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XV. Kapitel

Die geplante Triple Alliance / Viktor Emanuels Bedingungen / Der französische Feldzugsplan / Beusts Brief an Metternich / Andrassys Auffassung dringt durch


Was tat Österreich im Jahre 1870? Welches waren seine Absichten und Versprechungen? Erweckte es nicht den Anschein eines plötzlichen Umschwunges? Und wenn so: weshalb? Die Lösung dieser wichtigen und schwer zu beantwortenden Fragen gilt als politisches Kulissengeheimnis. Fenster und Türen sind jedoch hin und wieder ein wenig geöffnet worden, und wurde dadurch auch nur ein flüchtiger Einblick in das Geheimnis ermöglicht, so offenbarte sich doch genug, um erkennen zu lassen, daß Österreich ähnlich wie im Jahre 1854, wo es die Welt durch seine Undankbarkeit in Staunen versetzte, im Jahre 1870 die Menschheit mit seiner Treulosigkeit überrascht hätte, wenn die volle Wahrheit bekannt geworden wäre.

Natürlich gibt es eine offizielle österreichische Darstellung der Dinge, die besagt, daß Versprechungen von Bedingungen abhängig gemacht waren, die nicht eingehalten wurden. Dagegen ist aber auch eine offizielle französische Lesart vorhanden, nach der Frankreich geködert und dann verräterisch im Stich gelassen worden sein soll. Dies eine ist auf alle Fälle gewiß, daß Erzherzog Albrecht, der Sieger von Custozza, den französischen Kriegsplan gegen Preußen unter der Voraussetzung der österreichischen Teilnahme an diesem Feldzug entworfen hatte, und daß Österreichs Beistandsgelöbnis erst in elfter Stunde zurückgezogen wurde.

Wir wollen zurückblicken und die Verhältnisse beschreiben, unter welchen das Komplott geschlossen wurde.

Schon lange vor seinem Ausbruch fühlte man, daß der Krieg zwischen Frankreich und Preußen in der Luft lag. Es galt als ausgemachte Sache, daß Preußen, ähnlich wie es mit Österreich um die Obergewalt in Deutschland gerungen hatte, mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa kämpfen würde. Unter welchem Vorwande, das blieb zunächst noch ungewiß, doch unterlag es keinem Zweifel, daß ein solcher sich finden würde, sobald die Zeit gekommen war. Der Streit um Luxemburg war ein Symptom tiefliegender Nebenbuhlerschaft; Napoleon sah die Gefahr voraus und beschloß, ihr durch Gründung eines unwiderstehlichen Dreibundes, mit Italien und Österreich als seinen Partnern, zuvorzukommen. Die Geschichte dieses Bündnisses und seines Fehlschlages läßt sich aus den Indiskretionen verschiedener mit den Unterhandlungen betrauter Persönlichkeiten leicht zusammenstücken.

Im Jahre 1869 begann Napoleon mit Viktor Emanuel und Franz Joseph zu unterhandeln und gleichzeitig, oder kurz darauf, traten Viktor Emanuel und Franz Joseph miteinander in Verbindung. Der Ausdruck Triple Alliance taucht in diesem Zusammenhang erstmalig in einem Schreiben Viktor Emanuels an Napoleon auf, das im »Giornale d' Italia« seine erste Veröffentlichung fand. Die wesentliche Stelle darin lautet:

»Ich kann nicht umhin, mein Einverständnis zu der Idee eines Dreibundes zwischen Frankreich, Österreich und Italien zu erklären; denn die Vereinigung dieser Mächte wird eine starke Schranke gegen ungerechtfertigte Anmaßungen bilden und somit dazu verhelfen, den europäischen Frieden auf eine solidere Grundlage zu setzen.«

Was im Hintergrunde von Viktor Emanuels Absichten lag, geht aus den Unterhandlungen hervor, die er durch General Türr, einen ungarischen Offizier in italienischen Diensten, mit Franz Joseph pflog. General Türr ist einer von denen, die indiskret gewesen sind. Er ließ sich dazu herbei, dem Korrespondenten einer deutschen Zeitung zu berichten, was zwischen ihm und dem Kaiser vorgegangen war und wie er, nachdem er die Sache im allgemeinen beleuchtet hatte, vom italienischen Gesichtspunkt aus in Einzelheiten überging und die unvermeidliche Frage von Italia irredenta aufwarf:

Ich erwähnte das Trentino und Franz Joseph unterbrach mich:

»Oh«, warf er ein, »immer wird von mir verlangt, daß ich etwas aufgeben soll.«

»Gewiß«, erwiderte ich, »aber Majestät würden natürlich dafür anderweitig entschädigt werden.«

Das war ein Vorschlag, der für Franz Joseph sehr viel Verlockendes haben mußte.

Dieser dreiteilige Handel war zu verwickelt, als daß er in der Eile abgeschlossen werden konnte. Insbesondere hatte es Viktor Emanuel durchaus nicht eilig, sondern hielt zurück, um seine Bedingungen mit Frankreich sowohl als Österreich durchzusetzen. Ihm stand die Stellung des Papstes im Wege, nach dessen weltlichen Besitzungen er verlangte, um seine Hauptstadt in Rom aufschlagen zu können. Da den Kirchenstaat aber französische Bajonette schirmten, machte Viktor Emanuel es zur Vorbedingung, daß die französischen Truppen aus Rom hinweggenommen würden.

Napoleon selbst wäre dazu bereit gewesen, aber die Klerikalen und an ihrer Spitze Kaiserin Eugenie, widersetzten sich einem solchen Vorgehen, und da er die Klerikalen fürchtete, so zog er die Unterhandlungen noch hin. Als er seine Truppen aus Rom zurückrief, weil er sie für den Feldzug brauchte, war es zu spät. Viktor Emanuel hatte die Nachricht von der Niederlage der Franzosen bei Wörth vernommen und dabei die denkwürdigen Worte geäußert:

»Der arme Kaiser, er tut mir leid, aber ich bin glücklich noch mit heiler Haut davongekommen.«

Doch auch Viktor Emanuel würde den Vertrag unterschrieben haben, wenn nicht seine Minister dagegen Einspruch erhoben hätten, wie er es dem deutschen Kaiser offen erklärte, als er im Jahre 1873 mit ihm zusammentraf:

»Ew. Majestät weiß ohne Zweifel, daß ohne das Dazwischentreten dieser Herren (Minghetti und Visconti Venosta) ich 1870 Preußen den Krieg erklärt hätte. –«

Das wesentliche »neue Faktum« ist, wie schon angedeutet, daß kurz vor der Kriegserklärung Erzherzog Albrecht, dessen Erfolg bei Custozza ihm den Ruf eines großen Strategen eingetragen hatte, von Franz Joseph nach Paris entsandt wurde, um ein gemeinsames Vorgehen gegen Preußen zu beraten. Er konferierte dort mit Lebœuf, Lebrun, Frossard, Jarras und anderen französischen Militärführern, und Lebrun kam dann nach Wien, um dort die Verhandlungen weiterzuführen.

Wie sich aus deren Verlauf ergab, war Frankreich in größerer Kriegsbereitschaft als die anderen Verbündeten. Es erklärte, innerhalb 14 Tagen die Mobilisierung bewerkstelligen zu können, während Österreich und Italien ungefähr sechs Wochen dafür in Anschlag brachten. Der Erzherzog schlug deshalb vor, daß die drei Mächte ihre Mobilisation gleichzeitig zu beginnen hätten, Österreich aber, anstatt den Krieg vor der Kampfbereitschaft zu erklären, unter dem Deckmantel der Neutralität zwei Armeekorps in Pilsen und Olmütz zusammenziehen sollte. Lebrun fand dies nicht ganz nach seinem Sinn. Er witterte Unrat und hatte die Österreicher im Verdacht, daß sie abwarten wollten, um zu sehen, wie die Karten fallen würden. Dennoch sprach manches für diesen Plan, denn Frankreich hatte keinen Vorteil davon, wenn sein Verbündeter noch während der Mobilisierung zerschmettert wurde. So kam am 13. Juni 1870 eine förmliche Abmachung zwischen Frankreich und Österreich zustande.

Dies war der Anlaß dazu, daß Erzherzog Albrecht den Feldzugsplan entwarf; nicht bloß ein allgemeiner Plan behufs gemeinsamen Vorgehens der verbündeten Mächte, sondern ein bis ins einzelnste gehender Feldzugsplan, die Verteilung und Verwendung der französischen Truppen betreffend. Dieser Plan, der in fast allen Einzelheiten demjenigen entspricht, welchen Napoleon annahm, wird im Archiv des französischen Kriegsministeriums aufbewahrt, obwohl er natürlich nicht für jedermann zugänglich ist.

Der vorzeitige Ansturm auf Saarbrücken, welcher das erste Scharmützel in diesem Kriege bildete, wurde auf Grund jenes Planes unternommen. Es war im Grunde ein guter Schachzug, aber die Franzosen waren nicht genügend vorbereitet, um ihn auszunutzen und deshalb wurde er ihnen sehr zum Schaden. Und dies erwies sich als ebenso verhängnisvoll in diplomatischer wie in militärischer Beziehung, denn Erzherzog Albrecht entnahm daraus, daß die Leistungsfähigkeit der französischen Armee nicht den gemachten Versicherungen entsprach und Österreich sich infolgedessen veranlaßt sehen mußte, seine Zauderpolitik fortzusetzen. Aber es war gleichwohl Verpflichtungen eingegangen, wenn es sich nun auch zurückzog. Des Erzherzogs Besuch in Paris und seine Mission dort waren der besondere Hintergrund für Grammonts hochtrabende Worte, die er am 15. Juli an die von ihm hingehaltene Finanzkommission richtete:

»Wenn ich die Mitglieder der Kommission habe warten lassen, so ist meine Entschuldigung, daß ich bei mir im Ministerium des Äußeren den österreichischen Gesandten und den italienischen Minister hatte. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die Kommission keine weiteren Worte zur Erklärung von mir verlangen wird.«

Als Grammont diese Worte sprach, glaubte er – und mit Recht – daß der geplante Dreibund eine feststehende Tatsache war.

Zwei Tage nach seiner Rede in der Finanzkommission ersuchte Grammont Österreich um den versprochenen Beistand. 70 oder 80 000 Mann italienischer Truppen sollte der Durchmarsch nach Bayern gestattet werden, und Österreich selber sollte 150 000 Mann nach Böhmen werfen. Wenn dies geschähe, schrieb er, so würde der Frieden in Berlin unterzeichnet und die Erinnerung an 1866 ausgelöscht werden. Aber alles hinge von größter Schnelligkeit ab.

Worauf Beust in einem Brief an Graf Metternich, den österreichischen Gesandten in Paris, antwortete:

»Wollen Sie dem Kaiser und dem Ministerium die erneute Versicherung geben, daß wir unseren Vereinbarungen getreu Frankreichs Sache als unsere eigene betrachten und in jeder möglichen Weise zu dem Erfolg der französischen Waffen beitragen wollen. Unsere Neutralität ist nur ein Mittel zu dem Zweck, unsere Bewaffnung zu vollenden, ohne uns einem vorzeitigen Angriff von Seiten Deutschlands oder Rußlands auszusetzen.«

»Oder Rußlands«: diese Worte enthalten den Schlüssel zur Situation. In Verbindung mit Italien und Frankreich hatte Österreich keinen Grund, Preußen zu fürchten, aber wenn Rußland sich auf Preußens Seite stellte, so lag die Sache anders. Graf Nigra hat ausdrücklich hervorgehoben, daß Rußland eine solche Absicht kundgab und daß der Dreibund daran zugrunde ginge. Sein Zusammenbruch war nicht nur ein Triumph für Preußen, sondern auch für Ungarn. Bis zur letzten Stunde war Österreich bereit das Wagnis zu unternehmen, aber Ungarn wollte sich nicht darauf einlassen. Eine Ausdehnung Österreichs nach Deutschland hin war das letzte, was die Ungarn wünschten.

In dieser Weise argumentierte Andrassy, mit seinem ganzen Gewicht darauf fußend, und Franz Joseph gab ihm schließlich nach. Somit endigt unser Kapitel mit dem ironischen Schauspiel, wie Franz Joseph seine auswärtige Politik umstülpt und einer befreundeten Macht gegenüber wortbrüchig wird, um einem Rebellen zu Willen zu sein, den er vormals in effigie hatte aufhängen lassen – ein Schauspiel, das sich je nachdem als Demütigung oder als ein Zeichen weiser Nachgiebigkeit auffassen läßt.

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