Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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2

Augenblicklich ist nichts anderes geschehen, als daß meine Frau und ich allein durch die öden Zimmer gingen, in denen die Gardinen herabgenommen waren, wie zum Abschied aus einem Raum in den anderen gingen und die Strahlen der untergehenden Sonne durch die gelbgewordenen Blätter der Ulmen fallen sahen. Wir gingen aus meinem Zimmer in den Speisesaal, aus dem Speisesaal in das Wohnzimmer, aus dem Wohnzimmer in die Schlafkammer. Dann gingen wir denselben Weg wieder zurück, und auf unserer Wanderung wurden wir wie von unsichtbaren Wesen begleitet, die wir nun zurücklassen sollten, und von denen wir Abschied nahmen. Wir blieben vor dem Fenster im Wohnzimmer stehen, wo wir so oft gesessen, und, von jener wunderlichen Wehmut erfüllt, die uns an gewisse Augenblicke in unserem Leben so denken läßt, als schlössen sie gleichsam mehr in sich als das Leben selbst, standen wir stumm da und sahen hinaus über die Terrasse.

Es war einer jener milden Herbstabende wo die Blätter eins um andere fallen, sachte und bebend, als wollte die Vernichtung sich still, unbemerkt über die Natur schleichen. Es liegt etwas Liebkosendes in dem milden Ton, der sich über Blumen und Blätter breitet. Es ist beinahe, als brächte der Herbst es nicht über's Herz, mit schwerer Hand an des Sommers Pracht zu rühren. Mit etwas von der milden Kühle ruhiger Resignation breitet er die Decke fallender Blätter über die gebärmüde Erde. Und wenn der letzte Strahl der Sonne über das Gras des Bodens huscht und in den Wipfeln der Bäume verschwindet, in den großen Glutball, der im Westen verlischt, gleitet und mit ihm verschmilzt – da hinterläßt er eine gedankenvolle, schweigende Stimmung, die weder Schmerz noch Unruhe ist, weder Aufruhr noch Kummer, die nur in das stille Friedensgefühl übergeht: jetzt ist es Herbst, jetzt muß die Erde schlafen.

So schlief alles um uns, als wir in der Dämmerung ausgingen und von der alten verfallenen Terrasse zum letzten Mal unsere Blicke zurück zu dem gelben Hause wandten. In ein paar Fenstern brannte Licht, sie blickten uns entgegen wie zwei Augen, zwei wunderliche, sprechende Augen, die uns in ihrer stummen Sprache alles sagten, was wir in den zwei Jahren, die wir hier gewohnt, durchlebt hatten. Diese Augen schienen alles gesehen und alles verstanden zu haben. Sie sagten uns beiden vielleicht nicht dasselbe. Sicherlich war ein großer Unterschied in der Sprache, die sie zu Olga redeten, und der, die ich zu vernehmen glaubte. Aber wie ferne ihre Gedanken auch in diesem Augenblick von den meinen waren, so fand sich doch in diesen stummen Lichtern, die aus dem Heim leuchteten, dessen Türen sich bald hinter uns beiden schließen sollten, ein Vereinigungsband, das uns zueinander zog und gleich Erinnerungen wirkte, die die Gedanken fesseln und die Herzen öffnen. Und als wir endlich umkehrten und sachte weiter gingen, über dürre Zweige schreitend, die unter unseren Tritten zerbröckelten, da merkte ich, daß meine Frau den Kopf senkte, und ich begriff, daß sie weinte.

So fremd waren wir einander seit langem gewesen, daß ich mit Erstaunen merkte, daß sie vor mir ihren Gefühlen Luft machte. Ohne zu sprechen, gingen wir weiter unter den alten Bäumen, deren Äste sich über unseren Köpfen zu einem Gewölbe verflochten. Darunter war es dunkel, aber als wir an die Barriere herankamen, strahlten uns die tausend und abertausend Lichter Stockholms entgegen, das sich in einem phantastischen Bogen zu unseren Füßen ausbreitete.

Ich hatte es nicht gewagt, Olga zu fragen, woran sie denke. Ich hatte nichts gesagt, das eine Antwort hervorrufen, oder als Neugierde gedeutet werden konnte. Ein halbes Jahr lang hatten wir als Fremde gelebt, und ich hatte mich in den Gedanken vergraben, daß nichts anders werden würde. Aber hier in dem Lichte, das uns von dem nächtlichen Festschmuck der großen Stadt entgegenglänzte, sah ich wieder, wie die Tränen aus ihren Augen fielen, ich sah ein Beben in ihrem Antlitz, das ich aus der Zeit her kannte, wo die leiseste Regung in diesen Zügen in mir selbst ein Echo weckte, und ich wurde von Mitleid ergriffen. Ich hatte das Gefühl, daß sie an meinem Arm so einsam dastand, als hätte die ganze Welt sie fortgestoßen. Und in der Erinnerung an das Gefühl, in dem wir einander einstmals begegnet waren, beugte ich mich hinab und küßte ohne ein Wort die Tränen von ihren Wangen.

So standen wir lange und sahen hinaus zur Stadt, die wir einmal geflohen, in der Furcht, mit in den wilden Ringtanz um das goldene Kalb gelockt zu werden, das der König der Welt ist. Die Erinnerung an das, was wir suchten, als wir fortzogen von dem Lärm der Straßen, der Hetzjagd des Lebens, dem Karneval der Vergnügungen, zog mit einem Ton tiefen Schmerzes durch meine Seele. Und wie vom selben Gefühl ergriffen, kehrten wir um und gingen wieder hinauf zu dem gelben Hause, wo die beiden hellen Fenster uns entgegenleuchteten wie zwei unergründliche Augen.

Als wir eintraten, blieb Olga in meinem Zimmer stehen, und zum ersten Male seit mehr als einem halben Jahre sprachen wir miteinander. Es war Olga, die sprach, und ich hatte ihr nichts zu antworten. Aber mit jedem Worte, das sie sagte, wuchs meine Angst in dem Bewußtsein, wie sehr ich irre gegangen.

 


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