Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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7

Ich kann es jedoch nicht hindern, daß ich wieder an Christian Sundin denken muß. Merkwürdig genug habe ich das Gefühl, als hätte ich schon von vornherein gewußt, daß ich ihm begegnen würde. Nicht gerade, als es geschah, nicht einmal in diesen Tagen. Aber irgend einmal, wenn ich es am wenigstens erwartete. Daß dieser Mann aber jetzt beständig in meinen Gedanken ist, kommt daher, daß ich seinen Gesichtsausdruck nicht vergessen kann. Er sah beinahe schwermütig aus, als ich von ihm ging, und das erinnert mich an den Tag, an dem wir uns das letzte Mal in Upsala trafen.

Das Wunderlichste ist, daß ich mich sehr wohl entsinne, wie er aussah, wie wir uns jenes Mal trafen. Das ist viele Jahre her. Aber ich erinnere mich deutlich, daß er auch damals jenen Gesichtsausdruck annahm, den ich jetzt beobachtete, und der mich damals quälte, so wie er mich jetzt quält. Sein Gesicht drückte nämlich ein Gemisch von Erstaunen, Enttäuschung und beherrschtem Gram aus, und dies quälte mich, weil es einen Anspruch in sich schloß.

Ich erinnere mich, wie gesagt, sehr wohl, wann wir uns trennten, und ich habe mir nie verhehlt, daß es meine Schuld war. Es war um die Zeit, als ich mich eben verlobt hatte, und wenn ich allein sein wollte, hatte ich meine Gründe. Da verschloß ich meine Tür vor ihm ebenso, wie vor allen anderen. Ich erkannte seine Schritte, wenn er die Treppe hinaufkam, und ich hörte, wie er an meine Tür klopfte. Ich begriff sehr wohl, daß er gesehen hatte, daß ich zu Hause war. Die Lampe brannte nämlich hinter der herabgelassenen Gardine in meinem Studentenzimmer, und von dem Platze, wo er stehen zu bleiben pflegte, um sich zu überzeugen, ob ich zu Hause war, mußte er dies unbedingt sehen. Ich ersah aus der Zeit, die zwischen seinem Klopfen verstrich, daß er erwartete, schließlich doch eingelassen zu werden, und als er zurück, die Treppe hinab ging, geschah es mit langsamen, zögernden Schritten, als glaubte er, ich würde ihn zurückrufen.

Ich erwartete, er würde dies auf sich wirken lassen und nicht wieder kommen. Ich befand mich in einem Zustande der Überreiztheit, den ich nicht beschreiben kann. Verliebt wie ich war, litt ich doch an einer qualvollen Unsicherheit mir selbst gegenüber, die mich für jeden Verkehr unmöglich machte.

Aber er kam einmal ums andere wieder – immer mit demselben Resultat. Er wollte sich offenbar nicht abweisen lassen, und als er mich eines Tages auf der Gasse traf, ging er gleich auf mich zu und sagte, als erzählte er mir eine Neuigkeit, daß er dagewesen war um mich zu besuchen.

Ich war zu erregt, um ihm antworten zu können. Ich fühlte nur Erbitterung gegen diese Freundschaft, die nicht locker lassen wollte, aber ich bemerkte mit so ruhiger Stimme als nur möglich, daß ich in letzter Zeit viel zu denken gehabt hatte.

Es ist möglich, daß in meinem Ton etwas wie Verachtung lag, die ich nicht verbergen konnte. Denn er zuckte zusammen und betrachtete mich mit forschenden Blicken. Es lag Unruhe in seinem Blick, ganz, als fürchtete er, daß mir etwas Böses zustoßen könnte, oder vielleicht schon zugestoßen war. Und er fuhr fort, schweigend neben mir einherzugehen, während er nach Worten zu suchen schien, um das unterbrochene Gespräch wieder anzuknüpfen.

Ich war ebenso erstaunt, wie geärgert. Die ganze Situation erschien mir barock. Hier arbeitete ich tagaus tagein an meinem eigenen Schicksal, wenn dieses Schicksal auch nur die Gestalt eines kleinen Mädchens angenommen hatte, das mich betörte, und da wollte dieser Mann eingreifen, bloß, weil es seine Gewohnheit gewesen war, sein Souper in meiner Gesellschaft zu verzehren und beim Kaffee über Philosophie zu sprechen. Meine Überreizung wurde so heftig, daß ich mich nicht länger beherrschen konnte. Ohne auch nur den Versuch zu machen, einen Vorwand zu finden, nahm ich plötzlich Abschied und bog in eine Nebengasse ein.

Man sollte glauben, dies hätte genügen können, um ihn mir für die Zukunft fern zu halten. Aber dies war durchaus nicht der Fall. Zu den merkwürdigsten Tageszeiten sah ich ihn in dem Viertel umherstreifen, wo ich wohnte. Besonders kam er des Abends. Ich konnte seine Schritte auf dem Trottoir vor meinem Fenster hören, konnte hören, wie sie innehielten, um nach einem kurzen Augenblick aufs neue zu ertönen. Diese Schritte, die ich deutlich in der Stille der Nacht unterschied, irritierten mich mehr, als ich zu sagen vermag, und ich kam dahin, daß ich dasitzen und lauschen konnte, um zu hören, ob sie nicht näher kamen.

Natürlich begriff ich, daß es eigentlich nur Interesse für meine Person war, was diese Beharrlichkeit hervorrief. Christian bildete sich ein, daß ich seiner bedurfte, daß ich unglücklich war, daß er etwas tun könnte, um mein Schweigen zu brechen, und daß, wenn es ihm bloß gelang, sich mir zu nähern, dies mir gut tun würde. Ich verstand all dies sehr wohl. Aber ich konnte nichts dafür, daß das bloße Bewußtsein, daß seine Gedanken sich unaufhörlich mit mir beschäftigten, mich außer mir brachte. Ich fühlte mich als pauvre honteux behandelt, dem man ein Almosen aufzwingen will, und ich begann mich danach zu sehnen, dieser ungebetenen Wohltätigkeit die Tür weisen zu können.

Ich konnte seinem Gedankengang folgen, glaubte ich. In überspannter Nervosität ging er dort draußen und sah zu dem Fenster auf, wo die Lampe brannte, zögernd, ob er sich entschließen sollte, die kurze Holzstiege hinaufzusteigen und an meine Tür zu klopfen. Ich konnte mich nicht einmal in meinem Zimmer rühren. Beugte ich mich zur Lampe vor, so daß der Schatten meiner Gestalt gegen die weiße Gardine fiel, so zeichnete sie sich darauf wie eine dunkle Silhouette ab, erzählte ihm, daß ich da war und erfüllte seine Einbildung mit tausend tollen Phantasien. Er blieb stehen und betrachtete dieses Schattenspiel, bis er verschwand und die Gardine wieder leer und weiß dahing, von rückwärts beleuchtet wie das weiße Papier einer Laterna magica.

Dann kehrte er um und ging fort. Aber er brachte es dennoch nicht über sich, mich allein zu lassen. Er faßte das Bild, das er gesehen, als einen Wink auf, daß nun der Zeitpunkt gekommen war, wo er hervortreten konnte, und er fand den Moment einer Annäherung günstig. Er bildete sich ein, daß ich allein in meinem Zimmer saß und mich nach ihm sehnte, so wie er einsam auf der Straße ging und an mich dachte. Er glaubte, daß, wenn ich ihn bloß wiedersah, ich froh werden müßte, und wir zusammen bleiben würden, als sei nichts geschehen. All dies glaubte er; ich wußte das so bestimmt, als hätte ich ihn schon aufs neue die Treppe hinaufsteigen gehört. Und wie ich so saß und an dies dachte, fuhr ich zusammen. Ich hatte wirklich Schritte auf der Treppe gehört. Er war es, der kam, und in einem Augenblick klopfte es. Ale keine Antwort erfolgte, klopfte es noch einmal, und als auch dies nicht half, rief er meinen Namen, indem er versuchte, seiner Stimme einen so natürlichen Klang als möglich zu geben. »Tage, höre doch, mache jetzt auf! Ich habe ja gesehen, daß du zu Hause bist.«

Ich kann das Gefühl der Erbitterung nicht beschreiben, das mich packte. Zornig riß ich die Tür auf, und er trat ein, gleichmütig, ruhig, freundlich, als sei nichts vorgefallen. Wir begrüßten uns, und er versuchte, ein paar scherzhafte Worte darüber zu sagen, wie schwer ich zu treffen war. Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopfe stieg, und in diesem Augenblick wußte ich, daß ich ihn hätte schlagen können.

»Bist du böse, daß ich gekommen bin?« sagte er endlich.

»Ja,« erwiderte ich kurz.

»Ja, aber warum? du hast mir ja früher nie deine Türe verschlossen.«

Ich stand vor ihm, und er sah, daß ich einen gewaltsamen Versuch machte, den Aufruhr zu unterdrücken, der nahe daran war, loszubrechen.

»Wenn ich mich fern hielt,« sagte ich schließlich – und meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren, als hätte ein Fremder gesprochen – »glaubte ich, du würdest begreifen, das ich allein sein will. Und wenn ich das will, müßtest du verstanden haben, daß ich auch nicht um die Ursache gefragt sein mag. Ist das genug?«

Aber es war nicht genug. Er blieb sitzen und antwortete:

»Ich habe dich nicht gefragt.«

Da brach meine Selbstbeherrschung, und zornig rief ich ihm zu:

»Nein, aber du dachtest es zu tun.«

Er sah mich erstaunt an, als hätte er mich nicht verstanden. Aber ich fuhr fort:

»Ich vertrage in der Freundschaft keine Spionage.«

Ich erwartete, daß er aufbrausen würde. Aber er fragte bloß:

»Willst du, daß wir in dieser Weise scheiden?«

»Ich kann es nicht verhindern.«

Ich war außer mir über seinen Besuch, außer mir über seine unerhörte Kaltblütigkeit. Ich zitterte vor Zorn und Seelenbewegung. Und das Wunderlichste von allem war, daß es ihm nicht einen Augenblick einzufallen schien, sich persönlich verletzt zu fühlen. Er sah mich an, wie man einen rasenden Menschen betrachtet, der in Aufruhr gekommen ist und blind um sich schlägt, ohne zu berechnen, wohin oder wie der Schlag treffen kann.

Ich fühlte die Geringschätzung, die in dieser Ruhe lag, und mit einer geringschätzigen Gebärde setzte ich mich an den Schreibtisch, indem ich ihm ohne ein Wort der Erklärung den Rücken kehrte. Ich hörte ihn aufstehen und gehen, aber ich wandte mich erst um, als ich mich erinnerte, daß der Schlüssel herausgenommen war. Da sprang ich auf und schloß die Tür hart hinter ihm zu.

Seither habe ich ihn oft gesehen, aber wir haben nie miteinander gesprochen. Ich habe ihn allein getroffen und auch, wenn ich mit Gertrud in Gesellschaft kam. Er hat mich von seinem Tisch im Restaurant angesehen, ebenso wie ich ihn von meinem betrachtet habe. Er ist für mich einer der tausend Gleichgültigen in dieser Welt gleichgültiger Menschen gewesen.

Und nun, da der Gram seine Krallen in mein Herz geschlagen, kommt er mir wieder auf der Straße entgegen, drückt mir die Hand, als sei nichts geschehen, und in seinen Augen liegt derselbe Anspruch auf das Recht, meine Einsamkeit zu stören, der stets meine Erbitterung hervorgerufen hat.

Was will er von mir? Ist er ausgeschickt, um meinen Frieden zu stören? Hier gibt es nichts zu stören, nichts zu sehen. Ich glaube, ich könnte ihn hassen.

 


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