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I. Kapitel

Der deutsche Bund / Die heilige Allianz / Österreichs Staatenbildung / Habsburgische Dynastie


Um freie Bahn zu schaffen für die Bühne, auf der sich das Drama des Lebens Kaiser Franz Josephs abspielt, müssen wir bis zur Auflösung des heiligen römischen Reiches zurückgehen, dessen Titularoberhaupt der Kaiser von Österreich war. Es ist kein weiter Weg, den wir zurückzulegen haben.

Das heilige römische Reich – in Wirklichkeit weder heilig noch römisch, wie ein Zyniker sich ausdrückte, und kaum wert ein Reich genannt zu werden – brach in den napoleonischen Kriegen zusammen. Wie vieles auch Napoleon mißglückt war, das Eine hatte er wenigstens erreicht, den Nimbus zu zerstören, der sich um die erblichen Vertreter alter Dynastien wob. Das Haus Habsburg hatte trotz der Heirat Napoleons mit einer Tochter dieses Geschlechts so viel Schmach erlitten, wie jede andere königliche Familie, sogar noch mehr als die meisten. Die Heirat selbst wurde als ein Schimpf betrachtet und die alten Freunde des Hauses waren im Zweifel, ob Habsburg noch der Achtung würdig geblieben war.

Überdies, während Österreich in seiner Schwäche beharrte, regte sich in Preußen die Eifersucht – und zwar nicht ganz ohne Grund. Denn im Anfangsstadium des letzten Bündnisses gegen Napoleon hatte Preußen die ganze Bürde übernommen – jede Last des Tages getragen, während Österreich mit einem Doppelgesicht, unentschlossen, zögernd verblieb. Jetzt, so konnte man sagen, verkörperte Österreich die Vergangenheit und Preußen die Zukunft der deutschen Welt, und die Zukunft war nicht gewillt, stolzes Gebahren und hochmütigen Dünkel von seiten der Vergangenheit ruhig hinzunehmen. Da es nun an einer führenden Persönlichkeit unter den Fürsten fehlte, erwies sich die Wiederbelebung des heiligen römischen Reiches als unmöglich und der Schwerpunkt innerhalb der deutschen Welt begann sich zu verschieben.

Indessen irgendetwas mußte geschehen. Eine Organisation war nötig, um dem Misch-Masch einen Zusammenhalt zu geben und dem kontinentalen Mächtekonzert den Anstrich eines ruhigen Daseins zu verschaffen. So kamen zwei Organisationen zustande, die uns hier angehen:

1. Der deutsche Bund

2. Die heilige Allianz.

Wie das heilige römische Reich kaum den Namen eines Reiches verdiente, so war auch der deutsche Bund kein Bund im eigentlichen Sinn des Wortes zu nennen. Er war locker und schwerfällig, schlaff, und in seiner Wirksamkeit gehemmt. Da war kein Bundestribunal, kein Bundesheer, keine Bundesdiplomatie. In allen diesen Dingen behielten die von 38 einzelnen Fürsten regierten Bundesstaaten ihre Selbständigkeit. Die Bundesversammlung in Frankfurt war in der Tat bloß ein Kongreß der Gesandten jener Staaten unter dem Vorsitze Österreichs. Kein wichtiger Schritt konnte ohne einstimmigen Beschluß unternommen werden, und Einmütigkeit war in keiner Angelegenheit von Bedeutung zu erzielen. Die Stellung Österreichs als Bundesoberhaupt war die einer Würde ohne Macht, sie schloß kaum größere Befugnisse in sich, als sie der Vorsitzende eines Diskussionsklubs besitzt.

Ein solch lockerer Zusammenschluß konnte natürlich auf die Dauer nicht bestehen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: die Bande des Zusammenschlusses mußten sich entweder festigen oder völlig lösen. Die Interessen und Bestrebungen der beiden führenden Staaten waren einander entgegengesetzt. Keiner von beiden fühlte sich stark genug, um den andern niederzuringen, keiner war schwach oder unterwürfig genug, um sich die Vorherrschaft des andern gefallen zu lassen. Die einzige Lösung war, daß der eine den andern aus dem Bunde herausdrängte, um mit den darin Verbleibenden einen wirklichen Bund – vielleicht ein richtiges Kaiserreich – zu gründen. Dieser unvermeidliche Prozeß sollte das Hauptproblem für die Regierung Franz Josephs bringen.

Die heilige Allianz war tatsächlich ebenso wenig heilig als das römische Reich selbst, und kaum zu dem Namen Allianz berechtigt. Sie bedeutete mehr eine Übereinstimmung, ein gegenseitiges Einverständnis, beseelt vom Abscheu und Entsetzen vor den durch die französische Revolution ausgestreuten neuen Ideen. Nicht mit Unrecht bezeichnet man sie als ein von Metternich angeregtes, von den bedeutendsten kontinentalen Souveränen gebilligtes Komplott, das den Zweck hatte, alle unterworfenen Völker innerhalb der ihnen vom Wiener Kongreß zugewiesenen Schranken zu halten. Und dies in doppeltem Sinn. Erstens sollten autokratische Regierungsformen in allen Ländern aufrecht erhalten bleiben, die die »Heilige Drei« als zu ihrer Machtsphäre gehörig betrachtete. Zweitens sollten alle unterworfenen Völker den Mächten unterworfen bleiben, die der Vertrag von 1815 als Oberherrschaft über sie gesetzt hatte.

Hatten einerseits Metternich und Castlereagh, hatten die Kaiser von Österreich und Rußland und der König von Preußen gleich den Bourbonen aus der französischen Revolution und ihren Folgen nichts gelernt, so hatte andererseits das Volk, vom Universitätsprofessor bis herab zum Handwerker, sehr viele Lehren daraus gezogen. Es wünschte sich vielleicht eine Atempause, bevor es sich zu verzweifelten Vorstößen anschickte. Früher oder später mußte für intelligente Menschen der Zeitpunkt kommen, wo es galt, sich von der Unterjochung zu befreien, nach Parlamenten zu rufen und »die Anerkennung der Nationalitäten« zu fordern. Byron – der Freund der Carbonari, bevor er Freund der Griechen wurde – setzte sich auch dieses Ziel.

In England war Byron berüchtigt wegen seiner Unschicklichkeiten, auf dem Kontinent aber genoß er den Ruhm der Kühnheit. Die Ungehörigkeiten des »Don Juan« verletzten die Liberalen auf dem Festland keineswegs, aber die mutige politische Kritik stachelte sie auf. Die Verszeilen, an denen sie sich weideten – obwohl sie Schwierigkeiten haben mochten, sie zu übersetzen –, waren solcher Art:

»Den Bruder Alexander schlagt in Banden!
Verschifft nach Senegal die Heilige Drei!
Lehrt sie: für Hahn und Huhn der gleiche Brei!
Und fragt, ob sie die Knechtschaft köstlich fanden.«

Solche Stellen, und es gibt deren viele, drücken die Gemütsstimmung aus, in welche die kontinentalen Liberalen allmählich versetzt wurden. Wenn sie dahin gekommen waren und dann sahen, daß Männer wie Metternich, Bomba von Neapel und Karl X. von Frankreich auf den Sicherheitsventilen saßen, waren Explosionen durchaus unvermeidlich. Die politische Geschichte dieser Epoche ist die Geschichte jener Explosionen und ihrer Folgen, und wir alle wissen, daß es zwei Hauptreihen solcher Explosionen gab, diejenigen von 1830 und von 1848. Der Knall der ersten Entladung war sozusagen ein Salut für das Jahr, in das Franz Josephs Geburt fiel; das lautere Getöse der zweiten begrüßte seine Thronbesteigung.

In Italien und Ungarn kam es zuerst zum Ausbruch und der 18jährige Franz Joseph sollte dem Aufruhr die Stirn bieten und versuchen, ihn zu dämpfen. Das neue Österreich, über welches Franz Joseph heute herrscht, besteht nur aus einem kleinen deutschen Kern neben einem an Umfang fast gleichen ungarischen, mit dem es gemeinsam die Vorherrschaft über ein ausgebreitetes und immer mehr wachsendes Volk von Slawen anstrebt. Und es wirft zugleich begehrliche, wenn auch nicht sehr hoffnungsvolle Blicke jenseits der Donau nach den Balkanstaaten und den Ägäischen Häfen.

So gewaltig ist die Entwicklung, die sich innerhalb der Regierungszeit eines einzigen Herrschers vollzog: Franz Joseph, der bei Beginn seiner Regierung den Fuß nicht auf die Straßen seiner eigenen Hauptstadt zu setzen wagte, gilt seit langem als der einzig unentbehrliche Mann in seinem Reich, als der Eine, dessen Leben geschont und über alle Fährlichkeiten hinüber erhalten werden muß aus Furcht davor, daß sein Tod den Zusammenbruch des von ihm errichteten Gebäudes nach sich ziehen möchte. Er ist der einzige, der zeitweilig die Liebe aller seiner Untertanen zu besitzen schien.

Seine Untertanen bewundern in ihm nicht nur den Staatsmann, der sich eine bei seiner Geburt noch nicht bestehende Machtstellung erwarb und sie benutzte, um durch Diplomatie wieder zu gewinnen, was er im Krieg verloren, sondern sie hegen auch eine innige Zuneigung zu dem Menschen, dem das Unglück Schlag auf Schlag versetzte, der sich trotz unzähligen Herzeleides nicht zu Boden strecken ließ und nicht aufgehört hat, der Welt mit würdevoller, wenn auch schwermütiger Fassung entgegenzutreten. Sie sehen, daß ihm seine Familie nicht weniger Kummer und Sorgen verschaffte, als sein Reich, und zu Zeiten hielten sie ihn für den einzigen gesunden Sproß eines der Überspanntheit und dem Verfall zuneigenden Geschlechtes. Man muß daher Franz Joseph nicht nur als Kaiser, sondern ebenso als Habsburger einer Schilderung unterziehen, als das Haupt der interessantesten aller Dynastien, deren Glieder in ihren zum Teil empörenden Extravaganzen wieder und wieder die europäischen Höfe und Kanzler in Bestürzung versetzt haben. So muss sich unsere Darstellung nicht nur mit dem großen und erfolgreichen Herrscher befassen, sondern auch mit dem tapferen alten Mann, der im Feuer erprobt, aber nicht von ihm verzehrt, von Kummer gebeugt, aber nicht gebrochen, es verstanden hat, den mittelalterlichen Nimbus königlicher Majestät in Gegenwart seiner Großen zu wahren; inmitten einer Zeit, wo andere Habsburger, einer nach dem anderen, die Vorrechte königlicher Stellung preisgaben und, wie es ihm erscheinen mußte, ihr Leben jämmerlich verpfuschten, in der Art solcher entgleisten Familienglieder, von denen man, wenn überhaupt, selbst in Mittelstandskreisen nur mit verhaltenem Atem zu sprechen pflegt. – Nachdem wir so unsere Aufgabe umrissen, wollen wir zunächst von den Habsburgern als Gesamtheit sprechen und hören, was die Rassenhygieniker von ihnen zu sagen haben.

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