Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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11

Ich merkte eines Tages, daß ich eine Leidenschaft für diese Frau in mir trug, die mich selbst gleichzeitig mit Staunen und einer Art Berauschtheit erfüllte, die der ganzen Überreizung verwandt war, in der ich lebte. Ich sah ihr Haar vor mir, ihre Hand, ihren Fuß, ich träumte von ihr im Schlafen und Wachen. Dieses Verlangen nagte an mir, als hinge mein Lebensfaden an der Erreichung dieses Ziels, um dessentwillen ich nun alles andere vergaß. Und ich erwog die Situation mit derselben Kaltblütigkeit, wie ein Spieler, der seine Chance berechnet. Ich war ein täglicher Gast in ihrem und ihres Mannes Haus, so wie die beiden in dem unseren, und ich wußte, daß der Weg von mir zu ihr leicht war. Nur Skrupel konnten mich hindern, und solche kannte ich nicht.

Zwischen Frau Dagmar und mir hatte sich ein höchst eigentümliches Verhältnis angesponnen, der Art, wie es zwischen Jünglingen, die alles im Licht der Illusion sehen, und sehr erfahrenen Frauen zu bestehen pflegt, die es lieben, der Gegenstand einer solchen Illusion zu sein. Dieses Verhältnis pflegt man Pagenliebe zu benennen, und wäre ich nicht bis zu diesem Zeitpunkt so ausschließlich in dem Gefühl für meine Frau aufgegangen, hätte ich vielleicht durchs Leben gelernt, daß dieselbe Illusion bei einem verzweifelten, überanstrengten und unzurechnungsfähigen Manne erwachen kann. Vielleicht hätte ich trotzdem gehandelt, wie ich es tat, aber ich hätte meinem Gefühl nicht die blendende Vergoldung gegeben, die meine ganze Welt verwandelte; und was mich am meisten blendete, war, wie offen sie und ich gegenseitig unsere Gesellschaft suchten. Wir verhehlten nichts, und um alle besser zu betrügen, spielten wir mit aufgedeckten Karten. Promenierten wir, so ging ich stets an Frau Dagmars Seite, saßen wir bei Tische, so stand mein Stuhl neben dem ihren. Wenn wir sprachen, flogen die Worte zwischen mir und ihr hin und her, und sie saß vor meinen Augen wie in einen prachtvollen Rahmen eingefaßt. Dieser Rahmen war das ganze Leben, das wir wieder führten, in dem das Fest des gestrigen Tages von dem Tage fortgesetzt wurde, der folgte, wo der Champagner perlte und die Luft von dem berauschenden Duft des noch unausgesprochenen Verlangens gesättigt war. In diesem Rahmen saß sie wie eine Königin, und es blinkte von Juwelen auf dem kühlen Glanz ihrer weißen Büste. Um ihren Mund spielte ein Lächeln, und in ihrem Auge brannte jenes rätselvolle Gemisch von Übermut und Spleen, das der Grundton des ganzen Lebens war, das mich wieder gefangen hatte, und von dem ich vergaß, daß ich es einst geflohen.

Ich machte oft ohne meine Frau Besuche in ihrem Hause, und fast immer traf ich sie allein. Ich reflektierte damals nicht darüber, sondern freute mich nur über mein Glück; und mitten in der Welt, in der wir lebten, träumte ich, daß ich der einzige in ihrem Leben sei.

Nun weiß ich ja, welches Interesse ich diesem Weibe bot, das von mir nichts anderes verlangte, als die Freude jenes Machtgefühls zu empfinden, das der Aufruhr anderer Menschen einflößt. Ich glaube, daß sie dasselbe Vergnügen daran hatte, wie es die Tyrannen des Altertums bei Gladiatorenkämpfen empfanden. All dies ist mir jetzt um meiner selbst willen gleichgültig. Es ist verschwunden, nicht wie ein böser Traum, sondern wie eine Wirklichkeit, die nicht zurückkommen kann. Ich sehe und weiß, daß das geschehen ist, daß das mir geschehen ist. Der Gedanke brennt wie Feuer in meinem Herzen, und ich habe keinen Raum für das Gefühl, das den Menschen zu verführen pflegt, über seine eigene Jämmerlichkeit zu lächeln. Ich weiß nur, daß eines Tages Worte der Leidenschaft sich über meine Lippen drängten, und daß Frau Dagmar meine Liebeserklärung mit großer Gemütsruhe aufnahm. Ich weiß auch, daß nach diesem Tage mein Leben ein Glücksrausch war, und ich glaubte Frau Dagmar, als sie mir sagte, sie müßte sich ganz geben. – – – –

Wie gemein und alltäglich dies mir auch jetzt erscheinen mag, so steht es doch fest, daß ich damals Erklärungsgründe für alles fand, was geschah. Ich liebte ihre Gedanken und ihren Wuchs, ihren Blick und ihre chamäleonartige Lügenhaftigkeit, ja selbst das Parfüm, das sie benützte. Ich war wie von einem Fatum beherrscht, das mich unbekannten Zielen entgegentrug. Ich sah nichts von dem, was ich rings um mich niedertrat, empfand nichts für das, was ich ferne von ihr erlebte, dachte oder tat. Und von diesem Verhältnis ging eine magische Kraft aus, die meine Nerven in eine Spannung versetzte, als ginge ich frischen Muts und über alle Unbedeutendheiten des Lebens erhoben, meine Bahn weiter und könnte von nichts besiegt werden. Ich fühlte mich wie ein Halbgott, für den die kleinen gewöhnlichen Gesetze der Sterblichen nicht existieren, und ich war stolz auf dieses Geheimnis, das mir die Lebenskraft der Berauschung und die Illusion der Jugend gab.

Es war mir zumute wie einem Spieler, der fühlt, daß sein Tag angebrochen ist, und der in einer Art kaltblütigem Taumel die Einsätze verdoppelt, damit nichts von dem Glück, das er nicht einbüßen will, verloren gehe. Ich hörte es wie Goldgeklingel um mich rasseln, und ich spielte, nicht um das wertlose Metall, sondern ich gab mein Leben als Einsatz. Dieser Einsatz war schlechter, als ich selbst wußte, und ich hörte nicht, daß der Klang des Gewinnstes, den ich einheimste, unecht war. Denn ich ahnte keinen Augenblick, daß mein Partner falsch spielte.

Ich ahnte es nicht einmal an dem Tage, als ich zum ersten Mal daran denken mußte, daß meine Frau lebte und daß sie auch Anspruch auf mich hatte. Denn das hatte ich vergessen, und so lautlos ging Olga in dem Leben dahin, das wir beide jetzt lebten, daß ich sie vergessen konnte.

Eines Abends begleitete ich Frau Dagmar nach Hause, der Weg ging unterhalb der Barriere, an der meine Frau und ich auf unseren Abendpromenaden in jenem Jahre stehen zu bleiben pflegten, das mir nun wie eine längst verschwundene Parenthese in meinem Leben vorkam. Es war Mondschein, und wahrscheinlich gleichzeitig kam Frau Dagmar und mir der Gedanke, daß, wenn jemand oben auf der Terrasse stand, wir sichtbar waren, wie wir da den Weg entlang gingen. Wir drehten uns jedoch nicht um, sondern gingen unbefangen weiter, und ich erinnere mich, daß ich die ganze Zeit überzeugt davon war, daß Olga uns sah. Wie mir diese Idee kam, weiß ich nicht. Ich hatte ja beinahe aufgehört, ihrer zu gedenken. Aber ich wußte es so sicher, daß ich es hätte sagen können, wenn mir die Sache von irgendwelcher Bedeutung erschienen wäre. Als wir an dem Hügel vorbeikamen und dort, wo der Weg sich krümmt, abbiegen sollten, um zu Frau Dagmars Villa zu kommen, wendeten wir uns beide um, und in dem Mondschein, der klar über den entlaubten Bäumen lag – wir hatten schon Anfang März – sahen wir auf einmal deutlich eine weibliche Gestalt, die sich über die Barriere beugte und uns betrachtete. Wir machten nicht Halt und gaben kein Zeichen, daß wir Olga dort stehen gesehen. Wir sagten es nicht einmal. Aber wir wußten es beide, und Arm in Arm gingen wir weiter, während die ganze Zeit der Gedanke an das, was ich gesehen, in meinem Kopfe arbeitete.

Frau Dagmar war unruhig. Aber bei mir war das nicht der Fall. Ich ging im Gegenteil mit leichten Schritten von ihr, ein Lächeln um die Lippen. Ich war wie ein Narr oder wie ein Fanatiker, der durch nichts in seinem Irrwahn oder seinem Glauben erschüttert werden kann.

 


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