Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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10

Pierre muß doch etwas ahnen. Er hat einen Verdacht. Ich kann es an seinem Benehmen gegen mich sehen, an seiner Miene, an seinem ganzen Wesen. Ich fühle es, wenn er mich liebkost, sehe es, wenn meine Augen den seinen begegnen, merke es an jedem Zug seines Gesichtes, wenn ich ihn betrachte und er sich allein glaubt.

Besonders kann ich es daran sehen, daß er nicht mehr so arbeitet wie früher. Er geht umher und grübelt. Ich kann es ihm ansehen, wenn wir ein paar Stunden getrennt waren und er zufällig herein kommt. Er wirft einen Blick auf mich und glaubt, daß ich es nicht bemerke. Sein Blick ruht auf meinem Gesicht, als hoffte er, daß es ihm etwas von dem sagen könnte, was meine Worte verschweigen. So sitzt er eine Weile, über gleichgültige Dinge plaudernd. Dann geht er wieder, und ich glaube zu fühlen, wie sein Zweifel wächst. Ich glaube nicht, daß er einen direkten Verdacht hat. Aber er fühlt, daß es etwas gibt, von dem er nicht weiß, was es ist, daß ohne sein Wissen etwas vorgeht, was ihn selbst betrifft. Er kann es nicht erklären. Er sucht sich selbst zu überzeugen, daß es Einbildung ist. Aber es kommt wieder, es wächst in ihm, eines Tages kann er sich nicht länger beherrschen. Und dann wird er es mir sagen.

Ich weiß das so sicher, daß meine ganze Energie von diesem Gedanken angespannt, wach und lebendig wird. Ich vergesse beinahe, an mich selbst zu denken. Anstatt dessen kreisen meine Gedanken um Pierre, und ich will ein Mittel finden, um seinen Blick wieder hell und sein Denken ruhig zu machen. Ich bin von einer Furcht erfüllt, die von ganz anderer Art ist als die frühere. Ich fürchte jetzt ihn allein zu lassen, ich will ihn stets in meiner Nähe haben, und ich möchte zu ihm sprechen, wenn ich nicht fürchten müßte, das Übel nur zu verschlimmern. Wir treffen uns ja immer erst am Abend allein, und da sagt Pierre nichts. Er ist freundlich, aber seine Freundlichkeit hat etwas Lebloses an sich, so als ob etwas in ihm erloschen wäre, und wenn er versucht, heiter zu sein, merke ich, daß er eigentlich nur bemüht ist, die Stimme zu übertönen, die nicht verstummen will, und die ihn die ganze Zeit über peinigt.

Ich wurde meiner Sache gestern gewiß, als Elsa und ich unter der Marquise auf der Veranda saßen und Pierre von seiner Arbeit heimkam. Er ging den Weg hinauf, und als er das Haus erblickte, blieb er stehen und betrachtete es. Ich saß die ganze Zeit da und erzählte Elsa etwas, das im Frühling in Paris passiert war, und ich fuhr mit meiner Erzählung fort, als Pierre kam, damit er nichts merkte. Aber durch ein kleines Loch, das die Kinder in die Marquise gerissen hatten, konnte ich Pierre sehen. Er stand zuerst stille, so als überlege er, machte zweimal Miene ins Haus hinauf zu gehen, aber schließlich kehrte er um und begab sich in eine kleine Laube, von der aus man gerade in die Fenster des Hauses sehen kann. Da saß er eine Weile und starrte zu unserem Hause empor, und nie werde ich den Ausdruck vergessen, den ich in seinem Antlitz sah. Er war hoffnungslos und wundernd, beinahe flehend wie der eines Kindes und doch bitter wie der eines Mannes, der sich getäuscht fühlt. Ohne daß er es wußte, erzählte er mir da, daß er allein umherging und mit sich selbst kämpfte so wie ich, allerdings in anderer Art. Und ich begriff mit einem Male, daß, als er mich an jenem Morgen, an dem ich die Blätter meines Kalenders zählte, gefragt hatte, woran ich denke – er da meine Antwort nicht geglaubt hatte. Oder er hatte sie zuerst geglaubt. Als er von dem sprach, was er seinen Egoismus und seine Kleinlichkeit nannte, da befreite er sein Herz von all den Gefühlen, die er vielleicht ebenso lange mit sich herumgetragen wie ich die meinen. Aber nachher ist der Zweifel wiedergekehrt, er hat meine Antwort auf der Wage des Mißtrauens gewogen, er ist mit dem Resultat nicht zufrieden gewesen, und nun denkt er daran, denkt an all das – denkt, denkt und kann seine Gedanken nicht abschütteln.

Ich saß lange da und sah Pierre an. Meine Zunge sprach vom Vernissagetage und der Feststimmung in den Champs Elysées. Aber in meinen Gedanken betrachtete ich alles Gewesene in einem neuen Lichte, und wie in einer Halluzination glaubte ich zu sehen, daß nicht alles so war, wie ich geglaubt hatte. Nichts war so gewesen, wie ich geglaubt. Ohne daß ich sie sehen konnte, ohne daß ich etwas zu ahnen vermochte, hatten all die unsichtbaren Kräfte, die in den geheimsten Tiefen der Menschenseelen arbeiten, ihr langsames Zerstörungswerk vollbracht, hatten das Band zwischen mir und Pierre zernagt, das, was ganz war, zerfetzt, was rein war, befleckt, was vereint war, getrennt. Ich sah dies Antlitz mit seiner bleichen Farbe und den brennenden Augen, die langen schmalen Hände, die Neigung des Kopfes – ich sah es alles, als wäre es mir näher gekommen und hätte mir alles erklärt. Es war, als wenn alles von mir fortglitte, und ich weiß nur noch, daß ich mich darüber wunderte, daß es mir plötzlich möglich war, so klar zu sehen, ohne auch nur zu versuchen, mir selbst zu widersprechen, ohne einen Gedanken daran, die Wirklichkeit von mir zu schieben. Es war, als hätte ich frisch und gesund dagesessen und ohne mit der Wimper zu zucken, die Nachricht, daß ich sterben sollte, entgegengenommen. Es war mir in dieser Stunde so, als bräche alles zusammen, und ich fasse nicht, daß ich, als Pierre endlich zu uns hinaufkam, seinen Gruß erwidern konnte, ohne daß meine Stimme zitterte.

 


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