Ulrich Hegner
Hans Holbein der Jüngere
Ulrich Hegner

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Basel,
am Ende des XV Jahrhunderts.

Nach der Schilderung, die im Jahre 1436 Aeneas Sylvius von Basel machteEpist. Aeneae Sylvii, urbis Basiliensis descriptionem continens etc., befand sich diese Stadt schon damals, zur Zeit der Kirchenversammlung, in einem blühenden Zustand. Er sprach als Augenzeuge, indem er selbst in der langen Reihe von Jahren, da jene Versammlung dauerte, als mitwirkend an ihren Verhandlungen sich großen Theils in Basel aufhielt.

Diese Stadt, meldet er, vor achtzig Jahren durch ein Erdbeben gänzlich verwüstet, zeige nunmehr lauter neue Häuser, schön und zierlich, außen weiß oder bemalt, und die Dächer mit vielfarbigen glänzenden Ziegeln gedeckt; 2 fast jedes Haus habe einen Garten, Brunnen und Hof; auch das Innere der Häuser sey mit großer Einsicht in Gemächer abgetheilt, und zeichne sich durch Reichthum und Gemächlichkeit aus, so daß es auch in Florenz nicht besser seyn möge. Zwar prangen die Kirchen nicht von Marmor, doch seyen sie auch nicht blos gemeine Steinhaufen, und inwendig finde man sie mit künstlichem Stuhlwerke geziert. Auch fehle es nicht an Gold und Silber und köstlich ausgelegten Reliquien, wiewohl Altäre und Meßgewänder es den Kirchen italienischer Städte an Pracht nicht gleich thun. – Die öffentlichen Brunnen seyen eine Zierde der Stadt, und an wasserreichen Quellen habe selbst Viterbo keinen Vorzug.

Die Ringmauern, berichtet der berühmte Mann weiter, seyen weder hoch noch dick, und möchten kaum einen italiänischen KriegssturmDamaliger Zeit. aushalten, allein die Bürgerschaft, Eines Sinnes und muthig, sey für die Freyheit zu sterben bereit. – Im Regiment herrsche keine Zwietracht, und gegen die Obrigkeit werden keine Beschwerden geführt. Ohne bestimmte Gesetze und ohne Rechtsgelehrte, werde nach Gewohnheiten und natürlicher Ansicht gerichtet, unpartheyisch, gerecht und streng, oft grausam in Strafen. 3 – Mit weltlicher Wissenschaft, mit Gelehrsamkeit gebe man sich wenig ab, indem weder von Cicero, noch irgend einem andern alten Redner oder Dichter auch nur die Namen gehört werden, höchstens lege man sich noch auf Grammatik und Dialektik. Dagegen werden viele Bilder der Heiligen verehrt, und täglich die Kirchen besucht. – Die Männer seyen größtentheils von ansehnlichem Wuchs und von höflicher, sanfter Lebensart; nicht prächtig, aber reinlich bekleidet; sie lieben eine wohlbesetzte Tafel. Die Angesehensten der Stadt tragen schwarzes Gewand, nur einige unter den Rittern Purpur. Die gebräuchliche Kleidung der Bürgersfrauen habe nur Einen Schnitt, so daß man oft floralische Mädchen für vestalische Jungfrauen ansehe. Die gemeine Menge aber gehe zerfetzt und in grobem Zeug einher, ihre Kinder mit bloßen Füßen.

Die vorzüglichen Belustigungen der Bürger, fährt die Beschreibung fort, bestehen im Zusammenkommen auf mehreren öffentlichen Plätzen der Stadt, wo die jungen Leute im Schatten der Eichen und Ulmen Kurzweil treiben mit Laufen und Springen, mit Zureiten der Pferde die Einen, andere mit Fechten, Ringen und Steinstoßen; oder sie schießen mit der Armbrust, sie üben sich im Ballspiele. Die Uebrigen singen, oder tanzen in Reihen, denn auch das weibliche Geschlecht besuche diese Plätze, und 4 belebe sie mit freier Sitte und Fröhlichkeit. – Die Edelleute haben ihre besondern Lustorte für Sommer und Winter, wo sie ihre Zechen zu halten pflegen. Zudem haben sie ein weites, ansehnliches Haus gebaut, wo große Tänze ausgeführt und wohin die schönsten Frauen der Stadt geladen werden, die dann prächtig mit Gold und Edelsteinen geschmückt, wie auf einer festlichen Hochzeit, sich einzufinden pflegen. Dahin aber habe aus der Bürgerschaft niemand den Zutritt, er stehe denn in hohen Würden oder großem Reichthum.

Am Ende rühmt auch dieser wohlgesinnte Gönner von den Einwohnern der Stadt, in ihrem Lebenswandel seyen sie redlich, pflegen Treue und Glauben zu halten und das Seyn dem Scheine vorzuziehen. Für das Ihrige besorgt und genügsam, trachten sie nicht nach fremdem Gut, wenn nicht etwa häusliche Noth eine Ausnahme mache. So zeigen sich wenig lasterhafte Neigungen unter diesen Menschen, man möchte denn sinnliches Wohlleben dahin zählen, und die Opfer, die dem Vater der Weinrebe und der paphischen Göttin gebracht werden, welche sie aber für verzeihlich halten.

Die Gegend um die Stadt findet auch der Italiäner höchst anmuthig, aber kurz den Sommer und kalt den Winter.

5 So weit Aeneas Sylvius. Und so stand es mit der Reichsstadt Basel und ihren Bewohnern zu und nach der Zeit, als dieser unbefangene Beobachter, dessen Verdienste ihn späterhin auf den heiligen Stuhl erhoben, sich daselbst aufhielt. Durch ein zerstörendes Erdbeben niedergeworfen, durch Seuchen und Theuerung entvölkert, stets von neuen Kriegen und Fehden beunruhigt, hatte gleichwohl Stadt und Bürgerschaft den Muth nicht sinken lassen; die Liebe des Vaterlandes und der Freiheit begeisterte die Vorsteher immer wieder zu Rath und That, zu unerschrockenen Maaßnahmen waltender Vorsicht, und zum Schutze des Rechts. Ja selbst jene Uebel und Anfechtungen von außen trugen dazu bei, das gesellschaftliche Band fester zu knüpfen, und durch Aufnahme tapferer Männer in das Bürgerrecht um ein Geringes, oft umsonst, ihre kriegerische Kraft zu ergänzen. Kriegsbeute, denn ohne Raub und Plünderung kam damals kein Sieger zurück, bereicherte, wenn nicht das Ganze, doch Einzelne. Wurde auch das Land noch so sehr mitgenommen, an die Stadt selbst wagte sich kein Feind, und die flüchtigen Bauern verstärkten noch die Besatzung. Das gefahrvolle Leben weckte das Volk zum Genuß des Augenblicks, zu kriegerischen Uebungen, zum Wettkampf in Leibesstärke, zu sinnlicher Lust. Und so wie das Leben damals war, blieb es das ganze Jahrhundert hindurch. Es 6 hatte mehr Oeffentlichkeit statt, mehr Liebe und Haß, und kürzere Dauer von beiden, mehr Wagniß und weniger Bedenken, als in unsern Zeiten.

Doch unermüdet war das Streben zum Bessern; nicht nur gewann die Stadt immermehr an Freyheit und Ansehen; auch die geistige Bildung, deren Mangel dem Aeneas Sylvius noch aufgefallen war, hatte durch den Aufenthalt gelehrter Männer, die dem siebenzehnjährigen Concilium beiwohnten, zugenommen; ja dieser edle Mann trug selbst das Meiste dazu bei, indem er, mit päpstlicher Macht bekleidet, der Stadt in gefälliger Erinnerung seines ehmahligen Aufenthalts, im Jahre 1459 eine mit ansehnlichen Vorrechten ausgestattete hohe Schule verlieh, die, mit weiser Sorgfalt von der Obrigkeit gepflegt, ein Zufluchtsort gelehrter Männer ward, und bald auch den Erasmus, das größte Licht damahliger Wissenschaft, an sich zog, wo dann in kurzer Zeit die berühmten Buchdruckereien glänzend hervortraten, die der Stadt eben so viel Ehre als Vortheil gewährten, und aus deren Werkstätten die alten Redner und Dichter, die man vor einem halben Jahrhunderte kaum noch dem Namen nach kannte, jetzt gleichsam in ein neues Leben erstanden, und das Evangelium eines bessern Geschmacks in der Nähe und Ferne verkündigten.

7 Indessen blieb derbe, kräftige Sinnlichkeit gleichwohl, so hier wie anderswo, der hervortretende Charakter der Zeit. Wie hätte es auch nach den burgundischen Kriegen, die mit barbarischer Wildheit geführt wurden, und große Sittenlosigkeit zur Folge hatten, wie in den beständigen, blutigen Kämpfen mit Großen und Kleinen, bald hier bald dort, anders seyn können? Die Tage des Friedens, der stillen Häuslichkeit, waren noch nicht gekommen, oder nur für wenige vorhanden. Der Krieg forderte körperliche Gewandtheit, rege Kraft, und einen entschlossenen Sinn für die Gegenwart; alles das erhöhte die Empfänglichkeit für schnelle, wesentliche Lust; und geistlicher Ablaß, leicht zu erhalten, wusch nur zu bald die Flecken wieder ab. – Von diesem Zustande der Sittlichkeit zeuget auch die schweizerische Kleidertracht, wie sie aus jener Zeit noch in Gemälden und Handzeichnungen auf uns gekommen; sie verräth bey beyden Geschlechtern Ueppigkeit und sinnlichen Reiz; denn wo Ausgelassenheit im Gefolge der Männer geht, begegnet sie bald dem Leichtsinne der Frauen.

So vom geistlichen Oberhaupte begünstigt, von weltlichen Herren geehrt oder bekämpft, den Freunden werth und den Feinden gewachsen, zeigte sich bedeutend in Licht und Schatten die freye Stadt Basel zu Anfang des XVI Jahrhunderts, in ihrem schönsten Zeitraume, wo sie mit 8 Ehren in den gemeineidgenossischen Bund trat, und im Feuer des Vertrauens auf die neuerlangte Kraft sogleich die geharnischte Wache unter den Thoren zurückzog, um als Symbol nunmehriger Sicherheit blos eine Frau mit einem Spinnrocken zur Beziehung der Zölle dahin zu setzenGeschichte der Stadt und Landschaft Basel, von P. Ochs. IV. 757. nach Tschudi..

Auf diesen gedrängten Schauplatz, in diese rege Zeit fiel das Jugendleben Hans Holbeins, und dieß ist der Standpunkt, von dem aus sein Eintritt in die Welt will ins Auge gefaßt werden. Welches junge Gemüth kann sich von dem Einflusse dessen, was es täglich sieht und hört, frei erhalten? Was davon Gutes und Böses in seine Sinnesart überging, wird die Folge lehren. 9

 


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