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XVII. Kapitel

»Ich würde es doch tun« / Der Familienpakt / Letztes Zusammensein der Brüder / Der päpstliche Segen / Abreise nach Mexiko


Die tragischen Umstände, unter denen Kaiser Maximilian seinen Tod gefunden hat, haben sein Andenken mit einem Glorienschein umwoben, der ihm in Wirklichkeit nicht gebührt. Man ging sogar so weit, ihn zum Märtyrer zu stempeln, und hat einen Brief veröffentlicht, in dem seine Gemahlin ihn in Anlehnung an biblische Worte mit dem guten Hirten vergleicht, der sein Leben für seine Schafe ließ.

Wenn Mexiko nur einen Paradekaiser gebraucht hätte, dann wäre Maximilian fähig gewesen, seine Stellung glänzend auszufüllen, aber zu einem Herrscher anderer Art war er sowohl nach Intellekt als nach Temperament völlig ungeeignet. Seine ehrgeizige Gemahlin, Erzherzogin Charlotte, eine Tochter des Königs von Belgien, sprach unermüdlich auf ihn ein, und da auch Napoleon und die im Exil lebenden Mitglieder der mexikanischen Klerikalpartei ihn umschmeichelten, ließ er sich zu ihrem Werkzeug machen.

Wir haben Maximilian bereits als Franz Josephs Vizekönig in der Lombardei und Venedig angetroffen und gesehen, wie ihm die Italiener den Rücken wandten und ihn und die Erzherzogin auf dem Markusplatz zu Venedig fast wie Aussätzige allein stehen ließen. Später, als Franz Joseph ihn seiner Stellung enthob, weil er, um die Sympathien der Italiener zu gewinnen, mit nicht genügend starker Hand regierte, zog er sich grollend auf seine Besitzung Miramare am Adriatischen Meer zurück und beschäftigte sich, wie so manche österreichischen Erzherzöge, mit dem Verfassen von Gedichten und politischen Broschüren.

Die Legende – denn sie ist schon in Legende eingesponnen, obwohl sie immer noch lebt – schildert Charlotte als ihrem Gatten in Energie und Begabung weit überlegen, jenem Typus von Frauen angehörig, deren Streben es ist, ihren Mann hoch zu bringen und ihm Beachtung zu verschaffen, jedoch läßt sich dieses Urteil in Wirklichkeit schwerlich begründen. Sicherlich war sie mehr darauf aus, Kaiserin zu werden, als Maximilian es ersehnte, Amt und Würden eines Kaisers zu bekleiden, aber das beweist nichts. Sie blickte nur nach dem Ruhm und der Ehre und übersah dabei die Verantwortlichkeiten und Gefahren. Als sie sich der Gefahr bewußt wurde, verlor sie buchstäblich vor Schrecken den Verstand, während Maximilian bei all seiner Unzulänglichkeit wenigstens in der letzten Stunde, wo die Strafe seines Irrtums sich an ihm vollzog, Ruhe und Würde zu bewahren strebte. Dann – und erst dann im richtigen Sinn, so möchte man sagen – zeigte er sich des großen Hauses würdig, welches, wenn es nicht den Schein verachtet, ihn mit wundervoller Pracht und Würde zu wahren weiß.

Es ist nicht nötig zu beschreiben, wie Maximilian auf Napoleons Betreiben von den mexikanischen Delegierten aus seinem Ruhesitz Miramare herausgelockt wurde. Im Grunde ist es nur die Geschichte, wie Maximilians »Ich wage es nicht« gegen Charlottes »Ich würde es doch tun« unterlag. Maximilian lernte dann spanisch und machte eine Reise durch Europa, um zu erkunden, wie die Potentaten über sein Unternehmen dachten. Er schloß einen Vertrag mit Napoleon und trat mit Franz Joseph wegen seiner künftigen Stellung als Habsburger in Unterhandlungen.

Der Text seines Vertrages mit Napoleon ist ein ausreichender Beweis dafür, daß Maximilian sich wohlbewußt war, von einer Partei und nicht von einer Nation auf den Thron berufen zu sein, denn er machte unter anderem militärische Unterstützung von Seiten Frankreichs zur Bedingung, wozu offensichtlich keine Veranlassung gewesen wäre, wenn die Mexikaner einstimmig den Wunsch gehegt hätten, daß er ihr Herrscher sein sollte: eine Tatsache, die man als wichtig im Sinne behalten muß, wenn die Frage erörtert werden wird, ob er als Usurpator zu betrachten sei, oder als ein rechtmäßiger Herrscher, der von mörderischen Rebellen entthront wurde. Inzwischen führten die Unterhandlungen mit seinem Bruder zu einer Meinungsverschiedenheit, die einem Familienstreit zum Verwechseln ähnlich sah. Es handelte sich um eine Bestimmung des Familienpaktes, den er zu unterzeichnen hatte, bevor er mit seines Bruders Segen nach Mexiko absegeln durfte.

Niemals, erklärte Maximilian, würde er seine Unterschrift unter ein solch entwürdigendes Schriftstück setzen. Gut, sagte Franz Joseph, Maximilian könne unterzeichnen oder nicht, wie es ihm beliebe. Aber wenn er seine Unterschrift verweigerte, so würde er nie die Zustimmung seines Landesherrn erhalten, nach Mexiko zu reisen. In diesem Falle, meinte Maximilian, würde er eben auf die landesherrliche Zustimmung verzichten und von Antwerpen aus auf einem französischen Schiff die Reise antreten. Das solle er nur tun, grollte Franz Joseph, aber die Antwort darauf wäre eine Botschaft an das Parlament, die neben der Bezichtigung der Illoyalität eine förmliche Entkleidung aller Rechte ausspräche, auf die er jetzt nicht freiwillig verzichten wolle.

Hierauf kam Charlotte selber nach Wien, sprach ihrerseits mit Franz Joseph und brachte eine Art Kompromiß zustande. Der Pakt mußte unterschrieben werden, dagegen war nichts zu machen, aber Franz Joseph ließ sich herbei, sein Bedauern darüber auszudrücken, daß die Notwendigkeit ihn dazu zwinge, auf der Unterschrift zu bestehen.

Maximilian war nur mit halber Seele bei der Sache und verhehlte seine Gleichgültigkeit keineswegs. Er saß ruhig in Miramare und machte Gedichte, welche seinen Befürchtungen und seinem Bedauern beredten Ausdruck gaben. Tiefe Verachtung für Zepter, Kronen und Paläste und eine betonte Vorliebe für die ruhigen Pfade der Literatur, Wissenschaft und Kunst – das ist nicht die Stimmung eines Mannes, der sich mit Aussicht auf Erfolg in ein Unternehmen stürzt, wie es die Gründung eines europäischen Kaiserreiches in Zentralamerika angesichts der Opposition blutdürstiger Republikaner darstellt. Und es ist beachtenswert, daß Maximilian auch seinen Vertrauten gegenüber aussprach, was er sich selber in Versen sagte:

»Ich für mein Teil«, soll er geäußert haben, »würde mich in mein Zimmer einschließen und vor Freude tanzen, wenn jemand käme und mir sagte, daß die Verhandlungen abgebrochen wären. Aber Charlotte …?«

Darin liegt das klare Zugeständnis, daß er die Kaiserwürde nur seiner Gemahlin zuliebe annahm.

So fielen die Würfel und Franz Joseph erfüllte sein Versprechen mit jener Liebenswürdigkeit, die ihn auszeichnet, wenn er in der Hauptsache seinen Willen durchgesetzt hat. Er kam nach Miramare mit Erzherzögen, Ministern, Kanzlern, Vizekanzlern, Kämmerern, Adjutanten, Feldmarschällen, Statthaltern, kurz, dem ganzen Aufgebot von dramatis personae für ein großes festliches Schauspiel. Nachdem die Urkunde unterzeichnet und die Tafel aufgehoben war, nahmen die Brüder Abschied voneinander in der würdigen Art von Kaisern, ohne Umarmung, ohne Händedruck, nur mit militärischem Gruß.

Als die mexikanische Flagge auf dem Turm von Miramare gehißt wurde, ging die Erregung über seine Kraft, und er brach zusammen. So war er auch nicht imstande, an dem Festmahl teilzunehmen, das er seinen mexikanischen Anhängern gab, und die Kaiserin mußte demselben an seiner Stelle vorstehen, während er im entferntesten Winkel seines Gartens verstimmt und schwermütig einen Laubengang auf und nieder schritt. Das ihm von Charlotte überbrachte Glückwunschtelegramm Napoleons versetzte ihn in furchtbarste Erregung. »Ich verbiete dir, mit mir von Mexiko zu sprechen«, stieß er hervor, und der Tag der Abreise mußte hinausgeschoben werden, bis er seine Fassung wiedergewonnen hatte. Auch als die österreichische Küste aus dem Gesichtskreis verschwand, brach er vor aller Augen in Tränen aus und zog sich dann in seine Kabine zurück, um sich in der Stille und Verborgenheit auszuweinen. Sicher hatte Maximilian sein volles Teil ererbter Neurose zu tragen.

Zunächst ging es nach Rom, wo ihm Pius IX. den Segen für sein Unternehmen erteilte, einen Segen, der einen weissagenden Klang für diejenigen hat, welche ihn im Licht der nachfolgenden Ereignisse betrachten:

»Siehe an das Lamm Gottes, welches der Welt Sünde trägt! Durch Ihn herrschen und regieren die Könige, durch Ihn üben die Könige Gerechtigkeit und wenn Er ihnen schwere Prüfungen auferlegt, so ist Er doch die Quelle ihrer Kraft.

In Seinem Namen befehle ich in deine Hände das Glück der katholischen Völker, welche dir anvertraut sind. Groß sind die Rechte der Völker und sie sollen befriedigt werden. Aber größer noch und geheiligter sind die Rechte der Kirche, der unbefleckten Braut Jesu Christi, der uns mit seinem teuerwerten Blut erlöst hat.«

Wie es scheint, hielt Charlotte während der Reise seine Lebensgeister in der Höhe. Sie sollte Kaiserin werden – das genügte ihr. Sie wußte nichts von Mexiko, außer daß El Dorado irgendwo da drüben läge, sie wußte nichts von der Stellung eines Kaisers, außer daß sie nach außen hin glänzte und prunkte. Sie glaubte den Leuten, die ihr vormachten, daß sie ein Rosenbett über einer Goldgrube finden würde. Sie dachte an nichts anderes, als an Festmähler, Empfänge, Hofbälle, sprach von nichts als Fragen des einzuführenden Zeremoniells, Ordensverleihungen und Schaffung neuer, einträglicher Stellungen für ihre Günstlinge.

Aber die Wirklichkeit war von den Träumen weit entfernt, und die Enttäuschung folgte auf dem Fuß. Maximilians eigentliche Aufgabe als Kaiser bestand wesentlich darin, einen Bürgerkrieg zu führen. So lange ihm Bazaine und die französische Okkupationsarmee zur Seite standen, vermochte er sich mit Erfolg zu behaupten. Aber es dauerte nicht lange, da lenkte der Präsident der Vereinigten Staaten Napoleons Aufmerksamkeit auf die Monroe-Doktrin, und Napoleon zog daraufhin, als ein Wortbrüchiger an Maximilian, seine Truppen aus Mexiko zurück. Nach ihrem Abzüge war die Lage Maximilians hoffnungslos.

Er war ein nervöser Mann und ängstigte sich. Charlotte war gleichfalls nervös, und sie ängstigte sich nicht minder. Dennoch schienen beide nicht darauf zu verfallen, daß, wenn sie sich in Mexiko nicht ohne französische Bajonette halten könnten, sie eben dort nichts zu suchen hätten. Und es wurde beschlossen, daß Charlotte nach Europa reisen sollte, um dem Kaiser der Franzosen diese Angelegenheit zu unterbreiten.

Ihre Reise, im Sadowajahr, wurde die Ursache zu dem ersten jener Schicksalsschläge, welche seitdem fast unaufhörlich Franz Josephs Haupt getroffen haben.

Wir müssen uns zuerst zu dem bitteren Schicksal des jungen Erzherzogs Maximilian wenden, welcher gerade zur Zeit, als sein Bruder in Europa ein Königreich zu seinem Kaiserreich hinzugewann, in Queretaro erschossen wurde, weil er danach gestrebt hatte, Kaiser von Mexiko zu werden.

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