Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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14

Ich fühlte mich zerrissen und müder, als ich je gewesen zu sein glaubte. Eine wunderliche Nervosität arbeitete in meinem ganzen Körper, und als ich heimkam, schloß ich die Türe mit einer Hast hinter mir zu, als fürchtete ich verfolgt zu werden. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch. Es fiel mir ein, daß ich gerade jetzt an Frau Dagmar schreiben sollte. Aber meine Finger zitterten so heftig, daß sie die Feder nicht halten konnten. Ich war gleichzeitig so unerhört müde, daß ich fürchtete, der Schlaf könnte mich, wie ich da auf meinem Schreibstuhl saß, überwältigen. Schlaftrunken begann ich mich auszukleiden, und ich hatte das Gefühl, als fiele mit jedem Kleidungsstück, das ich ablegte, mein eigenes Leben Stück für Stück ab. Zum ersten Male hatte ich eine Ahnung davon, daß diese Liebe mich erniedrigt hatte, so als säße ich in zerlumpten Kleidern betrunken in einer Schenke und müßte mich vor Menschen verbergen, die mich in besseren Tagen gekannt.

Gedankenleer ging ich auf die Schlafzimmertür zu, als ich plötzlich dadurch zusammenzuckte, daß ich sie offen fand. Ich sah, daß die Lampe drinnen brannte, und ihr matter Schimmer gab einen gespenstischen Schein gegen das Sonnenlicht, das durch die Eßzimmerfenster einfiel. Ich scheute mechanisch zurück, empfand eine Art instinktiven Widerwillen, weiterzugehen, aber konnte ganz einfach nicht umkehren. Auf der Schwelle angelangt, blieb ich jedoch stehen, blieb stehen und sah mich um, ohne zu begreifen, was ich sah.

Auf dem Boden lag das Maskenkostüm meiner Frau, ein feiner rosa Domino, dessen geblähte Puffärmel noch abstanden, als könnten sie nicht zusammenfallen. Er war zerknüllt wie ein Fetzen, und die Spitzen hingen in langen Streifen herunter, als wäre alles abgerissen und in Raserei fortgeschleudert worden. Und auf dem Bette sah ich meine Frau halbbekleidet, bis zur Mitte entblößt, kopfüber daliegen, als wäre sie in dem Augenblick, in dem sie zu Bette gehen wollte, hingefallen.

In der Verwirrung, in der ich mich befand, war es mir unmöglich, irgend ein neues Gefühl zu empfinden. Das Ganze erschien mir nur so eisig konsequent. Es hing mit dem zusammen, was ich eben erlebt, war nur der natürliche Schluß der wahnsinnigen Farce, deren gellendes Lachen noch durch jede Fiber meines Körpers schnitt. Es war natürlich, daß sie tot war. Es war gut, daß sie tot war. Ich konnte nichts anderes finden, ich hatte nicht Raum für etwas anderes in meinem Hirn, das mit hörbaren Lauten gesprengt wurde, so als ob ein Riesenpuls drinnen pochte, um Luft zu bekommen. Es war mir, als wären wir zu gleicher Zeit, in der Einsamkeit, jeder für sich gestorben, und ich fürchtete mich, hinzugehen und sie zu berühren. Ich wußte ja nicht, wie lange ich fortgewesen war, wußte überhaupt nichts, und ich hätte es als Erleichterung empfunden, wenn das gelbe Haus in dieser Stunde über uns beiden zusammengestürzt wäre.

Aber als ich endlich näher trat, um eine Decke über ihren Körper zu breiten, merkte ich, daß sie atmete, und ich hörte ein Schluchzen wie einen Angstschrei die Stille durchschneiden. Es erschreckte mich noch mehr als das Schweigen eben erst, und außerstande, etwas zu sagen, wie paralysiert von all dem wahnwitzigen Elend, das sich außer mir und in mir ansammelte, stand ich stille und wartete, daß etwas geschehen sollte, das meiner Angst ein Ende machte.

Ich hörte mich selbst sagen: »Bist du krank?« Aber ich meinte nichts damit, begriff nicht einmal meine eigenen Worte, und es war mir, als spräche Olga zu einem anderen, als sie sagte: »Richard, Richard! Kann so etwas möglich sein?« Ich dachte an mich selbst, ich glaubte, daß sie alles wußte, und ich fragte: »Was?« Und wieder hörte ich Olgas Stimme: »Etwas so Schmutziges. Etwas so Niedriges. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß ich bei so etwas mit dabei gewesen bin.«

Wie an etwas längst Verschollenes erinnerte ich mich, daß wir auf einem Maskenball gewesen waren, und ich begriff, daß sie an etwas ganz anderes dachte als ich. Während ihre Zähne wie im Schüttelfrost aufeinanderschlugen, nahm meine Frau ihr Nachtgewand um und ging zu Bette, indes ich selbst versuchte, meine Gedanken zu sammeln, um ihr wenigstens antworten zu können. Aber ich fand keine Worte. Ich fühlte bloß, daß der Tag über einer Leere ohne Grenzen anbrach, und als ich endlich einschlief, geschah es mit der Empfindung, daß mein Bewußtsein im Tode erloschen war.

 


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