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XXIII. Kapitel

Erzherzog Johann Salvator / In Ungnade bei Hofe / Liebesgeschichten / »Er will seinen Rang aufgeben« / Milly Stübel / Johann Orth


Johann Orth, wie wir ihn zu nennen haben, war der Erzherzog Johann Salvator. Er war ein Bruder des Großherzogs von Toscana und somit der Onkel jenes Erzherzogs, welcher Herr Wölfling wurde, und jener Prinzessin, die Herrn Toselli heiratete.

Er war ein Mensch von vielerlei Anlagen; er »fühlte sich« nicht nur als Soldat und Seemann, sondern auch als Broschürenheld und als Komponist. Er komponierte einen Walzer, der nicht bloß in Wien großen Erfolg hatte, und da er vermutete, daß die Beliebtheit seines Walzers vielleicht seinem Rang zu verdanken wäre, beschloß er, seine Künstlerschaft dadurch auf die Probe zu stellen, daß er ein anspruchsvolleres Werk schuf und es anonym in die Öffentlichkeit schickte. Dieses große Werk war ein Ballett – Les Assassins – welches von der Wiener Hofoper geziemend als die Leistung eines neuen und unbekannten Mannes der Welt vorgeführt wurde. Das Ballett selber hielt sich nicht auf der Höhe eines Musikers von Beruf. Sein Empfang war kühl und sein Lebenslauf blieb kurz. Nach dieser Erfahrung lenkte der Erzherzog seine Tätigkeit in anderes Fahrwasser.

Noch kaum den Knabenjahren entwachsen, spielte er sich schon als militärischen Kritiker und politischen Agitator auf, indem er als Einundzwanzigjähriger sein erstes Pamphlet über die Organisation des österreichischen Heeres veröffentlichte. Der Kernpunkt seiner Auslassungen war der, daß das österreichische Militärsystem in eine Sackgasse geraten sei und die österreichische Artillerie große Mängel aufweise. Ganz nebenbei kritisierte er auch das Verhalten des österreichischen Auswärtigen Amtes. Das Ministerium des Äußeren erhob daraufhin Einspruch mit dem Erfolg, daß der Erzherzog nach Krakau versetzt wurde, um aus dem Weg zu sein. Aus seinem Exil heraus schrieb er indes neue Broschüren, in denen er ausführte, daß die Grenzbefestigungen nichts taugten und daß der Kriegsminister nichts verstände. Auch hielt er im Militärklub eine Vorlesung über das System der österreichischen Militärerziehung, welches er für hölzern erklärte und ganz dazu angetan, die Soldaten der Initiative und Selbsthilfe zu berauben. Diese Vorlesung bedeutete einen verschleierten Angriff auf den Erzherzog Albrecht, den Sieger von Custozza, und trug dem Erzherzog Johann Salvator eine zweite Maßregelung ein, die diesmal in einer Versetzung nach Linz bestand.

Ganz entschieden war dieser Erzherzog ein frondeur mit Hinneigung zum Liberalismus, und es waren auch schon früher derartige Neigungen in seiner Familie aufgetreten, was seinen Fall um so bedenklicher machte. Er war der Enkel jenes Großherzogs von Toscana, welcher in seinem Gebiet die Inquisition aufhob, und ebenso gehörte jener erste legitime Herrscher, der die französische Republik nach der Revolution anerkannte, zu den Ahnen dieses jungen stürmischen Erzherzogs. Nichts war deshalb natürlicher, als daß er ein gutes Wort für die Rebellen von 1848 fand, obwohl sein Lob die konservativen Kreise nicht anders als verletzen konnte. So schmollte er in Linz, während man in Wien nicht liebsam über ihn dachte, und es kam noch zu weiteren Zusammenstößen dadurch, daß er ohne Einwilligung des Kaisers seine Kandidatur auf den vakanten bulgarischen Thron ansagte. Daraufhin wurde der Kronprinz zu ihm gesandt, um ihm die Mitteilung zu machen, daß Franz Joseph sehr ungehalten über ihn sei und ihm die Inhaberschaft des seinen Namen tragenden Artillerieregimentes entzog.

Wenn er und Rudolf in der Tat – wie Gräfin Larisch vermutet – ihre Köpfe zusammensteckten und einen Staatsstreich zwecks Erlangung des ungarischen Thrones berieten, so könnte sehr wohl diese Bestrafung der Ausgangspunkt ihrer verräterischen Umtriebe gewesen sein. Die beiden Erzherzöge waren verwandten Geistes und eng miteinander befreundet. Zudem darf man wohl auch annehmen, daß Johann Salvator mit Rudolfs Liebesgeschichten sympathisierte, denn er steckte, wie wir sehen werden, für sich selber in einer ganz ähnlichen Lage. Diese Tatsachen sind wohl mehr oder weniger dazu angetan, sein Auftreten in Gräfin Maries Erzählung als der geheimnisvolle Fremde, dem sie Rudolfs Kassette mit den kompromittierenden Dokumenten übergibt, Verständnis bringend einzuleiten. Und wenn Gräfin Larisch durch ihr Gedächtnis nicht betrogen wird in dem, was er bei dieser Gelegenheit zu ihr sagte, so möchte es wohl damit seine Richtigkeit haben, daß er selber bei einer Entdeckung als der Meistbetroffene dagestanden hätte.

»Einem Feigling wie Rudolf konnten Sie nicht helfen, aber mir haben Sie das Leben gerettet«, so gibt Gräfin Larisch seine Worte wieder.

Und er fügte noch hinzu, daß er sterben werde, ohne tot zu sein, weil er der Nichtigkeiten des Lebens müde sei. Gräfin Larisch bemerkte dazu:

»Ist er gestorben, ohne tot zu sein? Ich glaube es und meine, daß der Erzherzog trotz allem, was dagegen spricht, zu seiner Zeit wieder auftauchen wird.«

Auch Prinzessin Louise von Toscana sagt ungefähr dasselbe, denn ihr und ihrem Bruder Leopold hatte Erzherzog Johann Salvator gleicherweise seine Absicht kundgetan:

»Ich bin im Begriffe zu verschwinden, lieben Kinder, und ich werde es so bewerkstelligen, daß kein Mensch mich jemals finden wird. Wenn der Kaiser tot ist, werde ich zurückkommen, denn dann wird Österreich meiner Dienste bedürfen.«

Erzherzog Johann Salvator suchte, nachdem er in Ungnade gefallen war, seinen Austritt aus dem österreichischen Heer nach und erhielt ihn auch, worauf er sich auf sein Schloß Orth am Gmundener See zurückzog. Aber seine Stellung und seine Aspirationen hatten inzwischen eine große Komplikation durch ein Liebesverhältnis mit einer bezaubernden Ballettnymphe erfahren.

Es war nicht seine erste Liebe: die Frau, welche Johann Salvator zum erstenmal die Liebe lehrte, war eine Engländerin. Als ganz junger Husarenleutnant hatte er sie gelegentlich einer Reise von Port Said nach Triest auf einem österreichischen Lloyddampfer getroffen. Einer von seinen Briefen an diese Geliebte ist in die Hände eines Sammlers geraten und auf diese Weise einem weiteren Leserkreise zugänglich geworden. Er zeigt uns den Erzherzog schon mit dem Gedanken im Herzen, der zum Lieblingstraum so manchen Habsburgers geworden ist, dem Gedanken, allem Prunk zu entsagen um dem Zug seines Herzens zu folgen und sich selber als ein Mann zu erweisen, der ebensogut wie die gewöhnlichen Menschen imstande ist, eine Familie durch ehrliche Arbeit zu erhalten. Es ist interessant zu beobachten, wie er in diesem Brief seiner Mißachtung für seinen hohen Rang Ausdruck durch ein niedliches Wortspiel gibt. In deutscher Übersetzung hat er folgenden Wortlaut:

»Mein allerliebstes Engelsmädchen!

Ich muß Dich mit Kosenamen überschütten. Du bist meine holdeste Liebe, mia cara carissima, ma petite chérie, meine süße Rose aus Kent. Ich habe oft gemeint, ich liebe, aber ehe ich das Glück hatte, Dich zu finden, war alles immer nur Täuschung. Du füllst meine ganze Seele aus, wie nie zuvor ein Mensch. Ich bin in Verzweiflung, weil es heißt, daß ich Dich lassen müsse. Mein kaiserlicher Rang, sagst Du und Deine verehrte Mutter, stehe einem ehrbaren Verhältnis im Weg. Das würde vielleicht so sein, wenn ich nicht in mir das Bewußtsein trüge, daß ein äußerster Hochmut darin liegt, sich mit seinem Stamm von 70 Verwandten auf einem einsamen Gipfel zusammenzupferchen. Ich hasse meine Stellung und bin entschlossen, zu leben wie es eines Mannes würdig ist, und nicht wie ein armseliges Geschöpf, das von der Wiege bis zum Grabe gepäppelt werden muß. Es hängt von Dir ab, ob ich weiter als ein Erzherzogerl durch die Welt gehen soll – ein archduckling – ein Erzgänserling, wie man's nimmt. Ich habe in mir den Mut, meinetwegen nach Australien auszuwandern, wo ich sicherlich wie eine Katze wieder fest auf meine Füße fallen würde. Ich könnte dort Theaterdirektor werden, oder Sprachlehrer für Französisch, Deutsch und Italienisch, oder Wärter eines zoologischen oder botanischen Gartens, oder auch Reitlehrer oder Stockreiter. Es brauchte nicht gerade Australien zu sein, ich könnte mich auch in Italien mit dem Mädchen meiner Wahl trauen lassen. Ich bin in Toscana geboren und die Familiengesetze sind dort tote Buchstaben. Da Du niemals eine archduchess sein kannst, werde ich nur glücklich sein, wenn ich aufhöre ein archduke zu heißen, aber ich hoffe immer Dein liebster archduckling zu bleiben

Johann

– oder da Dir mein weicher italienischer Name so gut gefällt: Giovanni, jedoch keinesfalls (Don) Juan.«

In der Tat ein bemerkenswertes Dokument. Aber sein Antrag flößte kein Vertrauen ein. Die Dame liebte ihn, wie es scheint, nicht bloß um seiner selbst willen – es lag für sie nichts Verlockendes in der Aussicht, die Frau eines Sprach- oder Reitlehrers oder eines Kurators des Melbourner Zoologischen Gartens zu werden; und vom praktischen Weltstandpunkt aus handelte sie vielleicht recht klug.

Jedenfalls heiratete sie den Erzherzog nicht, da ihre Mutter, nach dem Brief zu schließen, sich ins Mittel legte; und er, seinerseits, verschwor sich ihretwegen nicht dem Junggesellentum. Prinzessin Louise von Toscana, seine Nichte, erzählt, daß er sie habe heiraten wollen, aber dies möge auf sich beruhen bleiben. Wenn er den Wunsch hatte, so wußte er sich zu beherrschen. Man hält ihn eher für einen jener Habsburger, welche der bloße Gedanke an eine Verwandtschaftsehe aufbringt. Er entging auch seinem Schicksal nicht; es traf ihn bekanntlich in einer romantisch-sentimentalen Art, während er sich auf einer Jagdpartie im Semmeringgebiet befand, und man kann nichts Besseres tun, als die Beschreibung dieses poetischen Bildes bei seiner Biographin Mme. de Faucigny Lucinge zu entlehnen:

»Es war einer jener Augenblicke«, heißt es da, »wo die menschliche Seele das innige und starke Bedürfnis fühlt, mit dem Mysterium der Natur in eins zu verfließen. Der Prinz ging auf seinem Lieblingsweg, einem versteckten Pfad, wo ihn seine Gefährten immer allein zu lassen pflegten. Plötzlich fand er sich einem jungen Mädchen gegenüber, dessen zarte Züge und nachdenklicher Blick seine Aufmerksamkeit fesselten. Sie hatte sanfte Augen und ihren Mund umspielte ein Lächeln. Als er sie zu ihren Eltern sprechen hörte, schien es dem Erzherzog, als sei ihm diese süße Stimme lang und tief vertraut. Denn alles, was entzückt, gemahnt uns immerdar wie Erinnerungen an ein früheres Leben.«

Nichts ereignete sich indessen in jenem Augenblick. Der Erzherzog ging vorüber, zu scheu vielleicht, um zu sprechen, obwohl dies im Hinblick auf vorstehenden Brief nicht sehr glaubhaft erscheint. Dennoch vergaß er nicht:

»Er wünscht zu wissen, wer sie war, und als er vernahm, daß sie in Wien mit ihren Eltern lebte, daß sie Milly Stübel hieß und eine an der Oper angestellte Künstlerin war, da suchte und fand er Gelegenheit, sie wiederzusehen. So oft er mit ihr zusammen war, gereichte es ihm zu neuer Lust, die Originalität und anziehende Vielseitigkeit ihrer reichbegabten Natur zu beobachten. Bald verbrachten sie lange Stunden miteinander, und es war die unaussprechliche Freude, in der Musik einander zu verstehen, die ihn immer fester an Milly kettete; denn Musik ist noch beredter als Worte.«

Das ist nicht schwer zu glauben, denn es sieht den Habsburgern ähnlich. So war es durchaus nicht im Widerspruch zu Familienzügen, daß Johann Salvator seinen Rang vergaß, während er mit einem Theaterfräulein über musikalische Probleme plauderte. Und es war auch ganz in Übereinstimmung mit Familienzügen, daß sein Geplauder bald einen sehr innigen und vertrauten Charakter annahm.

Sie sprachen vom Heiraten; und wie vordem zu der englischen Dame, so sprach der Erzherzog auch jetzt zu dem Theaterfräulein von seinen Fähigkeiten, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu verdienen, – diesmal indessen nicht als Sprachlehrer oder Aufseher bei wilden Tieren, sondern als Steuermann auf einem Handelsschiff. Auch war das nicht leere Prahlerei, denn er hatte die Steuermannsprüfung mit Erfolg abgelegt. So stand es um ihn, als er nicht lange nach der Meyerlingtragödie seinen letzten Strauß mit Franz Joseph ausfocht.

Die letzten Gründe, sowie der unmittelbare Anlaß zu diesem Streit liegen im ungewissen. Wir kennen diese Szene aus der Schilderung der Prinzessin Louise, welche wohl durch den Erzherzog selber davon Kunde bekam.

»Onkel Johann«, so schreibt sie, »sagte in seiner kühnen Art, daß er lieber Hof und Heer verlassen wollte, als sich diktieren zu lassen, was er zu tun hätte; und er erklärte schließlich, daß ihm nicht im geringsten etwas daran liege, ob er ein Glied des kaiserlichen Hauses wäre oder nicht. Ein Sturm folgte dieser Rangverleugnung, und mein Onkel riß in einem Anfall unbezähmbarer Wut seinen Orden vom goldenen Vließ herunter und warf ihn dem Kaiser vor die Füße.«

Wie sich wohl denken läßt, wurde der Kaiser durch einen solchen Appell an seine Gefühle nicht erweicht, sondern eher noch verhärtet, so daß, als der Erzherzog plötzlich seinen Wunsch kund gab, auf Rang und Titel verzichtend, den Namen Johann Orth anzunehmen und Österreich zu verlassen, Franz Joseph erwiderte: er möge sich nennen, wie er wolle und hingehen, wo es ihm beliebe, aber wenn er je versuchen sollte, zurückzukehren, so würde er finden, daß die Polizei Order hätte, ihn zu verhaften, sobald er österreichischen Boden beträte. Dies sind die Umstände, unter denen er Österreich verließ. Und Milly Stübel reiste mit ihm. Er konnte sie nicht in ihrer Heimat heiraten, aber er wollte es in London tun.

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