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XXVII. Kapitel

Unglückliche Ehen / Habsburgische Mesalliancen / Erzherzog Karls Rangverzicht / Seine bürgerliche Ehe / Prinzessin Elisabeths Heirat


Wenn man die zentrifugalen Heiraten der Habsburger überschaut, so ist es gleichgültig, bei welcher man den Anfang macht. Eine zusammenhängende Folge kann in der Darstellung unmöglich beobachtet werden; und obwohl wir den Kaiser in seinen späteren Jahren manchmal nachgiebig finden, sich in das Unvermeidliche fügend, ja, ihm sogar auf halbem Wege entgegenkommend, so ist doch seine Nachgiebigkeit keine beständige oder allmählich wachsende, sondern sie trägt den Charakter des Sprunghaften, des von Anwandlungen Bedingten und manchmal des krampfhaft und unter Seelenqualen Gewährten.

Franz Joseph ist sowohl Haupt der Dynastie, als oberster Herrscher im Reich. Sein Urteilsspruch ist höchste Instanz in allen Familienangelegenheiten. Er kann Dispens erteilen wie der Papst, und er hat keine Beisitzer, um zu entscheiden, ob geheiligte Prinzipien oder persönliche Neigung das höhere Gesetz ausmachen. Zuweilen fühlt er wohl, daß er nachgeben möchte, aber nicht nachgeben darf; zuweilen gibt er nach, entgegen seinem Willen unter einem Druck, der seinen Widerstand besiegt. Es zeigt sich im Lauf der Zeit, wie eine gewisse Schwäche an Stelle der früheren Strenge tritt.

Von den Ehen ist eine um die andere in Elend ausgeartet, manchmal derart, daß die Welt in weitem Umkreis mit Skandalgetöse überzogen wurde. Daß Rudolfs Ehe ein Fehlschlag war, erwies sich bald als nicht mehr zu verhehlen, und Ottos Ehe wurde dadurch nicht geheilt, daß seine Frau in heroischer Pflichterfüllung bei ihm aushielt, als er, ein armseliger Schiffbrüchiger in geistiger wie in moralischer und physischer Hinsicht, zu ihr zurückkehrte.

Gerüchte gingen um, daß Franz Josephs Enkelin, Erzherzogin Augustine, eine Tochter der Erzherzogin Gisela, unter den Mißhandlungen ihres Gatten zu leiden hatte. Und die Verbindung der Erzherzogin Maria Dorothea mit dem Herzog von Orleans ließ gleichfalls mehr als zu wünschen übrig, so daß des öfteren der Plan einer Ehescheidung auftauchte und zur Besprechung kam. Eine andere Erzherzogin, die Gemahlin des belgischen Königs Leopold II., mußte sich vernachlässigt sehen um der französischen Tänzerin Cléo de Mérode und anderer Damen willen, deren Ruf und Rang sich meist in sehr niedrigen Regionen bewegte.

Diese Reihe ehelicher Mißstände hat ohne Zweifel nicht verfehlt, ihre Wirkung auf Franz Josephs Gesinnung auszuüben.

So ist beispielsweise vor kurzem – unmittelbar nach einigen wichtigen Konzessionen, von denen noch gesprochen werden soll – die Abwendung von dem morganatischen Prinzip so streng gehandhabt worden, daß dadurch sieben Habsburger (obwohl sie das Recht auf diesen Namen nicht mehr besaßen) der Armenpflege anheimfielen. Ein Wiener Korrespondent berichtet folgendes darüber:

»Großes Mitgefühl erregt hier die traurige Lage des Barons Ernst Wallburg, eines Sohnes des verstorbenen Onkels des Kaisers, Erzherzog Ernst, aus einer morganatischen Ehe desselben mit einer Kaufmannstochter. Zu Lebzeiten seines Vaters erhielt er eine Apanage von 48 000 Kronen, die jedoch mit dessen Tode erlosch. Baron Wallburg war österreichischer Offizier, hat indessen den Dienst quittiert, als er ein armes Mädchen aus den erwerbenden Klassen heiratete. Er suchte um eine Audienz bei dem Kaiser nach, wurde jedoch abgewiesen; er sprach sodann den Kaiser auf offener Straße in Budapest an und schilderte ihm seine traurige Lage. Seine Gläubiger hatten sein ganzes Hab und Gut mit Beschlag belegt, so daß er, seine Frau und sechs Kinder völlig entblößt dastanden. Acht Personen, von denen sieben Habsburger Blut in den Adern haben, fallen jetzt der öffentlichen Armenpflege zur Last.«

Einer von ihnen, so wurde in der Folge mitgeteilt, erhielt dann eine Stelle als Oberkellner in einem Budapester Kaffeehause.

Diese Geschichte (für welche der Wiener Korrespondent der Daily Mail die Verantwortlichkeit trägt) zeigt Franz Joseph in keinem sehr sympathischen Licht, und es gibt noch einige Geschichten, welche das gleiche Urteil herausfordern. Erzherzogin Maria Henriette stand natürlich innerhalb der Grenzlinie, als sie Fürst Gottfried zu Hohenlohe-Schillingsfürst heiratete; ebenso, wenn auch nicht ganz so selbstverständlich, Erzherzogin Eleonore, als sie die Frau des Marineleutnants Alfons von Kloss zu werden begehrte. Andererseits befand sich Erzherzog Ferdinand Karl – ein Neffe des Kaisers und Bruder der Erzherzöge Otto und Franz Ferdinand – ganz entschieden außerhalb der Linie, als er seinen Wunsch äußerte, Fräulein Czuber, die Tochter eines Dozenten der Mathematik an der technischen Hochschule in Wien, zu seiner Gemahlin zu machen.

Dieser Fall ist vielleicht unter allen derjenige, welcher am meisten Sympathie erweckt. Die Tochter eines Hochschulprofessors, da ist nichts hinzuzufügen, denn dies besagt alles. Es besagt Bildung und Anstand im Rahmen häuslicher Gemütlichkeit und umwoben von einer Atmosphäre hoher Sittlichkeit und nutzbringender Ehrbarkeit. Was man auch von den Theaterdamen denken mag, deren verführerisches Wesen dem Habsburger Prinzip so verhängnisvoll geworden ist, man kann nicht anders, als Achtung und Bewunderung einer Dame zollen, welche es zustande bringt, daß ein Erzherzog ein professorliches Milieu den zwecklosen Frivolitäten des lustigsten Hofes in Europa vorzieht.

Und dies eben war es, was Fräulein Czuber bewirkte. Zu einer Zeit tauchten plötzlich Gerüchte auf, welche der Wiener Gesellschaft Stoff zu ergötzlichen Klatschgesprächen boten. Erzherzog Ferdinand Karl sollte sehr häuslich-bürgerliche Neigungen und Gewohnheiten entwickeln. Er sollte mit Leuten aus dem Mittelstand verkehren, gerade als ob er selber zu ihnen gehörte. Und es gab da eine Küche, von der man munkelte, daß er sich darin aufzuhalten liebte, um einem fleißigen Haustöchterchen beim Erbsenaushülsen und Kuchenbacken behilflich zu sein. Er sollte sich sogar nicht scheuen, aus einem Bürgerstubenfenster auf die Straße zu gucken, an der Seite eines Bürgermädchens und den Arm um sie geschlungen nach der Weise ehrsamer Braut- oder Eheleute. So flüsterte man sich im geheimen zu und war nicht wenig erstaunt, als sich zu dem Gerücht die feste Tatsache gesellte, daß der Erzherzog wie irgend ein bürgerlicher Freier bei dem Vater seines Mädchens um ihre Hand angehalten hatte.

Gewiß, das war sehr lobenswert; aber Franz Joseph dachte anders. Schauspielerinnen hatte er manchmal durch den Zaun schlüpfen lassen. Aber die Tochter eines Hochschullehrers – eine Dame, die in gar keiner Weise von sich reden gemacht hatte – zu deren Gunsten gar nichts anderes angeführt werden konnte, als achtbare Herkunft, gute Erziehung und Bildung, bescheidenes Wesen, häuslicher Sinn und unangetastete Ehrbarkeit – das war eine völlig andere Sache. Es gibt Leute, denen der offene Skandal einer Verbindung mit einer stadtbekannten Dame weniger ehrenrührig vorkommt, als der Schimpf, den man gewöhnlich in einer Ehe mit einer ehrenhaften, aber auf einer niedrigen sozialen Rangstufe stehenden Frau erblickt; und Franz Joseph scheint eine ähnliche Auffassung zu haben.

Wie dem auch sei, in diesem besonderen Fall widersetzte er sich. Irgendwo mußte die Linie gezogen werden, das war klar – und es gefiel ihm, den Grenzwall vor den Töchtern von Hochschulprofessoren aufzuwerfen.

Erzherzog Ferdinand Karl indessen war frei von Kastendünkel und wollte seine Schande nicht einsehen. Seine Rechte als Mann und Liebender standen ihm höher, als die Rechte eines Erzherzogs und möglichen Thronerben, und sein Instinkt sagte ihm, daß er recht daran tat. Fräulein Czuber hatte sich nie der Hoffnung hingegeben, Erzherzogin zu werden, und er wollte sie mit Vergnügen aller Verlegenheit entheben, dadurch, daß er selber aufhörte, ein Erzherzog zu sein. Wegen eines neuen Namens war bald Rat geschafft. Er besaß ein kleines Gut in Burg, und Fräulein Czuber würde ihn als Karl Burg nicht minder lieben, denn vordem als Erzherzog Ferdinand Karl – vielleicht sogar noch mehr, weil er sich fähig gezeigt hatte, ihr zuliebe ein großes Opfer zu bringen. Als Herr und Frau Burg würden sie es zusammen mit der ganzen Welt aufnehmen.

So sprach er, und was er zu tun versprach, das tat er auch – er verzichtete und verschwand. Er verläßt unsere Erzählung wie ein gewöhnlicher Passagier, der ohne alles Aufsehen in einer regelrechten Droschke zu einem regelrechten Zug – nach der Riviera – abdampft. Möge ihm alles Gute zuteil werden in der bürgerlichen Heimat, die er sich gegründet! Seine Demonstration gegen das Habsburger System ist eine würdige gewesen und noch zur rechten Zeit geschehen: eine Rettung aus der Dekadenz, bevor Unheil eintrat. Wir kommen nun zu jenen Fällen, bei denen Franz Joseph seine Zustimmung erteilt hat, wenn er es auch manchmal nicht über sich gewinnen konnte, seinen Segen noch dazu zu geben.

Der erste Fall betraf Prinzessin Elisabeth, seine Enkelin, die älteste Tochter der Erzherzogin Gisela. Sie sucht um eine Privataudienz bei ihrem Großvater nach und vertraute ihm ein Geheimnis an, welches sie nicht einmal wagte, ihrer Mutter zu offenbaren. Die große Not war die, daß sie ihr Herz an einen strammen bayrischen Kavallerieleutnant verloren hatte. Zwar hatte er einen klingenden Namen: Baron Otto von Seefried zu Büttenheim – aber es war doch eine recht heikle Angelegenheit, da die Liebe sich diesmal nicht nur über den Rang, sondern auch über die Religion hinwegsetzen wollte. Otto von Seefried zu Büttenheim war Protestant, und die Wittelsbacher und Habsburger ähneln einander nicht nur in der Neigung zu Geisteskrankheiten, sondern auch in ihrer felsenfesten Zugehörigkeit zur katholischen Kirche.

Dennoch war dies ein Fall, bei dem Entschuldigungen und Zugeständnisse gemacht werden konnten. Prinzessin Elisabeth war, obwohl eine Enkelin des Kaisers, so doch keine Erzherzogin. Der Schimpf – wenn man hier überhaupt davon reden wollte – würde auf Bayern und nicht auf Österreich fallen. Überdies war Otto von Seefried zu Büttenheim, wenn auch unebenbürtig, doch immerhin ein Baron. In der Kirche und vor Gottes Richterstuhl mag der Glaube höher eingeschätzt werden, als die Abkunft, aber bei Hof und in der Gesellschaft gilt die Abkunft mehr, als der Glaube. Wenn man überhaupt Hand an einen Grundsatz legen durfte, so war es hier angebracht, besonders da Prinzessin Elisabeth so lieb und innig zu bitten verstand. So gab Franz Joseph nach. Er willigte nicht nur in die Heirat, sondern bot dem bayrischen Bräutigam auch zugleich ein Heim in seinem Reich und ein Amt in seinem Heer. Auch hatte er nie Ursache, seine Nachsicht zu bereuen, denn diese Ehe ist eine jener glücklichen Ehen, über welche füglich nichts weiter zu sagen ist, als daß sie eben glücklich sind.

Und was von dieser Heirat zu sagen ist, welche die erste Bresche in den Wall habsburgischen Stolzes und Habsburger Vorurteile brach, das gilt auch von den Heiraten der anderen Brautpaare, welche sich alsbald durch diese Bresche drängten: Erzherzogin Stephanie und Graf Lonyay; Stephanies Tochter Erzherzogin Elisabeth und Otto von Windischgrätz; Erzherzog Franz Ferdinand und Gräfin Sophie Chotek.

Diese Geschichten sind indessen interessant und wichtig genug und sollen darum, jede einzeln für sich, erzählt werden.

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