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Fünfzehntes Capitel.

Die Streifen des Morgenroths färbten bereits den östlichen Himmel, da erwachte Thiodolf vor anmuthigen Zitherklängen, die hinzugleiten schienen über das im Frühhauch leise flüsternde Meer. Aufblickend sah er eine Barke vorübersegeln, in welcher ein Mann saß, den er alsbald für den Sänger Romanus erkannte; der hielt ein wunderschönes Knäblein auf dem Schoß, spielte auf der Zither, und sang dazu folgende Worte:

     »Giocondo, blühend Kind, wie süß die Lichter
Auf deinem hellen Angesichte spielen!
Hinunter zieht der Nacht farblos Gelichter,
Kein böser Traum darf neckend nach dir schielen;
Den Dichter wiegt das Meer, dich wiegt der Dichter
Auf lindem Schoß, die Wassergeister zielen
Nach uns herauf mit tausend reichen Gaben,
Geheimnißvoll uns plötzlich zu erlaben.«

Die Barke schwebte vorüber, und verschwand hinter einer blühenden Erdzunge, nachdem Romanus den sich staunend empor richtenden Helden noch sehr freundlich gegrüßt hatte.

Thiodolf sann eine Weile nach, ob das nur als Schatten eines fliehenden Traumes vor seinen Augen dahin gewallt sey, oder ob er das anmuthige Bild wirklich erblickt habe; er blieb ungewiß darüber, und sprang in die kühlenden Fluthen des Propontis, sich unter Morgenschein und Himmelblau zu erlaben. Dann schwamm er fröhlich ans Ufer zurück, trocknete und glättete seine Waffen, und trat heiter, den Weg nach Konstantinopolis an, um Pietro und Malgherita zu besuchen.

Im Vorhof der kleinen Wohnung traf er auf einen bleichen gealterten Mann, den er erst mühsam im Näherkommen für Pietro erkannte. Sie sanken einander sehr gerührt in die Arme. Nach einer Weile richtete sich Pietro empor, sah seinen Freund an, und sagte:

»Du hast dich auch verändert, mein herrlicher Thiodolf, aber fürwahr auf eine ganz andre Weise, als ich.«

»Ihr Götter,« fuhr Thiodolf auf, »Malgherita lebt doch noch?«

»O ja,« entgegnete Pietro, »so gut, als ich. Sie und ich, wir nehmen einander nicht viel. Nur daß ihr unaussprechlicher Liebreitz auch um die verfallende Bildung noch seine Zauberkreise zieht.«

Er faßte seines Freundes Hand fest, und blickte starr und ernst gegen den Himmel hinauf. Endlich sagte er:

»Wie das so fröhlich und tändelnd anfing mit mein und Malgheritens Liebe! Und wie schwer und hart nach und nach Alles darüber zusammengebrochen ist. Aber das ist es eben. Der Mensch ist ein bethörtes, ungezognes Kind, meinend, er könne mit den hohen, verhüllten Gewalten spielen, die durch sein Leben ziehen. Er zerrt, und zupft an den dunkeln Gewanden, und plötzlich fallen sie von den Riesengebilden ab, und Medusengesichter starren ihn ringsumher an, regungslos, wie die Steine, davor ihm das junge Blut in seinen Adern gerinnt. – Malgherita schläft noch, Bruder. Komm ein andermahl wieder, und wecke sie mir jetzt nicht, denn der Schlaf ist wahrhaftig noch das Beste bey der ganzen finstern Geschichte, die wir Erdenleben zu nennen gewohnt sind.«

Thiodolf schied tief betrübt von seinem unglücklichen Freunde. Er hatte nicht das Herz nach Isolden zu fragen.

»Ach! und wäre die herrliche Erscheinung wieder gefunden, seufzte er, »wie könnte es denn da noch so trüb aussehen in ihrer Nähe!«

Nach der Wäringerburg hinaufwandelnd, begegnete er unvermuthet einem Manne, der ihn, mit so hellen, klug-freundlichen Augen ansah, daß es alsbald davor in seinem dunkeln Herzen aufging, wie Morgenlicht. Er erkannte seinen lieben Bertram.

Wie sich die beyden Männer freudig die Hände schüttelten, sagte der Kaufherr lächelnd:

»Es ist hübsch, daß Ihr einem nicht mehr, wie damahls bey Marseille, den Arm fast ausrenkt vor lauter gewaltiger Treuherzigkeit, und daß man dennoch aus Euerm Händedruck die alte Nordlandskraft so mächtig herdurch fühlt. So kommt Ihr mir überhaupt jetzt vor, Ihr siegreicher Heerführer: kräftig, wie immer, aber zu milderer Form hat sich der edle Stahl in den südlichen Gluthen gestaltet.«

»Mag seyn, herzlicher Freund,« entgegnete Thiodolf, »aber dergleichen thut weh, und brennt beynahe das Mark des Lebens entzwey. Edler, verständiger Bertram, auf Euch ruht fast meine ganze Hoffnung noch. Bringt Ihr mir Kunde von Isolden?«

Wie ein thauiges Gewölk senkte es sich über das helle Antlitz des Kaufherrn herab. –

»Ich möchte Euch Bessres sagen können,« erwiederte er, »aber es geht nicht. Isolde scheint von der Erde verschwunden. Nicht hier nur, auch in Marseille, wohin ich während Eurer Feldzüge zweymahl zurückgekehrt bin, habe ich mit ehrlichem Eifer und klaren Sinnen nach ihr geforscht – vergebens! Dorten starren die schwarzgebrannten Trümmer der Freyherrnburg grabähnlich in die Lüfte empor, von keinem Laut, von keiner Erinnerung fast des Lebens umschwebt, – hier tauchten bisweilen noch Spuren von Isolden auf, aber sie verschwanden, wie die Furchen der Schiffe im Gewässer. Daß sie es ist, welche das Volk unter dem Nahmen der heimlichen Helferinn noch immer verehrt, konnte ich fast nicht bezweifeln. Aber ob sie pflegend an Krankenbetten, stillend verderbliche Zwiste, selbst oft durch ihre plötzliche Erscheinung, Aufläufe zerstreuend und beruhigend, hervortritt, – immer ist sie eben so schnell wieder verschwunden, und ich weiß nicht mehr, habe ich es mit einem zauberischen, habe ich es mit einem sonst über die Kräfte der Erde erhobnen Wesen zu thun. Sie ist in dieser Welt verloren für Euch.«

»Kann ich ja doch den lieben weißen Christ auch nicht finden!« sagte Thiodolf, und senkte in tiefer Wehmuth sein Haupt. Da schmetterten alle Hörner der Wäringerscharen aus der Burg herab, denn die Schildwachen hatten von fern das Herannahen ihres großen Obersten bemerkt, und man empfing ihn nun mit diesem kriegerischen Gruße. Freudig, wie ein erweckter Adler, schaute der junge Kriegsfürst umher, und wie man durch das hochgewölbte Thor hineinschritt, auf den größesten Hof des Gebäudes, und die Geschwader rings umher in aller Waffenpracht gereihet standen, die Schilde zusammenschlugen, die leuchtenden Speere senkten, – da sagte Bertram leise zu Thiodolf:

»Nicht wahr, es liegt doch herrlicher Trost darin, und was mehr noch ist, auch herrliche Verheißung!« –

»Ja,« entgegnete glühenden Auges der junge Wäringerfürst, »ja Freund, der Ruhm ist eine göttliche Gabe Allvaters, und wen er mit ihren begeisternden Palmen umkränzte, der wird auch – dafern er nur sonsten treu bleibt und wahr – der wird auch das Höchste und Seligste gewinnen, diesseit und jenseit des Runensteins!«


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