Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Zweierlei beschäftigte die Familie von Knoop in Behrwalde außerordentlich. Arthur hatte, nachdem seine Mutter einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, ihn zu sprechen, geschrieben, daß er eben vor einer Reise nach England und Frankreich stehe. Er wolle sich dort nach Kapital für ein geplantes großes internationales Unternehmen umsehen.

Er ersuchte seine Mutter in diesem Schreiben, seinen Vater zu veranlassen, Fräulein von Oderkranz die rückständige, von ihm zu zahlen unterlassene Vierteljahrsrate zuzusenden, und sie auch über die Rente zu verständigen, die Ileisa ferner erhalten würde.

Er hoffe, wie man sich auch zu seinen Entschlüssen stelle, daß man Ileisa nicht beeinträchtigen, vielmehr sie und ihre Tante standesgemäß befriedigen werde. Da er verzichte, so erwachse seinem Vater ja kein Nachteil. Leben müsse doch seine Frau, und ohne Sicherstellung werde Fräulein von Oderkranz in die Trennung nicht willigen.

Zum Schluß war noch die Bitte ausgesprochen, alles in Frieden und Freundlichkeit zu behandeln. Aendern könne er seine Absichten nicht – es würde schon die Zeit kommen, wo sich ihm die Seinigen mit anderen Empfindungen wieder zuwenden würden.

Außerdem beschäftigte die Familie von Knoop ein Gespräch, dem sie tagsvorher während der Eisenbahnfahrt zugehört hatte.

Sie waren mit zwei Herren und zwei Damen zusammen gefahren, die sich, ohne zu wissen, daß sich Knoops mit ihnen zusammen im Coupé befanden, grade über sie unterhalten hatten.

Einer der Mitfahrenden hatte auf die Frage einer der Damen nach den Gütern und Inhabern der Güter in dieser Gegend, hingeworfen:

»Behrwalde ist von einem früheren Buchdruckereibesitzer Knoop in Berlin erworben worden, nachdem er sich mit seinem, bei den Täglichen Nachrichten erworbenen Reichtum den Adel gekauft hatte.

»Es ist aber davon die Rede, daß er das Gut schon wieder veräußern will, weil sich die Familie in ihren Voraussetzungen getäuscht findet. Sie haben nämlich, als sie hier übersiedelten – so ist mir aus guter Quelle erzählt worden – den Anspruch erhoben, mit den umliegenden adeligen Gutsbesitzerfamilien zu verkehren, während diese ihnen zum Teil nicht einmal die Rücksicht eines Gegenbesuches erwiesen. Der ältere Adel ist gegenüber solchen gekauften ›Vons‹ zurückhaltend. Dieser Herr Knoop soll schon von vorneherein durch Auftreten und aufdringliche Aeußerlichkeiten starke Opposition erregt haben.

»Wo es angeht und nicht angeht, bringt er unter anderem das neu geschaffene Wappen an, und bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit erzählt er gehobenen Hauptes, daß die Familie eigentlich zu dem ältesten Adel des Nordens gehöre und solchen nur seinerzeit abgelegt habe.

»Sie sollen bereits ganz allein stehen. Die angeseheneren Berliner Familien, mit denen sie früher verkehrten, haben sich von ihnen zurückgezogen weil bei ihnen das Protzen- und Strebertum: ›sich an den Adel heranzumachen‹, großes Mißfallen erregt hat.«

»Giebt's nicht auch einen jungen Knoop? Ich meine auch von ihm, und in ebenfalls nicht sehr vorteilhafter Weise gehört zu haben,« hatte der zweite Herr gefragt.

»Ja! Allerdings! Von dem weiß ich noch Positiveres!! Der junge Mensch kam einige Zeit vor dem Verkauf des Geschäfts aus England zurück und spielte sich schon damals in lächerlicher Weise als Grand Seigneur auf. Jetzt gilt er als einer der bekanntesten und nicht grade bestbeleumdeten Berliner Lebemänner, der sich nur mit Sport, Weibern und Spiel beschäftigt. Jetzt eben höre ich, daß er bereits mit seiner erst vor wenigen Jahren geheirateten Frau in Scheidung liegt, und zwar lediglich aus dem Grunde, weil er ihrer überdrüssig geworden ist. Die Frau soll in jeder Richtung tadellos sein! – Na, ja! Es ist der übliche Verlauf der Dinge. Dem Alten ist das Geld in den Kopf gestiegen, und so verleugnet er seine bürgerliche Abstammung und seine Vergangenheit. Und wenn überdies Frauen ihren Ehrgeiz spielen lassen, weiß man, wie es geht. Gewisse Weiber können niemals genug Eitelkeiten treiben, und so verpulvern sie und der junge Tagedieb allmählich das Vermögen. Das Resultat solcher Ambitionen ist dann die Einbuße der Selbstachtung und der gänzliche Verlust dessen, was einst durch Fleiß, Ausdauer und Umsicht erworben ist.«

Margarete hatte sich in eine Ecke gedrückt, damit man die Thränen der Scham nicht bemerke, die über ihre Wangen rieselten.

Frau von Knoop hätte die Coupéthür öffnen und hinausspringen mögen, und Herrn von Knoop hatte die Zeitung, in der er gelesen – es war sein früheres, eigenes Blatt gewesen – in der Hand gezittert. Wortlos, mit verstörter Miene, war er mit seinen Frauen in die auf der Station seiner wartenden Equipage – die Equipage mit dem eben so abfällig beurteilten Wappen – gestiegen.

So – so – beurteilte man also ihn und seine Angehörigen! Sein ganzes Innere befand sich in Aufruhr, und wenn es in diesem Augenblick möglich gewesen wäre, würde Herr Knoop gleich abgereist sein, Berlin und Behrwalde für alle Zeiten den Rücken gewendet haben. Aber wenn sich das auch so rasch nicht machen ließ, so war doch sein Entschluß unweigerlich gefaßt! Er wollte fort, sobald wie möglich. Er wollte mit Frau und Tochter nach Holstein übersiedeln. Der früher bereits erwogene Gedanke sollte zur Ausführung gebracht werden!

Zu einem Gespräch zwischen ihm und den beiden Damen über den Vorfall kam es nicht. Scham ließ die Lippe verstummen. Aber über seine Absichten äußerte sich Herr von Knoop bereits an diesem Tage, auch warf er hin, wie er es mit Ileisa und ihrer Tante halten wollte. –

Mitten in diese Aufregung platzte abends Theodor Knoop herein.

Ohne vorherige Anmeldung erschien er, und erklärte seinem sich durchaus nicht sehr zuvorkommend gebenden Bruder in dessen Arbeitszimmer, mit wichtig geheimnisvoller Miene, daß er ihm den italienischen Grafentitel verschaffen könne, wenn er 100 000 Francs und eine Provision von 25 000 daran wenden wollte.

Der Augenblick für ein solches, inzwischen wieder von dem geldgierigen Theodor ausgehecktes Anerbieten konnte allerdings nicht schlechter gewählt sein.

Kurz und rauh, mit schroffer Zurückweisung im Ton, fertigte Herr von Knoop seinen Bruder ab.

Er solle sich schämen, seine Kräfte und seine Thätigkeit solchen Vermittlungsgeschäften zu widmen. Er solle namentlich ihn ein- für allemal mit derartigen Anerbietungen verschonen. Er habe das Geldausgeben für solche Thorheiten satt, übersatt, und wenn er alles recht bedenke, so sei eben Theodor schuld daran, daß er seinen guten, bürgerlichen Namen, aber auch seinen zufriedenen Sinn für einen elenden Tand dahingegeben.

Nichts, nichts wolle er mehr von solchen Dingen hören, und er erklärte ihm zugleich zum ersten und allerletzten Mal, daß er ferneren Ansprüchen an seinen Geldbeutel – es sei doch diese Offerte wiederum nichts anderes – keinerlei Gehör mehr schenken werde. Es sei überhaupt besser, daß Theodor sich nicht ferner nach Behrwalde herausbemühe, und zudem werde er auch dort bald nicht mehr anzutreffen sein.

Theodor war ebenso überrascht wie aufgebracht, und unterdrückte die Ausbrüche seines Ingrimms nur deshalb, weil es sich herausgestellt hatte, daß sich sein Bruder höchst unglücklich fühlte. Das war Nahrung auf sein rachsüchtiges und neidisches Herz.

So erwähnte er bloß sanftmütig, daß er wohl ein Recht haben würde, sich gegen eine solche Begegnung und Sprache aufzulehnen, aber daß er davon absähe, weil er in Betracht ziehe, daß sein Bruder sichtlich schweren Verdruß und starke Enttäuschungen erlitten habe, und sich deshalb in mißmutiger Stimmung befinde. Was ihn selbst betreffe, so habe er sich doch nur eine Anfrage erlaubt. Es sei ja gut, wenn Friedrich davon nichts hören wolle; er werde ihn sicherlich nicht wieder belästigen. Aber es dränge ihn sein brüderliches Mitgefühl, zu erfahren, was geschehen sei. Vielleicht könne er ihm helfen, raten, nützen, ihn rächen! Er verlange weder Dank, noch Lohn dafür! Er möge ihm doch freundlich gesinnt sein! Sie wären doch Brüder!

Und da erlag denn Friedrich von Knoop abermals wie allezeit den Listen seines Bruders, da stellte sich der alte Vergebungssinn gegen seine Familienmitglieder wieder ein.

Er gab wider seinen Willen in der Folge alles zum besten, was er besser für sich behalten, worin er jedenfalls nicht Theodor hätte einweihen sollen.

Nicht gleich zwar gelangte alles über seine Lippen, aber nach und nach, infolge der sanften Ermunterungen, erheuchelten Teilnahmsäußerungen und klugen Zwischenreden seines Bruders.

Bevor Theodor Behrwalde verließ, wußte er, daß sich das junge Paar wieder trennen wollte, ferner, daß Vater und Sohn auseinander waren, daß Behrwalde wieder verkauft werden solle, und endlich, daß die ganze »Sippe«, wie er seine Verwandten im stillen nannte, tief gedemütigt war, und sich ebenso bedrückt wie unglücklich fühlte.

Und da triumphierte er, einmal darüber, daß jenen ein Stachel im Herzen saß, und dann darüber, daß sich ihm nun doch unerwartet ganz sichere Geschäfte aufthaten, daß es wieder etwas einzuheimsen gab.

Denn Friedrich von Knoop hatte sich auf Theodors Bitten hinreißen lassen, ihm die Veräußerung des Gutes Behrwalde in die Hand zu geben und ihn überdies beauftragt, etwas Passendes in Holstein, in möglichster Nähe von Hamburg auszuspüren. Aber er sollte nur schriftlich mit ihm verkehren, hatte Herr Knoop bereits in Hinblick auf die sicher eintretenden Vorwürfe seiner Damen hingeworfen und zur Bedingung gemacht.

Und als er sich wieder ins Wohngemach begab, erwähnte er nur auf deren nicht unbesorgte Frage, daß sich Theodor lediglich habe Auskünfte über einiges einholen wollen.

Die Reue hatte ihn schon jetzt erfaßt, und sie wirkte derartig nach, daß er an diesem Abend eine noch schlechtere Laune hervorkehrte, als er sie nach den Erlebnissen im Coupé der Eisenbahn an den Tag gelegt. –

Am folgenden Morgen suchte Herr von Knoop seine Gedanken zu ordnen, und es gelang ihm, indem er allerlei Kompromisse mit seiner Vernunft und den Unabänderlichkeiten schloß.

Zunächst suchte er Ileisa auf, und teilte ihr mit, daß er ihr monatlich die Hälfte von dem auskehren wolle, was er ihrem Manne bisher zugewendet habe. Außerdem händigte er ihr die rückständige Rente für ihre Tante ein und ersuchte sie, mit ihrer Verwandten zu sprechen, ob sie nicht mit ihr nach Hamburg übersiedeln wolle. Sie selbst wollten Behrwalde verkaufen, in der Nähe der genannten Stadt auf's Land ziehen, und wünschten natürlich Ileisa in ihrer Nähe zu behalten.

»Na ja,« schloß er, resigniert sprechend, und indem er wenigstens äußerlich gute Empfindungen gegen seine Schwiegertochter hervorkehrte. »Der Mensch baut sich etwas auf und glaubt unter ein sicheres oder noch besseres Dach zu gelangen. Das Schicksal aber schiebt sich rücksichtslos dazwischen und bestimmt es nach seinem Gefallen.

»Und dann muß man sich eben anders einrichten.

»Deiner Tante bitte ich eine Entschuldigung auszusprechen, daß ich noch nicht bei ihr war, aber es wird ehestens geschehen.

»Auch Mutter und Margarete werden sich baldigst bei ihr sehen lassen.

»Uebrigens,« beendete er seine Rede: »Hast du einen Brief von Arthur? Er ist ja nach England gereist! Was schreibt er dir?«

»Ja,« entgegnete Ileisa, und holte gleichzeitig ein Schreiben von ihrem Manne hervor, das sie ihm mit stummer Miene überreichte. Es lautete ohne Anrede:

»Ich teile Dir von hier, von Köln aus, mit, daß ich auf längere Zeit, möglicherweise für mehrere Monate, nach London und Paris gehe. An meinen Vater schrieb ich Deinet- und Deiner Tante wegen. Du wirst – ich bin dessen sicher – Zufriedenstellendes von ihm hören. Deine Tante besuchte ich noch vor meiner Abreise und fand sie unter den von ihr angenommenen Voraussetzungen mit unserer Trennung einverstanden. Nach meiner Rückkehr wird die Scheidungsklage schon wesentlich weitergerückt sein, und alles wird sich ohne Verdrießlichkeiten und ohne Aufsehen vollziehen, sofern Du und Deine Tante dem Unabänderlichen zuvorkommend die Hand reichen.

Noch eins: Gestern abend traf ich zu meiner Ueberraschung im Hotel du Nord Frau von Klamm, die denselben Weg nimmt. Wir fahren zusammen! Dies unter uns.

Und nun Addio! Ich grüße Dich.
Arthur.«

Herr von Knoop nickte nur und gab Ileisa das Schreiben ohne Bemerkung zurück.

Was er dachte, behielt er für sich; im übrigen wunderte er sich über nichts mehr.


 << zurück weiter >>