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V. Kapitel

Melanie Metternichs Tagebuch / Metternichs Rücktritt / Flucht des Hofes aus Wien / Belagerung Wiens / Kaiser Ferdinands Abdankung / »Fahr wohl, meine Jugend«


Wenn wir durch zeitgenössische Beurteilung die Unruhen kennen lernen wollen, die das alte Österreich zerbrochen, so steht uns in dem Tagebuch der Gemahlin Metternichs das wertvollste Dokument zur Verfügung. Sie wurde kurz Fürstin Melanie genannt. Purer Mutwille war für sie der einzige Beweggrund der Aufständischen, schwärzester Undank gegen die guten Herrscher war deren Kennzeichen, und als das Ende von allem mußte unfehlbar der große Weltzusammenbruch erfolgen. Und dies alles, weil Studenten und Arbeiter eine Verfassung verlangten!

Nach den Februarereignissen des Jahres 1848 in Paris sah sie Unglück über Unglück hereinbrechen:

»Das arme Deutschland steht schon ganz in Flammen. Niemals waren die Zeiten schwerer oder ernster. Jede Stunde bringt neue Ereignisse und neue Unruhen kommen unaufhörlich zu den alten!«

»Kossuth hat eine Verfügung eingereicht, die von der Deputiertenkammer genehmigt wurde. Diese Leute verlangen wirklich nichts mehr und nichts weniger als eine Verfassung für Österreich! Die Aufregung ist allgemein und der Schrecken groß. Die Beunruhigung ist, besonders auf Seiten der Finanzmänner derart, daß man dem Volke Konzessionen machen will und auf keinem anderen Wege mehr Rettung sieht. Man könnte glauben, die Hölle sei losgelassen. Gott allein vermag die Sturmflut einzudämmen, die alles unter sich zu begraben droht!«

Zuerst beschränkten sich die Unruhen auf Ungarn, griffen aber bald weiter um sich:

»Auch hier verlangt das Volk eine Verfassung, und unsere verschiedenen Provinzialversammlungen sind im Begriff, die beklagenswertesten Beschlüsse zu fassen. Möge Gott uns erleuchten und die Kraft zur Festigkeit geben. Das ist alles, was ich erflehe.«

Und weiter:

»Die Nachrichten aus Deutschland werden schlimmer und schlimmer. Ein Deutschland im wahren Sinne des Wortes gibt es nicht mehr, denn alle deutschen Herrscher haben Konzessionen machen müssen … Man braucht wirklich übermenschliche moralische Kräfte, um dieser Volksbewegung stand zu halten.«

Fürstin Melanie wurde an einem ihrer Empfangsabende durch Felicie Esterhazy eine bedeutsame Warnung zuteil:

»Sie ließ folgende lakonische Bemerkung fallen: Ist es wahr, daß Sie morgen abreisen? Wieso? erwiderte ich. Weil man uns sagte, wir sollten Kerzen kaufen, damit wir morgen für ein großes Ereignis, das in Aussicht stünde, illuminieren könnten!«

Ein großes Ereignis fand denn auch am nächsten Morgen statt, freilich in anderer Weise, als Felicie Esterhazy meinte. Fürstin Melanie war Zeuge davon. Sie sah eine Demonstration auf dem Ballplatz und hörte einen Anführer von den Schultern seiner Genossen herab dem Volke zurufen:

»Es lebe das Kaiserhaus! Wir wollen Rechte, wie es dem Geist der Zeit entspricht! (Hochrufe.) Gebt uns Preßfreiheit! (Beifall.) Öffentliches Gerichtsverfahren! Gedankenfreiheit! Weg mit denen, die sich überlebt haben! (Stürmischer Beifall.)«

Fürstin Melanie beklagt sich darüber, daß »niemand gegen diese ungebührliche Kundgebung einschritt und keiner den Versuch machte, die Schreier zum Schweigen zu bringen«.

Ungebührlich nennt sie die Demonstration, weil sie sich öffentlich gegen ihren Mann richtete. Denn dieser repräsentierte weit mehr noch als der Kaiser das ancien régime, dem das Volk jetzt den Garaus machen wollte. Was half es Metternich, wenn er zuweilen in späteren Jahren beteuerte, daß er vielleicht zu Zeiten wohl Europa, aber niemals Österreich beherrscht hätte. Das Volk wußte es besser, oder vermeinte wenigstens es zu wissen. Der Hauptartikel seines Glaubensbekenntnisses war, daß Metternich gehen müsse, und die einzige Frage für Ferdinand und seinen Hof war die, ob Metternich gleich einem Jonas, der dem österreichischen Staatsschiff Unheil zu bringen drohte, über Bord geworfen werden sollte. Die Lösung zeigt uns Fürstin Melanies Tagebuch:

»Um 6½ Uhr wurde Clemens zum Kaiser befohlen.«

»Ja, Clemens ist zurückgetreten.«

Über die Einzelheiten dieser Unterredung berichtet Metternich später folgendes an Hübner:

»Erzherzog Ludwig kam zu mir mit den Worten: »Diese Herren sagen mir, daß die Ordnung wieder hergestellt werden könnte, wenn Sie sich zum Rücktritt entschließen könnten.« Ich fragte: »Was wünschen Ew. Hoheit, daß ich tue?« Er erwiderte: »Die Entscheidung liegt in Ihrer Hand.« Darauf legte ich sofort die Kanzlerwürde nieder und ging in das Nebengemach, um die Abgeordneten davon zu unterrichten. Einer der Herren sprach von Großmut und sagte, mein Verzicht bilde den würdigen Schlußstein einer langen Laufbahn.« »Nein, nein«, sagte ich, »es ist nichts weiter, als ein Zugeständnis an die Revolution.«

Aber damit war es noch nicht genug; denn Metternich mußte auch Wien verlassen, wo sein Leben trotz seiner Abdankung nicht mehr sicher war. Und zwar konnte er dies nicht einmal in Ruhe tun, sondern mußte Hals über Kopf von der Mittagsmahlzeit fort, die er mit seinen Freunden einnahm, ohne Gepäck und in größter Eile zuerst nach Feldsberg, von dort über Deutschland und Holland nach England flüchten. Das aufgeregte Tagebuch erzählt all das in aufeinander folgenden schrillen Entrüstungsschreien:

»Was hat Metternich, der einstige Staatsmann von ganz Europa, verbrochen, daß er solche Behandlung verdient!« »Wie schwarz ist doch der Undank der Welt!«

Von allen Gliedern des kaiserlichen Hauses war es einzig und allein Franz Josephs Mutter, die sich in einem höflichen Brief nach seinem Wohlergehen erkundigte. Bei dieser Gelegenheit gibt sie den Hoffnungen Ausdruck, die sie hinsichtlich ihres Sohnes, seines ehemaligen Schülers in der Staatskunst, hegte:

»Mein armer Franzi ist mein einziger Trost in unseren Trübsalsstunden gewesen. Inmitten meiner Angst und Verzweiflung habe ich Gott gedankt und gepriesen, daß er mir solchen Sohn geschenkt hat. Sein Mut, seine Festigkeit, sein Urteil sind unerschüttert geblieben, über das Maß dessen hinaus, was man von einem Menschen seines Alters erwarten kann. Und das hat die Hoffnung wieder angefacht, Gott habe ihm eine große Laufbahn zugedacht, weil er ihm die Kraft geschenkt, allen Gefahren des Lebens kühn entgegenzutreten.«

Bisher war in Wien noch keine Ordnung eingekehrt. Im Gegenteil. Die Revolution ließ sich immer schlimmer an, und der Hof mußte die Hauptstadt verlassen. Zuerst zog man nach dem loyalen Innsbruck im loyalen Tirol (von wo aus Franz Joseph den schon erwähnten Kriegsabstecher nach Italien machte), dann kehrte man zurück, in der Erwartung, daß die Dinge sich gebessert hätten, doch hieß es von neuem fort – nach Olmütz. Ungarn und Böhmen sowohl als Italien waren in hellem Aufruhr, und in Wien blühte der Barrikadenbau. Dem Kaiser wurden unliebsame Minister aufgedrungen, welche Konzessionen durchdrückten und dann selber wieder andern weichen mußten, die noch weit größere Zugeständnisse versprachen. Die Zustände von 1789, sagten die Geschichtskundigen, waren im Begriff, denen von 1793 Platz zu machen.

In dieser Stunde vermochte das Haus Habsburg sich nicht aus eigener Kraft zu retten. Im Gegenteil. »Die Monarchie«, wie Felix Schwarzenberg sich ausdrückt, »fand ihre Rettung durch drei meuternde Soldaten.« Radetzky war es, der Achtzigjährige, nicht altern wollende, mit ihm Alfred von Windischgrätz, der unbeugsame Aristokrat, der noch kaiserlicher war als der Kaiser selbst, und Jellacic, der polternde, selbstbewußte Banus von Kroatien. Sie kamen überein, – um es derb auszudrücken – daß der Kaiser ein alter Narr sei, der sich von seinen Ministern zu unsinnigen Maßnahmen habe treiben lassen, und daß es ihre Pflicht und Schuldigkeit wäre, dem entgegenzuhandeln. So blieb Radetzky, als er den Befehl erhielt, die Lombardei zu räumen, dennoch dort; Windischgrätz, der einen Teil seiner Truppen dem Kriegsminister zur Verfügung stellen sollte, erwiderte kalt, er könne sie jetzt nicht entbehren; und Jellacic weigerte sich, seiner vollzogenen Entlassung Folge zu leisten und sein Kommando niederzulegen. Auf diese Weise faßten sie die Situation beim Schöpfe und wurden ihre Retter.

Die auf Wien losziehenden Ungarn wurden von Jellacic zurückgeworfen. Windischgrätz schlug erst den Aufstand in Böhmen nieder, dann marschierte er gegen Wien und belagerte die Stadt, während Radetzky als Verstärkung zu ihm stieß. Damit war das Ende nahe. Für Windischgrätz gab es freilich noch andere Gründe außer seiner Loyalität, die ihn zur Kampfwut aufstachelten. Seine eigene Gemahlin war dem Aufstand zum Opfer gefallen; ein Schuß tötete sie, als sie am Fenster stehend den Tumult beobachtete. So war es nicht im geringsten zweifelhaft, daß er wirklich die Sache zum äußersten treiben und schießen lassen würde, den Aufrührern keine andere Wahl lassend, als sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben. Zuerst bombardierte er die Stadt, dann erzwang er sich den Einzug und stürmte die Barrikaden. Da und dort zeigte sich noch einiger Widerstand, aber schon nach wenigen militärischen Todesurteilen begann wieder Ordnung in Wien einzuziehen, und das Haus Habsburg war tatsächlich gerettet. Mit der Einschränkung, daß die Ungarn noch eine Gefahr bedeuteten.

Sobald der Kaiser seine Lage gesichert sah, dankte er zugunsten seines Neffen Franz Joseph ab. Diese Abdankung war seit langem überdacht und in die Wege geleitet worden. Metternich, die Kaiserin und Erzherzogin Sophie hatten die Köpfe zusammengesteckt und die Sache ins Reine gebracht. Keiner von den dreien war in irgendwelchen Illusionen über den Kaiser befangen und es scheint auch nicht, als wäre der Kaiser über seine eigene Person im unklaren gewesen. Nichtsdestoweniger blieb das Geheimnis streng bewahrt. Hübner, Schwarzenberg und Windischgrätz waren die einzigen, die von der Sachlage Kenntnis hatten und wußten, zu welchem Zweck die kaiserlichen Familienglieder und Hofbeamten plötzlich eines Morgens um 8 Uhr in die kaiserliche Residenz zu Olmütz berufen wurden.

Über die Abdankungszeremonie erfahren wir durch Hübner:

»Um ½8 waren die an den Thronsaal grenzenden Gemächer von Zivil- und Militäruniformen angefüllt. Alle Erzherzöge und Erzherzoginnen mit ihrem Gefolge waren zugegen. Die Canonici des Olmützer Kapitels und einige Damen der Aristokratie. Ungeheure Spannung drückte sich auf allen Gesichtern aus, und die seltsamsten Gerüchte wurden laut; aber merkwürdigerweise verfiel niemand auf die Wahrheit. Erzherzog Maximilian fragte mich, was denn los sei.

Dieselbe Frage richtete Erzherzog Ferdinand von Este an den Kriegsminister und bekam ebenso wie Maximilian eine ausweichende Antwort. Pünktlich um 8 Uhr öffneten sich die Schiebetüren zum Thronsaal, um einem Teil der Versammelten Eintritt zu gewähren. Als sich die Tür hinter uns schloß, erschienen Ihre Majestäten gefolgt von Landgraf Friedrich v. Fürstenberg, Fürst Lobkowitz, dem kaiserlichen Adjutanten, und Landgräfin Fürstenberg, der Oberhofmeisterin der Kaiserin, zusammen mit Erzherzog Franz Karl, Erzherzogin Sophie und ihrem Sohn Franz Joseph. Ihre Majestäten nahmen auf zwei Armsesseln vor dem Thron Platz, und die Erzherzöge und Erzherzoginnen ließen sich auf Stühlen nieder, die in je einem Rechteck zu beiden Seiten aufgestellt waren. Die Minister, Marschall Windischgrätz und Banus Jellacic standen vor dem Kaiser. Es entstand ein tiefes und feierliches Schweigen.«

Das Schweigen wurde bald durch den Kaiser selbst unterbrochen, welcher die für ihn vorbereitete Erklärung verlas – eine einfache Ankündigung, daß gewichtige Erwägungen ihn dazu bestimmt hätten, die Krone seinem Neffen zu übergeben. Dann kam die Reihe an Felix Schwarzenberg. Sonst ein Mann, dem nichts die Ruhe zu rauben vermochte, verlas er jetzt mit vor Bewegung bebender Stimme die drei Urkunden, welche dem Akt gesetzliche Gültigkeit verliehen: die Großjährigkeitserklärung Franz Josephs, die Verzichtleistung des Erzherzogs Franz Karl zugunsten seines Sohnes und die förmliche Abdankung des Kaisers. Nacheinander wurden die drei Dokumente feierlich unterzeichnet und zum letzten Male kniete Franz Joseph vor Ferdinand nieder, um seinen Segen zu empfangen.

»Sei brav, es ist gern geschehen!« sagte Ferdinand. Darauf küßte die Kaiserin den jungen, beinah noch knabenhaften Kaiser, und die Erzherzogin schluchzte vor Rührung laut auf – wie Hübner mitteilt. – Kein Auge blieb trocken. Dann wurden die Türen noch einmal geöffnet, und die im Nebensaal zurückgebliebenen Hofbeamten von dem Ereignis in Kenntnis gesetzt. Hierauf ritt Kaiser Franz Joseph hinweg zur Truppenschau, während Kaiser Ferdinand und Kaiserin Marianne in aller Stille nach Prag abreisten.

»Fahr wohl, meine Jugend«, sagte Franz Joseph, als man ihn zum erstenmal mit »Majestät« anredete, er war sich der Bedeutung dieser Lebensänderung und der damit so kurz nach seinem 18. Geburtstag auf ihn gelegten Verantwortung voll bewußt. Fahr wohl, meine Jugend. Gleichwohl hatte er nie erfahren, was jung sein, im Sinne der Knaben aus dem Bürgerstande heißt, und der Gelegenheiten, sich der Sorgen zu entledigen, wie andere Monarchen dies bisweilen tun, sollten ihm auch weiterhin nicht viele werden. Er war die einzige Hoffnung der Habsburger, darum mußte er die ganze Last des Geschlechtes auf sich nehmen. Und sie erwies sich schwer. Fürstin Melanie zitterte um ihn, als die Nachricht seiner Thronbesteigung zu ihr drang:

»Wie soll ein achtzehnjähriger Kaiser seinen Kurs durch ein solches Meer von Konflikten steuern? Ich schaudere, wenn ich an ihn denke – die letzte Hoffnung, die uns verbleibt. Möge Gott ihn segnen und ihm Energie verleihen, und seinen Ratgebern die Weisheit schenken, die sie brauchen!«

Der Grund zu ihrer Sorge – im allgemeinen sowohl als im besonderen – erscheint noch auf derselben Seite des Tagebuches:

»Es heißt, daß Ungarn zur Republik mit Kossuth als Diktator proklamiert worden ist.«

Und dies besagte, daß Franz Joseph keinen unbestrittenen Thron besaß, sondern hart und verzweifelt würde darum ringen müssen.

*


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