Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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15

»Aber merke nun, wie das Schicksal mich lenkte, wie alles sich verschwor, um mein Elend vollzumachen. Gerade als ich am lebhaftesten den Fluch empfand, nutzlos an ein Weib gekettet zu sein, das sich mir jeden Tag gewöhnlicher zeigte, das immer weniger dem Bilde glich, das ich, wie ich nur allzu gut wußte, mir selbst geschaffen – gerade da kam sie eines Tages mit freudestrahlenden Augen und erzählte mir, daß unser Glück vollständig werden, daß wir ein Kind bekommen würden.

»Wie dieser Herbst verging und dann der Winter, das kann ich dir nicht sagen. Es ist ja so, daß der eine mit seinem Leiden für das Glück des anderen büßen muß. Es ist ja so, daß, wer es nicht versteht, das Glück zu suchen und zu finden, daran vorbeigeht und sehen muß, wie andere mit vollen Händen davon nehmen.

»Früher war es mir jedoch gelungen, mir Zwang anzutun, und es hatte mich oft gewundert, daß Gertrud von meiner veränderten Gemütsstimmung nichts zu merken schien. Wenn man zuviel opfert, siehst du, so merkt man es zum Schlusse selbst, und die Natur, die gesund ist, gebietet der Opferwilligkeit Halt. Aber der, für den man geopfert hat, merkt nichts. Der nimmt nur, nimmt mit vollen Händen und läßt sich nichts davon träumen, daß sein Reichtum einen anderen arm macht.

Dies tat Gertrud mir gegenüber. Ich sah ihr Glück mit jedem Tage, der ging, wachsen, und ich dachte daran, wie alles gewesen sein könnte, wenn sie mir bloß mit einem Worte gesagt hätte, daß ich nicht so einsam war in meinem Leiden, als ich glaubte. Aber das fiel ihr nie ein. Sie glaubte, daß für mich alles war, wie es sein sollte, nur weil sie sich so glücklich fühlte. Sie ahnte nicht, daß ihr Kind noch vollständiger das meine tötete, das Kind meines Geistes, meines Lebens Hoffnung.

»Das Schlimmste war doch, daß sie starb. Du kannst dir dies nicht denken. Denn ich weiß, daß man so etwas unnatürlich nennt. Sie starb und das Kind mit ihr. Das geschah an einem Tage anfangs April, es ist übrigens heute beinahe einen Monat her, seit es geschah. Ich habe die Stunde noch nicht vergessen können, als ich an ihrem Totenbette stand.

»Ich sage dir – es war nicht Schmerz, was mich damals erfüllte. Es war Raserei. Wie in einem Traum sah ich den Arzt und die Pflegerin in dem dämmerigen Zimmer umhergehen, wo ich auf dem Bette saß und die Hand meines Weibes in der meinen hielt. Die ganze Zeit über war ich von dem einzigen, alles absorbierenden Gefühl erfüllt, wie sinnlos dieser ganze Auftritt war. Der furchtbare Entbindungsprozeß, nach dem das Kind tot zum Vorschein kam, das Fieber, das folgte, die entsetzliche lange Nacht – all dies ging an mir vorüber, als wäre ich weit weg, und ich wußte nur, daß nun alle glaubten, ich sei es, der litt. Meine Frau zog mich zu sich und flüsterte mir zu, ich hätte sie so glücklich gemacht. Eine kleine Weile darauf war alles zu Ende, und der Arzt führte mich weg, um mich zu zwingen, zu versuchen, ein Weilchen zu ruhen.

»Aber damals trauerte ich nicht um sie. Ich trauerte überhaupt um niemanden, nicht einmal um mich selbst. Ich ließ mich ohne Widerstand wegführen, und als ich allein war, weinte ich wie ein Kind im Dunkeln, weinte aus der abscheulichsten Nervosität. Ich glaube, wenn ich eine Waffe zur Hand gehabt hätte, würde ich mich getötet haben, ohne zu wissen, was ich tat. Und die Legende hätte sich verbreitet, daß ich meine Frau nicht überleben konnte.

»Man kann ja auch sagen, daß ich es nicht vermochte. Denn was jetzt von mir weiterlebt, ist nicht viel wert. Aber ich beneide sie, beneide sie mit einer Bitterkeit der Verzweiflung, weil sie in ihrer Illusion starb, weil sie starb, bevor sie mehr als höchstens ahnte, was das Leben eines Menschen Böses bieten kann. Sie starb, bevor sie es lernte, mich mit denselben Augen zu sehen, wie ich sie betrachtete. Vielleicht würde sie auf ihre Weise ebenso recht gehabt haben, wie ich. Aber das wäre auch gerecht gewesen. Und diese Gerechtigkeit wird mir nie zuteil.

»Es ist entsetzlich, sich nicht an die Lebenden wenden zu können, um Gerechtigkeit zu finden. Das ist es, was mich an die Tote fesselt, stärker, als wenn ich sie aus ganzer Seele beweinte.«

 


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