Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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7

Ich kämpfe einen täglichen Kampf mit mir selbst, und ich habe das Gefühl, als wenn ich Pierre untreu wäre, jedesmal, wenn ich mit dem Knaben spreche, besonders wenn ich ein paar Stunden mit ihm allein gewesen bin. Mein ganzes Ich ist gleichsam entzweigespalten, und ich muß mir selbst Gewalt antun, um Erik nicht zuviel zu sehen. Nicht daß mein Gefühl für den Knaben so stark ist, daß es mich überwältigt. Das Entsetzliche ist, daß er hier ist, daß ich mich von den Gedanken, die mit ihm verknüpft sind, nicht befreien kann. Diese Gedanken stellen sich zwischen Pierre und mich. Noch ist kaum eine Woche vergangen, und schon kommt es mir vor, als wäre ich ein Jahr von ihm fort gewesen.

Nicht meine Pflichten als Hausfrau, nicht die Stunden, in denen Pierre und ich getrennt sind, fürchte ich am meisten. Da ist es mir beinahe leicht ums Herz. Da kann ich sogar fröhlich sein, plaudern, lachen und nicht nur glücklich scheinen, sondern selbst glauben, daß ich es bin. Es kann wohl manchmal eine Sehnsucht über mich kommen, Pierre bei seiner Arbeit aufzusuchen, wie ich es in vergangenen Sommern oft getan, zu ihm hinzugehen, mich stumm an seine Seite zu setzen, zuzusehen, wie er arbeitet, und glücklich in dem Bewußtsein in seiner Nähe zu sein. Ich könnte das ja auch tun, so oft ich nur wollte. Niemand würde mich hindern. Elsa würde sich gewiß nicht verletzt fühlen, wenn ich sie manchmal allein ließe. Aber ich kann mich nicht dazu entschließen. Ich gehe hier tagaus, tagein und sehne mich nach Pierre, als wenn er weit von mir weg wäre und ich beinahe fürchten müßte, ihn nie wiederzusehen. Aber das ist gerade das Entsetzlichste, daß mir nie so furchtbar zumute ist, als wenn er durch die Türe tritt, oder wenn ich nur aus der Ferne seine Stimme oder den Laut seiner Schritte höre. Ich eile ihm entgegen, wie ich es früher zu tun pflegte, ich gehe allein mit ihm und ich flüstere ihm Worte zu, die niemand außer ihm hören soll. Aber alles was ich tue oder sage, alles, was ihn betrifft, selbst meine eigenen Blicke, der Ausdruck meines Gesichts – alles schmerzt mich, so als verbärge ich hinter der kleinsten Handlung oder dem unschuldigsten Wort eine böse Absicht. Das tue ich ja auch. Ich weiß ja, daß alles, was ich vornehme oder sage, nur darauf abzielt, daß er nichts ahnen soll. Darum weiche ich ihm aus, wenn ich es kann; und wenn ich es nicht mehr kann, oder zu können glaube, dann suche ich ihn auf, nur damit er keinen Verdacht schöpft.

Elsa faßte mich dieser Tage um die Taille und sagte zu mir:

»Du bist merkwürdig, Gerda.«

»Ich?« antwortete ich und versuchte zu lächeln. Ich fühlte, daß es mir nur halb gelang.

»Du gehst hier tagaus, tagein mit uns,« fuhr sie fort. »Du bist die Fröhlichste von uns allen. Du scherzest, du lachst, du hast tausend Einfälle. Ich verstehe dich nicht. Du mußt doch furchtbar leiden.«

»Du irrst dich,« antwortete ich. »Ich leide nicht.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich kann dir nicht glauben,« sagte sie. »Ich erinnere mich ja an deine Briefe . . . Kannst du nicht mehr offen mit mir sprechen?«

Ich wurde ernst, und ich antwortete ihr freundlich und warm, so als wenn ich ihr mein ganzes Leben gebeichtet hätte:

»Glaubst du, daß ich nicht offen mit dir sprechen könnte, wenn ich dir etwas zu sagen hätte. Aber da ist nichts. Ich habe mich in das Leben, das ich führe, so stark hineingelebt, daß es nichts gibt, was mein Glück erschüttern könnte. Du meinst, daß ich darunter leide, daß Erik hier ist. Weißt du, ich kann mich gar nicht recht hineinversetzen, daß er etwas anderes ist als dein Junge, deiner und nur deiner. Ich höre ihn ebenso ruhig Gutenmorgen und Gutenacht wünschen, als wenn er wirklich dir gehörte – und niemandem anderen. Ich kann es dir nicht erklären, ebensowenig als ich es mir selbst zu erklären vermag. Denn ich verstehe es nicht. Aber ich glaube, es kommt daher, daß ich Pierre so grenzenlos liebe. Er ist für mich alles auf Erden, er hat mir alles gegeben, er hat mich so unaussprechlich glücklich gemacht, daß ich um seinetwillen vergessen kann. So ist es.«

Als ich die letzten Worte sagte, kamen mir die Tränen in die Augen, weil ich an Pierre dachte.

»Das ist seltsam,« sagte Elsa.

Und ich sah, daß sie mir glaubte.

Ich war auch froh, daß sie es tat, und ich fühlte jenen leichten Schauer, den man empfindet, wenn man seine eigene Stärke an einer Lüge entdeckt. Denn nicht um alles in der Welt hätte ich ihr anvertrauen wollen, was ich Pierre verschweigen mußte. Um keinen Preis sollte ein anderer mit mir das Leid teilen, das ich allein tragen wollte und mußte. Es war mir, als verringerte ich meine Schuld gegen Pierre, wenn ich mir selbst sagen konnte: einmal habe ich dich an andere verraten, ein einziges Mal. Aber es soll nie wieder geschehen. Nein, allein will ich tragen, was mein ist, und niemand soll das Recht haben, in ein Leid zu blicken, das ich nicht mit dir teilen kann.

 


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