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VIII. Kapitel

Franz Josephs klarer Charakter / Glücklicher Brautstand / Elisabeths Popularität / Elisabeths geheimnisvolles Wesen / Gräfin Larisch über Elisabeth / Beginnende Melancholie


Das Fehlschlagen einer Ehe – sei es bei einer königlichen oder bei einer anderen – ist immer geheimnisvoll verschleiert. Den wahren Sachverhalt erfährt man nie und man fühlt nur, daß die unerwähnt gebliebenen Tatsachen weit wichtiger sind als die geoffenbarten. Überdies zählt die Persönlichkeit – dieses mysteriöse Etwas, das sich keinem Beobachter je gänzlich enthüllt – unbedingt mehr, als die greifbaren Ereignisse, auf die wir hinweisen können. So verhält es sich auch mit Franz Josephs Ehe. Ihr Verlauf – soweit die Welt davon erfuhr – wird nur dann erklärlich, wenn wir sie im Hinblick auf eine Persönlichkeit betrachten, die Europa durch lange Jahre hindurch stets mehr und mehr in Staunen und Verwunderung versetzt hat.

Es gibt Menschen, die selbst hinter einer undurchdringlichen Schutzwehr keine geheimnisvolle Atmosphäre entstehen lassen. Ein solcher Typus ist Franz Joseph. Man fühlt immer, daß außer dem, was man bereits von ihm weiß, nur noch sehr wenig zu erfahren übrig bleibt. Da es für alle Habsburger charakteristisch ist, daß sie nicht ohne eine Gebärde, die genau anzeigt, wo sie stehen und was sie über die Dinge um sich her für Gedanken hegen, des Wegs gehen können, so ist es leicht, den gegenwärtigen Kaiser als den besten unter ihnen zu erkennen. Offen, mutig, nachgiebig und leutselig tritt er vor uns hin, aber gleichzeitig stolz wie Luzifer; unendlich gnädig gegen jene, die sich nichts anmaßen und bestrebt, einem jeden, wo nur irgend möglich, Annehmlichkeiten zu bereiten.

Sein Wesen ist vollkommen einfach und leicht verständlich und wird auch dann nicht komplizierter, wenn man hinzufügt, daß Franz Joseph sich ausnahmslos als strenggläubiger Katholik erwies und seine Herrscherpflichten so ernst nahm, daß er sein ganzes langes Leben hindurch früh am Morgen aufstand und mit der Emsigkeit eines strebsamen Beamten arbeitete. Dies alles bis hinab zur feierlichen Fußwaschung, die er alljährlich seinen Meister Jesus Christus nachahmend verrichtet, geschah in folgerechter Durchführung eines wohldurchdachten Programmes und aus dieser sinnbildlichen Handlung sprechen ebensowenig Charaktereigenschaften wie aus allem sonstigen, was er tut und getan hat.

Dahingegen kann man wohl kaum ein Wort über die Kaiserin lesen, ohne daß das Gefühl erwacht, man stehe einem Rätsel gegenüber, welches alle Biographen bisher vergebens zu lösen bemüht waren. Ein Schriftsteller wie Maurice Barrès könnte sie vielleicht erdacht haben, denn er schreibt ganz so über sie, als wenn er sie als eine seiner Romanfiguren erschaffen hätte. Für Höflinge, Sekretäre und Hofdamen mußte sie jedoch unverständlich bleiben. Sie ergehen sich lang und breit über einige nichtige Charakterzüge, doch ohne wirklich in die Tiefen zu dringen. Sie erzählen von ihrer Güte, ihren Überspanntheiten und Eitelkeiten, und trotzdem stehen wir vollständig ratlos und verwirrt vor den Trübsinnsanfällen, welche den wahren Ursachen zu ihrer melancholischen Stimmung vorangingen, und vor der Rastlosigkeit, die sie von den Menschen und ihren Behausungen hinwegtrieb, als ob sie einem Etwas nachjagte, das sie nie und nirgends fand und von dem sie nicht einmal recht wußte, was es war. Gräfin Marie Larisch scheint ihr besonderes Vertrauen genossen zu haben, allein auch sie sah bloß, was sich ihr zu sehen bot, und das war gewiß nicht alles. Man kann ihren sämtlichen Angaben als zuverlässig Glauben schenken und dennoch muß man an der Vollständigkeit des von ihr entworfenen Bildes zweifeln. Und wenn Elisabeths Vertraute sie nicht verstand, wie hätte dies ihr Gatte vermocht, der doch nur Mann, nur Soldat, nur Habsburger war? Er, der, wie der Franzose sagt, »tout en dehors« ist, konnte unmöglich einen Menschen verstehen, der gleich der Kaiserin »tout en dedans« war. Sein Glück in der Ehe – solange er wirklich glücklich darin war – mußte auf der Annahme beruhen, daß seine Gemahlin ebenso einfach und durchschaubar war wie er selbst, so wesensklar wie Aschenbrödel oder Dornröschen oder irgendeine andere liebende Märchenprinzessin. In diesem Glauben verliebte er sich in sie, wie jeder andere ritterliche junge Mann es unter ähnlichen Umständen auch getan hätte. Zweifellos war er in seiner Liebe sehr leidenschaftlich. »So verliebt wie ein Leutnant« soll er selber geäußert haben; und als seine Braut die Donau herabkam, eilte er, noch ehe die Brücke ganz festgemacht war, zu ihrer Begrüßung auf das Schiff, so daß er beinah in das Wasser gefallen wäre. Daß er nicht wirklich hineinstürzte, wurde allgemein als gute Vorbedeutung aufgefaßt. Das Volk in Österreich und Ungarn erklärte einstimmig: »Die Braut ist die allerschönste Frau in der ganzen Christenheit«. Die Kaiserin schrieb in Radetzkys Stammbuch: »Ich bin glücklich, einem Reiche anzugehören, das einen so erhabenen und gütigen Kaiser hat und einen Helden wie Radetzky sein eigen nennt.« Und der Kaiser wiederum sprach zu O'Donnell, dem Offizier, welcher seinerzeit den Schneider Libenyi bei seinem Attentatsversuch gepackt hatte: »Niemals fühlte ich mich Ihnen gegenüber zu solchem Dank verpflichtet, denn niemals vorher war mir mein Leben soviel wert«. Er gab seiner Freude dadurch Ausdruck, daß er Sträflinge begnadigte und 200 000 Gulden für die Armen spendete, während die Sympathien des ganzen Volkes dem jungen Paare auf die Hochzeitsreise folgten, wo sie zusammen Edelweiß pflückten, wie alle jungen Leute in den Flitterwochen zu tun pflegen.

»Nie werde ich jenen Apriltag vergessen können«, schrieb ein Augenzeuge. »Die Alten unter uns fühlten sich wieder jung, die Kummervollen wurden fröhlich, die Kranken vergaßen ihre Schmerzen und die Armen ihre Not und Sorgen. Alle waren begierig diejenige zu sehen, welche sich der Kaiser zur Lebensgefährtin auserkoren hatte, und Gott allein weiß, wieviel Freudentränen unsere Wangen hinabliefen und wieviel heiße Gebete aus unseren Herzen und Lippen drangen.«

Angesichts der späteren Ereignisse kann man wohl sagen, daß die Freude zu groß war, um von Dauer sein zu können, und daß die Hoffnung nur emporwuchs, um nachher wieder zu Boden geschlagen zu werden. Wenn man aber von jedem Aberglauben absieht, ist es schwer den wahren Grund anzugeben, weshalb alles so kommen mußte. Immerhin ließe sich einiges anführen, was imstande wäre, etwas Klarheit darüber zu schaffen. In diesen hohen Ehebund spielten nämlich zwei Faktoren hinein, die wir nur zu oft auch bei anderen Ehen am Werke sehen, die Harmonie zu stören: eine Schwiegermutter und eine Egeria.

Sowohl vom Standpunkt der Politik wie der Dynastie aus betrachtet war das Übel um so größer, als des Kaisers schöne junge Braut ein Einsatz von größter Bedeutung zu werden versprach. Die Popularität, um die er so schwer zu ringen hatte, fiel ihr wie von selber durch den unbeschreiblichen Zauber ihrer jugendlichen Anmut und Lieblichkeit in den Schoß, besonders bei den romantischen und ritterlichen Ungarn, welche Franz Joseph sein strenges Vorgehen im Jahre 1849 noch nicht vergeben und vergessen hatten. Sie hatte ungarisches Blut in ihren Adern, wenn auch ihre ungarischen Ahnen weit zurück lagen, und man konnte ihr für jene Greuel keine Verantwortung zumessen. Im Gegenteil, sie ließ es bei den Ungarn durchblicken, daß sie Mitgefühl für ihre Leiden hegte und entzückt von ihrem Lande, seinen weiten Pußten und heldenmütigen Patrioten sei, denen auch das Besiegtsein nichts von ihrem Wert zu nehmen vermocht hatte.

Amnestien hatten ihr Erscheinen bei ihnen begleitet. Vielleicht, daß sie ihrer Anregung zu verdanken waren, vielleicht auch nicht. Dennoch wurden sie ihr zugeschrieben und sie jedenfalls erntete den Dank dafür. Wie sie nun auch sein oder nicht sein mochte – sie zeigte sich unbedingt weichherzig und impulsiv. Die Ungarn waren ganz verliebt in sie und vergötterten sie mit einer Leidenschaft, die wohl ganz anders, aber dauerhafter war, als diejenige ihres Gatten. Einer unter ihnen – Graf Alexander von Bertha – schrieb über ihre Hochzeit:

»Unter der Ägide von Schönheit und Anmut vollzog sich die Thronbesteigung des Schutzengels der Magyaren, zu denen sich die junge Kaiserin besonders durch das Andenken an ihre Schutzpatronin aus dem Hause Arpad hingezogen fühlte.«

Diese Anspielung auf die Namensschwester der Kaiserin, die heilige Elisabeth von Ungarn, rief Gefühle wach, die in diesem Zusammenhang politische Früchte tragen sollten. Es bedeutet keine Schmälerung der in späteren Jahren von Deák und Beust geleisteten Dienste, wenn man behauptet, daß ihre Aufgabe ohne die Verehrung, die Elisabeth bei den Ungarn genoß, viel schwerer gewesen wäre, und daß es in weitestem Maße diesem Einfluß zu verdanken ist, wenn Ungarn nach dem Unglück von 1866 keine andern Bedingungen stellte wie vorher.

Damit war viel getan, und dieser Erfolg darf deswegen nicht geringer eingeschätzt werden, weil er nicht bewußter Staatskunst entsprang, sondern der idealisierenden Verehrung einer schönen, mitfühlenden Frau durch ein kindliches und romantisches Volk, das allzulang gewohnt gewesen war, von den sie beherrschenden Deutschen als Parias behandelt zu werden.

Zuerst empfand sie wohl eine naive Freude über ihre plötzliche Erhebung zu kaiserlicher Würde. Ihre Einbildungskraft berauschte sich an diesem Glückswechsel, und es schien, als ob sich alle Herrlichkeit der Welt auf ihr Haupt herabgesenkt hätte. Aber – Eitelkeit der Eitelkeiten! Nur wenige Jahre vergingen und Elisabeth hatte die Lektion des »Predigers« gelernt. Vermutlich wußte sie schon damals nicht genau, wohin ihr Wünschen und Begehren zielte, aber sie wußte nur zu gut, daß weder ihre Ehe noch ihr hoher Rang ihr gegeben hatte, was ihr fehlte und wonach sie ein dunkles Verlangen in sich trug. Und bald hören wir auch von ihren weiten Reisen auf der Jagd nach dem flüchtigen Schatten und von der geheimnisvollen Melancholie, die sichtlich über ihrem Wesen lagerte. Sie war eine junge Frau noch, als sie sich einmal zu einer Vertrauten in einer Sache, die freilich barer Vermutung anheimgegeben bleibt, zu der Äußerung hinreißen ließ: »Mir ist, als ob etwas in mir erstorben wäre«. Und noch keine 30 Jahre zählte sie, als Maria von Wallersee, die spätere Gräfin Larisch, sie unter Umständen, die sie in ihrem Buche sehr anschaulich also beschreibt, weinen sah:

»Plötzlich hörte ich das Geräusch nahender Tritte, und aus meinem grünen Versteck herauslugend, fiel ich beinah von dem Baum, als ich die Kaiserin erkannte, die ihre Absicht auszureiten wohl aufgegeben hatte und ohne jede Begleitung daher kam … Elisabeth kam langsam auf meinen Baum zu, unter dem eine Steinbank stand, setzte sich nieder, indem sie mit verzweifelter Geste ihre Hände rang und leise zu weinen begann. Ich konnte die Größe ihres Schmerzes erkennen, denn in ihren Zügen stand eine verzehrende Hoffnungslosigkeit, und dann und wann durchschüttelte ein wehes Schluchzen ihren Körper. Bald weinte sie haltlos und ich überlegte, ob ich es wagen dürfte, sie zu trösten. Ich beugte mich nieder; doch als die Blätter von meiner jähen Bewegung erschauerten, blickte die Kaiserin auf und gewahrte mich.«

Man könnte aus den Werken anderer Geschichtsschreiber noch eine ganze Reihe solcher Trübsinnsanfälle herausgreifen, aber gerade dieser scheint im besonderen Maße bezeichnend. Die Kaiserin sagte zu Maria von Wallersee, die sie ungesehen von ihrem Baumversteck aus belauscht hatte, sie hätte deshalb geweint, weil ihre kleine Tochter in der Nacht nicht wohl gewesen sei, aber das Kind glaubte nicht recht daran. Auch schärfte sie der Kleinen ein, niemandem etwas von ihren Tränen zu sagen, wozu sie doch keine Veranlassung gehabt hätte, wenn diese Tränen wirklich einer so harmlosen Ursache entstammten. Gelegentliche andere Äußerungen, die der Kaiserin zugeschrieben werden, lassen darauf schließen, daß sie zuweilen um verlorene Illusionen, ähnlich wie ein Kind um sein zerbrochenes Spielzeug, weinte.

»Das Glück, das die Menschen in der Aufrichtigkeit suchen und von ihr verlangen, unterliegt tragischen Gesetzen. Wir alle leben am Rande eines Abgrundes von Kummer und Schmerz, den uns die Lüge der gesellschaftlichen Moral gegraben hat. Dieser Abgrund trennt unsere wirkliche Lage von jener, in der wir uns befinden sollten. Ein Abgrund bleibt immer ein Abgrund, und im Augenblick, wo wir über ihn hinweg wollen, stürzen wir ab und brechen Hals und Beine.«

Dies klingt wie ein Bekenntnis ihrer Melancholie, das wir im Lichte dessen, was wir wissen, betrachten müssen. In alle Tiefen hinabzuleuchten wird uns nicht gelingen, aber einige Ursachen werden uns immerhin verständlich werden. Doch davon im nächsten Kapitel.

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