Ulrich Hegner
Hans Holbein der Jüngere
Ulrich Hegner

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Der kleine Todtentanz bei Uncialbuchstaben.

Zu Holbeins Zeiten, ehe noch der Kupferstich herrschend geworden, erschienen wenige Bücher, besonders von größerm Formate, ohne Holzschnitte, wenigstens nicht ohne solche bildhafte Anfangsbuchstaben bei jeder Abtheilung. Dergleichen Buchstaben gab es daher eine unzählige Menge von verschiedenen Größen und Vorstellungsarten. Ganze Alphabete von biblischen und heidnischen Geschichten, von Köpfen, Kindern, Thieren, Vögeln und Blumen aller Arten, wurden ausgefertigt, und von den Buchdruckern meist ohne Unterschied, und ohne Rücksicht auf den Inhalt, gebraucht; ja man war dessen so gewohnt, daß die Gelehrten selbst nicht mehr darauf zu achten schienen, so daß man häufig zu Hauptstücken ernsthaften und religiösen Inhalts von spaßhaften, sogar leichtfertigen Vorstellungen eingeführt wird.

328 Unter die besten Stücke dieser Art gehören drei Alphabete, welche von jeher unter die Werke Holbeins gezählt wurden. Eines mit nackten Kindern in den verschiedensten Stellungen; ein andres mit tanzenden und ungezogenen Bauern, welches höchst selten angetroffen wirdSchöne Abdrücke dieser beiden Alphabete besitzt Herr Peter Vischer in Basel.; und dann der sogenannte kleine Todtentanz; alle drei ohne Monogrammen. Die beiden ersten haben acht bis neun, letzterer eilf französische Linien in's Gevierte; sie sind nicht nur mit der kühnen und üppigen Gewandtheit gezeichnet, die den Meister nicht verkennen läßt, sondern auch so ausnehmend fein und deutlich in den engen Raum gearbeitet, daß Einige dafür gehalten haben, sie seyen in Metall und nicht in Holz gegrabenDouce, in the dance of death etc. by Hollar. – Fr. von Rumohr, Kunstbl. 1823, No. 31 &c. – Der rühmlich bekannte Kupferstecher Heinrich Lips, dessen Ansicht aus Erfahrung sprach, war nicht dieser Meinung, sondern hielt sich nach genauer Betrachtung des Todtentanz-Alphabetes für überzeugt, daß dasselbe in Holz geschnitten sey., welches man auch, gegen die Ansicht Papillons und andrer ausübender Künstler, von dem größern Todtentanz, und selbst von dem stehenden Bildnisse Erasmus, dessen hölzerner Block noch vorhanden ist, wähnte. Man zweifelte nämlich, daß es möglich sey, 329 mit solcher weichen Zartheit das Holz zu behandeln. Zwar haben neuere Formschneider bewiesen, daß noch weit mehr zu leisten möglich sey, und daß man den Holzschnitt dem Kupferstiche nahe bringen könne; ob aber damit diese Kunst zu größerer Vollkommenheit gebracht sey, ist eine andre Frage, denn jede Kunst will ihre Bedingung, ihre eigne Art und Weise haben, über die hinaus man wohl verfeinern, aber die Kunst nicht vorwärts bringen kann. Der Holzschnitt muß seinen bestimmten Charakter der kräftigen Bezeichnung und einfachen, glanzlosen Schraffur haben, und nicht dem ausgeführten Kupferstiche gleich seyn, nicht in fremdes Gebiet hinüber streben wollen, sonst ist nicht einzusehen, warum man nicht lieber in Kupfer stechen sollte, welches bei so gesteigertem Erfordernisse leichter und natürlicher ist. Zu Holbeins Zeiten war dieser xylographische Charakter zu seiner männlichen Reife gelangt, und mehr hätte man nicht fordern sollen.

Dieser alphabetische Todtentanz ist von dem größern durchaus verschieden in der Darstellung, ähnlich im Geist der Zeichnung, aber ungleich im Schnitte. Da derselbe auf's Neue zu der Streitfrage über den Formschneider des größern Todtentanzes Anlaß gegeben hat, so fordert er hier um so viel mehr Berücksichtigung. Es findet sich 330 nämlich auf der Bibliothek zu BaselAuch in der K. Kupferstichsammlung zu Dresden. (Kunstblatt, 1825, No. 6.) ein Abdruck dieses ganzen Alphabets auf einem Bogen Papier, unten daran steht in deutschen beweglichen Lettern HAnns Lützelburger formschnider, genannt Franck, und das lateinische H vor den beweglichen Lettern hat ein eignes figurirtes Holzstöckchen. – Aus dieser Unterschrift glaubte man, nicht ohne einige Befugniß, den Schluß machen zu können, Hans Lützelburger sey der geschickte Mann, der das Alphabet geschnitten habe. Diese Entdeckung, die Christian von Mechel zuerst gemacht, gab ihm Anlaß, das , welches sich in dem größern Todtentanz am Fuße des Bettes der Herzogin (nach der alten Bezeichnung) findet, ohne weiters auch auf diesen Hans Lützelburger zu deuten, und den wichtigen Fund dem Herrn von Murr mitzutheilen, der die Deutung sogleich als eine Gewißheit in sein Journal der Kunstgeschichte (XVI, 10.) aufnahm. – Aufmerksam auf einen Namen, der nach dieser Voraussetzung den größten Künstler in seinem Fach bezeichnete, machte man nun auch einen größern Holzschnitt ausfindig, bei dem er anzutreffen ist, worin ein halbnärrisches Gefecht in einem Walde zwischen nackten 331 und bekleideten Männern in Utopia dargestellt wird. Der Stich, obgleich gut und fleißig, reicht aber lange nicht an den größern Todtentanz, und eine Vergleichung mit dem kleinern anzustellen, hält wegen der verschiedenen Größe schwerDas Blatt ist nach Papillons Angabe 5½ Zoll hoch und 11 Zoll breit.. In der Platte selbst zeigt sich ein umgekehrtes Täfelchen demnach zu lesen N.H.. Unten an der Platte aber, nicht unmittelbar dazu gehörig, und ohne alle Verbindung mit derselben, sind Abdrücke von zwei besondern Holzblöckchen; auf dem Einen: HANNS . LEVCZELLBVRGER . FVRMSCHNIDER × 1.5.2.2. Auf dem Andern ein lateinisches vollständiges ABC. – Zu bemerken ist, daß auch diese beiden geschnittenen Blöcke gar nicht zusammen gehören, von verschiedener Arbeit und Einfassung, und offenbar später hinzugedruckt sind. – Wer dieser H N, oder vielmehr N H sey, ist nicht ausgemacht. Hat er blos die Zeichnung geliefert, und Lützelburger sie geschnitten, so läßt sich fragen, warum dieser Letztere, wenn er doch seinen Namen dabei haben wollte, ihn nicht in die Platte selbst eingegraben, sondern auf einem eignen Plättchen hinzugedruckt habe? – Und wozu das nichtssagende 332 Abc auf dem andern Täfelchen? Sollte man nicht dem Zweifel statt geben, ob nicht diese Unterschrift sowohl, als die mit beweglicher Schrift gedruckte unter dem Todtentanz-Alphabet, beide mit dem Namen Lützelburgers, fast eher einer Verlagsanzeige, einem Excudit ähnlich seyen, als dem zuverlässigen Namen des Künstlers selbst. Die Händler jener Zeit nannten sich gerne Formschneider; so wie Mechel selbst, der Urheber dieser Offenbarung, noch öfters seinen Namen zu den Werken gab, die in seinem Verlag von andrer Hand ausgefertigt wurden; er hätte also auch über diesen Punkt weniger schnellglaubig seyn dürfen. Auch die, so es ihm nachsagten, waren zu voreilig.

Das ist Alles, was man bis auf den heutigen Tag Bestimmtes von diesem Hans Lützelburger, ungeachtet so bedeutender ihm zugeschriebener Leistungen, weiß. Nirgend sonst erscheint sein Name; in Basel ist weiter nichts von ihm aufzufinden, auch in keinem Tauf- und Bürgerregister daselbst kommt ein Lützelburger vor. Das Wahrscheinliche ist wohl, daß er als wandernder Kunstkrämer, wie es damals solche gab, die bald da, bald dort sich für einige Zeit niederließen, diese Platten an sich gebracht, und damit Handel getrieben habe.

Möchte jedoch dem Lützelburger der Ruhm, das 333 Todtentanz-Alphabet geschnitten zu haben, mit Recht gebühren, so folget noch lange nicht daraus, daß das einfache auf dem größern Todtentanz auch ihm zukomme; nirgends ist die Identität des Monogrammes mit dem Namen dargethan. Man glaubte, diesen Schluß blos aus der ähnlichen Art beider Kunstwerke machen zu können, deren Aehnlichkeit jedoch mehr im Styl der Zeichnung, als in der technischen Ausführung zu finden ist. Und wer kann behaupten, daß dieß gerade den Formschneider bedeuten soll; sind nicht einfache Buchstaben ohne Messerchen eben so oft das Monogramm des Zeichners? Auch kommt der Namenszug eines Formschneiders, der zu einem ganzen Werke beigetragen, selten nur auf einem einzigen Blatte zum Vorschein.

Wie man nun über die Buchstaben am Bette der Herzogin noch nicht im Klaren ist, so liegt auch noch die Frage, wer diese ganze Folgereihe in Holz geschnitten habe, im Zweifel. Herr von Rumohr hat in neuern Zeiten sich bemühtKunstblatt 1823. No. 31 &c., auch die Ehre des Schnittes wiederum, wie man ehedessen gethan, dem Holbein zuzueignen, und viel Bemerkenswerthes gegen die erhobenen Zweifel dargebracht; besonders hat er die verworrenen und zum Theil 334 falschen Behauptungen Douce's (the dance of death etc.) gründlich widerlegt; welches aber hier, um allzugroße Weitläuftigkeit zu vermeiden, übergangen werden muß, und um so viel eher kann, da doch die Frage noch nicht entschieden ist, und man nur noch im Nebel der Wahrscheinlichkeiten, die, wie alle Ungewißheit, ein unendliches Feld bieten, auf einander stößt.

In der Dedication der ersten Lyoner Ausgabe, wird in geschraubten Worten bedauert, daß der Tod den Künstler selbst, der diese zierlichen Figuren erdacht (imaginé), die alle bisherigen übertreffen (avançantes toutes les patronées jusqu'icy), hinweggeholt habe, so daß er nicht mehr im Stande gewesen, mehrere andre schon angefangene (jà par luy trassées) zu vollenden, und jetzt niemand sich die letzte Hand daran zu legen getraue (par les audacieux traictz, perspectives et umbraiges en ce cdef d'oeuvre comprises). – Da dieses schon 1538 geschrieben worden, Holbein aber erst 1554 gestorben, so hat man auf dieses hin demselben sogar auch die Ehre der Erfindung absprechen wollenDouce in the dance of death etc. by Hollar.. Wogegen OttleyHist. of Engraving. Chap. VIII. umständlich und nicht ohne Wahrscheinlichkeit darzuthun sucht, 335 daß unter diesem Verstorbenen niemand als der Formschneider, der früher schon unter Holbeins Direction in Basel gearbeitet, gemeint seyn könne, indem der Schreiber der Dedication nicht gut unterrichtet gewesen sey, und die beiden Künstler für Eine und ebendieselbe Person genommen habe, wobei er dann auch seinen gezierten Witz desto schöner habe anbringen können. – Nach damaligen Zeitverhältnissen, wo literarische und artistische Mittheilungen weniger leicht waren, konnte so eine Verwechslung wohl statt finden; dergleichen Kunstgegenstände gingen von einer Hand in die andre; Holbein war jetzt in England, und wollte vielleicht nichts mehr mit der Sache zu thun haben, konnte deshalb auch für todt angesehen werden.

Nimmt man noch dazu, daß Nikolaus Borbonius, ein Freund Holbeins, und zu gleicher Zeit mit ihm in England, des Todtentanzes in einem Epigramm erwähnt: de Morte picta, a Hanso Pictore nobiliNugae poëticae. Basil. 1540. – Warton (Observations on Spenser, II. 117.) führt (nach Fiorillo's Gesch. der Mal. in Deutschl. II. 399. &c.) noch einige lateinische Verse von N. Bourbon an:
        Videre qui vult Parrhasium cum Zeuxide
        Accessat e Britannia
        Hansum Ulbium et Georgium Riperdium
        Lugduno ab urbe Galliae. (Nugae, libr. III.)

und soll dadurch auf den Einfall gekommen seyn, dieser Riperdius, von dem man weiter nichts weiß, sey der Formschneider des Todtentanzes.
. und daß 336 die Sage von jeher das Werk dem Holbein zuschrieb wenn man überdieß den Zeichnungen, die Mechel hat stechen lassen, die wenigstens theilweise bestimmt Originale sind, ihr historisches Zeugniß nicht verwerfen kann, so wird man ohne Unbill die geistreiche Erfindung und meisterhafte Zeichnung des größern und kleinern Todtentanzes dem Holbein nicht wohl absprechen können, sollte man auch dem Zweifel über die vollendende Ausführung in Holz nicht ganz abwehren können.

So wie das größere ist auch das kleinere Todesmemento mehrmals nachgeschnitten worden; am besten kömmt dieser Nachschnitt in den von Christoph Froschauer in Zürich gedruckten Büchern als Anfangsbuchstaben vor. Es sind auch daraus viele Verwechselungen entstanden, und Mancher meinte, und meint noch, er besitze diese Initialen im Originale, die nur Froschauerische oder anderweitige Copien sind.

Hier darf auch ein vermeintlicher Beitrag zu Holbeins Kunstgeschichte, der sich in dem mehrmals erwähnten kleinen Werke: the dance of death, painted by Holbein, engraved by Hollar, findet, nicht übergangen 337 werden. Der Herausgeber bemerkt: »es sey allen Biographen Holbeins entgangen, daß er einen Todtentanz in Fresco in dem Pallaste zu Whitehall, der 1697 vom Feuer verzehrt worden, gemahlt habe. Er beruft sich auf ein Buch Imagines mortis, or the Death-dance of Hans Holbeyn, Painter of King Henry VIII mit neunzehn sehr mittelmäßigen (very indifferent) nach den Holzschnitten geätzten Blättern von einem gewissen Nieuhoff; das Werkchen sey zwar nie in den Buchhandel gekommen, sondern nur des Verfassers Freunden mitgetheilt worden, mit handschriftlichen holländischen Dedicationen, in welchen der Verfasser berichte, Holbein habe den Todtentanz, welchen er in Holz geschnitten, vorher in lebensgroßen Figuren auf die Mauern zu Whitehall gemalt. Dieß sey zur Zeit Willhelms III., zwar nach dem Brande des Pallastes geschrieben worden, habe aber dem Schreiber noch wohl bekannt seyn können, übrigens finde man sonst nirgends Nachricht von diesem Nieuhoff.«. – Das wäre allerdings eine bedeutende Entdeckung, wenn man ihr einigen Glauben beimessen könnte. Allein weder van Mander, noch Sandrart, noch Patin, die alle in England gewesen, und Whitehall noch gesehen haben, melden ein Wort von diesem gemalten Todtentanz, auch Vertue nicht, und 338 Niemand, als dieser unbedeutende und unbekannte holländische Kupferstecher Neuhof, und blos in handschriftlicher Mittheilung. – Es wäre auch hier dieser Fabel keine Meldung geschehen, hätte nicht Douce ein unverdientes Gewicht darauf gelegt, und fänden seine oberflächlichen Kunstforschungen nicht unverdienten Glauben bei Englischen und andern Compilatoren.

Diese Warnung vor unbegründeten Nachrichten möge für hundert Andre gehen; denn es würde ein eignes Buch erfordert, alles Halbwahre und Falsche und Irreleitende, was über den Todtentanz, und seinen Urheber überhaupt, geschrieben worden, anzuführen und zu widerlegen. 339

 


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