zu lieben, in eigentlichem Sinne Treue zu üben, sich in der Ehe wirklich anzupassen.

»Ich hatte Furcht vor der Zukunft, und ich hatte Furcht vor der öffentlichen Meinung, die mir, die uns nachsagen würde: ›Die Charakterlosen schlagen und vertragen sich!‹ Ich wollte endlich auch das unberechtigte Vorurteil zerstreuen, das die Menge beherrscht: daß ein Mann, und besonders ein Adeliger, mit einer stark wechselnden Vergangenheit, sein ernsthafter, sittlicher, auf seinen Namen und seine Ehre das Allerhöchste haltender Mensch sein könne.

»Nur deutsche Einseitigkeit der Auffassungen weist den Schuster an, Schuster zu bleiben und wenn er auch die Fähigkeit in sich entdeckt, als Schneider weit Besseres zu leisten.

»Erst wenn diejenigen, die sich allmählich zu dem Rechten durcharbeitete und zugleich Großes wurden, gestorben sind, lobt man ihnen nach, daß sie dem Vorurteil zum Trotz, sich nicht begnügten, etwa bloß Spargel zu stechen, sondern etwas Bedeutendes geschafft zu haben. Und dann: Alles wird bei uns klassifiziert, und in dieser Klasse hat der Mensch höhere Rechte oder hat er sich der Ansprüche auf Vorrechte zu begeben.

»Wie kann ein Adliger in eine Buchdruckerei eintreten? Er muß notwendigerweise aus der Art geschlagen sein!

»So ist es mir ergangen! Und wie ist es wirklich? Ich wollte überhaupt nur eine Thätigkeit aufnehmen, eine, die mich fesselte, die mir Erfolg verhieß, die mich aus dem üblichen Nichtsthun gewisser Lebemänner mit adligen Namen befreite! Nun, da ich – durch harte Umstände bedrängt – aus dem Geschäft wieder so bald ausgetreten bin, wird die öffentliche Meinung mir schuld geben. Und wer Schuld trägt, wissen wir beide allein, Frau Adelgunde!

»Wollen wir es nun trotzdem versuchen, dennoch versuchen, ein Bündnis zu schließen? Wollen Sie meine Frau werden? Können Sie dem Vorurteil begegnen, daß ich nicht als der Freiherr von Klamm auftrete, der als Mann einer sehr reichen Frau lediglich die Zeit stiehlt und im Müßiggang lebt, sondern ein Geschäft, ein Gewerbe betreibt, arbeitet, schafft, fördert, maßvoll lebt, den rechten Lebensgewinn in dem Verkehr mit gleichgesinnten, wertvollen Personen erblickt, die denselben Anschauungen huldigen, so überlegen Sie meinen abermaligen Antrag! Aber gönnen Sie mir auch – verzeihen Sie das viele – das Gelöbnis, daß Sie lediglich mein sein und bleiben wollen, daß Sie« – Klamm sprach's mit einem sanften, gewinnenden Lächeln –«keine anderen Götter haben wollen, neben mir!«

Adelgunde von Krätz nickte nur und sah Klamm mit einem weichen Blick an. Und dann schnellte sie empor, lehnte sich mit leidenschaftlicher Hingabe an ihn und flüsterte:

»Ja, ja, Lieber! Wie du es willst, so soll und wird es sein!« –


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