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XXX. Kapitel

Louise von Toscana / Ihre Ehe mit dem Kronprinzen von Sachsen – Flucht in die Schweiz / Leopold Wölfling / Kaiserliche Kundgebung in der Wiener Zeitung


Das »schreckliche Jahr« in den Annalen des Hauses Habsburg begann gegen Ende 1902. Es bietet sich das Schauspiel, daß ein Bruder und eine Schwester gemeinsam und wie auf Verabredung eine Demonstration veranstalten und durchführen: Prinzessin Louise von Toscana stürzt sich in die Abenteuer, deren Lauf sie schließlich in den Ehebund mit Herrn Toselli treibt, und Erzherzog Leopold Ferdinand steigt herab, um als Herr Wölfling frei dem Zuge eines ungestümen Herzens folgen zu können.

Prinzessin Louise hat ihre Geschichte selbst erzählt. Der Natur der Sache nach ist es die Geschichte einer Frau, die sich verteidigt, die auf Angriffe antwortet und sich rechtfertigt. Aus diesem Grunde muß ihr Buch sehr kritisch gelesen werden. Was Prinzessin Louise geben konnte, war im wesentlichen eine Darlegung ihrer Motive, und dies hat allen Anspruch auf gebührliche und aufmerksame Beachtung. Zum mindesten darf man voraussetzen, daß sie wußte, warum sie tat, was sie vor der Welt zu tun sich nicht scheute. Es ist freilich nicht unmöglich, daß sie manches schrieb in der Absicht irrezuführen, aber ein solcher Wunsch mochte sich wohl doch nur auf einige Einzelheiten beziehen. Im ganzen erweckt ihre Erzählung den Eindruck gewinnender Freimütigkeit.

Der ungesunde Familienzug stammte nicht bloß von des Vaters Seite her. Ihre Mutter war eine Bourbon von Parma, und über dieses Geschlecht gibt sich Prinzessin Louise keiner Täuschung hin. Das geistige Erbübel findet sich hier stärker ausgeprägt und es fehlt das Gegengewicht jener Eigenschaften, welchen die Habsburger ihre Größe verdanken. Die Charakterskizzen, welche Prinzessin Louise von ihrem Urgroßvater, dem Herzog von Parma und Lucca, und ihrem Onkel, dem Herzog Robert von Parma entwirft, sind Schilderungen von Wahnsinnigen. Und schon hier blitzt ein instinktives Bewußtsein davon auf, daß der königliche Familienkreis eine Stätte des Verderbens war und daß es wie ein Gebot der Selbsterhaltung schien, ihr zu entfliehen, um sich ferne davon, in einer romantischen Atmosphäre auszuleben. So heißt es an einer Stelle, wo sie von dem Verhältnis ihres Onkels zu seiner Gemahlin spricht:

»Sie war fromm und äußerst einfach, und so oft er aus Parma kam, pflegte er auszurufen: ›Il faut absolument, que j'aille me retremper au près d'une jolie femme après ce tombeau de mon illustre compagne‹ (Es geht wirklich nicht anders, als daß ich mich bei einer hübschen Frau erfrische nach dieser Grabesatmosphäre bei meiner erlauchten Lebensgefährtin).

Und das ist nicht einmal alles, denn Prinzessin Louise hat das Thema nicht erschöpft. Sie hätte von gewissen Verwandten aus Parma sprechen können, 19 Kindern eines und desselben Vaters, von denen 16 schwachsinnig sind oder gewesen sein sollen. Es heißt, daß eines dieser armen Wesen mit feierlicher Gebärde herumgeht in dem Glauben, sie sei Marie-Antoinette, und daß sie fortwährend eine Orange mit sich trägt, hartnäckig dabeibleibend, dies sei ihr Haupt, das man ihr kürzlich abgeschlagen habe. Es ist nicht schwer, sich Prinzessin Louise vorzustellen, wie sie allmählich ihre eigene Ansicht darüber gewinnt, was es für Schattenseiten haben kann, von königlicher Herkunft zu sein; und dies um so mehr, wenn man annimmt, daß die Keime des verhängnisvollen Erbes auch in ihr schliefen.

Doch würde das nicht, oder wenigstens nicht so sehr von Belang gewesen sein, wenn sie beizeiten durch die Lehren der Wissenschaft aufgeklärt noch als Mädchen um das Recht gekämpft hätte, uneingeschränkt über Herz und Hand zu verfügen. Das heißt mit anderen Worten, eine starke aus den Urgründen ihres Wesens hervorbrechende Liebe in jener Zeit hätte sie später vor manchem bewahren können. Allein diese Liebe wurde nicht erweckt, und sie war als Mädchen fügsam genug, zu tun, was man von ihr verlangte oder erwartete. Freilich nicht ganz frei von einer Neigung zu hochfliegenden Ideen jener Mädchen, die sich über ihnen überlegen dünkende Freier lustig machen. So tat sie dies mit dem Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg, dem jetzigen König von Bulgarien, obwohl sie ihn vielleicht genommen hätte, wenn in ihrer Familie nicht die Meinung über dieses Eheprojekt sehr auseinandergegangen wäre.

Es ging die Rede, daß sie sich mit Dom Pedro, einem entfernten Vetter, dem Neffen des Kaisers von Brasilien, vermählen sollte. Was aus diesem Freier geworden ist, darüber sagt sie:

»Armer Dom Pedro! Drei Jahre nach unserem Zusammentreffen wurde er geisteskrank und nun lebt er unter Aufsicht irgendwo in einem österreichischen Schloß.«

Dann stellt sich Friedrich August, der jetzige König von Sachsen ein. Prinzessin Louise mochte ihn gut leiden und nahm die Bewerbung an. Und es ist ein Punkt, der nicht übersehen werden darf: obwohl sie ihn verließ unter dem Zwang eines Triebes, der, plötzlich wie etwas Fremdes aus ihrem Wesen hervorbrechend, laut nach Freiheit schrie, spricht sie in ihrem Buch doch ohne alle Bitterkeit von ihm. Er meinte es herzlich gut, so geht daraus hervor, aber er ermangelte einer gewissen Klugheit, um seine Frau zu verstehen, die allerdings manche Bestürzung hervorrufende Eigentümlichkeit gehabt zu haben scheint, und er ließ sich in seiner Neigung zu ihr durch schlechte Ratgeber übel beeinflussen. Dies alles findet sich in ihrem Buch bis ins einzelnste dargelegt; indessen dürfen wir nicht vergessen, daß wohl Prinzessin Louise ihre Geschichte erzählt hat, daß aber der König von Sachsen die seinige bisher noch ungeschrieben ließ.

Mit ihrer Hingabe an Religion und Etikette und ihrer Unfähigkeit, beides auseinanderzuhalten, waren die Spitzen des sächsischen Königshauses zweifellos schwierige Gefährten für ein impulsives Naturkind. Sie waren steif und würdevoll ganz außer allem Verhältnis zu ihrer Bedeutung, und Prinzessin Louise kam unter sie wie ein Heideprinzeßchen, das sich ganz wie ein solches gab – ja schlimmer noch; sie war eine Range, die es an Ehrfurcht vor fast allem fehlen ließ, was in königlichen und katholischen Kreisen als verehrungswürdig gilt.

Und sie hielt sich nicht zurück, sondern spielte ihre Rolle auch vor dem Publikum. Das Volk bewunderte und applaudierte. In einem von katholischen Herrschern regierten protestantischen Land wirkte ihre hartnäckige Weigerung, einem Jesuiten die Beichte abzulegen, ganz natürlicherweise wie eine volkstümliche Demonstration. In fortschrittlichen demokratischen Kreisen wurde ein großer Enthusiasmus laut, als sich das Gerücht verbreitete, sie hätte sich einen Zahnarzt zum Begleiter für ihre Radpartien im Dresdener Park erlesen.

Der königliche Familienrat steckte seine Köpfe zusammen und kam zu dem Beschluß, daß eine Frau, die lieber mit einem Zahnarzt Radpartien unternahm, statt ihre Sünden einem Jesuiten zu beichten, geisteskrank sein müsse, und deshalb erscheine es angezeigt, sie in eine Heilanstalt zu bringen; worauf Prinzessin Louise, welche Wind davon bekam, die Flucht ergriff.

Niemand wird sie darob tadeln, denn man kann ihr wohl glauben, daß ihre Flucht nicht unbegründet war. Wenn ein Umstand dazu angetan ist, Zweifel darüber zu erwecken, daß der Prozentsatz geistiger Erkrankungen in königlichen Familien wirklich größer sei als anderswo, so ist es die Tatsache, daß die Glieder königlicher Familien skrupellos bereit sind, einander als irrsinnig zu erklären und unter Freiheitsbeschränkung zu stellen. All dieser Dinge eingedenk suchte sie Zuflucht in ihres Vaters Haus zu Salzburg. Und als dieser ihr seinen Beistand versagte, weil er – ein alter Mann, der auf seine Ruhe bedacht war – sich zu keiner bestimmten Maßnahme entschließen konnte, floh sie wiederum und begab sich nach der Schweiz. Indessen nicht allein, und – das muß zugegeben werden – nicht mit dem Zahnarzt. Ihr Bruder, Erzherzog Leopold, ging mit ihr, und später gesellte sich noch der Erzieher ihres Sohnes, Herr Giron, dazu. Auch Leopold war damals der Held eines Romans: freilich war es weder der erste, noch sollte es der letzte seines Lebens bleiben. Seine erste Liebe war Elvira, die Tochter des spanischen Kronprätendenten gewesen. Die Ehe war aber aus irgendwelchen Gründen seinerzeit nicht zustande gekommen, und Elvira hatte sich über die Enttäuschung durch ein Abenteuer mit einem verheirateten Mann hinweggeholfen. Nun war Leopold entschlossen, die Tochter eines Postbeamten aus Iglau als Gattin heimzuführen, Wilhelmine Adamovics, eine kleine Schauspielerin, deretwegen er schon einmal nach Ägypten geschickt worden war, um der Versuchung aus dem Wege zu sein. Aber sogleich nach seiner Rückkehr hatte er sich wieder dieser Versuchung ausgeliefert und nun war er bereit, Wilhelmine Adamovicz zuliebe nicht nur schlecht und recht den Namen Leopold Wölfling anzunehmen, sondern auch seine Stellung als Oberst in der österreichischen Armee zu opfern. So kam es, daß er, sie, Prinzessin Louise und Herr Giron – ein sehr ehrenwerter junger Mann, dazu Neffe eines Brüsseler Universitätsprofessors – eine romantische Quadrupelallianz bildeten, um der kalten feindlichen Welt Trotz zu bieten.

Inzwischen wurde Prinzessin Louise von den hinters Licht geführten Familienstätten aus mit olympischem Donnergegroll heimgesucht, welches je nachdem die Formen von Denunziation, Strafandrohung oder Gebeten annahm. Zunächst wurde ihr Entweichen offiziell bekanntgegeben: Kein Wort von der Irrenhausgefahr, der sie sich entzogen hatte, sondern der glatte Vorwurf, daß sie mit Außerachtlassung aller Familienbande und Pflichten sich davongemacht habe. Dann kam die Reihe an den Hofkaplan, welcher, gleichfalls den springenden Punkt unerwähnt lassend, die Kirchengemeinde dazu aufforderte, für die Rückkehr der Prinzessin auf den Weg der Tugend zu beten. Darauf folgte die Ankündigung, daß der Kronprinz von Sachsen in Erwägung ziehe, auf welche Weise er die Ehescheidung erlangen könne, die ihm nach den Gesetzen seiner Kirche offensichtlich nicht zustand, und es traf das folgende Telegramm ihres Vaters ein: »Nous avons d'autres enfants, nous ne pouvons nous occuper de toi.« (Wir haben noch andere Kinder und können uns nicht weiter deiner annehmen.) Zuletzt tat auch Franz Joseph die Schritte, die er als ihm obliegend betrachtete. In der Wiener Zeitung vom 28. Januar 1903 erschien folgende Notiz:

»Wie wir erfahren, hat der Kaiser, kraft der ihm als Haupt der Dynastie zustehenden Macht, es als seine Pflicht erachtet, anzuordnen, daß alle Rechte, Ehren und Privilegien, welche bisher der Gemahlin des Kronprinzen Friedrich August von Sachsen in der Eigenschaft einer österreichischen Erzherzogin gebührten, aufgehoben sein sollen, und daß diese Aufhebung auch für den Fall Geltung habe, daß der schwebende Scheidungsprozeß im Sinne des § 157 des B. G. entschieden werden und die Prinzessin ihren Mädchennamen wieder führen sollte; demzufolge ist es ihr in Zukunft verboten, den Titel einer kaiserlichen Prinzessin und Erzherzogin zu führen, und ihr erzherzogliches Wappen mit Emblem zu gebrauchen. Ferner soll sie keinen Anspruch auf den Titel einer k. und k. Hoheit haben, und sollen alle mit diesem Titel verbundenen Rechte ihr entzogen sein.«

Indessen lassen wir diese Sache auf sich beruhen und wenden wir uns zu den Schicksalen der romantischen Quadrupelallianz, welche von der Schweiz aus unter den Augen zahlloser Pressekorrespondenten beider Hemisphären ihren Krieg gegen das Haus Habsburg führte.

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