Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Capitel.

In eben dieser Nacht saßen auf Island Oheim Nesiolf und Muhme Gunhild in viele Pelze gehüllt auf den hohen Stühlen am Herde; der Schneewind draußen tobte schaurig, daß die erzbeschlagenen Pforten ordentlich bisweilen davor zusammen rasselten; der Wolf lag scheu unter Nesiolfs Sessel und heulte oft in wilder Aengstlichkeit auf. Dann schalt ihn der greise Held, und versuchte von Neuem, mit seiner tiefen, heisern Stimme eins von den Liedern Pietros zu den Tönen einer halbbesaiteten Zither abzusingen, aber Wind und Wolf heulten allzustörend dazwischen, und er mußte endlich ablassen, besonders da Gunhild sagte:

»Mir wird unsre Einsamkeit nur noch schwerer und tiefer, vor dem trüben Nachhall jener hellen Tage, wo die drey blühenden jungen Leute mit uns um das Feuer her saßen. Ach, in welchen Landen unser herzlieber Thiodolf jetzt umherziehen mag, und ob in Leid oder in Freuden!«

Sie blieben nun eine ganze Weile stille; nur endlich, weil Gunhild so starr und ernsthaft in das Feuer blickte, fragte Nesiolf:

»Siehst du irgend etwas von unsern Lieben in den Streifen der Flamme? Ich weiß ja, du hast die Gabe von deiner Mutter geerbt.« –

»Ich bin heute nicht stark genug in meinem Gemüthe zum Weissagen;« erwiederte Gunhild, und ihre Augen tropften. »Aber es ist, als wollte mir die Flamme von Thiodolf erzählen, so wunderlich brennt sie und so bedeutsam. Kränze wehen in dieser Nacht über seinem Haupte, das glaub' ich deutlich zu sehen, aber es mögen Dornen darunter geflochten seyn.«

Wieder war Alles stille, bis zuletzt der Wolf sich empor richtete, glühenden Auges umher zu schauen begann, und die Zähne wies. Zugleich erhuben die Hunde draußen in ihren Ställen ein wildes Geklaff und Geheul.

»Sturle!« rief Nesiolf nach einem der Knechte, »sieh über das Bollwerk hinaus. Da muß Jemand Fremdes am Thore seyn. Wenn es ein Einzelner ist, oder er doch nicht über viel Menschen bey sich hat, so läßt du ihn ohne weitre Frage ein.« –

»Der arme Fremde mag wohl schon lange geklopft haben,« – sprach Nesiolf, während der Knecht ging, gegen Gunhild weiter – »und hat ihn nicht Mensch, nicht Thier vernommen vor dem Gebrause des Frühlingssturmes. Ja freylich weiß nicht Jedermann so schön und laut zu klopfen, wie unser lieber Thiodolf es that!«

Die Pforten des Geheges rasselten auf, schwer klirrten die niederfallenden, gewichtigen Balken mit ihren Schlössern und Nägeln davon herunter, man hörte, wie der Fußtritt mehrerer Menschen über den gepflasterten Hof nach der Halle heran kam. Nun thaten sich auch die innern Thüren von einander, und herein schritt an der Hand des leitenden Sturle eine hohe, jugendliche Heldengestalt in wunderlich fremder Tracht, einige Krieger seines Gleichen ihm nach.

Der Wolf riß seinen blutrothen Rachen weit gegen die fremden Gäste auf, und deren Anführer faßte nach dem krummen Schwerte, das an einem blitzenden Gurte von seiner Seite herab hing; Nesiolf aber rief das zürnende Thier an, und es schmiegte sich wieder geruhig am Feuer zusammen. Derweile hieß der alte Held seine Knechte Sitze um den Herd stellen, und hielt den Fremden einen Trunk des ältesten Meth's aus silberbeschlagnem Stierhorn entgegen.

»Erst meine Bothschaft!« sagte der Vornehmste der Gäste, mit dem hochgeschmückten, von reichen Tüchern umwundenen Haupte sich tief, bis fast gegen die Erde neigend. Sein Gefolge that es ihm nach. »Ich sehe wohl aus Allem,« fuhr er fort, »daß ich vor Oheim Nesiolf und Muhme Gunhild stehe, wie auch, daß Thiodolfs getreues Wolfesthier mit hier am Herde liegt.«

»Herr,« entgegnete der alte Held, »Eure Worte schwellen mir das ganze Herz an in Freude und Sehnsucht, aber Schmach für immer komme auf mich, wenn ich einen Fremden ein Begehr bey mir anbringen lasse, bevor er gastlich mit mir aus meinen Horne getrunken hat. Laßt Euch nieder, Ihr fremden Kriegsmänner, und nehmt meine Bewirthung an.«

Es geschah nach des greisen Nesiolf Begehr, und während des Mahles, das nun die Knechte reichlich auftrugen, begann der Wirth, die Freude zu preisen, die jeglicher Isländer davon haben müsse, daß es auch in der Fremde so wackere Seeleute gebe, vor deren Ruderschlägen und Segelspannen die wilden Frühlingsstürme und schäumenden Wogen bezwungen werden möchten, und Raum geben zur Fahrt an die hiesige Küste.

»Ihr werdet Euch minder darüber wundern, edler Herr,« sagte der Gast, »wenn ich Euch sage, daß wir Araber sind.«

»Ha, willkommen, brave Seegenossen!« rief der alte Nesiolf jubelnd aus. »Mein Bruder Asmundur und ich, wir haben uns oftmahlen mit Euch herumgetummelt, bald freundlich, bald feindlich, an den südlichen Küsten, wo die Pomeranzen funkeln, und die Lorbeerzweige schatten. Ich hätt' Euch gleich kennen sollen, an der Tracht und Bewaffnung, aber jene Zeiten sind nun schon so lange vorüber. Auch in meinen Träumen hat seit Jahren sich kein Araber mehr gezeigt. Das ist mir nun aber eine große Freude, einmahl Einen Eures Gleichen zu bewirthen, und sein tapfres Gefolg!«

»Herr,« entgegnete der Araber mit einem verlegnen Lächeln, »ich komme hier nicht eigentlich als Gast herein; ich komme vielmehr als Bothe, und zwar auf ziemlich gezwungene Weise.« –

Darauf erzählte Achmet – denn er war es – wie er von Thiodolf bewältigt, und durch heilige Verpflichtungen gebunden sey, nachzufragen, was Oheim Nesiolf und Muhme Gunhild mache, ja sogar auch Bothschaft zu bringen von dem getreuen Wolf.

Die beyden alten Leute sahen einander derweile mit freudefunkelnden Augen an, wobey Nesiolf öfters fragte: »und allein war er in Eurer Burg, lieber Herr? Ganz allein?« – Achmet bejahte die Frage mit einigem Erröthen, und sein Wirth bath ihn, sich hier auszuruhen, bis die Frühlingsstürme ausgewüthet hätten; dann könne er auch um so gewissere und ausführlichere Kunde mit zurücknehmen von ihm, und seiner Frau, und dem Wolf. Achmet, durch den schlechten Zustand seines Schiffes genöthigt, nahm das gastliche Erbiethen an, aber mit einem gewissen höhnischen Lächeln, wovon eine dunkle Ahnung in die Thierseele des Wolfes zu fallen schien, denn der fuhr plötzlich zähnefletschend gegen den Fremden an, und ward nur mühsam durch einen Herrn zurück gerufen.

Als aber die Gäste zur Ruhe waren, und Gunhild auch, erstieg Nesiolf das Grab seines Bruders, und rief es ihm durch den schneeigen Hügel mit Sangesweisen hinein, wie sich ein Thiodolf so furchtbar und herrlich erzeigt habe auf den Trümmern der alten Carthago.


 << zurück weiter >>