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Buchschmuck

XXII. Kapitel.
Der Android als Minister

Mama Ehrsam hatte sich verjüngt. Eitel Glanz lächelte von ihrem Antlitz und glättete die Runzeln, sie war stolz auf ihren zukünftigen Schwiegersohn. Vor Freude war sie urplötzlich blond geworden. Wenn sie bei der Morgentoilette, – vor Ehrsam auf hohem Kothurn hochdramatische Szenen entrollend, – in den Spiegel blinzelte, fand sie sich überwältigend: »Die Tragik in Blond.« Oft hielt sie Etheln vor, daß die »Kleine« eine ebenso gute Partie wie Lydia hätte machen können, wäre sie nur folgsam gewesen. Sie verachtete Frithjof. Sie mimte den Kontrast zwischen Frithjof und Lars voll heroischer Galle, mit hochtheatralischen Deklamationen; ihre muskelkräftig ausgebildeten Wangenpolsterchen rundeten sich dabei um jedes Wort, modellierten es gleichsam plastisch. Ihre Sprache hatte Körper – um eine Seele von Bosheit herum. Sie fand es auch natürlich, daß zwischen den beiden künftigen Schwägern eine Feindschaft sich entzündete, und sie schürte diese Feindschaft. Aber sie irrte sich, wenn sie glaubte, daß es die gewöhnliche sei, die naturgesetzliche, sozusagen zoologische Schwagerfeindschaft. Hier war es etwas ganz Anderes. Es war der Gegensatz des Werkes gegen seinen Meister, der Schöpfung gegen ihren Schöpfer. Es war ganz selbstverständlich, wenn sie in Frithjof jetzt mehr als je das verkannte Genie, den verrückten Erfinder sah, – was Ethel erbitterte und Lydia belustigte. Arm in Arm mit dem neuen Minister, also mit dem Staate selbst, stand Mama Ehrsam da in unnahbarer Erhabenheit. Sie konnte es in allen Zeitungen lesen: Lars war kein gewöhnlicher Minister, er war ein Genie. Die gute Frau wußte nicht, daß so ziemlich alle Minister Genies sind; daß: Wem der Herr ein Amt gibt, dem gibt die Presse auch den Verstand. Insbesondere die bürgerliche. Von seiner Genialität waren die Klügsten überzeugt in ihrem demutsknickenden Gefühl. Die Tagesblätter nannten ihn täglich, die Wochenschriften brachten die Porträts des Unvergleichlichen. Sie zeigten ihn in Holzschnitt und Autotypie, wie er saß und ging, – gar nicht wie andere Menschen! Die Leser suchten die Bilder zu ergründen: Schon wie er das eine Bein über das andere schlug! Und die Bügelfalte der Hose! – Man konterfeite ihn im Reichstag und im Salon, mit schneidiger und mit leutseliger Miene, wie er das Sektglas erhob und wie er rauchte, im Automobil und auf seinem Ministerstuhl. Ah! Auf dem Ge .. Ge .. Ge .. dankenstuhl! Welch ein tiefsinniges Antlitz! Ein Imperator auf seinem Schlachtroß! Es fehlte nicht viel und die Camera obscura des Reporters hätte ihn selbst bis in die gewisse obskure Kammer verfolgt. Lydia, Mama, das ganze Volk nannte ihn einen Mann von Herz, seit er die Prügelstrafe eingeführt und zugleich verordnet, daß den Kindern in den Gefängnissen am Sonntag nach dem Gottesdienst ein Stück Zwieback verabreicht werde. Es war zu rührend. Kein Wunder, er war populär, ungeheuer, angebetet!

Es ist fast zuviel für Amalias Mutterherz! Sie steht wieder vor dem Spiegel und sagt sich wieder, daß er und – ach, das Goldblond, das mit ihrem dunklen Runzelteint und ihren schwarzen Augen so herausfordernd himmlisch, so »dyonisisch« kontrastiert, zwei neue, unvergleichliche Momente in ihr Leben hineintragen. Lydia steht daneben und bestärkt sie in ihrer Eitelkeit – wobei sie an sich halten muß, um nicht in Lachen auszubrechen.

Mit anbetender Eingebung liest auch Mama Ehrsam alltäglich die Reichstagsberichte. Da sprechen von ihm mit besonderer Ehrerbietung die Parteien, die gute Geschäfte machen. Unbewußt finden diese maßgebenden – und über Maß nehmenden – Parteien im Automaten ihr Ideal, den Inbegriff des einmal und unabänderlich Festgelegten, in dem alles Heil steckt, des Konservativen. Was aber seinen Ruf steigert und, wenn dies noch möglich wäre, sein Ansehen in den Augen der Schwiegermama, – wobei sie, so oft sie es liest, in heroischem Zorn die Fäuste ballt, – sind die exaltierten Anklagen, die Wutanfälle der Opposition. Mama Ehrsam bekommt dann selbst sinnlose Wutanfälle, ja es fehlt nicht viel und sie bricht, trotz ihrer Heroinenvollkraft, in Weinkrämpfe aus. Sie kann nicht begreifen, auf welchem Weg es die Männer der Opposition so bald heraus hatten, daß für Lars – wie übrigens für jeden Minister, – der Staat nur ein Problem der Gewalt war, bis zur Gewalttätigkeit – aber alles fein säuberlich, wie ein übelriechender Käse, in die dünne Bleifolie des Rechts gewickelt! Ein Abgeordneter verglich sogar die ministeriellen Erlasse und Gesetzesvorlagen mit falsch versilberten Abführpillen, die jeder Bürger schlucken müsse.

Dafür aber zerfließt Mama Ehrsams loyales Herz, wenn seine Majestät ihn seinen treuesten Diener nennt. Lars versteht es nämlich ausgezeichnet, alle königlichen Launen zu erfüllen, alle allerhöchsten Lächerlichkeiten zu Heilswundern des Gottgnadentums zu erheben. Mit Vorliebe malt er in seinen Reden die erhabene Sonne der Majestät, ihre Gnade, ihre Überlegenheit, wie sie so herrlich rosenrot herablassend sich spiegelt in den Verstandeslacken des Volkes.

Nur einmal war Mama Ehrsam beinahe in Ohnmacht gefallen. Sie hatte eine oppositionelle Zeitung zur Hand genommen und gelesen, daß das Land durch eine Verkettung widriger Umstände, durch herausfordernde Reden und unkluge Taten der Diplomatie plötzlich einem drohenden Krieg entgegentreibe! Sie erbleichte bis auf die schwarz gebliebenen Haarwurzeln ihres künstlichen Blonds. Daran sollte Lars schuld sein. Die Gegner nannten ihn einen Verbrecher, der den Staat dem Verderben zusteure. Schon sah sie ihn und sich und Lydia und alles verloren. Die gute Bürgersfrau hatte keine Ahnung davon, daß dort oben auf den sogenannten »Höhen der Menschheit« alles anders gewertet wird als in der Tiefe. Hoch oben sind Verbrechen, Dummheiten, Tollpatschigkeiten – Erfolge, Ruhmestitel, eintägige Unsterblichkeiten! Sie griff in ihrer Verzweiflung trostsuchend zu einem regierungsfreundlichen Blatte, ihrem Leibblatte, und sofort füllten sich ihre Augen mit Tränen. Die gute Frau hatte nicht gewußt, daß ein Pfahl nur zufällig in einem Wirbelsturme zu stehen brauche, um sogleich von aller Welt für die Achse der Ereignisse gehalten zu werden. Lars war dieser Pfahl, diese Achse der Ereignisse. Das Brio und Fortissimo, mit denen der gefühl- und gedankenlose Automat oft wiedergekäute staatsmännische Phrasen von Nationalehre, das hohe C der Loyalität und des Patriotismus in die Welt, zu den anderen Völkern hinaustrompetete, verlieh ihm einen Anschein von Kraft und damit das Prestige der Entschlossenheit. Prestige ist alles! Und eine eiserne Stirne!

Nur Zwei gab es im Staate, die wußten, was es mit der Energie des Premiers auf sich habe, Frithjof und Helmut. Jeder in seiner Weise. Beide wußten, daß der Automat mit der goldbetreßten Phrase nur Geschäfte leiten konnte, die von selbst gingen; nur solange der Automatismus des Beamten- und Gesellschaftskörpers sich von selbst abhaspelte. Das ist ja das Geheimnis der meisten Eintagsfliegen von Minister. Sie kommen ohne zu wissen, sie gehen ohne zu wollen, nur der Automatismus der Bureaukratie bleibt. Helmut seinerseits wußte, daß niemand anderer den drohenden Krieg veranlaßt, die Ruhe des Reiches und das Leben der Bürger aufs Spiel gesetzt, als jene mächtige Clique von Finanziers und Aristokraten, die ihre Scheffel Privatinteressen unter die Euter des Staates gestellt haben, – denen ihre Geldspekulationen wichtiger sind als der Friede und die Blüte des Reiches. Dazu waren ja die Bürger da, waren dazu einmontiert, gefüttert, einexerziert, in Käfigen gehalten, dazu standen sie bereit in Reih' und Glied, eine gehorsame Herde, um im Notfall losgelassen zu werden auf eine andere Herde, in einem anderen Lande zu dem gleichen Zwecke ebenso einmontiert, einkaserniert, ausgefüttert, eingedrillt.

Ein Krieg mit seinen ungeheuren Folgen stand bevor. Was tat dies jenen, die durch Geburt, Rang und Kapitalskraft berufen waren, vom Hexenkessel der Regierungsgeschäfte oben das Fett abzuschöpfen?! Sie drängten Helmut und Helmut drängte den Minister. Den Minister – einen genialen Staatsmann, der an Stelle des Herzens eine rote Pumpe, statt des Hirns eine verdorbene Rechenmaschine in seinem Stahlschädel trug.

Eine verdorbene Rechenmaschine! – Frithjof erinnerte sich daran, daß Helmut sich selbst als den »Bühnenmeister« bezeichnet hatte, der hinter den Kulissen Blitz, Donner und Sonnenschein wirkt. Eben deswegen hätte Frithjof gerne wissen mögen, was sich während seiner Abwesenheit, als er und Ethel inmitten der Wunderpracht der Gebirge schwelgten, mit Lars und Lydia zugetragen hatte? Sollte wirklich ein entlassener Arbeiter jenen Schlag auf den Kopf von Lars ausgeführt und dadurch eine der wichtigsten mathematisch-logischen Walzen aus dem Lager herausgeschlagen haben? Oder war etwas vor sich gegangen, was nur Lydia allein wußte? … Oder worin sie vielleicht auch Helmut eingeweiht? Frithjof konnte das nie erfahren. Lydia, offenbar die einzige, die Aufschluß zu geben vermochte, hielt sich von ihm ängstlich fern. Ihre Aluminiumyacht war übrigens bereits seit langem bestellt und wurde eben auf einer Werft am Clyde gebaut, nach ganz neuen Entwürfen eines englischen Boots- und Yachtingenieurs. Sie freute sich aber jetzt, mehr als auf die Yacht, bald Frau Premier zu sein. Auch sie schloß sich langsam der Meinung von Mama an, auch sie empfand nach und nach Frithjof als etwas ihr Feindseliges, als einen abgefeimten Widerpart.

Frithjof in seiner Gutmütigkeit bemerkte anfangs gar nicht, daß auch Excellenz Schattenfroh, die rechte Hand des Ministers, gegen ihn ägriert war. Bis eines Tages Mama durch unbedachte sarkastische Deklamationen ihn darauf aufmerksam machte, daß zwischen Lydia und Helmut ein Einverständnis irgend welcher dunklen Art herrschen müsse. Anfangs hatte er sich ja mit Helmut ganz gut gestanden. Wenn sie von dem neuen Ministerium sprachen, sahen sie sich an, wie zwei Auguren; denn sie mußten beide lachen, wenn sie ihren Minister im Spiegel der öffentlichen Meinung, im Spiegel des Massenhirns sahen. In diesem Riesenhohlspiegel erschien Lars grotesk verbreitert und vermächtigt, mit einem phänomenalen Bauche – kein Wunder, er war ja die Nationalwirtschaft, der Volkswohlstand – mit einem vierdimensionalen Breitschädel, einem Wasserkopf – selbstverständlich, denn er war ja die hohe Politik! In diese Verkörperung flossen ja alle Vorstellungen politischer Schlauheit zusammen, von der des stotternden Schneiders auf der Bierbank, der blauen Montag macht, bis zum Geschichtsprofessor, der die Geschicke der Völker in seinem Tintenfaß klärt, bis zum zünftigen Diplomaten, der sich eben in eine wichtige Gesandtenstellung hineindandyniert. So war Lars der Bauch der Bäuche und zugleich der Kopf der Köpfe.

Frithjof versuchte verschiedene Male Lars zu sprechen. Die Diener im Vorzimmer wiesen ihn regelmäßig mit strenger Lakaienmiene ab: »Es sei eben Vortrag!« Lars hörte nämlich eben den Stadtklatsch einiger Geheimräte an. Ein anderes Mal, wenn sich der Hochmögende mit jemandem Witze und Zoten erzählte, flüsterte ein Sekretär dem im Vorzimmer Wartenden zu: »Eine wichtige Konferenz unserer höchsten Staatsmänner!« Wenn Lars sein Nachmittagsschläfchen hielt oder irgend eine schöne Bittstellerin begönnerte, hauchte irgend ein Subalterner andachtsvoll: »Exzellenz arbeiten in ihrem Kabinett; haben strenge Ordre gegeben, nicht zu stören.« So wurde es stets vor der Öffentlichkeit gehalten. Blieben zum Beispiel wichtige Aktenstücke über dringende soziale Gesetzentwürfe liegen oder waren sie gar von einem Ministerialdiener irrtümlich zu früh als Makulatur an den Käsehändler verkauft, dann erhob sich im Parlament würdevoll ein Herr Staatssekretär und sagte im Korporalston: »Die eingehenden amtlichen Erhebungen und Erwägungen, welche anzustellen, beziehungsweise zu pflegen, das hohe Ministerium sich genötigt sieht, erscheinen noch nicht abgeschlossen, sondern müssen durch weitestgehende neue Erhebungen, beziehungsweise Erwägungen ergänzt werden. Es sind deshalb die betreffenden Akten im höchsten Interesse des Staates vorläufig noch geheim zu halten!« Überhaupt der Nimbus des Hohen, des Geheimen, des Staatsinteresses! Mit diesen Aureolen gegenüber dem Trieb der Anbetung, mit dem die Völker behaftet sind, kann jeder halbwegs eingedrillte Beamte aus einem alten, dicken, asthmatischen Mops einen »erhabenen Vierfüßler« machen. Waren Entwürfe unzulänglich oder albern, weil die maßgebenden aristokratischen Protektionskinderchen, die Edelsten der Nation, die in den wichtigsten Stellen saßen, ihre Nächte – mit besonderem Vorteil für ihre Karriere – zwischen Dämchen und Jeu verbummelt hatten, oder weil ihr Genie überhaupt nur gerade zum Knüpfen einer distinguierten Kravatte und zum Betriebe eines fashionablen Sports hinreichte, – so hieß es: »Weitgehende Fragen des Völkerwohls, wichtige staatsmännische Erwägungen bedingen diese Fassung.«

Ein besonders heiteres Spiel entrollte sich vor den Augen Andersens und Ethels, wenn sie die geheimnisvolle Wichtigtuerei sahen, mit der die äußere Politik gehandhabt wurde. Da war jeder Zigarettenrauchkringel ein bedenklicher diplomatischer Zug. Die Herren Diplomaten machten Politik mit Seifenblasen. All' die menschlichen Unzulänglichkeiten, Eitelkeiten, kleinlichen Bosheiten im Verkehre von Fürsten, Ministern, Gesandten, wurden bedeutungsvoll für das Wohl der Menschen. Es war ein burlesker Brei: Die Wichtigkeit der Nichtigkeiten und die Nichtigkeit der Wichtigkeiten.

Aber die Völker lagen vor ihnen schülerhaft aufhorchend, in Beterstellung, auf den Knieen.

Es gab keine einfachen Bezeichnungen, keine schlichten Namen, keine klaren Gedanken, keine geraden Handlungen. Das Ministerium war immer das »hohe« Ministerium; – voll hoher Würde, hohen Leistungen, hohen Tölpeleien, hohen Niedrigkeiten. Das kürzeste, einfachste Wort war »Allerhöchstderselbe« oder »Allerhöchstdieselbe«. Niemand konnte aufrecht stehen, wenn er sprach, jeder kroch als »Allerhöchst dero Gnaden unterwürfigster, in Demut ersterbender Diener« allersubmissest auf dem Bauch. Es war wie mit dem Schlangenfluch im Paradiese: »Auf dem Bauche dein Lebelang!« Am bewunderungswürdigsten aber erschien es Frithjof, wie alle Welt, zumal die bürgerliche, vor allem aber die Presse jeder Farbe, diese Reptilien des höfischen Paradieses mit einem geheimnisvollen Worte von gewaltig scheinendem Umfange bekleidete: »Di–plo–ma–ten!« … Ein Wort, das die dümmsten Staatsvogelscheuchenstangen wie ein weiter, ehrfurchtgebietender Mantel umwallte, aus dessen Taschenspielerfalten eskamotierte Reiche und Nationen, mystische Weisheiten, volksbeglückende Zauberformeln und göttliche Gebote hervorguckten. Und doch handelte es sich nur um Männchen in Wadenstrümpfen und Goldtressen: Lakaienlivree. Sie fühlten sich so voll himmlischen Überlakaientums in ihren Wadenstrümpfen – zumal wenn sie auch noch Waden hatten, – sie fühlten sich so vergöttlicht, daß sie in sich die beiden Extreme der Erde verkörpern durften: Die tretenden hohen Herrschaften und kräftigst getretene Diener.

Seine Exzellenz der Herr Staatssekretär Schattenfroh hatte, von der neuen Atmosphäre angezogen, sich damit vollgesogen, wie eine Mauer mit faulender Feuchtigkeit, mit Keimen von Schwamm und Schimmel! Noch ehe Frithjof die Wandlung klar erkannte, war schon Helmut aus seinem Freund ein Feind geworden. Erst spät kam diese Spannung Frithjof zum Bewußtsein, als sie eine besonders drohende Gestalt annahm. Die neue Regierung besaß nämlich, von ihrer alten Schöpfung her, den in einer Hand vereinigten Zeitungen der verschiedensten Parteischattierungen und Glaubensbekenntnisse, das, was man eine »gute Presse« nennt. Mit dieser konnte sie, was sie wollte, geschickt in die Welt lanzieren. So tauchte denn plötzlich, man wußte nicht woher, in den Blättern die Erinnerung an den »verrückten Erfinder« wieder auf, der seinen durchgegangenen Automaten suchte. Allerdings hatte Frithjof die Zeitungen der Opposition für sich. Aber da er sich nicht in die Politik mischte, keiner Partei angehörte, war diese Verteidigung nur lau. Es konnte nie recht festgestellt werden, durch wen in so geschickter Weise zuerst Reminiszenzen in die Öffentlichkeit geschleudert waren. Aber es handelte sich um eine Sensation, und da waren alle Blätter gleich hinterher, wie ein Rudel Hunde hinter einen geworfenen Knochen. Frithjof selbst tat nichts, um die absichtlich ausgestreuten Gerüchte zu desavouieren und das war sehr unklug. Umsomehr als man ihn von befreundeter Seite darauf aufmerksam gemacht hatte, daß man sich »höheren Orts« mit verschiedenen Plänen gegen ihn trage. Ja, Mama Ehrsam hatte, ohne zu wissen was vorging, ein Wort vom »Nervenarzt« fallen lassen, das für Frithjof plötzlich und grell die Situation erhellte.

Frithjof besprach öfters mit Ethel das Groteske der Zufälle. Über einen Punkt waren sie einig: Der Staat konnte am besten von einem Automaten gelenkt werden; der androidale Staat von einem Androiden. Jeder neugebackene Minister, der sich nur einige Tage im Ministersessel eingewärmt hat, kriegt es bald heraus, daß in einem Staate eigentlich ungeheuer viel automatisch vor sich geht. Ja, daß er vieles gar nicht anders lenken könnte, selbst wenn er wollte. Das Getriebe läuft fort: Tik tak, tik tak! Die Unruhe bildet der Paragraph, diese harte Stahlspirale; stetig wird sie gepreßt, stetig sucht sie sich Raum zu schaffen. Die Pendel sind die Beamten: sie schwingen fort und fort, von der Amtspflicht in Gang gehalten, von der Erdschwere herabgezogen. Unser halbes Leben besteht aus Hemmungen, – beim Beamten das ganze. So vereinigen sie in sich das Prinzip der Bewegung mit dem der Trägheit zu einem Rhythmus. Die Beamten, zu deren Lebensnotdurft es gehört, Beamte zu sein, bemühen sich natürlich vor allem, die ungeheuere Notwendigkeit ihrer Existenz praktisch darzutun. Und zwar durch ein zähes Festhalten am eingerosteten Automatismus. Stockt es auch und knarrt es auch in allen Rädern, sind auch die jahrhundertalten Paragraphen eingerostet, die Zähne der Gesetze ausgebrochen, – macht nichts! Desto wichtiger sind jene Behörden, auf die man lange warten muß, bis sie endlich das Werkel ölen. Tik tak, tik tak! Man muß hören, daß sie nötig sind. Tik tak, tik tak! Sie muß sich allen Sinnen, allen Bedürfnissen aufdrängen, die träge Maschinerie mit den vielen Schreibereien, Erlassen, Anordnungen, dem unverschämten Sichhineinmischen in möglichst viele Privatangelegenheiten des Bürgers, mit der gewichtigen Amtsmiene, dem Anschnauzen, der Wacht vor dem Paragraphen!

Ja, die Vergötterung, oder vielmehr ergötzliche Vergötzlichung des Paragraphen.

Ethel fiel hier ein: »Vitzliputzli! Vitzliputzli! Heil dem großen Vitzliputzli.«

Frithjof, von ihrem Lachen ermuntert, führte die Allegorie weiter aus:

»Der Paragraph wird zu einem anbetungswürdigen Ungeheuer! Wie der Lama von Tibet thront er neben dem Herrscher als Vizegott. Er ist aus einem frischen Holzknüppel geschnitzelt, und wird rasch wurmdurchfressen. Ein von Flitterperlen und Rauschgold flimmerndes Phantom steht er einbeinig aber tausendarmig, nach jedem ausgreifend, in irgend einem ungeheuren, in Staub, Spinnwebschleiern und Dämmerung verkommenden Raum, er steht mit großgezahntem Nußknackermaul und bösartiger Grimasse auf seinem Einbein. Drohend klappert Vitzliputzli mit dem eckigen Kinn, drohend wackelt er mit dem steifen Nußknackerzopf – drückt man den Zopf, knacks ist ein Seelenfriede, eine Ehre entzwei! Gierig reckt er seine tausend Krallenhände nach allen Seiten, jede einzelne Kralle gekrümmt, scharf in Menschenfleisch einzuhacken, daß Blut rieselt. In jenem unheimlich düsteren Raume, in dem sich das ehrwürdige Wunder des tausendjährigen Mistes der Mißbräuche angesammelt, werden dieser mystisch-gewalttätigen Karikatur Opfer dargebracht, Geldopfer, Freiheitsopfer, Blutopfer, Ehrenopfer. Über dem Hochaltar, – auf dem man den Bürgern das Fleisch aus dem Leibe krallt unter Assistenz talarvermummter Richter, denen nur noch die spitze, spanische Inquisitorendüte mit den teuflischen Augenhöhlen in der schwarzen Maske fehlt, – über dem Hochaltar spannt sich ein dunkler, mottenzerfressener, rattenbenagter Baldachin, zusammengenäht aus alten, geflickten Uniformen der Behörden und Armeen! Die Gloriole aus billigem Goldpapier! Der hochnotpeinlich schwarze Inquisitorentalar, die herrisch funkelnde Uniform – immer der physikalische Lichteffekt, der Stimmungen suggeriert, der Kniff der mechanischen Heiligung!«

Ethel lachte weh- und übermütig: »Der Automatismus der Anbetung!« Frithjof gefiel ihr nie besser, als wenn er aus seinen trüben Stimmungen heraus sich in jenen glänzenden Sarkasmus hineinrettete, der das Weh der Welt in den lustig bunten Farben einer Faschingsnacht maskiert –; ein toller Mummenschanz seines Pessimismus! Sie wußte, daß der verdüsterte, geniale Mann sich dadurch die Gespenster vertrieb, die in seiner Seele rumorten; deshalb ermunterte sie ihn, indem sie ihm bei jedem treffenden Worte um den Hals fiel und küßte und von Herzen lachte. Frithjof fuhr in seiner Beschreibung fort, die nun anfing auch ihm Spaß zu machen:

»Von diesem Baldachin hängen unzählige Bänder herab und jeder, der im Staate eine Stellung oder ein Stellchen hat, vom Minister bis herab zum Staatsanwalt, zum letzten Schreiberchen, zum Nachtwächter, hält würdevoll so ein Bändchen in seiner Hand, um anzudeuten, daß er Wache stehe vor dem Heiligtum der Nation, auf daß Vitzliputzli ja seiner täglich frischen Ration an Menschenfleisch habhaft werde! Dies ist absolut notwendig. Denn nur durch diesen Götzendienst sind die meisten dieser Beamten existenzberechtigt. So bringen sie in den Staat, wo vieles ohne sie glatter und besser von statten gehen würde, eine neue Nebenmaschinerie hinein, die Untertanenwurstmaschine, die den Bürger kleinhackt, aus seinen Gedärmen die Mittags- und Abendwürste für das Beamtenheer bereitet. – Und jetzt erinnere ich mich, dem Androiden eine Walze eingelegt zu haben, die ihn in einer vertrauten Stunde verraten muß. Der Minister wird nämlich sein Amt eine »Riemenfabrik« zu nennen belieben. ›Denn,‹ muß er sagen, ›ein vorzüglicher Minister schneidet sich aus der Haut der Bürger selbst die Riemen, die er benötigt, um sie tüchtig zu kuranzen.‹ – Ich habe nie geahnt, daß ein solcher Scherz zur Wirklichkeit, daß eine solche Wirklichkeit zum Verhängnis werden könnte!«

Ethel fürchtete, daß die Stimmung Frithjofs mit den letzten Worten wieder ins Düstere umzuschlagen drohe. Sie sagte deshalb, indem sie sich zur Lustigkeit zwang:

»Warum soll nicht eine Maschine Minister werden können? – Ein Android in einem androidalen Staate mit androidalen Untertanen.«

In Frithjof erweckte diese Bemerkung sofort eine Reihe anderer ironischer Gedanken:

»Eine Maschine ist noch nicht das Schlimmste,« sagte er lachend. ›Name ist Rauch und Schall umnebelnd Himmelsgut.‹ Natürlich hat Goethe diesmal ganz daneben gegriffen. Vollkommen! Die Menschen, der Inhalt der Dinge sind Rauch und Schall! Umnebelnd Himmelsgut! Name und Titel aber sind alles! alles! Warum lachten wir auf der Schulbank, als wir hörten, ein römischer Imperator habe sein Pferd zum Konsul erhoben? Man habe die nur hohen Staatsbeamten gebührenden Ehren erweisen müssen – einem Gaule! Da war nichts zu lachen noch zu lächeln! Haben wir nicht heute einen ebensolchen Heidenrespekt vor dem sogenannten ›Rock des Königs?‹ – Unzweifelhaft, in dem Augenblick, wo es sein Ernennungsdekret erhielt, stieg das Pferd außerordentlich im Ansehen der Bürger. – Von den Behörden und den Hofleuten ganz abgesehen: ein Hofrat wird einen anderen Hofrat, ein Ordensträger einen anderen Ordensträger, ein Staatsanwalt einen anderen Staatsanwalt, ein Minister einen anderen Minister nie geringschätzig behandeln, bloß weil dieser ein Pferd ist. Die Liktoren nahmen es sicherlich höchst genau, als sie mit Beil und Bündel vor dem neuernannten Konsul, seiner hochwohlgeboren, Exzellenz Herrn Hans, einherschritten. Und wenn das Volk, das sich nicht zu widersetzen wagte, auch im Geheimen spötteln mochte, öffentlich hat es unzweifelhaft sehr beglückt getan! Denn es ist Beruf der Kanaille, beglückt zu sein! Ja der eine oder andere römische Geheimrat hat sich vielleicht sogar hochgeehrt gefühlt, wenn ihn beim Wettwedeln um die allerhöchste Gunst zufällig vom neuen Herrn Konsul ein Schweifschlag streifte.

Und was taten seine Kollegen, die anderen Herren Konsules? Nun, was von Amtswegen! Sie wedelten mit dem neuen Herrn Kollegen um die Wette!

Bei jeder Landschaft liegt die ungeheure Kraft der Stimmung in der Beleuchtung: Titel, Orden, Ehrungen sind nun nichts anderes als Beleuchtungskunststücke. Wo nehmen wir wieder einen König oder Kaiser her, seufzte Frithjof, der groß, der übermenschlich genug denkt, sein Pferd zum Geheimrat, zum Minister zu ernennen?! Das wäre wahre Genialität, Übermenschentum! Mehr noch: Überimperatorentum! Selbst Ludwig XIV. hat es nur zum Petit lever und Petit coucher gebracht. Aber keiner erhob sich zum Stolz jenes Imperators, der mir so vom Herzen sympathisch ist, weil er so frei war, den Bürgern zu zeigen, womit man sie auf eine Stufe stellen könne. Selbst meinen Liebling, den Geheimrat und Minister Wolfgang von Goethe habe ich im Verdacht, daß er es nicht gewagt hätte, wäre er je König geworden, seinen gunstbesonnten Floh zum Hausminister zu ernennen. Und doch müßte es lustig gewesen sein, wenn dieser keck vehemente Favorit, in seiner eleganten Sprunghaftigkeit, dank der Spontaneität seiner Beine, mit dem spitzen Witz seines Rüssels alle Damen am Hofe, die Königin und die Zofe geplagt, gestochen, gestichelt hätte. Jetzt erkenne ich erst, daß jenes mephistophelische Kellerlied keine Satyre ist. Nein, aus ihm erklingt nur Melancholie über ein Ideal, ein leider unmögliches, aber recht, recht wünschenswertes Ideal!«

Ethel trällerte:

»Es war einmal ein König,
Der hatt' einen großen Floh …«

Und sie fügte schelmisch hinzu: »Ich höre daraus die Wehmut des Dichters schluchzen!«

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