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Buchschmuck

XI. Kapitel.
Witz und Ideen

Bobbe war wieder hergestellt. Wenn man das so nennen darf. Sein pockennarbiges Gesicht sah womöglich noch zerrissener und wüster aus, das erloschene Auge ließ das tückische Funkeln des gesunden noch greller erscheinen, sein Lallen war noch unheimlicher.

»Gesund?« bemerkte Woppl skeptisch. »Na, na! Das heult ja wie ein Werwolf, und die Fratze ist noch polizeiwidriger als je.«

»Gesund,« erwiederte Andersen, »das ist wohl nicht das richtige Wort: Individualität &#8541; A: Defekte Maschine, aber doch wieder brauchbar. Verläßlich, nicht mehr trunksüchtig, auch nicht mehr kataleptisch. Unmöglich, diesen Seelenautomaten ganz zusammenzuflicken. Es sind eben nur Bruchstücke, die leidlich ineinander passen. Drum hat auch der Amerikaner für Dinge und Menschen das richtige Prinzip: Nichts reparieren, lieber gleich neu anschaffen …«

Andersen strebte wieder nach Landro zurück. In einem anderen Fall wäre er nicht so leichtsinnig gewesen, Bobbe nach Hause zu schicken, ihn mit dem Automaten allein zu lassen. Aber er mußte Lydia sehen, … noch einmal, … er mußte ihr sagen …. Ein Strom zärtlicher Geständnisse rauschte durch sein Herz und zwei Tage später war er wieder in Landro.

Woppl hatte ihn natürlich nicht einen Augenblick verlassen und jetzt saßen sie mit der ganzen Gesellschaft wieder zusammen auf der Terrasse. Wieder war Frithjof der Mittelpunkt. Die Engländerinnen, die ihn so lange vermißt, kokettierten mit ihm, Lydia war bezaubernd, schüchtern und kalt wie immer, und wie immer verzehrte ihn Ethel mit ihren dunklen Augen. Holthoff mit seiner fettstrotzenden Bonhomie präsidierte und die Klatschrätin zog ihre schleichenden Kreise um die Gesellschaft. Zwei neue Personen gehörten jetzt zu den Intimen: Justizrat Kunow, der noch immer nach hypothetischen Fliegen haschte, und Professor Walter, den die Klatschrätin einen »ernsten Mann« nannte, weil sie jetzt ihm, wie früher Woppl, die Geheimnisse der anderen anvertrauen durfte.

Woppl hatte bereits Holthoff von dem bizarren und unbegreiflichen Erlebnis in Amsterdam erzählt und sein Interesse von neuem entflammt. Nun fand er es an der Zeit, wieder den Schweden in Person auszuspielen.

»Sie sind uns noch eine Antwort schuldig,« sagte er zu Andersen. »Sie wissen ja, daß die Witze unseres Herrn von Holthoff an der Börse bekannt, – hm, – äh, – sogar gefürchtet sind. Wir sind nun gespannt auf die Frage, die Sie uns noch nicht beantwortet haben.«

»Ja, ja,« sagte Miß Mabel und klatschte in die Hände. »Wir wurden unterbrauchen durch die Telegramm. Go on!«

»Ein Mensch besitzt doch Witz, Geist und Ideen,« frug Woppl, »das alles können Sie Ihrer Maschine nicht geben?«

Holthoff grinste beifällig; Woppl sah ihn an mit der Freundlichkeit eines Bundesgenossen, während er dachte: »Seine Nase hängt ihm herab, wie ein Wachstropfen, der jeden Augenblick abzufallen droht.«

Holthoff hatte sich eine Zigarre mit papierener »Protzkravatte« angezündet. Die Klatschrätin sah ihm zu und dachte »Natürlich! Immer nobel, Schani, nur mit Strumpfbandel!« Während er mit gnädiger Herablassung sagte: »N' ja, der Witz, oller Schwede! Wie machen Sie das mit'm Witz? Das wird ja phänomenal! Wenn Ihr Android auch noch Kalauer macht, dann kann die Börse schließen.«

»Mit dem Witz,« begann Andersen, von einer Tasse türkischen Kaffees in eine angenehme Stimmung versetzt, »mit dem Witz geht es natürlicher als Sie denken.«

»Es gibt Leute, die den Ruf genießen, sehr witzig zu sein. Ich denke mir meinen Androiden als Börsianer beispielsweise. Es gibt Börsianer, von denen man immer wieder Bonmots kolportiert. Nun gut, wieviel Witze sind wohl nötig, um einen Mann in den Ruf eines Witzboldes zu bringen? Wieviel Witze wissen Sie von den Geistvollsten Ihrer Bekannten zu erzählen? Vielleicht 3, vielleicht 10. Und von diesen sind ihnen 9 von anderen angedichtet. Nun achten Sie: Ein Mensch, von dem man 25 Witze im Jahre weiter erzählt, der müßte überall als witziger, geistvoller Kopf gelten. Nicht wahr? Das macht erst einen alle vierzehn Tage. Wenn man mit ihm zusammen kommt, wird man immer die Empfindung haben: Jetzt legt er los! Jetzt fällt ein geistreiches, ein scharfes Wort! Man wird sich in acht nehmen, wird seine Aufmerksamkeit auf sich selbst konzentrieren, und aus der Scheu vor dem Witzwort, das nie fällt, das aber etwa fallen könnte, wird das Gefühl erwachsen, daß man es mit einem geistvollen Menschen zu tun hat, und man wird jedem seiner Worte eine Bedeutung beilegen, die es im Grunde genommen gar nicht besitzt.

Holthoff lächelte: »Ja, ja! Es ist mit dem Geist wie mit dem Geld. Sie treten in ein vornehmes Haus, ein ›hochherrschaftliches‹, mit Marmortreppen und echten Smyrnateppichen, goldenen Kandelabern, und halten jeden, der in der weihevollen, historisch-stilrechten Stille und im mystischen Halbdunkel dieser von Raritätenhändlern gespickten Gemächer Ihnen entgegen tritt, für einen sicheren Mann, der spielend über hunderttausende verfügt, – während der Betreffende vielleicht schon seit Jahren mit Unterbilanz arbeitet, unter der Hypothekenlast kaum schnaufen kann und ausgehöhlt ist und ärmer als der Kohlenmann oder der Bierverleger, der nur die Hintertreppen benutzen darf. Der Besitzer kann vielleicht jeden Tag ebenso zusammenbrechen, wie der glanzvoll geschmiedete, vergoldete Eisenträger, an dem die Marmortreppe hängt.«

»Ganz recht, aber wie wollen Sie dem Androiden den Kredit des Geistvollen verschaffen?« frug Woppl.

»Das ist das Einfachste! Schon Napoleon der Große sagte: Die eindringlichste Redefigur ist die Wiederholung. Wir machen das, wie die moderne Reklame. Mein androidaler Börsianer bringt zwar nur alle vierzehn Tage einen Witz. Den wiederholt er aber reichlich, bei jeder Gelegenheit, passend und unpassend, und begleitet ihn mit einer kräftigen Lachsalve. Mit einem Lachen, das alles an ihm in Bewegung setzt, das die Luft im Kreise erschüttert. Lachen ist ja überhaupt die beste Waffe im Leben, Lachen und Lächeln! Lächeln entmutigt, Lachen entwaffnet. Mit Lachen und Lächeln in allen Graden, in allen Nuancen statte ich meinen Automaten aus. Sie tragen ihm ein Geschäft vor, er lächelt; Sie fassen das für Verständnisinnigkeit auf. Sie erlauben sich eine tadelnde Bemerkung über seine Handlungsweise? Er lacht, und Sie sind ganz perplex. – Sie wissen ja nicht warum er lacht. Sie loben ihn, er lacht! Und Sie finden, daß er überlegen ist allen kleinlichen Eitelkeiten. Sie machen einen Witz über ihn, er lacht, herzlich, und Sie sind geschmeichelt. Sie finden, er ist ein ›lieber, angenehmer‹ Mensch. Sie sagen ihm vor andern Leuten Grobheiten und er lacht dröhnend, er lacht ohne einhalten zu können, er übertönt Sie, er deckt Sie zu mit seiner Stimme. Sie werden haltlos. – Sie nennen ihn einen Schurken. – Ein überlegenes Lächeln spielt über sein ganzes Gesicht, daß Sie denken, der Mann muß doch noch was anderes sein, er muß doch noch etwas im Schilde führen. Sie wissen nicht, was zu tun, Sie gehen mit Verachtung ab. Mit Verachtung! Knirschend! Aber Sie gehen! Sie entfernen sich, und das ist die Hauptsache. Kurz, wo Gedanken, Worte fehlen, da stellt sich zur rechten Zeit ein Lächeln ein. Man hat oft die dümmsten Leute für geistvoll gehalten, weil sie schweigend zu lächeln verstanden haben. Und auch die Klugen machen von diesem Lachextrakt Gebrauch.«

»Haben Sie nicht gehört,« fiel ihm Holthoff ins Wort, »daß der alte Metternich den jungen Bismarck nach einem zweistündigen Besuch für einen klugen Menschen erklärte, in den er geblickt habe wie auf einen goldenen Grund. Als man Bismarck frug, was er denn gesprochen hätte, sagte er: ›Gar nichts! Metternich hat in einem fort geredet, ich habe nur intelligent zugehört‹.«

Alle lachten. Frithjof fuhr im Dozententon fort: »Schweigen und Lächeln, das ist der Haupttrick! Und mein Automat ist damit reichlich ausgestattet: Schweigen und Lächeln!«

»Ja,« unterbrach ihn Ethel, »aber Gefühle?! Empfindungen?!«

»Und vielleicht auch Gewissen?!« spottete Andersen. »Das ist ja das Salz an meinem Automaten, wie an jedem Menschen überhaupt! Gewissen! Wozu dient das? Wozu wird das dem Menschen in der Schule anerzogen? Doch nur, um ihn gefügig zu machen, ihn Einflüssen anderer zu unterwerfen. Gewissen? Was heißt dies anderes, als den Polizeimann dem Bürger in die Stube setzen, an sein Kassenschlüsselloch, an Tisch und Bett, in sein Allerintimstes. Wo er geht, wo er steht, überall ist das Gewissen, die Polizei mit ihm. Sie ist in seinen Kleidern, in seinem Hemde; es ist die Polizei, winzig, unsichtbar, sprunghaft, aber doch unerbittlich und stechend, ein allgegenwärtiger Floh!«

Woppl warf einen erschreckten Blick auf die Damen, Frau Ehrsam schrie » Shoking!« Lydia lachte unmäßig, Holthoff brüllte. Frithjof kam über den unerwarteten Effekt ganz außer Fassung; er suchte die Gesellschaft wieder ernst zu stimmen:

»Das Gewissen beeinflußt tausendfältig, und nicht immer glücklich. Das Gewissen und überhaupt alle unsere Empfindungen sind ätherische Fasern, mit denen wir an unseren Nebenmenschen hängen wie mit feinen, unheimlich schmerzhaften Nerven. Und jeder beliebige, der dran zerrt, jedes Bübchen oder jedes Scheusal, kann uns damit unendliches Leid bereiten, kann uns an diesen zarten Fäden ziehen und lenken, wohin er will. Sie sitzen im Kaffeehaus. Am nächsten Tisch kann ein hergelaufener Junge, mit oder ohne bunte Mütze, irgend ein Wort fallen lassen, das Sie beleidigt, dem Sie Wochen, Monate und mehr noch der Nervenanspannung, der Gesundheit, der Ehre, des Lebens opfern müssen, um den von jenem Andern leichtsinnig begonnenen Streit auszufechten. Genau genommen ist jener ein sich Austobender, Irrsinniger, denn er schafft Erregungen ohne Grund und Zweck und verlottert dadurch ein Stück aus seiner und Ihrer Existenz. Es ist Atavismus aus der Zeit, da wir noch Affen waren und der Wert unseres Lebens in solchen Händeln lag. Aber auf die Vernunft kommt es im Staate auch gar nicht an, die Ihnen anerzogenen Empfindungen erfordern, daß Sie den nicht gericht-notorisch Irrsinnigen als einen Ehrenmann betrachten, einen Gentleman, der Ihnen durch ein Wort Ihre Ehre rauben kann.«

»Sie betrachten es also als besonders rationell, daß Ihr Automat nichts von dem allen besitzt?« meinte Ehrsam.

»Gewiß! Er weint mit niemandem, empfindet Mitleid für niemand. Ihn beeinflußt kein Gesetz, keine Rücksicht, er geht grad auf sein Ziel los. Ihm ist 2 mal 2 gleich vier und keine Frauenträne und Koketterie, kein Ruin eines Mitmenschen, nicht das Unglück ganzer Menschenherden oder Gesellschaftsschichten, keine Explosion, keine Grubenkatastrophe, nicht die Überredungskunst eines abgefeimten Kaufmanns, absolut nichts kann in ihm das Resultat verrücken und aus 2 mal 2 fünf machen. Er fühlt keine Liebe, keinen Haß, kann nicht geehrt, nicht beleidigt werden. Weder ein Ministerialreskript noch eine Parlamentsakte, weder professorale Unfehlbarkeit, noch pastorale Himmelszungen, weder ein Fußtritt, noch ein Orden ändern in ihm das unzweifelhafte Ergebnis: zwei mal zwei gleich vier! Und gerade Titel und Orden haben doch schon so oft daraus fünf gemacht. Er ist unerbittlich wie die Natur, er ist eben selbst Natur!«

»Aber,« warf Woppl ein, »Sie werden doch gestehen, daß Fußtritte selbst für Maschinen kein erhaltendes und förderndes Moment bilden.«

»Nun ich glaube, daß Sie in jener Nacht, als die dicke Frau Mantzen bei mir einzubrechen versuchte, gesehen haben, daß sich meine Androiden wohl zu wehren wissen. Mein automatischer Börsianer ist für sanfte Berührung sehr zugänglich, streicheln Sie ihn, so streichelt er Sie wieder; er wird sogar zärtlich. Aber ich rate Ihnen nicht, ihn rauh anzufassen, er besitzt wirklich eiserne Fäuste und wahrhaft stählerne Sehnen. Ja, ich bin noch weiter gegangen. Gewisse Schimpfworte läßt er sich gar nicht gefallen. Er hat ein Mikrophonblättchen in seinem Ohr, das bei gewissen Schallwellen sich an eine kleine Muschel genau anlegt und mit dieser einen Stromkreis schließt. Dieses Blättchen reagiert auf die Zahl der Schallwellen in den Worten ›Schurke, Schuft, Schwindler‹ und ähnliche. Dann werden alle Federn der Gelenke in ihm ausgelöst, er springt nach dem Beleidiger hin und schleudert ihn mit einem kräftigen Faustschlag zu Boden.«

Andersen erhob sich glänzenden Auges. Man klatschte Beifall, so daß die Gäste von den anderen Tischen herübersahen. Die Phantasie der jungen Damen war sehr erregt. Ethel fand in den Ausführungen viel Geist, Professor Walther mathematische Exaktheit, Ehrsam Mechanik. Von Holthoff wiederholte Einzelheiten, brachte Wortspiele und bewieherte seine eigenen Witze. Woppl bewunderte höchst befriedigt einen Rubin an seinem Manschettenknopf. Freundschaftlich berührte er Andersens Arm und im Gedanken legte er ihm auf das Butterbrot noch eine Käseschnitte.

Andersen war von der Wärme überrascht; und sie drückten sich beide die Hände, die zwei Pole des Lebens: Der Mann der geistigen Arbeit dem Manne des Genusses.

In diesem Augenblick kam mit schlecht gedämpftem Lärmen das Zimmermädchen herbei, heftig gestikulierend, gefolgt von Sepp, der zwei weiße Halbschuhe in der Hand hielt. Andersen durchblitzte es sofort: Aha, das sind ja die Schuhe, die mir entgegen kamen, als ich in Landro landete. Jetzt werde ich erfahren, wem sie gehören. Dieser Wink des Schicksals zeigt mir meine Zukünftige!

»Gnä' Fräul'n,« ruft das Zimmermädchen.

»Gnä' Fräul'n,« sucht ihr Sepp zuvorzukommen.

»Dös san ja Eahnere Schuach?« quietscht das Zimmermädchen.

»Dös san wohl Eahnere Schuach?« wiederholt Sepp.

Lydia war aufgesprungen. Andersen jubelte in seinem Herzen; »Sie ist es, die mir das Schicksal bestimmt hat. Ich hätte es mir gleich denken sollen.«

»Aber Sie hab'n do kane zwa linke Füaß,« rief Sepp im Eifer.

Die Klatschrätin warf sich voll Lachen: »Zwei linke Füß! Zwei linke Füß!« rief sie unaufhörlich. (»Zwei linke Füß,« sind nämlich in Österreich das Wort für linkisches Wesen.)

Sepp wiederholte: »Das Stummadel sogt, es san Eahnere Schuach.«

Lydia und Ethel brachen in Lachen aus. Lydia rief: »Dies Zimmermädchen ist aber von einer Beschränktheit! Die zwei linken Schuhe von mir und Ethel! Diese Gans!«

Die Heiterkeit war allgemein. »Es ist nichts mit Zeichen und Wundern!« ironisierte unterdeß Andersen bei sich den Vorfall. Das Schicksal schien mir zuzuwinken und nun gehören die magischen Schuhe gar zweien. Ich kann mich doch nicht mit beiden verloben. – O, zweideutiges Orakel!«

Durch das Intermezzo hatte die Gesellschaft einen Ruck bekommen. Andersen hatte alle Redelust verloren. Die Perfidie des Schicksals wollte ihm nicht aus dem Kopfe. Und noch immer stand vor ihm Lydia mit leicht gerötetem Gesicht, erschreckt über ihren Mangel an Selbstbeherrschung, noch immer hallte ihm ins Ohr der Silberklang: »Zwei linke Schuh von mir und Ethel! Diese Gans!« … Er ahnte nicht, daß die Schuhe noch immer auf Kommendes sich deuten ließen.

Am unangenehmsten empfand Woppl die Unterbrechung: Holthoff hatte so gespannt zugehört, er war für den Androiden sichtlich gefangen. Woppl wiederholte murmelnd Lydias Worte: »Diese Gans!«

Mit verschiedenen Witzen und Kalauern auf die »Zwei linken Füaß« schüttelte man sich die Hände und jeder ging an seine Vergnügungen.

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