Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIX. Kapitel

Erzherzog Franz Ferdinand / Gräfin Chotek / Was sagt der Kaiser dazu? / Bedingungen des Heiratskonsenses / Franz Ferdinands feierlicher Eid / Gräfin Chotek zur Fürstin erhoben


Franz Ferdinand ist als der Sohn von Franz Josephs Bruder Karl Ludwig seinerseits der Bruder jenes Erzherzogs Otto, der sich so unrühmlich gebärdete, und des Erzherzogs Ferdinand Karl, der die häusliche Tochter des Mathematikprofessors freite, nachdem er ihr beim Gemüseputzen behilflich gewesen war. Ursprünglich gehörte er nicht zu den Erzherzögen, auf die es ankam, denn er war ein schwächliches Kind, und man glaubte allgemein, daß er nicht alt werden würde. Dennoch wuchs er heran, aber er blieb so zart, daß man immer auf sein vorzeitiges Ende gefaßt war.

Ob wir ihn als gut oder schlecht erzogen bezeichnen wollen, hängt davon ab, was uns selber als Erziehungsideal vorschwebt. Wenn es gut ist, ein Katholik zu sein, und noch besser, ein eifrig durchdrungener Katholik zu sein, dann muß seine Erziehung ausgezeichnet genannt werden. Von frühester Kindheit an wurde es ihm eingeprägt, sich wenn nicht auf Gott, so doch auf die Jesuiten zu verlassen.

Franz Ferdinand wurde als Schwindsuchtskandidat betrachtet. Indessen starb er nicht, und vielleicht hat man ihn zu Unrecht in Verdacht gehabt, diesem Todesübel verfallen zu sein. Er verbrachte die kalte Jahreszeit in Gegenden mit warmem Klima, er nahm Lebertran, er reiste; Arznei und Behandlung taten ihre Wirkung: Franz Ferdinand kam so gut wie irgendein anderer Habsburger in den Stand, seinen Platz voll im Leben einzunehmen. Die Welt hatte fortan mit seiner Existenz zu rechnen. Dann erhob sich mit großer Dringlichkeit die Frage nach einer geeigneten Frau für ihn. Erzherzoginnen, die in Betracht gekommen wären, gab es in Hülle und Fülle. Warum nahm er, keine von ihnen, um mit ihr einen Erben zu zeugen? Das war es, was Franz Joseph wissen wollte, als er seinen Neffen mit 35 Jahren und darüber noch immer als Hagestolz herumlaufen sah, und es heißt, daß es bei diesen Gesprächen sehr hitzig zugegangen sei.

Nicht lange, dann, ging es von Mund zu Mund, daß der Kaiser seinen Willen durchgesetzt habe. Man beobachtete, daß Franz Ferdinand sich häufig im Hause des Erzherzogs Friedrich und der Erzherzogin Isabella zu Preßburg sehen ließ. Dort gab es reizende Töchter; Erzherzogin Gabriele insbesondere war sehr anziehend, und es lag klar zutage, daß sich da innerhalb der geheiligten Umwallung die beste Gelegenheit zu einer idealen Verlobung bot.

Erzherzogin Isabella hatte eine Hofdame – Gräfin Sophie Chotek. Sie entstammte einem alten böhmischen Geschlecht, das indessen nicht zum höchsten Adel gehörte und zudem verarmt war. Franz Ferdinand war nun zwar von bezaubernder Höflichkeit gegen Erzherzogin Gabriele, aber öfter als mit ihr sah man ihn mit Gräfin Chotek zusammen. Abendelang saßen sie beieinander in einer lauschigen Ecke und fanden immer neuen Stoff zum Plaudern. So kam er auch auf seine Gesundheit zu sprechen. Recht trübe sei es damit bestellt, so viel strenge ärztliche Vorschriften zu beachten, und vor allem der Lebertran, dieses greuliche Zeug. Es täte ihm auch gar nicht gut und er wollte es jetzt nimmer nehmen. Gräfin Sophie Chotek redete ihm vernünftig zu, wie es die Art echt weiblicher Naturen ist. Lebertran wäre schon das Richtige für ihn; er solle bloß nicht so töricht sein und immer alles besser wissen wollen als die Ärzte; mit einer Pfefferminzpastille könne man sich ja ganz gut den schlechten Geschmack vertreiben, und wie es auch damit bestellt wäre, er müßte die Medizin unter allen Umständen nehmen, nicht bloß um seiner selbst willen, sondern um der andern willen, denen sein Leben kostbar und teuer sei.

»Mir zuliebe – um mir eine Freude zu machen«, sagte sie schließlich mit schelmischer Dringlichkeit, und Franz Ferdinand versprach es und fand, daß die Arznei in der Tat Wunder wirkte. Erzherzogin Isabella insbesondere war entzückt darüber, daß ihre Hofdame einen so günstigen Einfluß auf den künftigen Thronfolger ausübte, also daß es ihr gelungen war, was bisher noch keiner zuwege gebracht hatte, seine Abneigung gegen den Lebertran zu besiegen.

Nun geschah folgendes: während man allgemein der Ansicht war, Franz Ferdinand schone und pflege sich in Hinblick auf seine Verlobung mit Erzherzogin Gabriele, entbrannte sein Herz in Liebe für die Hofdame. Er nahm nicht nur ihr zuliebe dreimal täglich seinen Lebertran, sondern er erklärte auch, daß, wenn er davon gesund würde, sein Leben ihr zu danken wäre. Und er würde dann seine Dankbarkeit damit beweisen, daß er sie bäte, ihr Leben mit dem seinen zu verbinden.

Das Geheimnis kam an den Tag, weil Franz Ferdinand – oder auch sein Kammerdiener – sich als sehr nachlässig und sorglos im Einpacken erwies. Er war bei Erzherzog Friedrich in Halbthurn zu Besuch gewesen. Nach seiner Abreise meldete ein Diener der Erzherzogin Isabella, daß der Erzherzog Juwelen zurückgelassen hätte. Die mußten ihm natürlich nachgesandt werden, und die Erzherzogin hielt es für geraten, selber nach dem Rechten zu sehen. Als sie das vergessene Schmuckstück in Händen hielt, war sie sehr bestürzt.

»Melden Sie der Gräfin Chotek, daß ich sie augenblicklich zu sprechen wünsche.«

Der Diener überbrachte den Befehl, und als Gräfin Sophie Chotek erschien, klangen ihr die wenig freundlichen Worte entgegen:

»Dies verlangt eine Aufklärung! Was haben Sie dazu zu sagen?«

»Dies« war ein unter Franz Ferdinands Eigentum gefundenes Medaillon mit dem Bilde der Gräfin. Es läßt sich denken, welchen Schlag diese Entdeckung für die erzherzogliche Mutter bedeutete, die sich in dem stolzen Traum gewiegt hatte, ihre Tochter mit dem Thronerben vermählt zu sehen. Und es läßt sich weiterhin denken, daß ihr die gebotene Erklärung keineswegs annehmbar erschien, so daß man förmlich den Schluß der Unterredung zu hören meint:

»Es genügt … wir brauchen kein Wort mehr darüber zu verlieren, aber Sie werden sofort mein Haus verlassen. Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde, um sich reisefertig zu machen.«

Natürlich war Gräfin Sophie in einer halben Stunde nicht bereit und mußte ohne ihr Gepäck die Reise antreten. Und ebenso natürlich zog diese Entdeckung die Offenbarung des ganzen Geheimnisses nach sich, wenn auch das Publikum nur allmählich Kenntnis davon erhielt. Zuerst hieß es, daß Franz Joseph und Franz Ferdinand aus unbekannten Gründen miteinander auf gespanntem Fuße ständen, und Franz Ferdinand bei Hofe sehr offensichtlich über die Schulter angeschaut würde. Dann erhob sich das Gerücht, Franz Ferdinand wolle auf seine Rechte als Erzherzog verzichten, sich mit der Gräfin Chotek vermählen und seinen Wohnsitz in der Villa d'Este in Rom nehmen. Endlich wurde offiziell bekanntgegeben, daß der Kaiser seine Einwilligung gegeben hätte und der Heirat nichts mehr im Wege stünde.

Aber der Kaiser hatte seine Bedingungen gestellt.

Und welches waren diese Bedingungen?

Was als unumgängliche Forderung erschien, um das Prestige des Hauses Habsburg zu wahren, war dies, daß der Braut öffentlich vor, während und nach der Zeremonie eine Demütigung angetan wurde. Die offizielle Wertung ihrer Persönlichkeit ist sozusagen in der sorgfältig abgewogenen Rede enthalten, welche der Kaiser, angetan mit seiner prunkvollen Feldmarschallsuniform, in einer Sondersitzung seines geheimen Rates vorlas. Jeder einzelne Satz dieser Rede verdient mit Aufmerksamkeit gelesen zu werden:

»Ich habe die Glieder meines Hauses, meine geheimen Räte und Minister eingeladen, der heutigen Zeremonie beizuwohnen, weil eine Erklärung abgegeben werden soll, die für die Monarchie von allergrößter Wichtigkeit und Bedeutung ist. Von dem Wunsche beseelt, stets nach besten Kräften für das Wohl der Glieder meines hohen Hauses zu sorgen, und um meinem Neffen einen neuen Beweis meiner besonderen Liebe zu geben, habe ich zu seiner Vermählung mit Gräfin Sophie Chotek meine Zustimmung erteilt. Die Gräfin ist zwar hoher, adliger Herkunft, aber ihre Familie gehört nicht zu denjenigen, welche wir nach den Sitten unseres Hauses als unseresgleichen betrachten. Da aber nur Frauen aus gleichen Häusern als ebenbürtig angesehen werden können, so ist diese Ehe im Sinne einer morganatischen Ehe zu betrachten und die Kinder, welche mit Gottes Segen aus ihr entspringen, können nicht die Rechte von Mitgliedern des kaiserlichen Hauses erhalten. Der Erzherzog wird deshalb, um es für alle Zeiten zu bekräftigen, heute einen Eid dahin leisten, daß er seine Ehe mit Gräfin Chotek als eine morganatische Ehe anerkennt, daß sie infolgedessen nicht als ebenbürtig geschlossen anzusehen ist, und daß die aus ihr hervorgehenden Kinder niemals als rechtmäßige Kinder gelten können, die Anspruch auf die Rechte von Mitgliedern unseres Hauses besitzen. Ich bitte den Minister des kaiserlichen Hauses dem Erzherzog den zu leistenden Eid vorzulesen.«

Des Kaisers Stimme bebte vor starker innerer Bewegung, als er dieses feierliche Manifest vorlas. Man darf seine Bewegung wohl teilweise dem Bedauern zuschreiben, daß sein Familienstolz ihn zwang, einer Frau einen Schimpf anzutun, die ihm nichts Übeles wollte, und der überdies das Leben seines Neffen zu danken war, dadurch, daß sie ihn mit Schmeicheleien dahingebracht hatte, sich den Verordnungen seiner Ärzte zu fügen. Freilich ist es schwer, sich Kaiser Franz Joseph vorzustellen, wie er von dem Lebertranidyll gerührt seinen Stolz schwinden fühlte. Indessen, wie dem auch sei, die Zeremonie nahm ihren pomphaft feierlichen Verlauf, da der Kaiser, sich beherrschend, seiner Gemütsbewegung keinen Einfluß mehr darauf gestattete. Es kam die Reihe an Franz Ferdinand. Mit einer tiefen Verbeugung vor dem Kaiser schritt er zu dem Tisch vor, auf welchem ein Kruzifix stand, legte die Schwurfinger der Rechten auf ein ihm von dem Erzbischof von Wien vorgehaltenes Evangelienbuch und las von einem Papierblatt in der Linken die folgende Eidesformel ab:

»Ich, Franz Ferdinand, von Gottes Gnaden, Erzherzog von Österreich, schwöre zu Gott dem Allmächtigen, daß ich stets und insbesondere in dem Fall meiner Vermählung mit Sophie Gräfin Chotek die Hausgesetze anerkenne; daß ich den mir vorgelesenen Eid annehme mit all seinen Klauseln und folglich anerkenne, daß meine Ehe mit Sophie Chotek eine morganatische Ehe ist, daß die Kinder, welche mit Gottes Segen aus ihr hervorgehen, nicht als ebenbürtig gelten, und daß gemäß der pragmatischen Sanktion sie weder in Österreich noch in Ungarn zur Thronfolge berechtigt sind.«

Diese beiden Reden klingen wie ein letztes Echo aus dem Mittelalter, und es scheint auch, daß Franz Joseph, trotz aller Erfahrungen, die er hat machen müssen, mehr an mittelalterlichen Anschauungen festhielt, als die anderen Herrscher der Gegenwart.

So verstand es sich von selbst, daß Franz Ferdinand urbi et orbi erklären mußte, seine Ehe sei nicht standesgemäß, und daß die Hochzeit als eine Winkelangelegenheit galt, an der nicht einmal die Brüder des Bräutigams persönlich Anteil nahmen. Ebenso selbstverständlich war es, daß der Erzherzog nicht die Oper in Gesellschaft seiner Gattin besuchen durfte, und daß es dieser verwehrt blieb, bei den Rennen in der kaiserlichen Loge neben ihm zu sitzen. Indessen, wenn sich Franz Joseph auch in seiner Eigenschaft als Kaiser und Habsburger zu einer solchen Stellungnahme bewogen fühlte, so war er doch als Mensch und Verwandter zu Duldsamkeit und herablassendem Entgegenkommen fähig, und dies in immer höherem Maße, je weiter er in den Jahren fortschritt. Franz Ferdinand kam wieder in Gunst und Gnaden; er erhielt Würden und Ämter, während Gräfin Sophie Chotek zur Fürstin von Hohenberg erhoben wurde – eine Ehrung, die sie wenn auch nicht einer Erzherzogin gleichmachte, so doch in die unmittelbar folgende Rangstufe versetzte.

Was auch die Zukunft noch vorbehält, man darf Franz Ferdinand respektvoll grüßen, als einen, der einen guten Kampf geführt hat und sich nicht mit halbem Erfolge zufriedengab. Der Schlag, den er dem Habsburger System versetzt hat, ist der härteste, den dieses je erlitt, weil er mit Würde und Zurückhaltung zur Befriedigung des instinktiven Begehrens der Habsburger nach Bluterneuerung geführt wurde, ohne irgendeinen jener Skandale heraufzubeschwören, wodurch der Gegner so billig die Gelegenheit zu moralischer Entrüstung findet und damit den Schein des Rechtes für seine Anathemen in den Händen hält.

Leider kann man das gleiche nicht von den andern Ausgängen dieser Auflehnung behaupten, mit denen wir uns im folgenden zu beschäftigen haben werden.

*


 << zurück weiter >>