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VII. Kapitel

System Bach / Attentat des Schneiders Libenyi / Franz Josephs äußere Erscheinung / Brautschau / Nicht Helene, sondern Elisabeth / Werbung / Verlobung


Es ist eine seltsame Tatsache, daß Franz Joseph, der dem Henker so viel Arbeit geben sollte, bei seiner Geburt den Spitznamen »das Galgenkind« erhielt.

Diese sonderbare Benennung ist darauf zurückzuführen, daß seine Mutter in den letzten Tagen ihrer Schwangerschaft ihrem Gatten in höchster Erregung den in ihrer Tasse gebliebenen Kaffeesatz ins Gesicht schleuderte und erklärte, sie könne nur unter der Bedingung die Geburt des Kindes glücklich überstehen, wenn ein zum Tode verurteilter Verbrecher begnadigt würde. Und es blieb nichts anderes übrig, als ihrer Laune zu entsprechen, trotzdem der im ganzen Reiche einzig und allein in Betracht kommende Missetäter ein abgefeimter Schurke war. Nach diesem hysterischen Ausbruch schienen sich jedoch die Schleusen des Mitleids in der Seele der Erzherzogin für immer verschlossen zu haben; denn weder sie noch sonst jemand suchten Mitgefühl in Franz Joseph zu erwecken, als Italien und Ungarn ihm hilflos zu Füßen lagen. Das Erbarmen, das man einem gemeinen Verbrecher gegenüber bewiesen hatte, sollte sich nicht auch auf politische Vergehen erstrecken, und nur die Unterdrückungspolitik feierte scheinbare Triumphe. Wenn die starke Hand eine blutige war, so war die blutige auch eine starke, denn Österreich wand sich nicht mühsam durch das Gestrüpp aller Schwierigkeiten hindurch, sondern schaffte sich mit festem Hieb und scharfen Schnitten freie Bahn. Noch drohte von Preußen her keine Gefahr und das Haus Habsburg – in sich zwar bankrott, aber im Besitze der stärksten Armee Europas – konnte es wieder wagen, sein Selbstbewußtsein zur Schau zu tragen. Und so sehen wir, wie Franz Joseph, sobald er seine Stellung für gesichert hielt, seinen Familienstolz offenbart, indem er Napoleon III. vorsätzlicherweise beleidigt.

Napoleon hatte, nachdem sein Staatsstreich durch einen Volksbeschluß bekräftigt worden war, seinen kaiserlichen und königlichen Vettern seine Thronbesteigung mitgeteilt, so daß nun die Frage entstand, ob man ihn als ebenbürtiges Familienglied oder als einen sich in exklusive Kreise eindrängenden »Parvenu« zu behandeln hätte. Sollte er der Sitte gemäß als »Sire und Bruder« willkommen geheißen oder durch eine kühle und verächtliche Form der Anrede zurückgewiesen werden? Franz Joseph und seine Berater entschlossen sich für das letztere. Der Kaiser, welcher durch das Blut seiner Untertanen zu seinem Throne gewatet war, blickte verächtlich auf den von seinem Volke frei gewählten Herrscher herab und wollte ihm dies dadurch zu verstehen geben, daß er ihn kurz mit »Sire« anredete.

Habsburg ließ sich schließlich herbei, den Anschein der Höflichkeit zu wahren, nachdem es weit genug gegangen war, um beleidigend zu wirken. Für Napoleon war dies natürlich keine Genugtuung. Er wartete seine Zeit ab, fest entschlossen, daß der kaiserliche Vetter ihm diese Kränkungen eines Tages werde teuer bezahlen müssen.

Wir müssen Franz Joseph auf dem Pfade der Wiederherstellung im eigenen Lande folgen. Es ist die Zeit, in der seine Persönlichkeit sich durchzusetzen beginnt.

Unter ihm wurde das sogenannte »System Bach« eingeführt. Bach war der Nachfolger Schwarzenbergs im Ministerium des Innern, ein Bureaukrat, der alles und alle germanisieren wollte, was den Tschechen und Kroaten ebensowenig zusagte, wie den Ungarn. »Das ist gut!« kicherte ein Ungar im Gespräch mit einem Kroaten, »Euch geben die Österreicher als Belohnung das, was sie uns als Strafe geben!« Die in solchen Reden sich offenbarende Gemütsverfassung zeigte klar die Anzeichen kommender Unruhen, aber zwei Umstände boten vorerst noch Einhalt: Österreich war stark und Franz Joseph leutselig, so daß man an ihn glaubte und für die strengen Maßnahmen nur seine Minister verantwortlich machte. Er bereiste seine Länder und zeigte sich von der angenehmsten Seite. 2000 politische Verbrecher wurden von ihm begnadigt und anderen gewährte er einen erheblichen Strafnachlaß. Gewiß beruhte der Empfang Franz Josephs in Ungarn mehr oder weniger auf künstlicher Mache, aber man konnte ihn zum mindesten doch als enthusiastisch bezeichnen. Daß der Kaiser als Reiter wie ein Zentaur mit seinem Pferde verwachsen schien und Ungarisch wie ein Eingeborener sprach, verfehlte nicht seine Wirkung, auch nicht, daß er die Kunst verstand, Unangenehmes zu übersehen und am rechten Ort eine Schmeichelei zu sagen. »Ich bin mit vielen Ungarn zusammengetroffen, und jeder einzelne von ihnen war ein Charakter« waren seine Worte nach der Rückkehr von seiner ersten Reise. Worte, die von den Franzosen als »mots de la situation« bezeichnet werden, und die stets einen guten Eindruck hinterlassen.

Ein anderes kam noch dazu: nämlich das Attentat, das um jene Zeit von dem Schneider Libenyi auf sein Leben verübt wurde. Dieser versuchte, den Kaiser auf einem Spaziergang hinterrücks durch den Nacken zu erstechen; aber der Anschlag mißglückte, da die Klingenspitze auf einen Schädelknochen stieß und sich daran verbog. Franz Joseph benahm sich bei dieser Gelegenheit sehr tapfer und unerschrocken. »Hab' keine Angst, liebe Mutter, mein Hals ist nur ein wenig steif«, tröstete er die Erzherzogin Sophie, und zu den Offizieren seines Gefolges sagte er: »Nichts von Bedeutung! Schließlich war ich in keiner größeren Gefahr, als meine tapferen Soldaten in Italien.« Auch dies waren »mots de la situation«, die für den Sprecher einnahmen.

Auch auf scharfsichtige, kluge Beobachter machte er einen guten Eindruck. So sprach Bismarck, damals noch ein junger Mann, der in irgendeiner Staatsangelegenheit zu ihm gesandt war, von »dem Feuer seiner zwanzig Jahre, verbunden mit der Würde und Nachdenklichkeit eines reiferen Alters« und fügt hinzu: »Wäre er nicht Kaiser, so würde er mir fast zu ernst für sein Alter scheinen«. – Kurz darauf sandte der König von Belgien folgenden günstigen Bericht über ihn an Königin Viktoria von England:

»Der junge Kaiser (schrieb er) gefällt mir ausnehmend gut. Aus seinen lebhaften, blauen Augen, die bisweilen von einnehmender Fröhlichkeit strahlen können, spricht sehr viel Mut und Verstand. Seine Gestalt ist schmächtig und anmutig, doch selbst im größten Gemenge von Tänzern ist er aus allen Erzherzögen heraus als Oberhaupt zu erkennen … Ohne sich ein besonderes Ansehen geben zu wollen, hält er alles in Zucht und Ordnung, nur weil er das besitzt, was Autorität verleiht, und wonach mancher Gewalthaber Zeit seines Lebens vergeblich strebt. Bei Gelegenheit mag er wohl recht streng sein können. Zweifellos aber ist er sehr mutig; denn wir waren oft von Leuten aller Art umringt, in deren Hand er vollständig gegeben war, doch behielten seine Züge stets den unerschrockenen Ausdruck, den ich nie durch Wohlgefallen oder Besorgnis beeinträchtigt sah.«

Fast um dieselbe Zeit schrieb Lady Westmorland an Mr. Hood:

»Der junge Kaiser macht den besten Eindruck auf mich, und besonders durch eine zärtliche Liebe zu seiner Mutter und sein respektvolles Benehmen ihr gegenüber. Er sieht für seine Jahre sehr jung aus und ist nicht hübsch, hat aber eine schöngebaute, bewegliche Gestalt und ein äußerst interessantes und ausdrucksvolles Gesicht. Seine Züge sprechen von vielem Nachdenken und in seinem Wesen ist er absolut natürlich. Seine Mutter ist eine interessante Frau und ganz vernarrt in ihren Sohn, auf den sie freilich auch alle Ursache hat stolz zu sein. Der Vater dagegen ist eine Null, dem es nur darum zu tun ist, daß man ihn nicht aus seiner Ruhe und Bequemlichkeit stört.«

Wir haben hier das Bild eines jugendfrischen Mannes, der im Bewußtsein seiner Kraft und seines rechtlichen Wollens frohgemut ins Leben blickt.

Dennoch waren diese Jahre reich an Sorgen und Nöten. Die politischen Schwierigkeiten begannen mit der stümperhaften Politik anläßlich des Krimkrieges, als Österreich sowohl mit den Hasen laufen, als auch mit den Hunden jagen wollte und es auf diese Weise mit beiden verdarb. Der Zar, welcher im Jahre 1849 Franz Josephs Thron gerettet hatte, rechnete nun auf eine weit größere Dankbarkeit, als man ihm zeigte. Seit jener Zeit datiert die russisch-österreichische Feindschaft. Aber der Abfall war doch nicht groß genug, um Österreich als Ersatz die Freundschaft Frankreichs zu verschaffen; denn im Jahre 1859 stellte Frankreich sich auf die Seite Sardiniens, als dieses die Lombardei erobern wollte, während Rußland zusah und sich dabei ins Fäustchen lachte.

Doch für den Augenblick schien alles gut und schön, und jeder, der an solche Dinge glaubte, hätte sich zu der Ansicht bekehren müssen, daß Gräfin Karolyis Fluch wirkungslos verhallt sei. Als für Franz Joseph die Zeit gekommen war, sich nach einer Braut umzusehen, bildete er die begehrenswerteste Partie in ganz Europa. Er brauchte seine Ehe nicht aus diplomatischen Rücksichten zu schließen, sondern es war ihm vergönnt, sich beinah wie ein richtiger Märchenprinz zu verlieben. Und doch vertrug sich seine Liebesgeschichte, unähnlich der so mancher anderer Familienglieder, voll und ganz mit Habsburger Würde und Selbstachtung.

Und Franz Josephs Heirat ist eine der berühmtesten Aschenbrödelgeschichten der letzten Jahre. Jeder neue Erzähler erweitert sie um einige romantische Einzelheiten, aber die wesentlichen Tatsachen sind in allen Lesarten doch dieselben geblieben. Es ist immer die Geschichte von dem Heiratskomplott, das eine sorgliche Mutter ausgesponnen, und das der Prinz in der elften Stunde dadurch über den Haufen wirft, daß er sein Schicksal selbst in die Hände nimmt und darauf besteht, die Erwählte seines eigenen Herzens heimzuführen.

Erzherzogin Sophie war stolz darauf, großen Einfluß auf ihren Sohn ausüben zu können. Da sie nun ihren Anverwandten, der herzoglichen Linie der Wittelsbacher, einen guten Dienst erweisen wollte, so war es für sie selbstverständlich, daß sich die Blutsverwandtschaft zwischen den beiden Familien wieder erneuerte. In der Familie der Wittelsbacher bestand allerdings, ebenso wie im Hause Habsburg, eine erbliche Neigung zum Irrsinn, aber Erzherzogin Sophie kümmerte sich wenig darum.

Die Erzherzogin besprach deshalb die Angelegenheit mit ihrem Vetter, dem Herzog Maximilian in Bayern, und es wurde beschlossen, daß seine Tochter Helene, ein liebes und schönes Mädchen, Kaiserin von Österreich werden sollte. So wurde sie für die Stellung ebenso sorgfältig vorbereitet, wie seinerzeit Franz Joseph für den Herrscherthron. Der junge Kaiser zeigte sich übrigens mit diesen Plänen einverstanden, denn er begriff, daß seine Würde seine Wahl beschränkte, und ließ sich auch davon überzeugen, daß die mütterliche Heiratsvermittlerin alles aufs beste bedacht und eingerichtet hätte. Eine Begegnung sollte in Ischl stattfinden, und die Verlobung galt bereits als offenes Geheimnis.

Man fuhr also nach Ischl. Helene war reizend, aber noch viel reizender fand Franz Joseph ihre jüngere Schwester Elisabeth, das Aschenbrödel der Familie, das man im Hintergrunde versteckt hielt.

Elisabeth war für keine hohe Position erzogen worden. Sie war erst 16 Jahre alt, ein Tollkopf und Naturkind, das an das ungebundene Leben in den Bergen, soweit sich dies mit ihrem Rang und Stand vereinen ließ, gewöhnt war. Mit Vorliebe streifte sie durch die Wälder, wenn auch nicht mit der Jagdbüchse in der Hand, wie es in dem Buch »Die Märtyrerin auf dem Kaiserthron« berichtet wird, und man erzählt von ihr, daß sie oft in abgelegenen Bergtälern vor den Türen der Bauernhäuser saß und den Dorfkindern zum Tanze aufspielte. Sie war auf eine ganz seltsame Weise schön, mit wundervollem üppigem Haar und mit Augen, die einen überallhin verfolgten. Abgründige Gedanken schauten aus diesen Augen, Anzeigen jener Mysterien ihrer Seele, die sie bald als ein unlösbares Rätsel vor die neugierige Welt hinstellen sollten. Franz Joseph – stattlich und hübsch, blond, blauäugig, ein stolzer Krieger und ritterlicher junger Mann – blickte in des Mädchens Augen und war besiegt.

Elisabeth war ihm nicht offiziell vorgestellt worden und ihr erstes Zusammentreffen geschah beinah wie durch Zufall. In einem einfachen weißen Kleide, mit Blumen im Haar, betrat sie das Zimmer, in dem sich der Kaiser gerade allein befand, und begrüßte ihn als ihren Vetter. Franz begann ein Gespräch mit ihr, und da er doch der Kaiser war, durfte sie ihm nicht davonlaufen, so schüchtern sie auch war. Zum Schluß sprach er noch den Wunsch aus, die Unterhaltung bei Tisch oder bei dem nachfolgenden Tanz fortzusetzen. Aber Elisabeth fürchtete, daß dies nicht gut möglich sei; denn sie wäre »immer noch in der Schule« – noch nicht »ausgeführt« – und hätte außerdem auch »nichts anzuziehen«. »Wenn aber Majestät darauf bestehen –« zögerte sie. »Jawohl, ich bestehe darauf!« rief Franz Joseph. »Höre, wir wollen Komödie spielen. Sage niemandem etwas, aber ziehe dich für die Gesellschaft an und komm herunter.« – »Aber man wird mich auszanken.« – »Hab keine Angst, ich will schon dafür sorgen, daß das nicht geschieht, du kannst dich auf mich verlassen!«

So wurde die Komödie gespielt, und als der Kaiser seine Freude über den unerwarteten Gast ausdrückte, blieben die Scheltworte in den Keimen stecken. Die Sache nahm nun mit schnellen Schritten ihren Lauf, zum großen Leidwesen der Prinzessin Helene, wie sich denken läßt. Doch der Kaiser setzte sich über alle Vorschriften der Etikette hinweg und tanzte die ganze halbe Nacht mit dem »Schulmädchen«. In einer Ruhepause zeigte er ihr ein Album mit kolorierten Abbildungen von Bewohnern der 18 Staaten Österreichs in Nationaltracht. »Das sind meine Untertanen,« sagte er, »wolltest du nicht auch, es wären deine?« Dann tanzten sie wieder miteinander und beim Kotillon schenkte er seiner Aschenbrödelpartnerin ein Sträußchen selbstgepflückte Edelweiß, so daß jeder außer der Prinzessin selbst die Ernsthaftigkeit seiner Absichten zu ahnen begann. Sie konnte es selbst dann noch nicht glauben, als ihre Mutter ihr davon Mitteilung machte. »Wie? Ich eine Kaiserin? Aber ich bin doch noch niemand!« rief sie zweifelnd aus. Doch es sollte nicht lange dauern, bis ihr die Wichtigkeit ihrer kleinen Person zum Bewußtsein kam, denn schon um 10 Uhr am andern Morgen ratterte der kaiserliche Wagen zur Wohnung des Herzogs hinauf. »Ist Prinzessin Elisabeth schon auf?« fragte der Kaiser, und als man ihm mitteilte, sie wäre noch beim Ankleiden, entgegnete er: »Dann will ich mit der Herzogin sprechen!« Darauf hielt er förmlich um die Hand der Prinzessin an und eine halbe Stunde später wurden alle in Ischl anwesenden Familienglieder in die kleine Pfarrkirche zusammenberufen, wo unter den Klängen der österreichischen Nationalhymne die Verlobung feierlich geschlossen wurde. Beim Herausgehen aus der Kirche soll der Kaiser zu seiner Braut gesagt haben: »Dies ist der glücklichste Tag meines Lebens. Ich verdanke mein Glück dir und ich danke dir für das Licht, das du in mein Leben gebracht hast!«

Elisabeths Schwester durchlebte natürlich eine traurige Enttäuschung. Sie suchte später in der Ehe mit dem Fürsten von Thurn und Taxis Trost, aber wie es scheint, nicht mit dem gewünschten Erfolg. Herzog Maximilian war anfangs mit der Werbung des Kaisers nicht recht einverstanden, und er erhob Einwände, ähnlich wie Laban, als Jakob die Rahel freien wollte und dabei die Lea überging. Auch Erzherzogin Sophie, die herrschsüchtige Frau, hätte es lieber gesehen, wenn ihr eigener Wille statt des ihres Sohnes durchgedrungen wäre, aber es war nun mal eine Liebesheirat und das ist die Hauptsache in königlichen wie in bürgerlichen Ehen.

Und doch – –

Und doch stellte sich allmählich heraus, daß auch hier ein trügerischer Schein gewaltet hatte. Diese so hoffnungsvoll geschlossene Ehe sollte der Ausgangspunkt von Tragödien werden – der Beginn, wenn man so will – von der Erfüllung jenes Fluches, der unheildrohend über dem Haupte Franz Josephs schwebte.

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