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IV. Kapitel

Kindheit, Erziehung / Der Nationalitätsgedanke / Metternichs System / Italienische Erhebung 1848 / Radetzky und Franz Joseph / Franz Josephs Studien


Franz Joseph wurde am 18. August in Schönbrunn geboren. Seine Eltern waren Erzherzog Franz Karl und Erzherzogin Sofie, eine Tochter des Königs Maximilian I. von Bayern. Er wuchs in der Friedenszeit zwischen den zwei großen revolutionären Stürmen auf, die Europa vom System Metternich befreiten, eine Periode, deren Beginn uns Metternich auf dem Gipfel seiner Macht zeigt und die mit dessen Flucht vor dem erregten Volke endet. Seinen Thron, den er mit 18 Jahren in der Mitte der zweiten Sturmepoche bestieg, verdankte er dem Einfluß seiner Mutter, einer befähigten, herrschsüchtigen Frau, die die Überzeugung in sich trug, daß ihr Sohn ein besserer Kaiser sein würde, als ihr Schwager oder auch ihr Mann. So setzte sie das Räderwerk in Gang und setzte ihren Willen durch.

Die Erziehung des Knaben war gründlich und zweckmäßig; gerade so als hätte sein Schicksal schon bei seiner Geburt offen vor Augen gelegen. Er genoß eine eingehende militärische Ausbildung in sämtlichen Waffengattungen und mußte sich mit allen Pflichten des Soldaten vertraut machen: eine Kanone richten lernen so gut wie ein Pferd besteigen, und eine Schanze graben nicht minder als Säbel und Gewehr handhaben. Ferner machte er einen vollständigen Lehrgang in Geschichte, Literatur, Mathematik, Chemie, Astronomie und Naturgeschichte durch und wurde wöchentlich einmal von Metternich selbst in der Staatskunst unterrichtet, sowie zur Erlernung zahlreicher neuerer Sprachen angehalten. Ungarisch, Böhmisch, Polnisch, Französisch, Italienisch und etwas Englisch machte er sich auf diese Weise zu eigen. – Noch ehe die Familienwirrnisse ihn zwangen, die Verantwortung auf sich zu nehmen, zeigte er sich würdevoll, ernst und zurückhaltend. Daheim sah man in ihm den braven Familiensohn, der für ebenso klug wie gut galt. Natürlich gibt es eine Menge Anekdoten, die seine Liebe zum Volk, und besonders zum Heer – schon von frühester Jugend an –, bekunden. Die bekannteste zeigt ihn uns, wie er beim Anblick eines Soldaten, der schweißgebadet in der Augustsonne steht, sich von Mitleid bewegt heimlich an ihn heranmacht, um ihm zum Entzücken und Stolz seines greisen Großvaters eine Münze in die Patronentasche zu stecken. Eine Szene, die Kriehuber in einem bekannten Genregemälde festgehalten hat. »Armer Mann! Aber nun ist er nimmer arm –« soll er dann gerufen haben, vor Freude umherspringend bei dem Gedanken, daß jemand durch ihn glücklich geworden sei. – Wahrscheinlich ist diese Geschichte wahr, ebenso jene, die berichtet, daß Franz Joseph, der bald einer der besten Reiter in seinem Reiche wurde, anfangs große Scheu vor Pferden zeigte.

Kaiser Joseph sagt: »Für einen meiner Untertanen mag es angängig sein zu sagen, daß, wenn auch eine gute Erziehung seinen Sohn für den Staat nützlich und wertvoll mache, der Mangel einer solchen doch nicht so schwer ins Gewicht falle, weil der Sohn kein öffentliches Amt zu versehen habe. Bei einem Erzherzog, als einem etwaigen Thronerben, liegt der Fall ganz anders. Ihm obliegt das wichtigste aller öffentlichen Ämter, die Regierung des Staates. Deshalb kann es gar nicht in Frage kommen, ob er gut oder nicht gut erzogen werde. Er muß gut erzogen sein, denn es gibt keinen Zweig der Verwaltung, in dem er nicht unendliches Unheil stiften könnte, wenn er nicht die seiner Aufgabe entsprechenden Kenntnisse besitzt und mit festen Lebensgrundsätzen ausgerüstet ist.«

Es ist die Pflicht jedes einzelnen Familienmitgliedes, »ein Habsburger« zu sein in dem selben Sinne, in welchem Georgs III. Mutter diesen ermahnte, »ein König« zu sein. Und diese Pflicht beruht auf der festgewurzelten Auffassung, daß das Haus Habsburg besonders und von Gottes Gnaden dazu berufen sei, die Herrschaft in Mitteleuropa auszuüben.

Die Gestalten der Habsburger ragen nicht über diejenigen ihrer Minister hinaus, gleich denen Alexanders I. von Rußland und Friedrichs des Großen von Preußen. Metternich ist nicht der einzige österreichische Minister, der unendlich größer war als der Kaiser, dem er diente. Nicht alle Habsburger haben sich ihres Habsburgertums würdig gezeigt, nachdem sie dem Druck der Erziehung entwachsen waren. Im Gegenteil. Viele von ihnen – und ihre Zahl ist in den letzten Zeiten gewachsen – haben sich offen gegen die Einschränkungen empört, die der Eigenart ihres Geschlechtes entsprangen. Aber der Stamm selber blieb bestehen, gestützt durch das System, ein Gegenstand der Achtung, ja sogar Verehrung, dank dem Einfluß gewisser »Musterhabsburger«, die sich der Beschränkung gefügt und daraus Nutzen gezogen haben. Franz Joseph schreitet über den Schauplatz der Geschichte als ein solcher: ein auserlesener Habsburger, genialer als die anderen, dazu mit einer taktvollen Anpassungsfähigkeit begabt und dadurch imstande, die Forderung zu verwirklichen, die wir berechtigt sind an die tote Vergangenheit zu stellen, nämlich daß sie auch in Wahrheit ihre Toten begrabe.

Die Revolutionen von 1830 verliefen im großen und ganzen fruchtlos. Sie waren ein Zeichen der allgemeinen Unzufriedenheit, aber nicht ihr vollkommener und erfolgreicher Ausdruck. Sie haben das Werk von 1815 erschüttert, aber mit geringen Ausnahmen, wie zum Beispiel in Belgien, nicht umzustoßen vermocht. Diese im Jahre 1815 geschaffene Ruhe entsprach nicht den Interessen der Völker, sondern sie diente dem Interesse der Dynastien, und die Regierenden saßen nach wie vor auf dem Sicherheitsventil. Die geistige Strömung, die durch das Ventil entweichen wollte, setzte sich im wesentlichen aus zwei Bestandteilen zusammen: einmal waren es die liberalen Ideen im allgemeinen, ihnen gesellte sich dann noch der Nationalitätsgedanke im besonderen hinzu. Beiden Ideengruppen stand die österreichische Regierung aufs schroffste gegenüber, und es galt einen schweren Strauß mit ihnen auszufechten.

Österreichs politische Gefängnisse waren durch ganz Europa als die Wohnstätten hervorragender Männer bekannt. Allenthalben gärte in dem unterdrückten Volke die Unzufriedenheit. Der Nationalitätsgedanke war ganz besonders verhaßt und verpönt, weil Österreich ja gar nicht auf nationaler Grundlage ruhte. »Österreich«, sagte Mazzini verächtlich, »ist kein Reich, sondern eine Bürokratie«, und es war tatsächlich das, was Metternich von Italien behauptete: ein bloßer geographischer Begriff.

Es umfaßte einfach die Besitzungen des Hauses Habsburg, welche dieses teils gemäß dem Grundsatze: »Bella gerant alii, tu felix Austria nube« erheiratet, teils als Belohnung für geleistete Kriegsdienste erhalten hatte. Der Kaiser von Österreich war zugleich auch König von Ungarn, König der Lombardei, König von Böhmen usw.

Das System hatte seine Vorzüge. In diesem Sinne ist auch der Ausspruch des französischen Diplomaten aufzufassen: »Wenn Österreich nicht schon bestände, müßte es erfunden werden«. Doch war das System kein volkstümliches; es trug die Tendenz in sich, jeden österreichischen Staatsbeamten in seinem Innern zu einem Polizisten zu machen. Selbst Metternich war es in seinem Herzen. Wenn auch genial und mit umfassender Bildung und guten Manieren, so war er eben doch ein Polizist. Baron Hübner – ein sehr intelligenter Österreicher – schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen, weil die entgegengesetzte Meinung sich so hartnäckig behauptete.

»Heute ist das Wort ›Nationalität‹«, so schreibt er in seinem Tagebuch, »die Zauberformel, welche die Massen, nicht das Proletariat, sondern die Vertreter der Intelligenz im Banne hält: Deutsche, Italiener, Polen, Magyaren, Slawen! Mit dieser Formel glaubt man die Welt aus den Angeln zu heben! Der Hebel, den Archimedes vergeblich suchte! Die Rädelsführer haben ihn hier entdeckt! Mittels dieses Hebels haben sie im Verlaufe weniger Tage die alte soziale Ordnung umgestürzt und die Augen der Kurzsichtigen mit der trügerischen Verheißung immerwährenden Glückes geblendet.«

Nach Hübners Ansicht hätten die Völker Mitteleuropas ebenso stolz auf ihre Abhängigkeit vom Hause Habsburg sein müssen, wie die Bedienten auf dem Wagenverdeck, denen Thackeray begegnete, stolz auf ihre Stellung im Dienste des Herzogs von Richmond waren. Insbesondere italienisch-nationales Streben wollte ihm nur lächerlich erscheinen; denn er verspottete die Italiener als Bastarde einer Mischung von Galliern, Kelten, Goten, Germanen, Griechen, Normannen und Arabern und erinnerte an den mörderischen Kampf, der im Mittelalter zwischen ihren Republiken gewütet hatte. Endlich tröstet er sich noch mit den verschiedenen Dialekten in den einzelnen Teilen der Halbinsel und schließt mit den Worten: »Ich kann an ein geeinigtes Italien nicht glauben!«

Dennoch ging Italien seiner Einigung entgegen, während Österreich, gerade als Hübner dies im Juli 1848 niederschrieb, in seinen Bestandteilen zu zerbröckeln drohte. Schon seit Beginn dieses Jahres war man allenthalben von Beklemmungen bedrückt und im Februar hatten die Ereignisse in Frankreich ein Zeichen nicht mißzuverstehender Bedeutung gegeben. »Wenn Guizot fällt,« rief Melanie Metternich aus, »dann sind wir alle verloren!« Guizot fiel und Louis Philipp mit ihm. Die Nachricht gelangte nach Wien und es schien, als ob sich Österreich in einem Schmelztiegel befände, obwohl die Unruhen nicht in Wien, sondern in Mailand begannen, wo ein Erzherzog als Vizekönig regierte, und der stramme achtzigjährige Radetzky die Okkupationsarmee befehligte.

Karl Albert, König von Sardinien, der Großvater des jetzigen Königs von Italien, hatte versprochen, das »Schwert« Italiens zu sein.

Die Revolution begann mit dem Erlaß, daß in Italien niemand mehr rauchen solle, da die Einkünfte der österreichischen Regierung zum großen Teil dem Tabakmonopol entstammten. Die Folge davon war, daß sich österreichische Soldaten in den Straßen Mailands breit machten und herausfordernd mehrere Zigarren zu gleicher Zeit rauchten. Weibliche Patrioten schlugen ihnen diese aus dem Munde, bewarfen sie von den Dächern aus mit Blumentöpfen und ähnlichen Geschossen, während die mit allerhand Waffenzeug ausgerüsteten Männer sie in noch derberer Weise behelligten. Es kam zu Straßenkämpfen und es gab Verwundete und Tote. Die Zahl der Patrioten war beträchtlich, die Garnison klein und Karl Albert im Anzug. Es blieb Radetzky kein anderer Weg, als die Stadt den Revolutionären preiszugeben und seine Truppen in das berühmte Festungsviereck zurückzuziehen.

Österreich war diesmal nicht unterzukriegen. Innerhalb des Festungsvierecks war Radetzky sicher; nach kurzer Zeit marschierte er heraus und schlug Karl Albrecht bei Custozza, da er inzwischen geringe aber ausreichende Verstärkung erhalten hatte. Unter den ihm neu zugeteilten Offizieren befand sich auch der damals noch nicht 18 Jahre alte Franz Joseph. Er hatte hier seine Feuertaufe zu bestehen und Radetzky zeigte sich wenig erfreut über sein Erscheinen. In seinen »Fünf Degen« gibt uns General Ambert folgende Schilderung dieser Szene zwischen dem flaumbärtigen Offizier und dem alten Haudegen:

»Radetzky redete den Neuangekommenen in kurz angebundener militärischer Weise an. ›Kaiserliche Hoheit‹, sagte er, ›Ihre Anwesenheit ist mir außerordentlich peinlich. Bedenken Sie meine Verantwortung, falls Ihnen etwas zustoßen sollte! Wenn Sie in Gefangenschaft gerieten, so würde dies mit einem Schlage alle bisher errungenen Vorteile zunichte machen!‹ ›Herr Marschall!‹, entgegnete darauf Franz Joseph, ›Es mag unklug gewesen sein, mich hierher zu schicken, da ich aber einmal hier bin, verbietet es meine Ehre, hier fort zu gehen, ohne im Feuer gestanden zu haben.‹ Gegen diese einfache und mutige Äußerung war nichts einzuwenden und man kam überein, daß der Erzherzog an der nächsten Schlacht teilnehmen sollte. Radetzky sandte unmittelbar nach der Schlacht – es war bei Santa Lucia am 6. Mai – folgenden Bericht an den Kriegsminister: ›Ich war Augenzeuge der Unerschrockenheit des Erzherzogs, als eine der feindlichen Kartätschen in seiner nächsten Nähe einschlug‹.«

»In Österreich ist kein Mangel an Erzherzögen«, sagte Franz Joseph ritterlich, als man ihn anflehte, sich nicht der Gefahr auszusetzen.

Diese Schlacht indessen war nur eine Art Ferienvergnügen für ihn. Er war immer noch der lernbegierige Schüler mitten in den strengen Studien. Er griff wieder still zu seinen Büchern – dickleibigen Bänden der Rechtsgelehrsamkeit – und resümierte was er las, als ob alles davon abhinge, daß er ein Staatsexamen mit höchsten Ehren ablege. So weit es auf ihn selber ankam, sollte ihn seine Stunde nicht unvorbereitet finden.

Und diese Stunde kam bald, denn die Zeiten waren kritisch. Unruhen daheim waren komplizierterer Natur und nicht so einfach zu bewältigen.

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