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III. Kapitel

Franz Josephs Vorfahren / Seitenverwandte / Ahnenkult / Habsburger Veranlagungen / Franz Josephs Fähigkeiten


Die Habsburger lassen sich bis ins 7. Jahrhundert zurückverfolgen, ehe sie sich in der allgemeinen Menge des Volkes verlieren. Franz Joseph gehört zur Dynastie Habsburg-Lothringen, die durch die Ehe der Kaiserin Maria Theresia mit Franz von Lothringen im Jahre 1736 begründet wurde.

Dieser Franz von Lothringen scheint ein nicht ganz einwandsfreier Charakter gewesen zu sein. Sein Privatleben ist wohl musterhaft zu nennen, allein er war Steuerpächter, lieh Geld auf Wucherzinsen und handelte gewissermaßen als Armeelieferant Friedrichs des Großen, während dieser mit Österreich Krieg führte. Er war der Vater der Marie Antoinette und der Kaiser Joseph II. und Leopold II. Joseph hinterließ keine Nachkommen, dagegen hatte Leopold, der sich mit der Tochter Karls III. von Spanien vermählte, eine zahlreiche Familie. Hier sollen nur zwei Glieder derselben erwähnt werden.

I. Franz II., der im Jahre 1792 Kaiser wurde und zu der Zeit regierte, als Napoleon das heilige römische Reich zerschmetterte.

II. Erzherzog Johann, dessen romantische Ehe mit einer Postmeisterstochter einen Präzedenzfall für jene morganatischen Ehen schuf, die später im Hause Habsburg so häufig zu verzeichnen sind.

Leopold II. wird von den Geschichtsschreibern als ein wohlwollender Herrscher geschildert, ein Reformator nach seinen Fähigkeiten, der in religiösen Angelegenheiten eine große Unduldsamkeit zeigte und der in jungen Jahren an den Folgen seiner Ausschweifungen starb.

Von Franz II. wäre viel Übeles zu berichten, wenn er selbst und nicht sein Enkel den Gegenstand unserer Betrachtungen bildete. Er war ein unaufrichtiger, unfähiger Monarch, ganz und gar auf die Hilfe Metternichs angewiesen, ein kleinlicher Haustyrann, der sich gegen seine Tochter Marie Louise, gegen seinen Schwiegersohn Napoleon und seinen Enkel, den Herzog von Reichstadt ganz abscheulich benahm. Hier sei nur noch erwähnt, daß er vier Frauen hatte, und daß seiner zweiten Ehe – mit Maria Theresia Karoline Josephine von Bourbon – zwei Söhne entstammten, die für uns in Betracht kommen:

I. Kaiser Ferdinand, der 1835 zur Regierung gelangte, aber sein Haupt vor dem Sturm beugte und 1848 abdankte, obwohl er erst 1875 starb.

II. Erzherzog Franz Karl, welcher dem kinderlosen Ferdinand auf den Thron folgen sollte, sich aber von seiner Gemahlin, der Herzogin Sophie, Tochter Maximilians I. von Bayern, bewegen ließ, zugunsten seines ältesten Sohnes, des jetzigen Kaisers Franz Joseph, zu verzichten.

Aus dieser genealogischen Tafel, die zunächst für uns genügt, ersehen wir, daß die Habsburger ein schwaches Geschlecht waren und immer schwächer wurden, je stürmischer die Epochen sich gestalteten. Und sie zeigt uns Franz Joseph mit 18 Jahren in seine bewegte politische Laufbahn hineingeworfen, als die aufsteigende Hoffnung einer sinkenden Familie. Ein Jüngling, voll Energie und verheißender Fähigkeiten, schlank aber stark und sichtlich frei von Dekadenzmerkmalen und Familienschwächen, schien er seinem ganzen Wesen nach dazu berufen, die bedrohte Würde Österreichs wieder aufzurichten, indem er der neuen Ära mit neuem Geist entgegentrat. Seine Thronbesteigung wird unseren historischen Ausgangspunkt bilden; vorher müssen wir noch einen kurzen Blick auf jene Nebenlinien der Habsburger werfen, von denen – falls Vererbung kein leeres Wort ist – anzunehmen ist, daß Züge ihres Wesens bei ihren Nachkommen wieder in Erscheinung treten.

Die Verwandtenreihe umschließt tatsächlich alle katholischen und einen Teil der protestantischen Herrscherfamilien Europas. Wir wollen mit dem Hause von Burgund beginnen und mit dem von Bayern enden; unser Weg führt uns über die Häuser von Spanien, Portugal, Medici und Bourbon-Parma.

Karl der Kühne von Burgund verfiel nach seiner Niederlage bei Mürten in Melancholie und starb in geistiger Umnachtung. Seine Tochter Marie, Herzogin von Brabant und Gräfin von Flandern, vermählte sich mit dem Erzherzog Maximilian von Österreich. Ihr Sohn, Philipp der Schöne, heiratete jene Tochter Ferdinands von Aragonien, die in der Geschichte als Johanna die Wahnsinnige bekannt ist. Unter solch ungünstigen Umständen sehen wir das Habsburger Blut sich mit der spanischen Königsfamilie verbinden, und in der weiteren Familiengeschichte zeigt sich zweierlei als unserer Beachtung wichtig:

1. Eine Zunahme von Degenerationserscheinungen bei den Königen und Infanten von Spanien.

2. Eine häufige Wiederkehr von Heiraten zwischen den spanischen und österreichischen Habsburgern.

Johanna die Wahnsinnige durchzog ganz Spanien mit dem Sarg ihres Gatten, weinend und klagend, so oft die Leichenprozession halt machte. Ihr Sohn, der große Kaiser Karl V., stand an der Grenze zwischen Genie und Irrsinn. Dazu war er ein Epileptiker. Seinen Sohn, Philipp II., kennzeichnen die Geschichtsschreiber als Halbnarren, und sein Bruder Karl litt offenkundig an Mordwahn. Philipp III. war verhältnismäßig gesund, aber auch er versuchte seine Schwester zu vergiften. Karl II., mit dem Beinamen »Der Behexte«, fürchtete sich dermaßen im Dunkeln, daß er nicht ruhig schlafen konnte, wenn nicht allnächtlich drei Mönche an seinem Bett wachten. Philipp V. war schwachsinnig und durch Jahre hindurch bettlägerig und Ferdinand VI. litt an religiösem Wahne. Die Liste ist bei weitem nicht vollständig, aber sie genügt, um die Bedeutung der Tatsachen zu erfassen, daß acht oder neun Ehen zwischen spanischen und österreichischen Habsburgern verzeichnet werden können.

Kaum besser steht es um die Medici und die mannigfaltigen italienischen Bourbonen, deren Blut gleichfalls in den Adern der Habsburger rollt, und ihrer Verbindung mit den Wittelsbachern lag wohl nicht die Erwartung zugrunde, ihrem Blute einen gesünderen Einschlag zuzuführen. Gesundheit wird in diesem Hause vertreten durch den König, der sein Reich den schönen Augen der Lola Montez opferte, Krankheit durch Franz Josephs Vettern, die Könige Ludwig und Otto, deren Sonderlichkeiten in zahllosen Memoirenbänden und Zeitungsartikeln berichtet worden sind.

Sicherlich wird kein Wissenschaftler behaupten, daß solches Erbe günstig sei. Im Gegenteil, der Eindruck, den eine genaue Prüfung dieser Tatsachen hinterläßt, ist der des Zusammenfließens einer ganzen Reihe ungesunder und dekadenter Strömungen. Infolge der in Generation um Generation erneuten Verwandtschaftsehen hat dieselbe Quelle immer wieder herhalten müssen, und der Erfolg war eben der, daß der Habsburger Typus mit all seinen besonderen physischen, geistigen und moralischen Eigentümlichkeiten Dauer gewann und sich in immer stärkerem Maße ausprägte. Die körperlichen Eigenschaften bildeten seit langem den Stolz der Familie selber. Auch Napoleon hatte den Blick dafür, wie aus einer Bemerkung Frederic Massons hervorgeht, die dieser aus der Zeit von Napoleons Verlobung mit Marie Louise mitteilt:

»Als Lejeune«, so schreibt er, »nach seiner Rückkehr aus Wien Napoleon eine Skizze der Erzherzogin zeigte, die er im Theater gefertigt hatte, rief er voll Entzücken aus: ›Ah! Ich sehe, sie hat die Habsburger Lippe!‹«

Bei Brantôme hingegen finden wir noch viel früher einen Hinweis auf diesen Zug. Er erzählt uns, wie Eleonora von Österreich, die Gemahlin Franz I. von Frankreich, in Dijon die Skulpturen an den Grabdenkmälern ihrer Ahnen betrachtete, und fährt fort:

»Einige von den Gestalten waren so gut erhalten, daß sie manche ihrer Züge unterscheiden konnte, so auch besonders die Mundformen. Worauf sie plötzlich ausrief: ›Ah, ich glaubte immer, wir hätten unseren Mund von unseren österreichischen Ahnen; aber ich sehe nun, daß er von Marie von Burgund und den andern Burgundern stammt. Wenn ich meinen Bruder, den Kaiser, wiedersehe, will ich es ihm sagen, oder ich will ihm lieber darüber schreiben!‹ Die Hofdame, die mir davon berichtete, sagte mir, daß die Königin so gesprochen hätte, als ob sie voller Stolz über dieses Merkmal sei, worin sie überdies vollständig recht hatte.

Daß diese körperliche Eigentümlichkeit der Habsburger den äußeren Ausdruck für geistige und moralische Abweichungen von der gesunden Norm darstellt, wurde augenscheinlich von Napoleon so wenig geahnt, wie von Brantôme. Die Gesetze der Vererbung sind noch nicht klargestellt. Sie scheinen wohl im allgemeinen zu gelten, aber man kann sie nicht als Unterlage benützen, um in irgendeinem besonderen Fall auf eine besondere Weise damit zu operieren. In bezug auf eine ganze Familie bestätigen sie sich fast ausnahmslos; das Leben eines Einzelnen scheint sie indessen häufig umzustoßen, und wir sehen nicht selten Genie und Irrsinn aus einer und derselben Wurzel erwachsen.

Die Geschichte der Habsburger im allgemeinen und das Leben Franz Josephs im besonderen unterstützen diese Anschauung. Erzherzog Karl, der für Napoleon ein so gefährlicher Gegner war und ihn auch bei Aspern schlug, war kein weit entfernter Verwandter jenes Erzherzogs Otto, der nur mit Handschuhen, Säbelgurt und Tschako angetan in einem Wiener Café zu tanzen pflegte. Die Erzherzogin Christina, die sich dem jungen König von Spanien als eine so tüchtige Mutter erwies – obwohl sie ihm ein doppeltes Maß des Habsburger Kinns vererbte – gehörte ebensogut zu der Familie wie die Prinzessin, deren Glück in der Liebe zu Signor Toselli so offenkundig scheiterte. Gegensätze solcher Art, auf die man hinweisen könnte, sind in unendlicher Menge vorhanden. Man gewinnt schließlich den Eindruck, daß in der Familie als solcher geistig ungesunde Veranlagungen herrschen, daß aber gewisse einzelne Glieder derselben so gesund sind, wie jeder andere auch, und sogar befähigter als der Durchschnitt der Menge. Man muß diesen Eindruck auf sich wirken lassen, wenn man imstande sein will, das Leben Franz Josephs richtig zu werten.

Seit über 60 Jahren steht er da vor den Augen Europas als der glänzendste Vertreter seines Stammes, auserlesen, nicht bloß wegen seiner Fähigkeiten, sondern auch wegen seiner Charakterstärke und seines taktvollen versöhnlichen Wesens, kurz aller jener Eigenschaften, die man von einem gesunden Manne in einer solch hohen Stellung erwartet. Er begann seine Laufbahn unter der Last einer in seltenem Maße schlimmen Erbschaft und er hat diese Bürde durch sein Leben geduldet und so würdevoll getragen, als ob ihm persönlich nichts bewußt wäre von dem Familienverhängnis, während doch das Leben der ihm Nahestehenden und Liebsten zu jeder Frist unleugbare Beweise davon gegeben hat. Durch mildes, verständnisvolles Gutheißen, durch sein ganzes Wesen hat er sich ein langes Leben hindurch als wahres Haupt der Familie bewiesen.

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