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Magenta und Solferino / Befreiung der Lombardei / Unglücklicher Ausgang des Krieges / Friedensbedingungen
Andere Dinge, als der geheime Kummer seiner Gemahlin – oder selbst der eigene – nahmen Franz Josephs Aufmerksamkeit während der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre in Anspruch. Die Erfüllungsstunde für Gräfin Karolyis Fluch hatte noch nicht geschlagen. Es schien jedoch, als ob jener »Zerfall« Österreichs, der die Staatsgelehrten des Nachts, wenn sie nicht schlafen können, beschäftigt, wieder einmal nahe bevorstand. Ungarn zeigte sich halsstarrig, Preußen war voll Ehrgeiz und Eifersucht und die italienischen Untertanen der Habsburger waren von tiefem Haß gegen ihre Oberherren erfüllt. Den Italienern war es vorbehalten als erste ihre Stimmen zu erheben.
Sie hatten bereits im Jahre 1848 gesprochen, waren aber damals von Radetzky wieder zum Schweigen gebracht worden. Denn Radetzky war ein guter General und Karl Albert ein schlechter. Nun aber stand Viktor Emanuel – ein bedeutenderer Mann als sein Vater – am Steuer und hatte Cavour als Berater. Italia fara da se – Italien wird sein Schicksal aus sich selbst heraus gestalten – war Karl Alberts Wahlspruch gewesen. Viktor Emanuel und Cavour packten die Sache feiner an. Sie sahen sich nach Verbündeten um und fanden in Napoleon III. sowohl einen mitfühlenden Mann, da er vormals an der Carbonari-Bewegung persönlich beteiligt war, als auch einen empfindlichen Fürsten, der die von dem Oberhaupt des Hauses Habsburg erlittene Zurückweisung, ihn als »Sire« statt als »Bruder« anzureden, nicht vergessen konnte und gewillt war, ihnen zu helfen. So wurden Napoleons Sympathien bearbeitet und die Räder ins Rollen gebracht. Man erzählt sich, daß die schöne Gräfin Castiglioni nicht wenig dazu beigetragen habe, indem sie ihren Argumenten die Wirkung ihrer Reize zugesellte. Da der Kaiser sehr empfänglich für solche Einflüsse war, so mag diese Angabe nicht ganz unwahr sein. Jedenfalls trat er bald mit der unverblümten Frage hervor: »Was läßt sich für Italien tun?« und wenig später, im Juli 1858 hatte er eine Unterredung mit Cavour in Plombières, wobei ausgemacht wurde, was nun wirklich geschehen und was des Kaisers Anteil an der Kriegsbeute sein sollte.
Franz Joseph mag das Kommende geahnt haben, als er Viktor Emanuels Thronrede bei der Eröffnung seines Parlaments im Jahre 1859 las, welche die deutliche Erklärung enthielt: »Wir können bei aller Achtung vor Verträgen dennoch den Notschrei nicht unberücksichtigt lassen, der aus so vielen Teilen Italiens zu uns herüberdringt.« Seine Ahnung mußte zur Gewißheit werden, als beim Neujahrsempfang des diplomatischen Korps Napoleon vor allen Gesandten zu dem österreichischen mit frostiger Höflichkeit die Äußerung tat:
»Zu meinem Leidwesen sind unsere Beziehungen zu Ihrer Regierung nicht mehr so gut, wie sie gewesen sind, aber ich bitte Sie, Ihrem Kaiser zu versichern, daß meine persönlichen Gefühle ihm gegenüber keine Änderung erfahren haben.«
Ein doppelsinniger Ausspruch fürwahr; denn seine Gefühle waren kaum sehr freundschaftlich gegen den Urheber jenes Planes, ihn durch die Art der Anrede herabzudrücken. Die Kriegsabsicht stand unverkennbar hinter diesen Worten, und der Krieg ließ auch tatsächlich nicht lange auf sich warten. Franz Joseph kam dem Unvermeidlichen zuvor, indem er Sardinien aufforderte, innerhalb von drei Tagen abzurüsten. Sardinien verweigerte dies und die Franzosen kamen ihm über die Alpen zu Hilfe. Sie schlugen Franz Joseph bei Magenta und Solferino, vertrieben ihn aus der Lombardei und ließen nur Venedig noch in seinem Besitz.
Es war dies der Anfang vom Ende. Österreich beherrschte damals die Lombardei und Venedig als unterworfene Provinzen. Zugleich regierten andere Habsburger in Modena und Toscana, während der abscheuliche Bomba von Neapel der Schwager der Kaiserin Elisabeth war. Nicht nur in den österreichischen Provinzen, sondern auch in ganz Italien hatte man dem Volk eine Vertretung schroff verweigert. Italien bestand als »geographischer Begriff« und sollte sich auch demgemäß benehmen. Wenn nicht, dann sollten die anführenden italienischen Bürger eben gehenkt werden, und wenn es Schwierigkeiten machte, den Beweis zu erbringen, so müßte die Folter dazu helfen.
Die Politik war ebenso kindisch wie barbarisch und ebenso barbarisch wie kindisch. Gladstone hatte dies im Sinne, als er die berühmte Äußerung tat, daß man auf keinen Punkt der Karte von Europa den Finger legen und sagen könne: »Hier hat Österreich Gutes geschaffen!« Österreichs Fehler lag nicht darin, daß es Anlaß zu solcher Kritik bot, sondern darin, daß es hinterher den Versuch machte, sein Vorgehen zu beschönigen.
Man muß erwähnen, daß die Österreicher ebenso schimpflich in Italien wie in Ungarn verfuhren, und zwar wurde diesmal Franz Joseph die Verantwortung zugeschoben. Als er mit seiner jungen Gemahlin seinen italienischen Besitzungen einen offiziellen Besuch abstattete, gaben die Italiener es ihm deutlich zu verstehen – wie in der Folge dem Erzherzog Maximilian und der Herzogin Charlotte –, daß es nicht seine Leutseligkeit, noch die irgendeines anderen Familiengliedes war, nach der sie Verlangen trugen, sondern nach seiner und aller Habsburger Vertreibung aus ihrem Lande.
Als Erzherzog Maximilian mit der Erzherzogin auf der Piazza in Venedig erschien, zog sich die ganze Bevölkerung zurück und ließ sie allein stehen, als wären sie Aussätzige, die Ansteckung um sich herum verbreiteten. Als Kaiser Franz Joseph in Begleitung der Kaiserin Elisabeth durch die Straßen von Mailand fuhr, entblößte sich kein Haupt und kein Hochruf erscholl, der ihnen galt, während der von Amts wegen an der Fahrt teilnehmende italienische Vertreter aufs lebhafteste und ausdrücklichste begrüßt wurde. Zugleich hatten sich die Frauen mit Vorbedacht so gekleidet, daß ihre Gewänder die italienischen Nationalfarben zur Schau trugen, und als in der Scala der Chor aus »Norma«: ›guerra guerra‹ erklang, brach ein Beifall los, als ob er nicht mehr enden wollte.
Es schien daher Viktor Emanuels klare Aufgabe, den Italienern bei der Erfüllung eines offensichtlichen Schicksals zu helfen. Und in dieser Aufgabe erblickte Napoleon eine günstige Gelegenheit, wie schon früher dem Zaren, so jetzt Franz Joseph zu zeigen, daß die Kaiser, die ihn als Parvenu behandelten, den Schaden zu tragen hätten. So fochten beide Schulter an Schulter und machten zusammen ein typisches Stückchen österreichischer Geschichte. Franz Joseph nahm persönlich an dem italienischen Feldzug teil, aber obwohl er ein tapferer Soldat war, fehlte es ihm doch an kriegerischem Genius. Er erwies sich als ein ganz gewöhnlicher Feldherr, dem ebenso gewöhnliche Feldherren Niederlagen beizubringen vermochten – zum Teil vielleicht deswegen, weil seine ungarischen Soldaten großen Eifer im Desertieren zeigten. Dennoch grollte er über die Friedensbedingungen mit echt habsburgischer Halsstarrigkeit. Besonders über folgenden Artikel:
»Der Kaiser von Österreich tritt seine Rechte über die Lombardei an den Kaiser der Franzosen ab, welcher sie gemäß den Wünschen der Bevölkerung dem König von Sardinien überantworten wird.«
Was denn dieser Ausdruck »gemäß den Wünschen der Bevölkerung« zu bedeuten hätte, so fragte er Prinz Napoleon, der die Unterhandlungen führte. Der Prinz erwiderte, daß sie nichts anderes meinten, als was sie ausdrückten, nämlich daß es in der ganzen Lombardei keinen Italiener gäbe, der nicht darauf brannte, die Österreicher aus der Provinz herausgetrieben zu sehen. Worauf Franz Joseph mit der Hand auf den Tisch schlug und mit erhobener Stimme rief: »Was mich betrifft, so erkenne ich keine anderen Rechte an, als die in Verträgen niedergelegt sind, und vertragsgemäß ist die Lombardei mein Eigentum. Da meinen Waffen das Glück versagt blieb, so bin ich bereit, das Gebiet dem Kaiser Napoleon abzutreten. Aber ich kann nicht die Wünsche der Bevölkerung anerkennen, denn das ist nur eine Umschreibung für das Recht der Revolution. Benutzen Sie den Satz, wenn es sein muß, in Ihrem Vertrag mit dem König von Sardinien und in Ihrer Proklamation an das italienische Volk – das geht mich nichts an, aber Sie müssen klar verstehen, daß ich, der Kaiser von Österreich, mich nachdrücklich dagegen verwahre, meine Unterschrift unter einen derartigen Vertrag zu setzen.«
Von weit größerer Bedeutung war es, daß Napoleon wegen Gefahren im eigenen Lande nicht imstande war, die Abfuhr so vollständig und eindrücklich zu gestalten, als es in seiner Absicht und in seinen Wünschen lag.
Napoleon hatte versprochen, daß Italien »von den Alpen bis zur Adria« frei sein sollte; aber er erfuhr, daß Preußen am Rhein mobilisiere, und so mußte er sein Werk unvollendet lassen. Nicht genug, daß Venedig den Österreichern verblieb, auch die Habsburger Herzöge von Toscana und Modena wurden wieder in ihre Staaten eingesetzt, aus denen ihre Untertanen sie vertrieben hatten, trotzdem der letztere tatsächlich vor seiner Flucht seine politischen Gefangenen hatte erschießen lassen, nachdem sie zuvor gepeitscht worden waren. Aus dieser Sachlage ergaben sich zwei Folgen: Erstens wurde Franz Joseph in seiner hartnäckigen Meinung bestärkt, daß er wirklich Herrscherrechte über die Italiener besaß, welche ihn doch haßten und verabscheuten. Und zweitens fuhren die Italiener fort in ihrem Haß, so daß es so sicher und gewiß war, wie irgendetwas in der Welt: war erst der Kampf mit Preußen um die deutsche Herrschaft zu Ende, so mußte Franz Joseph einer zweiten Abrechnung mit Viktor Emanuel entgegensehen.
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