Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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8

Ich habe es im Lügen weit gebracht. Ich habe es so weit gebracht, daß es mich selbst erschreckt. Früher hatte mich die geringste Unwahrheit ängstlich und unruhig gemacht. Aber in den Wochen, die vergangen sind, ist die Lüge meine natürliche Lebensluft geworden, sie ist meine einzige Bundesgenossin, außer meiner Liebe, und sie gleitet mit einer Meisterschaft über meine Lippen, die mich unerschöpflich in Erfindungen macht. Nicht genug damit, daß sie über meine Lippen gleitet. Sie ist im Ausdruck meines Gesichtes, in der Sprache meiner Augen, dem Tonfall meiner Stimme heimisch geworden; ich habe meine Fertigkeit so weit entwickelt, daß sie mir zur Gewohnheit und Natur geworden ist, ich kann sie nicht missen, und zugleich sehne ich mich wie nach einer Befreiung nach dem Tage, an dem dieser unleidliche Zwang verschwinden wird.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Tag kommen wird. Ich kann mir nicht denken, daß ich je so glücklich sein werde. Jeden Morgen, wenn ich erwache und Pierres Blick begegne, wenn er mir guten Morgen wünscht, habe ich das Gefühl, als wenn eine brennende Röte mich vom Kopf bis zu den Füßen bedecken würde. Ich schließe meine Augen vor seinem Blicke und stelle mich schläfrig. Mit geschlossenen Lidern liege ich still, bis er angekleidet ist. Ich horche jedem Laute, außer mir vor Furcht, daß er anfangen könnte zu mir zu sprechen und mich zwingen zu antworten. Bevor ich mich fassen, ein Weilchen mit meinen Gedanken allein sein, aufs neue die Maske ordnen kann, die mein Antlitz und all das, was einst mein war, bedeckt, fürchte ich, daß ich mich verraten könnte. Es ist ja nun eine lange Zeit vergangen, wir sind mitten im Sommer, die Tage werden kürzer, und die Trauben in den Weingärten fangen an, weich zu werden. Ich hatte Zeit genug gehabt, mich zu gewöhnen. Aber es ist mir nicht gelungen. Mit geschlossenen Augen liege ich still in meinem Bett, und wenn ich nicht höre, daß Pierre sich bewegt, kommt die Vorstellung über mich, daß er an meinem Bett stehen geblieben ist und mich betrachtet. Ich wage dann nicht die Augen aufzuschlagen, um zu sehen, ob diese Vorstellung eine Täuschung ist oder nicht. Es ist mir, als ob meine Glieder kalt würden und erstarrten. Während ich so liege, glaube ich die ganze Zeit, daß Pierre mich betrachtet, schließlich meine ich, daß sein Blick fragend, mißtrauisch, böse wird. Er ahnt etwas. Er beugt sich über mich, legt seine Hand auf meine Schulter, und sagt mit jener kühlen Stimme, die ich schon gehört habe, wenn der Zorn in ihm gärt, ich solle aufwachen. Er zwingt mich, die Augen aufzuschlagen. Und dann sehe ich, daß er alles weiß. Ohne daß ich ahnen kann, wie, versteht er das Ganze. Er hebt die Hand, und ich fühle die Schläge als rächende Gerechtigkeit auf meinen Körper fallen. Sie verursachen mir keinen physischen Schmerz, sie treffen gleichsam nicht meinen Körper, aber ich fühle sie fallen, und ich weiß, daß es Pierres Hand ist, die schlägt. Das ganze Leben stürzt rings um mich zusammen, und mit bis zum Äußersten angespannten Sinnen horche ich in meiner Phantasie, ob ich nicht das leise Knirschen der Klinke vernehme, wenn seine Hand sie niederdrückt und er hinausgeht.

Da höre ich anstatt dessen plötzlich seine Stimme, die mich fragt, ob ich denn gar nicht aufwachen will. »Ich bin heute so schläfrig, laß mich erst ein wenig munter werden,« antworte ich, und zugleich wundere ich mich, wie es mir möglich ist, meiner Stimme diesen natürlich jammernden Ton zu geben, der zugleich scherzhaft und schlaftrunken klingt. Ich fühle es wie einen Stich, als ich höre, wie gut ich ihn betrüge. Denn er lacht im Gehen. »Siebenschläferin,« sagt er und schließt die Tür hinter sich zu.

Aber in demselben Augenblick, in dem ich die Türe ins Schloß fallen höre, sind meine Augen offen, und um mich starrend, richte ich mich im Bett auf. Still, lautlos, jedem Geräusch horchend, schleiche ich mich zur Türe, schiebe sachte den Riegel vor, und als ich weiß, daß niemand hereinkommen kann, sinke ich im bloßen Hemde auf der Chaiselongue zusammen, verberge das Gesicht in die Hände, und mein ganzer Körper bebt, als wäre ich im Fieber.

Ach, hätte ich nur einen Schlafraum für mich, in dem ich mich einschließen könnte, wenn der Abend kommt, wissend, daß kein Auge mich sehen, kein Ohr mich hören kann. Tag und Nacht muß ich diesen furchtbaren Kampf kämpfen, um meine Gedanken nicht zu verraten. Tag und Nacht muß ich vor mir selbst auf der Hut sein. Nicht eine einsame Stunde, nicht eine ruhige Nacht. Wenn ich meine Augen zum Schlummer schließe, zucke ich bei dem Gedanken zusammen, daß ich mein Geheimnis im Schlafe verraten, daß ich schlummernd Worte sprechen könnte, die meinen ganzen Kampf, alles was ich gelitten, vergeblich machen würden. Ich liege wach und kämpfe gegen den Schlaf an, der sich auf meine Augenlider senken will, und ich kann diese Angst nicht los werden. Zugleich will ich schlafen, denn ich brauche den Schlaf, damit meine Nerven mich im Laufe des Tages nicht im Stich lassen. Aber die Angst verläßt mich weder im Schlafen noch im Wachen, und jeden Morgen ist mein erster Gedanke: »Was habe ich gesagt während ich schlief? Habe ich gesprochen? Hat Pierre es gehört? Und was denkt er von mir?«

Eines Nachts weckte mich Pierre, und als ich erwachte, fühlte ich, daß ich im Schlaf geweint hatte. Pierre war ängstlich, glaubte, daß ich krank sei, und überhäufte mich mit Zärtlichkeitsbezeugungen.

»Warum hast du geweint?« fragte er.

»Ich weiß nicht,« antwortete ich.

Ich lag stille und ich weiß, daß ich die Rolle eines Menschen spielte, der sich von dem Schrecken, den das heftige Erwachen aus einem bösen Traum hervorruft, nicht erholen kann. Ich hielt sogar den einen Arm über die Augen, als müßte ich meine Gedanken erst sammeln.

»Hast du geträumt?« begann Pierre wieder.

Und ich antwortete:

»Ich erinnere mich nicht.«

Ich hatte geträumt, daß Erik tot war, und mein Weinen war ein Ausbruch der Erleichterung, ein grauenvoll gemischtes Gefühl des Schmerzes und der Befreiung.

Da sagte Pierre zu mir:

»Du riefst Eriks Namen, als ich dich weckte.«

Ich wußte, daß ich das getan hatte. Ich glaubte es selbst gehört zu haben. Ich hatte still dagelegen und kaum zu atmen gewagt, weil ich doch Pierre nicht fragen konnte, ob er es gehört hatte. Nun sagte er es selbst ganz ruhig, wie um meine Gedanken auf die richtige Fährte zu bringen. Er hatte also wieder nichts gemerkt. Es fiel mir wie ein Stein vom Herzen, und indem ich die Arme um seinen Hals schlang, flüsterte ich:

»Pierre! Pierre! Ich bin so erschrocken!«

Aber auch als ich dies sagte, fühlte ich, daß ich ihn betrog. Meine Kraft war wie erschöpft, und ich verstand kaum, was er meinte, als ich ihn sagen hörte:

»Schlafe nun, Kind! Ich werde wach liegen, bis ich sehe, daß du eingeschlafen bist.«

Ich schloß die Augen, weil ich seinen Blick nicht ertragen konnte. Ich atmete lange und tief, um Pierre zu überzeugen, daß ich schlief. Und ich tat das, um nicht fühlen zu müssen, daß seine Augen mich betrachteten.

Als ich dann hörte, daß er eingeschlafen war, schlug ich die meinen wieder auf und versuchte an das zu denken, was geschehen war. Ich war so schwach, daß ich Gott dankte, weil er mich vor einer drohenden Gefahr beschützt hatte. Aber zugleich fühlte ich, daß dieses Gebet eine Lästerung war. Und bis der Morgen graute, lag ich wach und dachte, welches Unheil diese Lästerung auf mein Haupt herabbeschwören würde.

 


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