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Buchschmuck

XIII. Kapitel.
Verwicklungen

Woppl bildete sich auf seine ›Idee‹ viel ein: »Ehe braucht Brot! Andersen und Ethel! – Nur nicht Lydia!« Denn wenn er auch im Augenblick sich für Miß Mabel Landsdale interessierte und zwar, weil er es sich ganz hübsch dachte, eine Engländerin mit kokett gefärbtem Blondhaar und geheimnisvoller Verwandtschaft zu indischen Nabobs heim zu führen, so verzichtete er doch nicht gern auf jenes undefinierte Verhältnis zur reizenden Lydia. Er saß gern auf einem von schönen Frauenhänden graziös bewegten Schaukelbrett. »Es ist,« wie er sich sagte, »zwar nicht die Liebe selbst, Gott sei Lob und Dank! Aber es ist doch der Parfüm der Liebe, was einem ganz lieblich um die Nase kitzelt! Nichts angenehmer, als in einer Sommerfrische vier oder sechs verschiedenartige Parfüms untereinander zu mischen! Ich war immer ein Liebhaber von Eau de mille fleurs – dem Duft der tausend Blumen. – Und was die Hauptsache – es ist ein Schaukelzustand, – und er verpflichtet zu nichts.«

»Zudem,« sagte er sich, »man kann nicht alle haben; deswegen ist es doch süß, alle haben zu können. –

Dem andern gönnt man nur den Abfall, 's ist mal so menschlich.« Nur Holthoff hätte er Lydia zugestanden.

Er sah sich nach Frithjof um, denn er wollte seine Zeit nicht verlieren. In geschäftlichen Angelegenheiten war er von zäher Natur: »Andersen sitzt gewiß wieder mit den Führern in der Schwemme und studiert Bergbesteigung.« Aber er konnte den Gelehrten in der Rauchwolke schlechten Tabaks nicht entdecken. Nur jene kernigen Gestalten saßen dort mit dem »undefinierbaren Erdgeruch«, der Woppl immer niesen machte.

Unwillig schlenderte er fort durch den Wald. Da hörte er an einer dichten Waldstelle leidenschaftliche Worte.

Schon wollte er sich geräuschlos vorüberdrücken, als ein neugieriger Blick durch das Gebüsch ihn die Situation überschauen ließ. An dem Stamm einer phantastisch wie ein schwarzer Blitz in die Höhe zuckenden Legföhre lehnte Lydia, das blonde Haupt mit den schweren Flechten leicht zur Seite geneigt, die Hände auf dem Rücken, »Herrlich,« dachte Woppl, »ein Märchen!« Vor ihr kniete Frithjof. Die Sonne warf ihre hellen Strahlen durch die grünen Wipfel, sie schimmerte mit all ihren silbernen, goldenen und rosigen Lichtreflexen auf dem weißen Mousselinkleid, den blonden Flechten, den erhitzten Wangen des aufgeregten Mädchens.

»Ich bete Sie an, auf den Händen will ich Sie tragen,« hörte er Frithjof mit einem Feuer ausrufen, das er an dem gleichmütigen nordischen Gelehrten noch nie bemerkt hatte. Das Mädchen sah den Knienden mit verheißendem Lächeln an. Sie schmiegte den geschmeidigen Leib noch verführerischer an den züngelnden Baum – (Woppl dachte: »Eva und Schlange zugleich!«) – und sie sagte halb aufrichtig, halb flammenschürend: »Aber ich liebe Sie nicht!«

»O, mein Feuer muß in Ihrem Herzen gleiche Gluten entzünden, der Schrei meiner Sehnsucht Sehnsucht in Ihrem wecken! Ich liebe Sie unaussprechlich, ewig, sinnverwirrt! Mein, Sie müssen mein sein, mein! Alles, womit ein anderer Sie glücklich machen kann, alles, alles kann auch ich, auch ich!«

»Sie?« Ein ungläubiges Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Die Bewunderung, die Leidenschaft für Sie hat mich den größten Wurf meines Lebens gelingen lassen. Nur noch wenige Wochen und ich stehe vor Ihnen, reich, berühmt, mit einem unsterblichen Namen.

»Heute klingt noch der Name Holthoff oder Woppl verführerisch in Ihr Ohr. Aber morgen werden Sie erfahren, daß Frithjof Andersen nicht nur doppelt, vielleicht zehnfach so reich ist, wie jene, sondern auch einen Namen von Ruf besitzt, den alle Welt kennt, nennt, an den sich jeder drängt, ein Name, der mehr ist als ein Titel, der in jedem Kreise, jedem Salon gesellschaftsfähig ist.«

Woppl schmunzelte: »Gesellschaftsfähig! Da hat er das Zauberwort gesprochen!« Der Lauscher las auf Lydias Gesicht, auf dem die Farben wechselten, und suchte die seelischen Vorgänge herauszubuchstabieren: Anfangs Apathie, ja Geringschätzung, dann Aufkeimen geschmeichelter Eitelkeit, Dank für die Bewunderung, mitleidige Höflichkeit.

»Jetzt kommt's,« dachte Woppl und las weiter in dem hübschen Gesicht des Mädchens und ihrer sich immer mehr verändernden Haltung: Erregung beim Namen Holthoffs, höhere Erregung bei den Worten »alles bieten«, – völliges Hinschmelzen bei den Worten »Titel, gesellschaftsfähig!«

Und in diesem Augenblick erfaßte Frithjof leidenschaftlich ihre Hand, um sie zu küssen. »Was wird sie tun?« dachte Woppl. Sie ließ es geschehen, ohne sich zu wehren, aber – auch ohne Entgegenkommen. Sie hatte offenbar den Gedanken: »Nur mein Glück nicht kompromittieren! Nur sich alles offen halten, nichts versprechen und nichts ablehnen.«

»Die passive Schlauheit der Dummheit und Naivität!« dachte Woppl, als er sie mit großem Raffinement die Überfallene spielen sah, die vor lauter Bestürzung sich nicht zu fassen vermag. Unter der lang gesenkten Augenwimper blickte ihr Auge den entzückten Liebhaber feuchtzärtlich und machtlos an, und wie er den Augenblick der Wehrlosigkeit benützte, ihre Hände mit Küssen zu überschütten und »Mein! mein!« jubelte, stammelte sie in süßer Verwirrung: »Noch nicht … Sie haben zu plötzlich … ich muß erst zur Besinnung kommen … später … vielleicht!«

Er aber im Glückstaumel: »Nichts von später, nichts von vielleicht! Noch heute spreche ich mit Mama!« Und als Lydia nicht antwortete, drängte er: »Sagen Sie ›ja‹! Autorisieren Sie mich!«

Das Mädchen stand anmutig zögernd da. Sie überlegte offenbar. Der Mama konnte sie ja die Weiterentwickelung ruhig anvertrauen, die würde nichts übereilen. Der Verliebte hielt dies Zögern offenbar für schamhafte Zurückhaltung. Sein Gewissen schwankte einen Augenblick, ob er die jungfräuliche Seele, dies zarte, reine Gemüt in Aufruhr bringen dürfe, dann aber bestürmte er sie desto heftiger. Überwältigt von so viel Liebe und Leidenschaft hauchte sie endlich: »Ja!«

»Heute noch spreche ich mit Mama!« jubelte er.

Der unfreiwillige Horcher war in Zorn geraten, als er Andersen auf dem Indianerpfad seines eigenen Flirt entdeckte. Anfangs besorgte er durch Knistern des Sandes unter seinen Schritten die zärtliche Situation zu stören. Als aber die Sache eine immer fatalere Wendung nahm, schritt er davon, laut hüstelnd und mit den Füßen das raschelnde Laub aufrührend, um die beiden zu unterbrechen und in Verlegenheit zu bringen. Allein die Absicht mißlang. Denn Anbeter und Angebetete hätten vermutlich auch alle Donner des Himmels überhört. Am Ende einer Allee wartete er Andersen ab, um ihn mit den allerherbsten Vorwürfen zu überfallen:

... Ach, übrigens wozu die ganze Debatte! Die Frau Direktor wird Ihnen niemals Lydia geben, sie hat mit ihr viel großartigere Pläne! Hören Sie mich, Sie holen sich nur unnütz einen Korb. Sie wird Ihnen hochmütig begegnen und Ihre Niederlage wird einen Mißton in unsere ganze Gesellschaft bringen. Hören Sie mich und denken Sie dran: Von dem Augenblick an, wo Sie mit Mama Ehrsam gesprochen haben, ist unsere ganze Sommeridylle entzwei!«

»Sie haben gehorcht,« sagte Andersen vorwurfsvoll.

»Sie haben mich horchen lassen

Frithjof, in Triumphstimmung, lachte. »Lydia gefällt mir so ausgezeichnet, weil sie mich an meine Mutter erinnert. Das Andenken an meine Mutter hat in mir ganz das Blonde mit dem Begriff des Lieben, Engelhaften und Mütterlich-Wärmenden fest geknüpft. Sie hatte so liebe Augen! Ich sehe noch im Geist vor mir die stattliche, schöne Frau. Ich spiele auf dem Teppich am Boden. Sie beugt sich nieder mit ihrem blühenden Kindergesicht zu mir, dem Kinde. Ein herziges Lächeln blitzt über ihre weißen Zähne auf. Aber ihr einfach gekämmtes Haar legt sich um den Scheitel ein hellbraunes, goldblitzend getöntes, ein ganz hausmütterlich schlichtes Zöpfchen. Meine Kinderphantasie sieht die Märchenkrone der Feen. Papa und das ganze Haus waren in heitere Ekstase versetzt, als ich einmal ausrief: ›Mama, was du da auf dem Kopfe trägst! So ein hübscher blondgebackener Kranzkuchen!‹ – Lieber Herr Woppl!« Andersen legte ihm die Hand auf die Schulter, »Sie wissen gar nicht, mit wem Sie sprechen. In mir blüht die Lust auf, mit dem Leben Ball zu spielen, mich in liebliche Abenteuer zu stürzen, an Natur, am Weib mich mit gleicher, hinschmelzender Innigkeit zu erquicken! Es ist ein märchenhaftes Gefühl, wie Blumen in der Seele, wie Herzensgluten in Form seltsam roter, flammender Lilien und jungfräulich weißer Rosen, die sich schwesterlich die Hände reichen.«

»Das ist nur Berghysterie, Alpenkoller!«

Und wenn auch! Man weckt in einer Gruft nur die Geister, die dort schliefen. Dies Gefühl muß in mir unter Pflastersteinen geschlummert haben! Wäre es sonst so urplötzlich, mit so elementarer Gewalt über mich gekommen, ein völliges Entrücktsein! In mir, dem Arbeitsmüden, Geistesdurstigen ist meine andere Bestimmung als Mensch und Mann erwacht, blüht ein Trieb auf, der Trieb, des flüchtigen Lebens heiterstes Ergötzen in einem Weibe zu suchen, zu spielen mit dem köstlichsten Spielzeug! Und welch glänzenderes hätte ich finden können als Lydia! … Frisch zugegriffen in den Lostopf der Welt! Wägen und Erwägen macht alles zu wichtig und gewichtig.«

Woppl fuhr auf. »Aber da hört sich doch alles auf! Da steht einem der Verstand still! Eine solche gewöhnliche Intrigantin! Borniert, eitel, geldgierig, glanzsüchtig, eine Kleiderpuppe! Doktor, Sie werden die Hölle im Hause haben! In zehn Jahren ist sie die Mutter ins Blonde übertragen!«

Andersen begann sich in seinen heiligsten Gefühlen verletzt zu finden. »Herr Woppl,« rief er, »Sie gehen zu weit!« So gab ein Wort das andere und die beiden verließen einander aufgebracht und beleidigt.

»Ich bin wirklich zu weit gegangen,« dachte Woppl. »Aber es ging mir wider den Strich. Na, heute ist der reinste Unglückstag. – Schließlich sind 20000 Mark Rente oder mehr kein Scherz! Ich werde mich doch nicht mit meiner Dividende überwerfen! Werde mich klein machen und die Sache wieder in Ordnung bringen.«

Andersen, der Frau Ehrsam suchen gegangen war, dachte seinerseits: »Das ertrage ein Bär mit einem Nasenring! Die Schönen, für die er sich interessiert, sind alle Engel, und die man ihm wegfischt, sind Kleiderpuppen, Intrigantinnen. Sie soll nur erst meine Frau sein, dann werde ich sie schon formen; jede Frau ist das, was ihr Mann aus ihr macht. – Sonst ist er ja ein ganz gescheiter Kerl! Aber auf seinen Vorteil ist er scharf; er ist von einem boshaften Egoismus, wie ein Affe.«

... Noch am selben Tage vor dem Diner traf Woppl mit Holthoff zusammen. Letzterer war wie immer in Jägerjoppe, Wadenstrümpfen und sportmäßig roter Foulardkravatte. Er fühlte sich ganz »tirolerhaft«, ganz »gebirgig«, und wiegte, wie Woppl bemerkte, den »dicken Korpus« vergnügt von einem Bein aufs andere: »Nun, wie stehen unsere Aktien?«

Woppl machte ein sehr trübseliges Gesicht: »Schlecht, spottschlecht, soeben haben wir uns beinahe gezankt.«

»Aber Sie werden doch nicht!« – Holthoff griff ihm herablassend unter den Arm. »Lieber Woppl, bedenken Sie doch! Jedes böse Wort kostet hunderttausend Mark mehr.«

»Hab's bedacht,« sagte Woppl schwermütig. »Aber 's ist mal raus. Denken Sie, er will um jeden Preis die Blonde, während wir alle einig sind, daß für ihn nur die Schwarze paßt.«

»Geben Sie ihm doch die Blonde,« meinte Holthoff großmütig. »Auf die Farbe kann's Ihnen doch nicht ankommen.«

»Sogar sehr viel!«

»Aber, Herr Woppl! Ein Mann wie Sie! Halten Sie sich doch an die Engländerinnen. Haben Sie schon von den Schätzen Golkondas gehört, von den Diamantfeldern des Kaplandes? Sehen Sie, die Angelsachsen, das ist so meine Rasse! Wenn die reich sind, dann ist es auch was! Was wir in Mark sind, sind die in Pfund! Glauben Sie mir, die Landsdales …! – er lächelte geheimnisvoll – Na, ich darf nichts verraten, Amtsgeheimnis! Aber, ich habe Einfluß, werde für Sie ein Wort einlegen!«

Woppl überlief es heiß, wie ein indischer Sommer. Holthoff hatte gewiß Geschäftsverbindungen mit den Landsdales. Am Ende war er gar ihr Bankier. Woppl betrachtete mit Zärtlichkeit das »monumentale Maul« und darüber die »elegische Nase« des Geldgewaltigen, die wie eine Trauerweide über einem Grab herabhing. Er konnte sich zwar denken, daß es dem Bankier auf einen Kniff mehr oder weniger nicht ankam, um ihn zu düpieren. Aber schließlich, dachte er, wer kann wissen? Ebenso gut wie eine Leimrute ist's ein goldener Ast! Va banque!

»Sie glauben?« stotterte er.

»Lassen Sie mich nur machen! Und gönnen Sie dem Maschinenbauer die Blonde! Das ist ja was ganz Kleinbürgerliches. Ich bitte Sie, diese Köchinnen! Ein Mann wie Sie braucht für sein Haus eine Dame mit großartigen Verbindungen im Ausland! Kalkutta, … Bombay! … Bedenken Sie nur!«

»Umsonst ist der Tod,« sagte sich Woppl, »wenn es sein muß, fort mit Schaden! Mutter Amalia wird sich zwar sträuben, sie hat eine Idiosynkrasie gegen den Schweden. Aber schließlich werde ich nachhelfen, ich werde ihr zureden wie einem kranken Pferde!«

Eine Stunde später war Woppl sogar entzückt. »Ausgezeichnet, diese blinde Leidenschaft!« sagte er sich. »Andersen wird, um heiraten zu können, das Geschäft so rasch als möglich abschließen. So rasch als möglich, heißt so schlecht als möglich! Holthoff ist doch ein kapitaler Schlaukopf. Was ist mir Lydia? Sie ist schön, keusch, heilig und eine Gans. Diese Liebe erspart uns sicher zwei- oder dreimalhunderttausend Mark. Ich werde um sie goldene Tränen weinen können. Dieser Holthoff! Ein Schuft, aber ein Genie!«

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