Ulrich Hegner
Hans Holbein der Jüngere
Ulrich Hegner

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Holbein in Basel.

Gemälde am Rathhause.

Je tiefer man über Leben und Wirken eines bedeutenden Menschen nachforscht, desto mehr Widersprechendem und Unerklärlichem begegnet man, so daß es zuweilen consequenter scheint, zu glauben, der Mensch habe gar nicht gelebt, als so wie die Nachrichten lauten. Kein Evangelist konnte es dem Zweifel recht machen; kein Biograph wird es je können, um so viel weniger, je mehr er bloß der Wahrheit Zeugniß geben, und nicht durch Dichtung ergänzen will, was jedes menschliche Leben unergründliches und jede Geschichte unglaubliches hat. Hierzu kommt noch bei Holbein das Mangelhafte in den Nachrichten; denn wiewohl Manche über ihn geschrieben, so haben doch alle Deutsche und Engländer, von denen man noch das Gründlichste hätte erwarten sollen, ihre Kunde von seinem 70 Leben aus Mander, Patin, Sandrart und Iselin genommen, das Einfache in diesen Erzählungen willkührlich ausgeschmückt, und das Zweifelhafte als Gewißheit hingeschrieben. Zudem sind jene vier Gewährsmänner, wie man zum Theil schon gesehen hat, über Manches selbst nicht gleicher Meinung.

Wenn man der Sage Glauben beimißt, daß der Vater Holbein bei dem Bau des Rathhauses, dessen Erneuerung von Grund aus 1508 begonnen, und kaum 1521 vollendet warP. Ochs, Gesch. der Stadt Basel. V. 396., als erster Malermeister sey angestellt worden, so muß dieser Bau, der außen und innen mit Mauergemälden verziert wurde, Beschäftigung auf Jahre lang gegeben haben, wobei der Sohn als Knabe und Jüngling Gelegenheit genug hatte, sich in allem, was zu seiner Kunst erforderlich war, zu üben. Leider aber ist von dieser Arbeit des Vaters und des Sohnes wenig mehr auf uns gekommen, weil alles durch Feuchtigkeit der Mauer zu Grunde gegangen, oder im folgenden Jahrhundert übermalt worden ist. Jedoch ergiebt es sich aus alten Berichten und neuern Nachspürungen, daß wirklich beträchtliche Malereien von dem jungen Holbein müssen vorhanden gewesen seyn. Wursteisen schreibt, daß der 71 Versammlungsort des großen Rathes noch zu seiner Zeit mit Gemälden von diesem großen Künstler geschmückt warEpitome historiae Basiliensis. aut. Chr. Urstisio. 8. Basil. 1577. In supremo coenaculo, ubi Holbeinii celeberrimi Germaniae Apellis (cujus exactum artificium Belgis atque Anglis etiam admirabile fuit) selectissimarum rerum picturae visuntur, maximum totius urbis consilium, viris supra 250 constans, considet.. Dieser Bilder gedenkt auch noch Charles Patin hundert Jahre später, indem er bei dem Verzeichniß der Werke Holbeins anführt, daß oben im Rathhause drei Wände mit Geschichten von ihm bemalt seyen. In den neuern Zeiten von Peter Ochs 1796Geschichte von Basel. V. 400. war nichts mehr davon zu sehen, und ihr Platz mit einem grünen Tuch überhangen. Erst im Jahr 1817 wurde bei Anlaß einiger Abänderungen im großen Rathsaale die Entdeckung eines großen, hinter alten Tapeten versteckten Mauergemäldes von Holbein, mit der Jahreszahl 1521, gemacht, das zwei Abtheilungen hatte. »Aus der Einen sieht man die Geschichte des M. Curius Dentatus der bei einem Feuer sein Essen kocht, indessen ihm die Samnitischen Gesandten Schüsseln mit Geld darbieten. Diese ganze Vorstellung hatte aber so sehr gelitten, daß sich nur mit Mühe ein Umriß davon nehmen ließ; hie und da fanden 72 sich noch einige besser erhaltene Fragmente, die unverkennbar Holbeins Pinsel und Meisterhand verrathen. Der andre kleinere Theil ist etwas besser erhalten, und zeiget den Zaleucus und seinen Sohn, denen die Augen ausgestochen werden. Mehrere charakteristische, sehr bestimmt gezeichnete, sprechende Köpfe zeichnen sich noch aus. Auf den andern Wänden dieses Saals befanden sich ebenfalls Gemälde, von denen man aber nur noch wenige Spuren bemerkt.«Aus dem Bericht eines sachkundigen Freundes. – Als Belege dieser Originalstücke zeigen sich auf der öffentlichen Bibliothek noch die in Tusch ausgeführten Zeichnungen zu denselben, woraus man wenigstens auf die kecke Zeichnung und den Reichthum der Composition des alten Kunstwerkes schließen kannDie Birmannische Kunsthandlung in Basel hat, zusammengenommen aus diesen Zeichnungen und den Ueberbleibseln der Gemälde sehr genaue Copien in Wasserfarben ausführen lassen, und denselben noch eine dritte, ebenfalls nach einer solchen Handzeichnung beigefügt, die überschrieben ist: Charonda Tirius (Charondas Thurius), der sich, seinen eignen Gesetzen ein Genügen leistend, mit dem Schwerte durchbohrt. – Solche drei ernste Züge aus der Geschichte, wie das Beyspiel von M. Curius, Zaleucus und Charondas, der ersten Behörde von Stadt und Land in ihrem Versammlungssaal beständig vor Augen gestellt, zeigen, daß es der Obrigkeit um strenge Handhabung des Rechts aufrichtig zu thun war, und sie können auch nicht wohl ohne einige gute Wirkung geblieben seyn. Würde man dieß in unsrer Zeit auch wieder versuchen, so fänden, wenn auch Gesetzgeber und Richter keiner solchen Erinnerungen bedürften, wenigstens die Maler bedeutende Beschäftigung, und wären weniger im Fall, sich blos mit kleinen Gegenständen abzugeben..

73 Das Schicksal war aber diesen Arbeiten nicht günstig, habe nun die Schuld an der Malerei selbst, oder an der feuchten Mauer gelegen, denn schon 1579 fand es sich, »daß das große Stuck der holbeinischen Gemählden, so im obern Saal gemahlet sind, vom Wetter wüst geschändet, und zu besorgen, mit der Zeit gänzlich abfallen werde, wesnahen Hans Bockh der Mahler bestellt wurde, er sollte dasselb auf Tuch mit öhlfarben auf das allerfleissigste conterfehen und nachmahlen«Abschrift aus dem Archiv zu Basel. Nebst Supplication Hans Bockhen des Malers, 23 Novemb. 1579.. – Er malte daran 26 Wochen von Morgen bis in die Nacht, und führt an: »daß unter allen Holbeinischen Saalstucken dieses nicht allein das größte, sondern auch das mühsamste sey, als welches neben Landschaften bei hundert Angesichter ganzer oder doch zum Theil deutlich angezeigter und ausgemahlter Mannspersonen inhalte, die er alle, neben vielen Rossen, Wehren und anderm, stück für stück abconterfeten müssen, und zwar mit Oehlfarben, welche weise 74 zu mahlen zweymahl mehr Arbeit nimmt, denn andre Gemähld auf naß Tünch oder mit Leimfarben, u. s. w. – Er glaubt daher mit Billigkeit und unterthänigem Vertrauen hundert Gulden mit dieser Arbeit wohl verdient zu haben.«

Diese Nachbildung von Bock wurde nun über das verdorbene Original im Rathsaale aufgezogen, muß sich aber auch nicht lange gehalten haben, indem nicht nur keine Spur mehr davon anzutreffen ist, sondern der verderbliche Platz seitdem zu wiederholten Malen mit Tuch hat müssen überzogen werden. – Wer bedauert nicht den Verlust von so vieler Kunst und großer Arbeit! Welch ein Schatz für Basel, wenn auch nur diese Copien hätten erhalten werden können!

Auch die vielen, sowohl auswendig als inwendig in dem Hofe und den Gängen des Rathhauses auf den Mauern angebrachten Malereien sind nicht mehr, was sie ursprünglich gewesen, indem sie mehrmals umgearbeitet worden. Zufolge einer Inschrift oben an der Rathstreppe geschah die Verfertigung und Erneuerung derselben in den Jahren 1510, 1610, 1710 und 1760; ihre Anzeige gehört also nicht hieher. Einzig des sogenannten jüngsten Gerichts, das oben an der Treppe zu sehen ist, muß hier Meldung geschehen, weil Reisebeschreibungen desselben als 75 einer Arbeit aus Holbeins Zeiten gedenken, und weil viel Aufhebens davon, als von einer Pictura Lutheranissima ante Lutherum gemacht worden, da ein Pabst darauf vorkommt, der nebst andern Geistlichen und Klosterleuten in die Flammen der Hölle versinktStaatskluge Conjecturen darüber macht auch Ochs in seiner Geschichte von Basel. V. 275.. – Ungeachtet jener Inschrift aber, (die von späterm Datum 1710 ist, wo die Gemälde zum zweiten Mal aufgefrischt wurden) kann dieses Bild nicht schon 1510 verfertigt worden seyn, denn erst 1508 wurde der alte Bau des Hauses niedergerissenUrstisii Epitome etc. p. 346. nach Ochs &c., und der neue, laut allen Nachrichten, lange nicht so geschwind hergestellt, daß man schon das zweite Jahr darauf die innern Gänge hätte bemalen können. Ueberdieß ergibt sich aus vielen in den Stadtarchiven noch aufbewahrten Rechnungen, Suppliken und Schriften, daß in den Jahren 1609 und 1610 Hans Bock und seine Söhne (das Rathsbuch nennt ihn den kunstreichen Maler) mehrere Historien am Rathhause malten, worunter auch das jüngste Gericht namentlich angeführt ist. Nirgends aber findet sich in allen diesen Schriften, daß Bock diese Gemälde blos erneuert oder wieder übermalt habe. Wenn also in diesem jüngsten Gerichte der Pabst unter den Verdammten 76 erscheint, so wäre das an einem Erzeugnisse von 1610 nichts wunderbares aus katholischen, sondern etwas gewöhnliches aus protestantischen ZeitenAber auch aus katholischen Zeiten wäre diese Vorstellung zu rechtfertigen. Was will sie anders sagen, als daß kein Sünder verschont bleibe am Tage des Gerichts, wenn er auch Pabst oder Cardinal gewesen wäre. Dergleichen derbe Belehrungen waren in jener Zeit eben nicht selten, man findet sie noch hie und da. Fiorillo (Gesch. der zeichn. Künste in Deutschland. I. 305. II. 198 &c.) führt dergleichen mehrere an, wo alle Menschenklassen, geistliche und weltliche, in der Feuersglut zu sehen sind; nur kein jung Kind, wie schon Luther bemerkt hat. Die alten Steinmetzen erlaubten sich wohl noch stärkere Sachen an Thürmen und Kirchen. – Jetzt ist man auch in Basel höflicher geworden, indem bei der neusten Restauration des Gemäldes der Pabst zwar noch im Feuer stehen geblieben, jedoch ohne Krone. (Schweiz. Monatschronik. 1825. No. 12.).

»Hundert Jahre später, 1710, wurde ein Accord geschlossen mit Benedict und Hans Georg Becker, Gebrüder, wie auch Andreas Holzmüller und Jacob Steinbüchel, alle vier Bürger und Mahler zu Basel, wegen Erneuerung der Gemählde vor, in und unter dem Rathhaus – und sollen die Arbeit dem alten Riß nach ordentlich und fleissig verfertigenNach archivalischen Schriften..« – Hier ist also von Auffrischung der Gemälde die Rede; oben nicht.

Zwölf gemalte Fensterscheiben des vordern Rathsaales, mit den Wappen und Schildhaltern der zwölf 77 Cantone, sollen hier auch berührt werden, da sie wegen schöner Zeichnung und Farbenpracht von vielen dem Hans Holbein zugeschrieben werden. Sie würden ihm auch allerdings keine Schande machen; allein sie können nicht von ihm herrühren, da sie älter sind, wie dieß die Jahrzahl 1501, die der Schild von Solothurn hatOchs Geschichte &c. III. 218., desgleichen der Umstand darthut, daß Appenzell, welches erst 1513 in den eydgenossischen Bund trat, noch nicht dabei ist; mithin auch hierdurch ihr früherer Ursprung erhellet. 78

 


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