Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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2

Alles kam daher, daß Pierre und ich eines Morgens erwachten, als die Aprilsonne durch unsere Fenster schien, die hinter den vorgezogenen Gardinen halb offen standen, durch den Duft der Kastanienblüten erwachten, der vom Boulevard hereindrang, vergaßen, daß wir fast zehn Jahre verheiratet waren, und uns jung fühlten.

Ich fühlte mich so glücklich, als ich an diesem Morgen erwachte, daß ich eine Weile die Hand vor meine Augen halten mußte, um so recht herauszufinden, wie glücklich ich war. Und ein Freudeschauer durcheilte mich, als ich Pierres Hand fühlte, die die meine wegzog, während er fragte:

»Woran denkst du?«

Er war auch erwacht, und ich merkte, daß er schon lange dagelegen und mich stumm betrachtet hatte. Ich antwortete nichts, aber er muß etwas von dem empfunden haben, was mich selbst erfüllte. Denn er lachte über das ganze Gesicht und fragte, ob ich mit ihm nach Meudon wolle.

Nun hatte es mit Meudon seine eigene Bewandtnis. Denn als wir uns kennen lernten – es war auch im Frühling, als die Kastanien in Blüte standen und ganz Paris wie ein unermeßlicher, lichter Rahmen um unser junges Glück lag, da hatten wir uns immer auf das kleine Dampfschiff gesetzt, das nach Meudon ging, hatten draußen gefrühstückt, und waren am Ufer des Flusses spazieren gegangen, unter den alten Bäumen, die ihr helles Laubwerk über unseren Köpfen ausbreiteten. Wir gingen so stumm damals, als hätten wir gefürchtet, einander und uns selbst durch einen lauten Schritt oder den Klang unserer Worte zu stören, und wir fühlten nur, wie uns das reiche Grün erwärmte, das bei jedem Schritte über den geschlängelten Pfad von Sonnenflecken bestreut wurde.

All das sah ich, als Pierre Meudon nannte. Ich sah es so deutlich, wie ich nur sehe, wenn ich allein sitze und mich an alles erinnere, was mein Leben glücklich und reich gemacht hat. Es war mir, als entwichen die Jahre vor meinem Blick, und ich begriff sogleich, daß wir allein fahren sollten, er und ich, die Kinder daheim lassen und uns einbilden, daß die Jahre, die wir zusammen gelebt, nie gewesen seien.

Es war, als würden wir von etwas Unsichtbarem, Wundervollem getragen, das uns unendliches Glück spenden sollte. Und ohne daß wir es merkten, versetzten wir uns aus all unseren täglichen Gedanken in neue, helle, lenzliche. Ich freute mich so über seinen Vorschlag, daß ich beinahe vor Glück laut aufgeschrien hätte, und als wir zusammen über die Straße gingen, kam es mir vor, daß die Vorübergehenden mich so betrachteten, daß ich errötete.

Was für ein Tag das war, was für ein Tag! Ich bin glücklich darüber, mit Pierre verheiratet zu sein, glücklich über meine Kinderchen, glücklich über alle Beschreibung. Aber zuweilen überkommt mich eine Sehnsucht nach den Tagen, die niemals wiederkehren. Vielleicht auch ist es eine Sehnsucht nach etwas, was es nie gegeben hat und niemals geben wird. Ich kann nicht sagen, wie es ist. Aber manchmal möchte ich mein ganzes Leben zu etwas Starkem, Schönem, unerträglich Berauschendem emporreißen. Ich möchte, daß ich gar nicht verheiratet wäre, daß Pierre und ich jung wären, daß wir uns erst jetzt kennen gelernt hätten. Nur für einen Augenblick möchte ich diesen Schauer der Seligkeit fühlen, der mich früher packte, wenn er sich mir nur näherte, wenn ich nur seine Hand berührte, ein Seligkeit, die mich zwang, die Augen zu schließen, um mich nicht zu verraten.

Ich glaubte nicht, daß ich all dies wieder fühlen könnte. Aber es kam über mich an diesem Tage, kam so stark und so berauschend, als hätte ich zehn Jahre geschlafen und wäre zu einem Tage der Jugend erwacht. Es ertönte wie Sang in meinem Herzen, ein sanfter, holder, freudiger, jubelnder Gesang, der mit den Lerchen im vollen Sonnenschein über grünenden Wiesen und blühenden Feldern aufstieg. Ich fühlte mich abenteuerlustig wie ein kleines Mädchen, und ich fühlte auch, daß Pierre das verstand.

In unserer alten Laube frühstückten wir. Pierre erinnerte sich an unser altes Menü, ich weiß, daß mir Tränen in die Augen kamen, als er die Speisen aufzählte, und gleichzeitig wurde ich so übermütig ausgelassen, daß ich den Handschuh an der linken Hand anbehielt, damit der Kellner meinen Ring nicht sähe. Es ging ein Jubel durch uns beide, es war wie ein berauschendes Bad des Glücks, und als der Nachmittag kam, gingen wir wie einst schweigend unter den alten Bäumen, deren Zweige die Seine beschatten. Es war ja wie einst, ganz wie einst. Die Jahre, die vergangen waren, waren für uns nicht da. Nichts hatten wir erlebt, erst jetzt hatten wir uns gefunden. Eng aneinander geschmiegt, gingen wir über den schmalen Pfad, und wir sprachen kaum ein Wort, doch zwischen uns flogen Gefühle und Stimmungen hin und her, so wie Schmetterlinge von Blume zu Blume flattern und auf ihren bunten Flügeln der Liebe Botschaft tragen. Ich dachte daran, wie ich zuerst für Pierre gefühlt und wie ich jetzt fühlte. Es erfaßte mich ein so unendliches Dankbarkeitsgefühl gegen diesen Mann, der mich zu seiner glücklichen Gattin gemacht und mein Leben erhellt hatte, daß ich seine Hand ergreifen und sie küssen mußte, während ich dachte, was ich alles für ihn tun wollte, wenn er dessen bedurfte. Ich glaube, ich hätte für ihn sterben wollen, in dieser Stunde, wo das Leben so herrlich war und mein Herz in mir aufzuckte, wenn ich daran dachte, daß wir nicht allein auf der Welt waren, sondern daß unsere Kinder in ihren Betten lagen und wir sie sehen würden, wenn wir nach Hause kamen.

Wir blieben auch über das Mittagessen, und der Tag erschien uns dennoch zu kurz. Schließlich, als der Abend anbrach, saßen wir wieder auf dem kleinen Boote, das uns nach Paris zurückführte. Rings um uns ertönten Stimmen von Menschen, die aus gewesen waren und sich amüsiert hatten, aus der Ferne hörten wir das unbestimmte Getöse von Paris, das das glänzende Fest der Nacht begonnen hatte, und als wir gelandet waren, erklang um uns das Gebimmel der Straßenbahnen, das Getrappel der Pferde, Menschenstimmen, laute Rufe und schrille Dampfpfeifen. Aber wir hörten eigentlich nichts von all dem, es war so still und stumm in uns geworden, daß kein äußerer Laut in das Heiligtum eindringen konnte, das wir den ganzen Tag in der Lenzsonne gebadet und mit den Rosen der Erinnerung geschmückt hatten. Meudons alte Bäume und das stille Wasser der Seine folgten uns mitten durch den Straßenlärm von Paris, das sich zu den Freuden der Nacht rüstete.

Wie ich mich an all dies erinnere! Ich erinnere mich an jede Einzelheit, als wäre sie in Stein gegraben, und ich zittere noch, wenn ich an das denke, was dann folgte. Pierre war erregt wie ich, erregt und glücklich. Vielleicht hatte er für mich ein wenig von dem gefühlt, was ich für ihn fühlte. Ja, er hatte es gefühlt. Denn er sagte es mir ja selbst. Als wir uns unserem Hause näherten, blieb er stehen und sagte, gleichsam als Ausdruck all der Gefühle, die den ganzen Tag über in seiner Stimme gezittert hatten: »Ich möchte dir in irgend einer Weise zeigen, wie lieb ich dich habe. Es ist mir heute so seltsam zumute. Ich möchte dich so richtig froh machen.«

Ich weiß nicht, warum ich mich bei diesen Worten mit einem Male so beklommen fühlte, daß ich, bevor er noch gesprochen, beinahe das fürchtete, was er sagen wollte. Und dann kam sein Vorschlag. Er fragte mich, ob ich nicht meine Freundin Elsa und ihr Kind einladen wolle, ein paar Monate bei uns auf dem Lande zuzubringen. Wir hatten ja unser kleines Landhaus in der Gegend von Fontainebleau. Er malte aus, wie wir uns einrichten sollten, erzählte, wie er es sich ausgedacht hatte. Er war froh über seinen Einfall, erfüllt von dem Gefühl, daß er mir eine Freude machte, und ich ging an seiner Seite und wagte nicht, ihm zu antworten. Es wurde mir schwarz vor den Augen, und es war mir, als müßte ich laut aufschreien, um meinem Schmerze Luft zu machen.

Als wir heimkamen, sah Pierre mich an und fragte, ob ich müde sei.

»Ja,« sagte ich, »ich bin wirklich ein wenig müde.«

Ein Schatten glitt über sein Gesicht, und ich fiel ihm um den Hals, um ihn fortzuschmeicheln. Aber er sah noch immer wehmütig aus, und ich versuchte nun Einwendungen gegen seinen Vorschlag zu erheben. Ich sagte, daß ich am liebsten mit ihm allein sein wollte, daß ich nichts anderes wünschte, daß ich mich schon den ersten Tag nach ihrer Ankunft darnach sehnen würde, mit ihm allein zu sein. Aber er lächelte so als wenn er mir nicht Glauben schenkte, und ich wagte nicht, ihm zu widersprechen. Ich wagte nicht. Ich sagte nur noch einmal, daß ich müde sei. Und da sah ich wieder, wie der Schatten sich auf sein Gesicht legte.

Pierre hat mir später erzählt, warum er bei meinen Worten trübe wurde. Es war durchaus nicht das, was ich glaubte. Es war kein Verdacht gegen mich. Nein, nein. Pierre hat mir nie mißtraut. Es war nur ein Gefühl, das er nicht beherrschen konnte. Es schien ihm, daß meine Worte von Müdigkeit die Stimmung der Jugend, die der ganze Tag uns geschenkt, ertöteten. Als ich davon sprach, kam es ihm vor, daß wir alt waren, daß der Frühling nicht für uns da war, daß gleichsam ein Trauerflor über den Jubel des Frühlingstages glitt, daß ich ihn daran erinnerte, daß Jahre vergangen waren. Es war ihm wohl ungefähr so zumute wie mir, als ich zum ersten Male im Spiegel ein graues Haar sah. Er sagte mir, er hätte es so ungestüm genossen, unser beider Jugend zu fühlen, daß er nahe daran war bei dieser kleinen Erinnerung, daß die Jahre gegangen waren, zu weinen.

Ach, Pierre, Pierre, warum bist du so gut gegen mich! Warum liebe ich dich so sehr! Und warum habe ich dich nicht immer geliebt? Warum schwieg ich, als ich sprechen sollte, und warum kann ich jetzt nicht sprechen?

So dringt Frage um Frage auf mich ein, und jede Frage brennt mich wie glühendes Eisen. Ich lag diese Nacht wach, und bei dem matten Flämmchen der Nachtlampe sah ich Pierre oft an. Er schlief so ruhig wie ein Kind, und er erwachte nur einen Augenblick, um zu fragen, ob ich wach sei. Ich konnte ihm nichts anderes antworten, als daß ich zu müde war, um zu schlafen. Da hörte ich ihn so schwer seufzen, als hätte aller Schmerz der Welt auf seiner Brust gelastet. Aber das war nur, weil er die Unterbrechung der Stimmung, die unser Glück geschaffen hatte, so schwer empfand. Er wußte nicht, was es war, das mich wach hielt, er ahnte nichts. Nach einer Weile hörte ich, daß er wieder schlief. Die Decke an den Mund gepreßt, weinte ich lautlos, damit Pierre mich nicht höre, und in dieser Nacht war es mir, als glitte mein ganzes Leben in Geisterbildern in der Dunkelheit an mir vorbei.

 


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