Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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17

So kam der Abend, an dem wir wieder in dem gelben Hause beisammen saßen. Es war der Abschiedsabend, wo das Echo der Vergangenheit gleich auf Moll gestimmten Glocken in unseren Ohren erklang, und draußen war es Herbst. Alles war wie früher und doch anders. Wir waren uns wie Freunde gegenübergetreten, und ich fühlte auf den ersten Blick, daß zwischen uns beiden die warme Stimmung webte, die nur von einer Liebe kommt, welche trotz allem lebt.

Aber als wir an diesem Abend zusammensaßen und die alten Räume in der stummen Sprache der Erinnerungen zu uns flüsterten, da war es meine Frau, nicht ich, die zu sprechen begann, und mit steigender Angst lauschte ich ihren Worten.

»Du wirst dich wohl über das wundern, was ich dir jetzt sagen werde,« begann sie, »und ich habe zuweilen gedacht, ich würde es dir nie sagen können. Aber jetzt, wo ich wieder bei dir sitze und es ist, als wäre all das Alte aus unserem Leben ausgelöscht, jetzt fühle ich, daß ich nicht mit dir leben kann, bevor ich dir alles gesagt, bevor ich gesehen, daß du mich verstehen und – mir verzeihen kannst.

»Du weißt nicht, was es heißen will, nicht Herr seiner selbst zu sein, wie im Nebel zu gehen, und bei jedem Schritte, den man tut, das Gefühl zu haben, als könnte man den richtigen Weg nicht finden. Ich kann es dir nicht recht erklären. Aber siehst du, als John tot war, glaubte ich beinahe, daß ich gleichsam nicht richtig bei Verstande blieb. Ja, du darfst mich nicht mißverstehen. Ich konnte über alles Mögliche nachdenken, alles Mögliche verstehen. Aber es drang gewissermaßen nicht in meine wirklichen Gedanken ein. Wo ich ging, hörte ich Stimmen, die mir ins Ohr flüsterten. Das ist nicht nur eine Redeweise. Ich hörte sie wirklich. ›Es ist deine Schuld, deine Schuld, deine Schuld. Deshalb durfte er nicht am Leben bleiben. Du hast dich zuerst nicht um ihn gekümmert, und als du dann versuchtest, es zu tun, war es zu spät.‹ Ich hörte das beständig, Richard, oder beinahe beständig, und ich glaube, es kam daher, daß ich zu unaussprechlich glücklich mit dir gewesen war. Gerade da starb John, gerade da als wir glaubten, dem Schlimmsten entronnen zu sein, wo wir so glücklich lebten, als hätten wir nie etwas anderes durchgemacht, da brach das Unglück über meine Seele herein, und ich konnte es nicht tragen. Ich fühlte mich so schwach, Richard, und so wunderlich einsam. Ich versuchte, die Gedanken fortzudrängen, ich krümmte mich in meinem Unglück, das, wie ich meinte, keiner teilen sollte, und ich weinte Tag und Nacht, Richard, nicht um deinetwillen, sondern um meinetwillen.

»Denn wenn diese Gedanken über mich kamen, dann konnte ich mich dir nicht nähern, ich konnte nicht zu dir sprechen, und es war mir, als hätte ich nicht das Recht dazu. Ich sah ja, daß du es tragen konntest. Warum sollte ich da mein Unglück über dich bringen? Und ich wagte nicht, dir das Schreckliche zu erzählen, daß jede Nacht John in seinem weißen Hemdchen an meinem Bett saß und zu mir sprach.

Ach, du kannst dir das nicht denken. Wenn der Tag kam, wußte ich, daß es eine Krankheit war, und ich dachte immer, jetzt werde ich mit Richard sprechen. Jetzt werde ich es tun. Aber sobald ich es versuchte, schien es mir, als hieße das meinen kleinen Jungen von mir wegscheuchen. Er sah so betrübt aus, wie er da saß. Seine Augen waren manchmal voll Tränen, und ich mußte lange zu ihm sprechen, während du schliefst, damit er wieder froh wurde. Er kam nie, bevor du eingeschlafen warst, und es schien mir, daß er mich bat, nichts davon zu erzählen, weil er dann nicht länger bei mir bleiben konnte. Ich war ja die einzige auf Erden, die seiner gedachte.

»Darum konnte ich nie zu dir sprechen, dir nie etwas sagen. Dann zogen wir wieder hierher in unser gelbes Haus, wo wir es so schlecht und so gut gehabt hatten, und wie der Winter verging, Richard, da begriff ich eines Tages, daß du glaubtest, ich hätte dich nicht mehr lieb. Du sagtest es mir nicht, aber ich sah es an deinem Blick, an deinem Wesen, an allem. Ich wußte es ebenso sicher, als wenn ich es aus deinem Munde gehört hätte.

»Und da überkam mich ein Gefühl, als wäre es mir unmöglich weiter zu leben. Ich sagte dir nichts, ich konnte ja nicht einmal denken, es war, als wäre das Leben in mir erloschen, und in dieser Nacht weinte ich mich nicht in den Schlaf. Ich lag wach, und wie ich so das Vergangene überdachte, wurde mein Herz immer starrer gegen dich, und dennoch wußte ich ja, daß ohne dich das Leben für mich wertlos war. Aber der Gedanke selbst war mir so entsetzlich, daß ich mir zuweilen gewissermaßen vorspiegeln konnte, es sei nicht wahr. Ich konnte, während ich dies im Sinne hatte, scherzen, mich vor dir fröhlich zeigen, dich bei dem ganzen Leben begleiten, von dem ich begriff, daß du es aufsuchtest, um mich zu vergessen.

»Aber nun sollst du auch wissen, wie es mir möglich war, während dieser ganzen Zeit auszuhalten und warum ich am allermeisten wünschte, fortzukommen. Erinnerst du dich, daß mir der Doktor ein paar Mal Morphium gab, weil ich so müde war und nicht schlafen konnte? Erinnerst du dich daran, Richard? Wenn du wüßtest, wie oft ich mich darüber wunderte, daß du nicht ängstlicher warst, als man mir Morphium in die Hand gab! Denn jetzt will ich dir auch dies sagen. Nur weil dieses Gift mich aufrecht erhielt, konnte ich überhaupt leben. Und ich begnügte mich nicht mit dem, was mir der Arzt gab. Ich verschaffte mir mehr, ich ging auf unerlaubten Wegen und verschaffte mir, was ich sonst nicht hätte bekommen können. Tag für Tag lag ich wie in Betäubung, alles vergessend, und mich glücklich wähnend. Ich schämte mich vor dir. Ich hatte Angst, daß du es entdecken würdest, und mit Entsetzen begriff ich, daß ich untergehen mußte, wenn das andauern durfte. Aber siehst du, Richard, ich wollte untergehen. Ich wollte mich selbst zugrunde richten. Und erst als ich sah, daß du mich nicht mehr liebtest wie früher – da erwachte in mir das Verlangen, dich wiederzugewinnen, und ich sah ein, daß wenn ich dich gewinnen wollte, ich zuerst die Gewalt über mich selbst zurückerlangen mußte.

»Erinnerst du dich noch an die Maskerade, an jenen entsetzlichen Abend, als du mich in meinem Bett fandest und mich vielleicht für tot hieltest? Da brach all das aus, da schrie es in mir mit einem Entsetzen, als peitschte das Leben selbst mich mit Ruten blutig. Da riß ich meine Kleider ab, riß sie in Stücke, trat auf sie. Als du kamst, hörte ich deinen Schritt, und damit du es nicht verstehen solltest, warf ich mich auf mein Bett. Aber hättest du eine Minute gezögert, würde ich mir alles vom Leibe gerissen haben, und nackt wäre ich hinausgestürzt. Ich weiß nicht warum – ich weiß nur, daß ich es getan hätte.

»Ich lernte da erkennen, daß man fühlen kann, wie der Wahnwitz in der Seele lauert, und daß es einen Augenblick gibt, wo es nur des Bruchteils einer Unbedeutendheit bedarf, damit man unwiderruflich über die Grenze geschleudert wird. Das war der Grund, warum ich dich bat, reisen zu dürfen. Darum schrieb ich, daß ich nie wieder hier wohnen könne. Denn diese Wände waren Zeuge meiner Erniedrigung gewesen, von diesen Fenstern hatte ich meinem eigenen Tod entgegengesehen, in diesen Räumen war ich gegangen und hatte auf mich selbst gelauert, so wie man einen Tollen bewacht, der jede Minute ausbrechen und ein gefährliches Tier werden kann.

»Du merktest nichts, Richard. Und ich war dir so dankbar, daß du nichts sahst. Aber so wunderlich ist das Leben, daß gerade das, was mir am härtesten von allem schien, meine Rettung wurde. Denn dadurch kam ich dahin, John zu vergessen, und als ich ihn vergaß, kam er nicht mehr an mein Bett. Er weckte mich nicht mehr. Er ließ mich schlafen. Ach, Richard! Ich habe an das gedacht und wieder gedacht, und ich verstehe es nicht. Ich habe jetzt viel Zeit zum Denken gehabt, und ich habe ja besser als du gewußt, daß ich recht daran tat, meiner Wege zu gehen, als meine Gedanken stärker wurden als ich selbst. Ich wußte ja, welche Gefahr für mich darin liegt, mich in etwas zu vergraben. Ich wußte ja, daß ich hier nie von – von dem anderen loskommen konnte. Und als ich von dir fort war, geschah mir das Wunderliche, daß sich nach und nach eine große warme Ruhe auf meine Seele senkte. Das kam nicht gleich, denn du weißt wohl, daß bei mir alles langsam geht. Da war viel, das gleichsam weggescheuert werden mußte und das lange schmerzte, sowie der Gedanke daran anstreifte.

Aber jetzt sitze ich hier bei dir, jetzt ist alles wie ein Traum, und morgen schließen wir die Türen des gelben Hauses.« – – – – – – – – – –

 


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