Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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Von diesem Moment an fürchtete ich die Einsamkeit, und wenn ich abends nach Hause gehen mußte, um zu schlafen, beobachtete ich die Vorsichtsmaßregel, mich an den Bettpfosten anzubinden, um mich so zu verhindern, bei Nacht umherzuirren. Ich sah natürlich ein, daß dies keine Sicherheit bot und daß ich diese Bande ebensogut im Schlafe zu lösen vermochte, wie ich etwas anderes ausführen konnte. Allein das gab mir doch eine Art eingebildeter Ruhe und half mir zuweilen, zu schlafen.

Wir sind inzwischen zum Ende des Monats Mai gekommen, und ich befinde mich in der größten Verlegenheit, wenn ich daran denke, wozu ich eigentlich die langen Ferienmonate verwenden soll. Wenn es mir schon jetzt so schwer fällt, mir meine freien Nachmittage zu vertreiben, wie wird es dann gehen, wenn ich von morgens bis abends frei sein werde? Ich fühle eine unbestimmte Furcht vor diesem Sommer, der herannaht, und indes die Tage vergehen, finde ich immer neue Vorwände, um mich nicht in meinen Zimmern aufhalten zu müssen. Ich mache lange Spaziergänge außerhalb Stockholms, esse in irgend einem Wirtshaus zu Mittag und verbringe Stunden, auf einer Veranda sitzend, eine Zigarre nach der andern rauchend, während meine Augen auf dem knospenden Laubwerk wehender Birken ruhen oder das helle Grün betrachten, das, von weißen Anemonen unterbrochen, Hügel und Felder bedeckt. Dies ruht mich aus und bringt für den Augenblick Vergessen. Es gibt mir eine Art Ruhe, als sei ich ein Teil jener Natur, die ihr stilles Leben unberührt von den Kämpfen der Menschen lebt. Gleichsam vertrocknet und kalt sitze ich da und betrachte all das, das lebt, wächst, jubelt, blüht. Ich sehe es an und denke, daß ich außerhalb von allem stehe. Das ist ein angenehmes Gefühl, es kündet die Stille der Auflösung.

An anderen Tagen bleibe ich in der Stadt, suche unbekannte Restaurants auf, wandere von Café zu Café, lese Zeitungen oder betrachte durch das Fenster das Leben der Straßen. Ich treffe niemanden, spreche mit niemandem – außer mit einem, und dieser einzige ist Christian Sundin.

Es ist wunderlich, daß, seit ich ihn das erste Mal traf, kaum ein Tag vergangen ist, ohne daß ich ihm bei irgend einem Anlaß begegne. Bald kommt er quer über die Gasse, um mich zu begrüßen und mir ein paar Worte zu sagen, bald treffe ich ihn, gerade, wenn ich um eine Straßenecke biege, und die Folge ist natürlich wieder, daß wir stehen bleiben und miteinander sprechen; bald sitzt er in dem Restaurant, wo ich zufälligerweise mein Mittagessen einnehmen will, ja einmal ist es sogar geschehen, daß wir uns als einsame Spaziergänger in einem entlegenen Teil des Djurgården trafen.

Ich habe aufgehört, darüber zu reflektieren, wie es kommt, daß wir, die wir jahrelang aneinander vorbeigegangen sind, nun plötzlich anfangen uns zu treffen, als suchten wir uns wirklich. Ich nehme es als eine ganz natürliche Sache, ja, es ist sogar vorgekommen, daß ich mich gesehnt habe, er möge mich nach diesem fragen – diesem, das mich trotz meiner scheinbaren Ruhe unablässig beschäftigt.

Ich fange nämlich an, ein wunderliches Verlangen danach zu spüren, mich jemandem mitzuteilen. Es ist, als hätte ich das Bedürfnis, mich bei einem Mitmenschen zu beklagen, meinen Schmerz hinauszurufen, so daß ich sein Echo in der Brust eines andern höre. Kürzlich abends fehlte nicht viel, und ich hätte Greta meinen Kummer anvertraut. Sie schob nämlich Gertruds Porträt auf dem Schreibtisch fort, um Platz für das Tablett mit meinem Abendbrot zu bekommen. Es war mir, als umdüsterte sich ihre Miene, wie sie das Porträt anrührte, und ich war nahe daran, sie zu fragen, was sie eigentlich von mir dächte. Bloß mit Anstrengung vermochte ich mein Redebedürfnis zu unterdrücken, und während die Minuten verstrichen, hatte ich förmlich Herzklopfen vor Unentschlossenheit, ob ich die Alte ansprechen sollte oder nicht. Ich fühlte mich jedoch erleichtert, als sie ging, und doch wußte ich, daß die wirkliche Erleichterung eingetreten wäre, wenn ich mich überwunden und gesprochen hätte.

An einem anderen Abend klingelte es an meiner Tür. Ausnahmsweise war ich zu Hause, obgleich es noch früh am Tage war. Ich ging und öffnete, in der Voraussetzung, es sei der Briefträger. Zu meiner Überraschung trat Christian Sundin mir entgegen und fragte, ob ich zu sprechen sei.

Ich war weder erstaunt noch ungeduldig, ich dachte an nichts anderes, als daß er es jetzt erfahren sollte. Ich wollte mich ihm gerade gegenübersetzen, ruhig und natürlich, dann wollte ich mich ihm zuwenden, der mich in meiner Einsamkeit aufgesucht, und anfangen zu erzählen. Aber ich konnte keine Worte finden, um zu beginnen. Er sprach leicht und freundlich von lauter alltäglichen Dingen, von der Aussicht aus meinem Fenster, vom Frühling, vom Sommer, der kam; er fragte, wo ich die Ferien zuzubringen gedächte, und erzählte von seinen Sommerplänen.

Die ganze Zeit saß ich und hörte seinen Worten zu, antwortete und nahm neue Themen auf. Aber ich dachte nur daran, wie ich anfangen sollte zu sprechen, und ich suchte unablässig nach Worten.

Da stand er auf, um zu gehen. Und ich begriff blitzschnell, daß ich ihn gerade jetzt zurückhalten müßte. Aber die Worte erstarrten auf meinen Lippen, und als er gegangen war, fühlte ich, daß meine leeren Zimmer von dem Schmerz über meine eigene, verzweifelte Einsamkeit widerhallten.

 


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